Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagter und Revisionsbeklagter |
Tatbestand
I.
Der Beigeladene, der bei der Klägerin beschäftigt ist, beantragte im November 1981 beim Versorgungsamt die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG). Mit Bescheid vom 25. Januar 1982 stellte die Verwaltung eine durch Behinderungen bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vH fest. Am 30. März 1982 kündigte die Klägerin dem Beigeladenen zum 30. September 1982. Während des anschließenden Prozesses vor dem Arbeitsgericht Dortmund (3 Ca 1473/82) bewertete das Versorgungsamt auf Widersprüche des Beigeladenen durch Abhilfebescheid vom 27. August 1982 die MdE mit 40 vH und durch Bescheid vom 24. November 1982 mit 50 vH. Den Beginn der Gültigkeit des Schwerbehindertenausweises setzte es auf den Zeitpunkt des Antrages (20. November 1981) fest. Durch rechtskräftiges Urteil vom 27. Januar 1983 hat das Arbeitsgericht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch Kündigung der Arbeitgeberin vom 30. März 1982 nicht aufgelöst worden ist; den Antrag der Klägerin auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses hat es abgewiesen. Das Gericht hat die Kündigung als nichtig beurteilt, da zur Zeit ihrer Erklärung der Arbeitnehmer (jetziger Beigeladener) Schwerbehinderter gewesen sei und deshalb die Hauptfürsorgestelle (HFSt) vorher der Kündigung hätte zustimmen müssen (§ 12 SchwbG). Nachdem das Versorgungsamt Anfang Januar 1983 die Klägerin auf Anfrage über die zeitliche Wirkung des Nachweises unterrichtet hatte, erhob die Klägerin am 24. Januar 1983 Klage gegen den Bescheid vom 24. November 1982. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 29. Juni 1983). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 10. Januar 1984). Es hat die Klägerin als nicht prozeßführungsberechtigt beurteilt. Der Bescheid, durch den der Beigeladene als Schwerbehinderter anerkannt worden sei, beschwere die Klägerin nicht. Er greife nicht in ihre Rechtssphäre ein. Die Arbeitgeberin werde durch die Statusentscheidung der Versorgungsverwaltung allenfalls in ihren wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt, was für eine Beschwer i.S. des § 54 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht genüge.
Die Klägerin rügt mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 54 SGG. Für ihre Prozeßführungsbefugnis und damit für die Zulässigkeit der Klage genüge die Behauptung einer Beschwer. Diese sei auch gegeben, weshalb die Klage begründet sei. Die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft als begünstigender Verwaltungsakt belaste zugleich andere. Sie greife unmittelbar und unverzüglich in die Rechtssphäre der Arbeitgeberin ein; denn sie berechtige den begünstigten Arbeitnehmer, jederzeit bestimmte gesetzli-che Ansprüche ihr gegenüber geltend zu machen. Dies sei unmittelbar rechtsgestaltend dadurch geschehen, daß rückwirkend die Kündi-gung ohne Zustimmung der HFSt unwirksam geworden sei. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ermögliche es dem beschwerten Dritten, die Rechtmäßigkeit einer solchen Entscheidung gerichtlich prüfen zu lassen. Die Arbeitgeberin werde durch den Schwerbehindertenstatus in ihrem grundrechtlich durch Art. 12 und 14 GG geschützten Gewerbebetrieb eingeschränkt.
Die Klägerin beantragt, die Urteile des LSG und des SG, den Abhilfebescheid des Versorgungsamts vom 24. November 1982 und den darauf beruhenden Rückwirkungsvermerk im Schwerbehindertenausweis aufzuheben.
Der Beklagte und der Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Der Beklagte zieht zwar eine Rechtsverletzung der Klägerin in Betracht, hält die Klage aber für unbegründet, weil die Entscheidung über die Schwerbehinderteneigenschaft vom Arbeitgeber als unüberprüfbar hingenommen werden müsse.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die Vorinstanzen haben im Ergebnis mit Recht die Klage als unzulässig beurteilt.
Die klagende Arbeitgeberin wendet sich gegen die vom Versorgungsamt zugunsten des Beigeladenen, ihres Arbeitnehmers, getroffene Feststellung seines Schwerbehindertenstatus (§§ 1, 3 Abs. 1 und 3 SchwbG vom 8. Oktober 1979 -BGBl I 1649-/22. Dezember 1983 -BGBl I 1532-; neuerdings §§ 1 und 4 Abs. 1 und 3 SchwbG i.d.F. vom 26. August 1986 -BGBl I 1421-; BSGE 52, 168, 170, 172 = SozR 3870 § 3 Nr. 13; BAG AP Nrn. 3 und 11 zu § 12 SchwbG; weitere Nachweise bei Meisel, Anmerkung zu BAG AP Nr. 11 zu § 12 SchwbG); diese wirkt in Verbindung mit dem Geltungsvermerk auf dem Ausweis (§ 3 Abs. 5 Satz 1 und 5 SchwbG a.F. i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Ausweisverordnung-Schwerbehindertengesetz vom 15. Mai 1981 -BGBl I 481-) bis zum Antrag und damit in die Zeit vor der Kündigung zurück, als dem Beigeladenen ursprünglich nur eine MdE um 30 vH zuerkannt war. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen kann die Klägerin schlüssig behaupten, diese Entscheidung, die rechtswidrig sei, verletze sie in ihrem Recht zur Kündigung, das zur Unternehmer-freiheit gehört (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 GG), durch die nachträgliche Beschränkung aus § 12 SchwbG (rechtskräftiges Arbeits-gerichtsurteil und BAG AP Nr. 11 zu § 12 SchwbG), mithin nicht bloß in ihren wirtschaftlichen Interessen. Eine solche Behauptung wie die der Klägerin macht im Regelfall eine Klage zulässig (§ 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 SGG). Jedoch gilt das im gegenwärtigen Fall ebensowenig wie dann, wenn eine Beschwer nicht in Betracht kommen kann (BSGE 26, 237, 238 f = SozR Nr. 112 zu § 54 SGG). Der Rechtsweg ist für die Klägerin wegen stärkerer Rechte des Beigeladenen, des Hauptgegners der Klägerin, nicht eröffnet, wie sie auch nicht schon am Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) zu beteiligen war (a.A. Loh, VSSR 1977, 29, 36 ff).
Ein Anfechtungsrecht kann die Klägerin auch nicht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG herleiten, wonach demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist, der Rechtsweg offensteht. Diese Rechtsschutzgarantie bestimmt sich im einzelnen nach materiellem Verwaltungsrecht, soweit es um die Rechtsverletzung geht, und verfahrensmäßig nach der zuständigen Prozeßordnung, hier nach dem SGG (Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz, Band I, Stand: 1985, Art. 19 Abs. 4, Rz. 3, 118 ff, 143 f, 172, 244, 266; Lorenz in: Erichsen u.a. -Hg-, Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, 143, 144, 148, 149, 150). Sie ist "so auszulegen, daß auch anderen Verfassungsnormen und Grundsätzen nicht Abbruch getan wird" (BVerfGE 60, 253, 267). In erster Linie handelt es sich dabei um ein Abwehrrecht gegenüber der öffentlichen Gewalt, nicht aber um eine Vorschrift zum Ausgleich von Interessen zwischen einzelnen Bürgern. Einer Klagebefugnis der Arbeitgeberin steht in diesem Fall die stärkere Rechtsstellung des Schwerbehinderten entgegen. Die von der Versorgungsverwaltung getroffene Feststellung seiner Eigenschaft i.S. des § 1 SchwbG wirkt gegen jedermann, dem gegenüber der Schwerbehinderte seine Rechte geltend machen kann (zur Feststellung der Voraussetzungen über eine Befreiung von der Rundfunkge-bührpflicht: BVerwGE 72, 8, 9 ff). Als Folge davon ist eine allseitig wirkende Beweiskraft dem Ausweis ausdrücklich gesetzlich zuerkannt (§ 3 Abs. 5 Satz 2 SchwbG a.F., § 4 Abs. 5 Satz 1 SchwbG 1986). Die Bestandskraft der Entscheidung, auf die der Schwerbehinderte vertrauen kann, ist durch den Grundsatz der Rechtssicherheit, der zur Rechtsstaatlichkeit gehört (BVerfGE 60, 253, 267), verfassungs-rechtlich gewährleistet (dazu Schmidt-Aßmann, aaO, Rz. 227). Sie schließt auch aus, daß der Arbeitgeber eine rechtswidrige Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft seines Arbeitnehmers von sich aus gerichtlich überprüfen lassen kann. Ein Arbeitgeber wird ebenso-wenig die Begründung eines familienrechtlichen Verhältnisses seines Arbeitnehmers, das sich arbeits- oder tarifvertraglich auf das Arbeitsverhältnis auswirkt, etwa die Adoption eines Kindes, anfechten können.
Der Schutz des begünstigten Schwerbehinderten ist nicht mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar. Nicht jeder Verwaltungsakt kann durch jedermann, der durch ihn irgendwie berührt wird, ohne daß er an ihn gerichtet war, angefochten werden (vgl. z.B. BVerwGE 21, 338, 340; 22, 73, 74 ff; 31, 359, 367; 44, 235, 237 f; 54, 211, 218 ff; 60, 154, 156 ff; DVBl 1961, 34; BSG SozR Nr. 141 zu § 54 SGG; 1500 § 54 Nr. 44; Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl. 1985, § 42, Anm. 16, 132 ff; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl. 1986, § 42, Rz. 80 ff; § 80, Rz. 22).
Die Bestandskraft der Statusentscheidung nach dem SchwbG erhält durch ihre materiell-rechtliche Grundlage ein besonderes Gewicht, das einer Anfechtung durch den Arbeitgeber entgegensteht. Der Schwerbehindertenstatus gehört zum grundrechtlich geschützten Bereich der Persönlichkeitsrechte (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG). Über dieses Recht kann der Schwerbehinderte nach seinem Belieben verfü-gen; ihm ist freigestellt, die Feststellung ebenso wie einen Ausweis darüber zu beantragen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1SchwbG a.F., § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 SchwbG 1986), von einer Feststellung und vom Ausweis Gebrauch zu machen und einzelne Behinderungen von der Feststellung auszunehmen (zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil des erkennenden Senats vom 26. Februar 1986 - 9a RVs 4/83 -). Umgekehrt kann nicht etwa der Arbeitgeber ein Verfahren mit dem Ziel, die Feststellung der Schwerbehinderteneigen-schaft seines Arbeitnehmers zu beseitigen, betreiben (BAG AP Nr. 11 zu § 12 SchwbG, B, III, 1; Jung/Cramer, Schwerbehindertengesetz, 2. Aufl. 1980, § 3, Rz. 4). Allgemein muß er die Belastung des Arbeitsverhältnisses durch die tatsächliche Schwerbehinderteneigenschaft, die das Sozialstaatsgebot erfüllt (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, §§ 1, 2, 10, 20 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - -SGB I - vom 11. Dezember 1975-BGBl I 3015-), als verfassungsmäßig gerechtfertigt hinnehmen (BVerfGE 57, 139, 158 ff). Ein Klagerecht des Arbeitgebers als wirksamer Rechtsschutz gegen eine rechtswidrige Anerkennung würde das Persönlichkeitsrecht des Schwerbehinder-ten, den er beschäftigt, dadurch verletzen, daß die vom Gericht von Amts wegen zu ermittelnden gesundheitlichen Verhältnisse des Begünstigten dem Arbeitgeber als Verfahrensbeteiligten bekanntgegeben werden müßten (§§ 62, 103, 106, 107, 108 Satz 2, § 112 Abs. 1 Satz 2, § 116 Satz 1, §§ 117, 120, 128 Abs. 2 SGG). Das wäre aber unvereinbar mit dem Recht des Schwerbehinderten, über die Offenbarung solcher persönlichen Tatsachen selbst zu bestimmen (Bayerisches LSG, Breithaupt 1985, 81; für das Verwaltungsverfahren: § 35 SGB 1, §§ 67 ff SGB X; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch X, 1, 2, K § 69, Rz. 16; zum Gerichtsverfahren: Grüner, Sozialgesetzbuch X/3, Vorbemerkung VII, 1 bis 3 vor §§ 67 ff; zum "informationellen Selbstbestimmungsrecht": BVerfGE 65, 1, 41 ff). Das Bundesverwal-tungsgericht hat auch zum Schutz eines Mieters seinem Vermieter das Recht versagt, für diesen zur Deckung seiner Mietschuld Sozialhilfe zu beantragen; auf diese Weise würde er in dem Verfahren Näheres über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mieters erfahren (BVerwGE 50, 60, 63 f).
Die Klägerin kann ein Klagerecht auch nicht daraus herleiten, daß sie ein solches im Gleichstellungsverfahren nach § 2 SchwbG habe. Nach dieser Vorschrift soll ein Behinderter mit einer MdE (neuerdings mit einem "Grad der Behinderung") von 30 bis weniger als 50 vH dem Schwerbehinderten gleichgestellt werden, wenn er infolge seiner Behinderungen ohne diese Hilfe einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten kann. Eine solche konstitutive Entscheidung des Arbeitsamtes in bezug auf ein bestimmtes Arbeitsverhältnis mag der an diesem beteiligte Arbeitgeber anfechten können (BVerwGE 42, 189, 190). Auch ist im Widerspruchsverfahren wegen der Gleichstellung ebenso wie wegen einer Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten (§§ 12, 37 ff SchwbG a.F., §§ 15, 40 ff SchwbG 1986) der Arbeitgeber, der die Zustimmung beantragt (§ 14 Abs. 1-SchwbG a.F., § 17 Abs. 1 SchwbG 1986; BAG AP Nr. 4 zu § 18 SchwbG), zu hören (§ 40 Abs. 2 SchwbG a.F., § 43 Abs. 2 SchwbG 1986). In diesen Verfahren führt aber die Verwaltung einen Interessenausgleich zwischen dem Schwerbehinderten und seinem Arbeitgeber herbei. Unter diesem Gesichtspunkt gleicht die Verwaltung ebenfalls im Bau-, Wasser-, Wirtschaftsverwaltungs-, Gewerbe- und Umweltschutzrecht widerstreitende Interessen aus (Badura in: von Münch -Hg- Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 1985, S. 255, 300 ff; Friauf, aaO, S. 439, 523 ff; Breuer, aaO, S. 535, 577 ff; Salzwedel, aaO, S. 615, 664 ff; Breuer, DVBl 1986, 849 ff). Dann kann systemgerecht demjenigen, der durch eine genehmigte Anlage in seinen Rechten (besonders aus Art. 2 Abs. 2, Art. 14 GG) verletzt wird, kraft ausdrücklicher Vorschrift oder nach dem allgemeinen Grundsatz der Rücksichtnahme (st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts; Schlichter, DVBl 1984, 875 ff; Alexy, DÖV 1984, 953 ff; a.A. Peine, DÖV 1984, 963 ff; Redeker, DVBl 1984, 870 ff) ein Anfechtungsrecht zugestanden werden. Anders als in allen diesen Fällen wird jedoch im Schwerbehindertenrecht, wie dargelegt, ein persönlicher Status mit Wirkung gegenüber jedem "Betroffenen" ohne Interessenabwägung festgestellt.
Mithin ist die Klage mit Recht als unzulässig abgewiesen worden.
Die Kostenentscheidung entspricht § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 518121 |
BSGE, 284 |
BB 1987, 1673 |
NJW 1987, 2462 |