Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Januar 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob eine Krankenkasse gegen eine Zahlstelle von Versorgungsbezügen einen Anspruch auf Schadenersatz hat.
Die Rentnerin E. M. (Versicherte) war krankenversicherungspflichtig und Mitglied der klagenden Ersatzkasse. Sie erhielt neben Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung seit 1984 Versorgungsbezüge von der beklagten Deutschen Bundesbahn (Zahlstelle der Versorgungsbezüge). Da dieses der Klägerin nicht gemeldet worden war, wurden Beiträge von den Versorgungsbezügen zunächst nicht erhoben.
Im Dezember 1989 fragte die Beklagte die Versicherte nach ihrer Krankenkasse. Als die Versicherte daraufhin die Klägerin angab, teilte die Beklagte dieser im Februar 1990 die Versorgungsbezüge mit. Anschließend verlangte die Klägerin von der Versicherten die hierauf entfallenen und noch nicht verjährten Beiträge für die Zeit ab Dezember 1985, die von der Versicherten auch gezahlt wurden. Für das vorangegangene Jahr (Dezember 1984 bis November 1985) machte die Klägerin zunächst durch Bescheid eine Beitragsforderung von insgesamt 830,98 DM gegenüber der Beklagten als Zahlstelle geltend, weil sie die Krankenkasse der Versicherten nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, in der ersten Jahreshälfte 1989, sondern erst um die Jahreswende 1989/90 ermittelt und es daher zu vertreten habe, daß die Beitragsforderung für das Jahr von Dezember 1984 bis November 1985 verjährt sei. Wegen der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Mai 1989 (BSGE 65, 100 = SozR 2200 § 393a Nr. 4), wonach die Krankenkassen die Zahlstellen nicht durch Verwaltungsakt als Beitragsschuldner in Anspruch nehmen können, hob die Klägerin den Bescheid später wieder auf.
Die Klägerin hat jedoch vor dem Sozialgericht (SG) Leistungsklage auf Schadenersatz in Höhe der 830,98 DM erhoben. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10. Januar 1992 abgewiesen. Es hat den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für Ansprüche aus Sozial- und Deliktsrecht bejaht, einen Anspruch auf Schadenersatz jedoch verneint.
Mit der Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 202 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) und des § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG vom 10. Januar 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie (die Klägerin) 830,98 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat zutreffend entschieden, daß der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben, die Klage auf Schadenersatz jedoch unbegründet ist.
Für den Rechtsstreit ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung handelt (§ 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes SGG), soweit der Klageanspruch aus dem Recht der Sozialversicherung hergeleitet wird. Damit haben die Sozialgerichte als Gerichte des zulässigen Rechtsweges nach § 17 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) i.d.F. des Art 2 Nr. 1 des Vierten Änderungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I 2809) den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden, auch darüber, ob für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch eine deliktische Grundlage besteht (vgl. BGHZ 114, 1, 2/3; anders bei einer – hier nicht vorliegenden – Mehrheit prozessualer Ansprüche). Ausgenommen von einer Entscheidung im Sozialrechtsweg sind nach § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG jedoch Ansprüche auf Enteignungsentschädigung und aus Amtshaftung. Richtige Klageart für die Geltendmachung von Schadenersatz durch eine Krankenkasse gegen eine Zahlstelle von Versorgungsbezügen ist nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 23. Mai 1989 (BSGE 65, 100, 104 = SozR 2200 § 393a Nr. 4) die Leistungsklage, welche die Klägerin auch erhoben hat.
In der Sache hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen Schadenersatzanspruch, weil dafür eine Rechtsgrundlage fehlt.
Das Verfahren zum Einzug der Beiträge von Versorgungsbezügen Versicherungspflichtiger ist mit Wirkung vom 1. Januar 1989 in §§ 202, 256 i.V.m. § 255 SGB V i.d.F. des Art 1 des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I 2477) neu geregelt worden. Grund dafür war, daß nach der früheren, in § 317 Abs. 8, 9, § 393a Abs. 2, 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) enthaltenen Regelung wegen mangelnder Beachtung von Melde- und Mitteilungspflichten und wegen praktischer Schwierigkeiten bei der Durchführung des Beitragseinzugs nicht alle beitragspflichtigen Versorgungsbezüge erfaßt worden waren und es daher Beitragsausfälle gegeben hatte (vgl. zu den Problemen des früheren Verfahrens BSG SozR 2200 § 393a Nr. 2; BSGE 65, 100 = SozR 2200 § 393a Nr. 4; Urteil des Senats vom 18. November 1993 – 12 RK 26/92, zur Veröffentlichung bestimmt). Nach neuem Recht geht die Erfassung der beitragspflichtigen Versorgungsbezüge nicht mehr von einer Meldung der Versorgungsbezüge und der Zahlstelle durch den Versicherten (früher § 317 Abs. 8 Satz 1 RVO), sondern nach § 202 Satz 1 SGB V von einer Mitteilung der Zahlstelle an die Krankenkasse aus. Nach dieser Vorschrift hat nunmehr die Zahlstelle bei der erstmaligen Bewilligung von Versorgungsbezügen sowie bei Beendigung der Mitgliedschaft eines Versorgungsempfängers die zuständige Krankenkasse des Versorgungsempfängers zu ermitteln und dieser Beginn, Höhe, Veränderungen und Ende der Versorgungsbezüge unverzüglich mitzuteilen. Im Hinblick auf die bisher trotz bestehender Beitragspflicht nicht zu Beitragszahlungen herangezogenen laufenden Versorgungsbezüge bestimmt Satz 2 des § 202 SGB V sodann, daß bei den am 1. Januar 1989 vorhandenen Versorgungsempfängern die Ermittlung der Krankenkasse innerhalb von sechs Monaten zu erfolgen hatte (dh bis zum 30. Juni 1989). Dem ist die Beklagte als Zahlstelle hier nicht nachgekommen. Sie hat die Krankenkasse der versicherten Rentnerin nicht bis zum 30. Juni 1989, sondern erst um die Jahreswende 1989/90 ermittelt. Darauf ist es zurückzuführen, daß die Klägerin die Beiträge von den Versorgungsbezügen nicht mehr für ein weiteres Jahr zurück (Dezember 1984 bis November 1985) von der Versicherten gefordert hat, weil sie insoweit von Verjährung ausgegangen ist.
Wegen dieses Beitragsausfalls besteht jedoch kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Schadenersatz. Der Senat hat in seinem Urteil vom 18. November 1993 (12 RK 26/92, zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden, daß nach früherem Recht einer Krankenkasse kein Anspruch auf Schadenersatz gegen die Zahlstelle zustand, wenn sie die Pflicht zur Einbehaltung und Einzahlung der Beiträge fahrlässig verletzt hatte. Für einen solchen Anspruch gab es nach dieser Entscheidung keine Rechtsgrundlage, weil eine Haftung oder Schadenersatzpflicht im Gesetz nicht bestimmt war. Sie ließ sich auch aus einer Verletzung vertraglicher oder vertragsähnlicher Pflichten nicht herleiten, weil zwischen den Krankenkassen und den Zahlstellen über die gesetzlichen Pflichten hinaus haftungsrechtlich bedeutsame vertragliche oder vertragsähnliche Beziehungen nicht bestanden. Gleiches gilt nach neuem Recht jedenfalls für die in § 202 Satz 2 SGB V geregelte Pflicht der Zahlstellen. Bei ihrer Verletzung ist ein Schadenersatzanspruch weder im Gesetz selbst ausdrücklich geregelt noch lag eine etwaige Pflichtverletzung im Rahmen eines – auch nach neuem Recht nicht bestehenden – vertraglichen oder vertragsähnlichen Verhältnisses zwischen Krankenkasse und Zahlstelle, weil eine solche Rechtsbeziehung nicht bestand (Ausnahme uU Vereinbarung nach § 202 Satz 5 SGB V).
Auch ein Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB ist nicht begründet. § 202 Satz 2 SGB V ist, wie das SG zutreffend entschieden hat, kein Schutzgesetz i.S. dieser Vorschrift. Die Frage, ob einer Rechtsnorm Schutzgesetzcharakter zukommt, bestimmt sich nicht nach der Wirkung des Gesetzes, sondern danach, ob dessen Inhalt nach dem Willen des Gesetzgebers in Form eines bestimmten Gebotes oder Verbotes – zumindest neben anderen Zwecken – auch einem gezielten Individualzweck dient und gegen eine näher bestimmte Art der Schädigung eines im Gesetz festgelegten Rechtsgutes oder Individualinteresses gerichtet ist. Es genügt nicht, daß die Norm im allgemeinen Sinne Schutz und Förderung einzelner Bürger oder bestimmter Personenkreise bewirkt oder bezweckt. Vielmehr muß die Schaffung eines individuellen Schadenersatzanspruchs erkennbar vom Gesetz erstrebt sein oder zumindest im Rahmen des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen (BSGE 66, 176, 182/83 = SozR 3-4100 § 155 Nr. 1 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Die Regelung des § 202 Satz 2 SGB V sollte durch die baldige Ermittlung der zuständigen Krankenkasse lediglich sicherstellen, daß die Versorgungsbezüge, die bisher für die Beitragserhebung nicht ermittelt worden waren, nunmehr erfaßt und der Beitragserhebung zugeführt wurden. Damit diente die Regelung den allgemeinen Interessen der Krankenversicherung an der Ausschöpfung des gesetzlich begründeten Beitragsaufkommens und der Beitragsgerechtigkeit unter allen beitragspflichtigen Beziehern von Versorgungsbezügen durch gleichmäßige Heranziehung zur Beitragsentrichtung. Mehr kann auch der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht entnommen werden. § 202 SGB V (entspricht § 211 des Gesetzentwurfs BT-Drucks. 11/2247 = BR-Drucks. 200/88) hat seine Gesetz gewordene Fassung während der Beratungen im Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung erhalten (Beschlußempfehlung BT-Drucks. 11/3320 S. 117). Weder aus der Begründung des Gesetzentwurfs, in dem Satz 2 noch einen anderen Inhalt hatte, noch aus dem Ausschußbericht läßt sich ein Schutznormcharakter mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Im Gesetzentwurf heißt es zu § 211 ursprünglicher Fassung (BT-Drucks. 11/2247 = BR-Drucks. 200/88, jeweils S. 219 zu § 211): Die Vorschrift erweitere die Meldepflichten der Zahlstelle nach § 317 Abs. 9 RVO. Da diese bisher nur die Veränderungen der Versorgungsbezüge zu melden gehabt habe, seien beitragspflichtige Versorgungsbezüge bisher häufig nicht oder nicht rechtzeitig erfaßt worden. Dadurch sei es zu erheblichen Nachzahlungsforderungen der Krankenkassen gegenüber Empfängern von Versorgungsbezügen gekommen. Im Interesse der Krankenkassen und der Versicherten solle deshalb eine möglichst frühzeitige Erfassung der Versorgungsbezüge erreicht werden. Nur soweit bisher keine Beiträge aus Versorgungsbezügen abgeführt worden seien, sei zu ermitteln, ob eine entsprechende Beitragspflicht bestehe …. Im Ausschußbericht ist ausgeführt (BT-Drucks. 11/3480 S. 63 zu § 211): Durch die Änderung (des § 211 des Entwurfs i.d.F. der Beschlußempfehlung) werde klargestellt, daß die Ermittlungspflicht der Zahlstelle auf die Fälle beschränkt bleiben solle, in denen erstmalig Versorgungsbezüge bewilligt würden und in denen die Beendigung der Mitgliedschaft bei der bisherigen Krankenkasse mitgeteilt werde. Außerdem bestehe die Ermittlungspflicht für Fälle, in denen bereits Versorgungsbezüge ausgezahlt, jedoch keine Beiträge an eine Krankenkasse abgeführt würden. Für die Ermittlung der Krankenkasse von Personen, die am 1. Januar 1989 bereits Versorgungsbezüge bezögen, werde eine Übergangsfrist von sechs Monaten eingeräumt. Die neu eingeführte Auskunftspflicht des Versorgungsempfängers sei erforderlich, damit die Zahlstelle ihrer Meldepflicht nachkommen könne.
Gegen den Schutznormcharakter des Satzes 2 des § 202 SGB V spricht auch, daß die Verletzung dieser Vorschrift keine Ordnungswidrigkeit ist. Als solche behandelt das Gesetz vielmehr nur eine vorsätzliche oder leichtfertige Verletzung der Pflicht nach Satz 1 des § 202 SGB V (§ 307 Satz 1 Nr. 1 SGB V), wobei nicht einmal die Normierung einer Ordnungswidrigkeit den Schutzgesetzcharakter zwingend ergibt (BSGE 66, 176, 183 = SozR 3-4100 § 155 Nr. 1 m.w.N.). Auch ist eine Verletzung der Pflicht nach Satz 2 des § 202 SGB V ansonsten nicht mit erkennbaren Sanktionen versehen, anders als etwa eine Verletzung der Pflichten nach § 206 Abs. 1 SGB V, die nach § 206 Abs. 2 SGB V mit einer Pflicht zur Erstattung erhöhter Aufwendungen verknüpft ist. Die Verletzung der Pflicht des Satzes 2 des § 202 SGB V mit einer Schadenersatzpflicht der Zahlstellen zu ahnden, erschiene auch als nicht angemessen i.S. der genannten Rechtsprechung zum Schutzgesetzcharakter von Normen. Das SG hat den Schutzgesetzcharakter zutreffend auch deswegen infrage gestellt, weil bei sehr großen Zahlstellen wie der beklagten Deutschen Bundesbahn das erste Halbjahr 1989 für die Ermittlung der Krankenkassen von Beziehern laufender Versorgungsbezüge kaum ausreichte und dabei sinngemäß auf die Erklärung des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Bezug genommen. Dieser hatte erklärt: Das Gesetz (§ 202 SGB V) sei erst im Januar 1989 bekannt geworden. Die Beklagte habe erst ab März 1989 ermittlungsmäßig tätig werden können und zunächst alle diejenigen angeschrieben, von denen sie gewußt habe, daß sie von ihr eine Rente erhielten. Das seien ungefähr 300.000 gewesen. Diese Ermittlungen hätten bis Oktober 1989 die Kapazitäten der Personalstellen voll ausgelastet. Erst danach habe die Möglichkeit bestanden, andere Personen anzuschreiben, zu denen auch die Versicherte des vorliegenden Verfahrens gehört habe. Man habe sich jedenfalls nach Kräften bemüht, der Verpflichtung des Gesetzgebers nachzukommen. – Auf der anderen Seite ist es der klagenden Ersatzkasse zwischen 1983 und 1988 anscheinend nicht gelungen, die Bezieher von beitragspflichtigen Versorgungsbezügen unter ihren Mitgliedern zu erfassen, obwohl allgemein bekannt war, daß es bei den Versorgungsbezügen zu erheblichen Beitragsausfällen kam. Unter diesen Umständen wäre es unangemessen, wenn eine Zahlstelle wie die Beklagte wegen einer Überschreitung der gesetzlichen Frist (30. Juni 1989) um etwa ein halbes Jahr Schadenersatz für einen Beitragsausfall eines weit zurückliegenden Jahres leisten müßte.
Für einen Anspruch aus § 826 BGB sind Tatsachen nicht festgestellt und auch nicht erkennbar.
Hiernach erwies sich die Revision der Klägerin als unbegründet und war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 4 SGG, weil die beklagte Deutsche Bundesbahn den dort genannten Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts gleichsteht (BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 3).
Fundstellen
Haufe-Index 582833 |
Breith. 1995, 184 |