Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragserstattung bei vorherigem Erlöschen der Versicherungspflicht
Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf Beitragserstattung nach RVO § 1303 Abs 1 besteht auch dann nicht, wenn die Versicherung nach ArVNG Art 2 § 4 fortgesetzt werden kann.
Leitsatz (redaktionell)
Nach dem Grundgedanken des RVO § 1303 Abs 1 S 1 soll zur Erstattung nur derjenige berechtigt sein, der nicht das Recht hat, durch die Entrichtung weiterer freiwilliger Beiträge seine bisher in aller Regel unzulängliche Beitragsleistung zur Grundlage seines künftigen Rentenanspruchs zu machen. Es kommt mithin entscheidend auf das Fehlen eines Rechts zur Entrichtung freiwilliger Beiträge an.
Normenkette
RVO § 1303 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 4 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19. November 1959 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die im Jahre 1927 geborene, verheiratete Klägerin war vom 19. September 1950 bis Ende 1951 in N... als Montiererin invalidenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. In den Jahren 1952 und 1953 versicherte sie sich freiwillig weiter, wobei sie insgesamt 44 Beitragsmarken der Klasse II entrichtete.
Im November 1957 beantragte sie unter Überreichung von 26 weiteren losen Invalidenmarken der Klasse II mit dem Aufdruck 56 und ihrer Quittungskarte Nr. 1, in der die zuvor genannten Versicherungszeiten bescheinigt und die erwähnten 44 Beitragsmarken für 1952 und 1953 eingeklebt waren, die "Rückerstattung der Versicherungsbeiträge". Durch Schreiben vom 28. November 1957 teilte ihr die beklagte Landesversicherungsanstalt mit, daß der Wert der lose eingesandten Beitragsmarken mit 28,60 DM erstattet werde. Gleichzeitig wurden ihr eine Aufrechnungsbescheinigung über die erste Quittungskarte und eine weitere Versicherungskarte mit der Nr. 2 übersandt.
Nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin erklärt hatte, daß mit dem Antrag vom November 1957 eine Rückerstattung der Beiträge gemäß § 1303 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (ArVNG) bezweckt gewesen sei, lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Sie vertrat in ihrem mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid vom 26. Juni 1958 die Auffassung, eine Beitragserstattung nach § 1303 Abs. 1 RVO sei ausgeschlossen, sie könne nur von solchen Versicherten verlangt werden, die zur Weiterversicherung nicht befugt seien. Dabei sei es ohne Bedeutung, ob dieses Recht zur Weiterversicherung auf § 1233 RVO oder auf den Übergangsvorschriften des ArVNG beruhe. Da die Klägerin in den Jahren 1952 und 1953 nach § 1244 RVO aF zu Recht freiwillige Beiträge entrichtet habe, könne sie sich nach Art. 2 § 4 ArVNG weiterversichern.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg mit dem Antrag, den Bescheid vom 26. Juni 1958 aufzuheben und die Beklagte zur Beitragserstattung nach § 1303 Abs. 1 RVO zu verurteilen.
Durch Urteil vom 19. November 1959 wies das SG die Klage ab und ließ die Berufung nach § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu. Das SG schloß sich der Auffassung der Beklagten an. Zwar ergebe der Gesetzeswortlaut selbst nichts dafür, ob die Beitragserstattung auch dann ausgeschlossen sei, wenn dem Versicherten das Recht zur Weiterversicherung nach Art. 2 § 4 ArVNG, nicht aber nach § 1233 RVO nF zustehe. Nach dem Grundgedanken des § 1303 Abs. 1 RVO solle indes nur derjenige Versicherte erstattungsberechtigt sein, der nicht das Recht habe, durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge seine bisher unzulängliche Beitragsleistung zur Grundlage eines künftigen Rentenanspruchs zu machen. Es komme also entscheidend darauf an, ob der Versicherte berechtigt sei, die Versicherung fortzusetzen. Das Recht zur Weiterversicherung nach Art. 2 § 4 ArVNG entspreche aber inhaltlich dem Weiterversicherungsrecht nach § 1233 RVO nF.
Die Klägerin hat gegen das Urteil, das ihr am 7. Januar 1960 zugestellt worden ist, am 23. Januar 1960 mit Einwilligung der Beklagten Sprungrevision eingelegt und diese am 25. Februar 1960 begründet; § 1303 RVO schließe nach seinem eindeutigen Wortlaut die Möglichkeit einer Beitragserstattung nur dann aus, wenn ein Recht zur freiwilligen Weiterversicherung nach § 1233 RVO nF gegeben sei. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien aber nicht erfüllt.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und des Bescheides der Beklagten vom 26. Juni 1958 diese zu verurteilen, ihr die Hälfte der Pflicht- und freiwilligen Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
da für den in § 1303 Abs. 1 RVO geregelten Erstattungsanspruch das Weiterversicherungsrecht nach Art. 2 § 4 Abs. 1 ArVNG demjenigen nach § 1233 RVO gleichgestellt sei.
II
Die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision ist nach den §§ 161, 150 Nr. 1 SGG statthaft Beitragserstattungen nach § 1303 RVO sind einmalige Leistungen im Sinne von § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG (BSG 10, 186). Die Berufung war deshalb an sich ausgeschlossen, so daß erst durch ihre Zulassung eine Anfechtungsmöglichkeit eröffnet und die Sprungrevision zulässig wurde (BSG 1, 69; 2, 135). Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Nach § 1303 Abs. 1 RVO nF ist dem Versicherten auf Antrag die Hälfte der für die Zeit nach dem 20. Juni 1948 im Bundesgebiet und für die Zeit nach dem 24. Juni 1948 im Land Berlin entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfällt, ohne daß nach § 1233 RVO das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung besteht. Dazu ist durch die Entscheidung des 4. Senats vom 1. Juli 1959 (BSG 10, 127) klargestellt, daß der Anspruch auf Beitragserstattung nach der genannten Vorschrift nicht voraussetzt, daß die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung erst mit oder nach dem Inkrafttreten des ArVNG (1. Januar 1957) entfällt; der Anspruch besteht bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen vielmehr auch dann, wenn die Versicherungspflicht bereits vorher erloschen ist.
An dieser Auffassung ist trotz der dagegen erhobenen Bedenken (vgl. zB Wilhelm, SozVers 1960, 22) festzuhalten. Zur Auslegung des mehrdeutigen Wortlautes des § 1303 Abs. 1 RVO nF muß auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift zurückgegriffen werden. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (Bundestags-Drucks. 2. Wahlperiode Nr. 2437 S. 80 zum damaligen § 1306 RVO, jetzigen § 1303 RVO) sollte, "um Unbilligkeiten auszuschließen", die Beitragserstattung nach Abs. 1 eine Entschädigung für den Verlust des Rechts auf Weiterversicherung sein. Nach § 1244 RVO aF konnten Personen, die aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeschieden waren und mindestens 26 Wochenbeiträge auf Grund der Versicherungspflicht nachwiesen, die Versicherung freiwillig fortsetzen oder später erneuern. Demgegenüber kann seit dem Inkrafttreten des ArVNG nach § 1233 RVO nF nur derjenige die Versicherung freiwillig fortsetzen, der nicht mehr versicherungspflichtig ist und innerhalb von zehn Jahren während mindestens 60 Kalendermonaten Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet hat. Da somit das ArVNG das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung erheblich einschränkt mit der Folge, daß vielfach die bisher geleisteten Beiträge nicht mehr zu Leistungen führen werden, will § 1303 Abs. 1 RVO denjenigen, die nicht berechtigt sind, die Versicherung freiwillig fortzusetzen, durch Erstattung der Hälfte der für die Zeit seit der Währungsreform entrichteten Beiträge einen Ausgleich gewähren. Mit Rücksicht hierauf ist es nicht vertretbar, diesen Ausgleich nach Absatz 1 dem Versicherten zu versagen, bei dem die Versicherungspflicht schon vor dem Inkrafttreten des ArVNG geendet hat, zumal er erst durch die Neuregelung das Recht auf Weiterversicherung verloren hat. Bei der Beitragserstattung nach § 1303 RVO nF handelt es sich um ein neues Rechtsinstitut, das mangels entsprechender Vorschriften im alten Recht seine Wirkungen erst mit dem Inkrafttreten der Neuregelung entfalten kann. Das schließt aber nicht aus, daß die Leistung ganz oder teilweise an Voraussetzungen gebunden ist, die bereits vorher eingetreten sind, denn erst jetzt ist ein Ausgleich für das nunmehr beseitigte Recht auf Weiterversicherung möglich.
Somit entfällt der Erstattungsanspruch der Klägerin nicht schon deshalb, weil sie bereits mit dem Ende des Jahres 1951 aus der Pflichtversicherung ausgeschieden ist und die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung daher schon vor dem 1. Januar 1957 entfallen war (im Ergebnis ebenso ua LSG Bremen, Breithaupt 1958, 335; Rohwer-Kahlmann, SGb 1958, 173 und BB 1958, 776; Schrader, SozVers 1959, 124; Jorks, SozVers 1957, 192; Atzert, SGb 1958, 248; aA dagegen LSG Celle, Breithaupt 1958, 542; Schäfer, SozVers 1959, 35; Jahn, BB 1958, 415).
Der Klageanspruch ist jedoch gleichwohl nicht begründet, weil die Klägerin nach Art. 2 § 4 Abs. 1 ArVNG berechtigt ist, die Versicherung fortzusetzen, und dieses Recht nach dem Sinn und Zweck des § 1303 Abs. 1 RVO eine Beitragserstattung ausschließt. Zwar wird in der Rechtsprechung und im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten, eine Gleichstellung des Rechts zur Weiterversicherung nach § 1233 RVO mit dem Recht zur Fortsetzung der bereits begonnenen freiwilligen Versicherung nach Art. 2 § 4 ArVNG verstoße schon gegen den Wortlaut des Gesetzes (LSG Berlin - L 1 An 127/58 - vom 25. September 1959; Eser, SozVers 1957, 318). § 1303 RVO nehme ausdrücklich auf § 1233 RVO Bezug und spreche nicht etwa davon, daß das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung "nach diesem Gesetz" ausgeschlossen sein müsse. Außerdem wäre eine solche Auslegung auch unvereinbar mit der vom Gesetzgeber verfolgten Absicht, den Kreis der zur Weiterversicherung Berechtigten möglichst klein zu halten, sowie mit der Interessenlage der Versicherten, die nach der Erhöhung der Mindestbeiträge für die freiwillige Versicherung und nach Abschaffung der Mindestrenten häufig nicht mehr geneigt seien, die Versicherung fortzusetzen.
Bei diesen Erwägungen wird übersehen, daß § 1303 RVO nicht einmal dem von ihm unmittelbar erfaßten Personenkreis ein Wahlrecht zwischen Beitragserstattung oder Fortsetzung der Versicherung mit weiterer Beitragsentrichtung gewährt. Der Versicherte kann vielmehr nur wählen, ob er von seinem Erstattungsrecht Gebrauch machen will, oder ob er - ohne weitere Beiträge zu entrichten - etwa im Hinblick auf die in den §§ 1236 ff RVO nF vorgesehenen Leistungen (Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit) oder mit Rücksicht auf eine etwa später eintretende neue Pflichtversicherung von einem Antrag auf Beitragserstattung absehen und mit seinen bereits gezahlten Beiträgen weiter der Versicherung angehören will. Ein Wahlrecht zwischen einer Weiterversicherung mit weiteren Beitragsleistungen und der Erstattung der Hälfte der entrichteten Beiträge kann daher auch denjenigen Versicherten nicht zustehen, die nach dem Übergangsrecht (Art. 2 § 4 ArVNG) zur Weiterversicherung berechtigt sind.
Entscheidend ist vor allem, daß § 1303 Abs. 1 RVO - wie bereits erwähnt - wegen der grundsätzlichen Beschränkung des Rechts zur Weiterversicherung einen Ausgleich zugunsten derjenigen Versicherten schaffen wollte, die mangels hinreichender bisheriger Beitragsleistung die Versicherung nicht fortsetzen und die in der Regel auch nicht damit rechnen können, die Mindestwartezeit von 60 Monaten später einmal durch eine neue versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zu erfüllen. Dann kann aber die Beitragserstattung wiederum nicht für diejenigen Fälle gedacht sein, in denen es wegen des Weiterversicherungsrechts nach Art. 2 § 4 ArVNG sehr wohl noch möglich ist, durch die Leistung freiwilliger Beiträge die Voraussetzung für eine spätere Rentenleistung zu schaffen.
Ferner würde der von Art. 2 § 4 Abs. 1 ArVNG Begünstigte, wenn man ihm das Recht auf Beitragserstattung zubilligte, ein zeitlich nahezu unbeschränktes Wahlrecht zwischen Weiterversicherung und Beitragserstattung haben; denn das Recht zur Fortsetzung der Versicherung nach der genannten Übergangsvorschrift ist an keine Frist gebunden, und die Beitragserstattung ist nach Ablauf des zehnten Jahres seit dem Eintritt in die Versicherung erst ausgeschlossen, wenn seit der letzten wirksamen Beitragsentrichtung fünf Jahre verstrichen sind (§ 1303 Abs. 4 RVO). Der von Art. 2 § 4 Abs. 1 ArVNG begünstigte Versicherte wäre damit auch insoweit gegenüber demjenigen Versicherten ohne ersichtlichen Grund bevorzugt, der die Versicherung nach § 1233 Abs. 1 RVO nF freiwillig fortsetzen kann, dem aber ein solches Wahlrecht nicht zusteht. Eine solche ungleiche Behandlung im wesentlichen gleichartiger Sachverhalte kann aber nicht dem Sinn des Gesetzes entsprechen.
Nach dem Grundgedanken des § 1303 Abs. 1 Satz 1 RVO soll zur Erstattung nur derjenige berechtigt sein, der nicht das Recht hat, durch die Entrichtung weiterer freiwilliger Beiträge seine bisher in aller Regel (vgl. § 1233 RVO) unzulängliche Beitragsleistung zur Grundlage eines künftigen Rentenanspruchs zu machen. Es kommt mithin entscheidend auf das Fehlen eines Rechts zur Entrichtung freiwilliger Beiträge an. Enthalten auch § 1233 RVO und Art. 2 § 4 ArVNG hinsichtlich der Voraussetzungen, an welche sie das Recht zur freiwilligen Versicherung knüpfen, unterschiedliche Regelungen, so stehen sie doch in ihren Rechtsfolgen einander gleich. Das Recht zur Entrichtung freiwilliger Beiträge ist in beiden Fällen inhaltlich gleich. Dies wird noch bestätigt durch die Verweisung des Art. 2 § 4 Abs. 1 Satz 2 ArVNG auf § 1233 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 RVO. Will man also die Vorschrift in § 1303 RVO, wonach der Erstattungsanspruch bei Berechtigung zur freiwilligen Weiterversicherung ausgeschlossen ist, nicht schon unmittelbar auf die Fälle des Art. 2 § 4 ArVNG anwenden, so ist doch eine entsprechende Anwendung auf jeden Fall geboten. Somit entfällt der Beitragserstattungsanspruch auch dann, wenn die Versicherung nach Art. 2 § 4 ArVNG fortgesetzt werden kann (im Ergebnis ebenso Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, § 1303 RVO Anm. II 1 a) bb); Jorks, SozVers 1957, 192 (II 1. Abs. 3); Etmer, Rentenversicherung der Arbeiter, § 1303 RVO Anm. 4 b; Hoernigk/Jorks, Rentenversicherung, § 1303 RVO Anm. 4; Hess. LSG, DAngVers 1961, 20 mit zustim. Anm. von Atzert).
Nach alledem kann die Sprungrevision der Klägerin keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2304677 |
BSGE, 33 |