Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. innerer Zusammenhang. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Nahrungsaufnahme. Lehrgangsteilnehmer. Kantine. Fachschule
Leitsatz (amtlich)
Zum Versicherungsschutz eines internatsmäßig untergebrachten Teilnehmers an einem auswärtigen Lehrgang während der für ihn kostenfreien Einnahme des Essens in der Kantine der Fachschule.
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Entschädigung seines Unfalls vom 6. Januar 1997 hat; umstritten ist insbesondere, ob er dabei unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
Der im Jahre 1977 geborene Kläger nahm als Schreinerlehrling der Firma G. in R. zur Erlangung der Berufsausbildungsvoraussetzungen an einem von seinem Ausbildungsbetrieb und der Beklagten veranlaßten und finanzierten überbetrieblichen Lehrgang in der Holzfachschule B. teil.
Die Schule besteht aus Schulungs- und Schlafräumen, mehreren Werkstätten sowie einer in einem gesonderten Gebäude untergebrachten Kantine. Sie liegt ca zwei bis drei Kilometer vom Ort B. entfernt an einem Berg. Am Unfalltag herrschte winterliche Witterung mit Schneeglätte auf den Straßen.
Die Lehrgangsteilnehmer waren internatsmäßig mit kostenloser Unterkunft und Verpflegung untergebracht. Die Essenseinnahme in der Kantine war üblich und so vorgesehen, wenn auch nicht vorgeschrieben. Der 6. Januar 1997 war der erste Lehrgangstag, an dem die Teilnehmer angereist und nach organisatorischen Maßnahmen Unterricht bis ca 16.00 Uhr hatten. Lehrgangsveranstaltungen waren für den Abend nicht vorgesehen. In der Kantine wurde seit 17.30 Uhr Abendessen ausgegeben. Zu diesem Zeitpunkt suchte auch der Kläger die Kantine auf. Während der ca 1/2-stündigen Essenseinnahme waren ca 40 bis 50 Personen anwesend. Der Parkettfußboden war zur Zeit des Unfalls des Klägers gegen 18.00 Uhr infolge der von den Besuchern an den Schuhen hereingebrachten Eis- und Schneereste großflächig naß. Nach Beendigung der Mahlzeit war der Kläger aufgestanden und wollte die Kantine verlassen. Dabei fiel ihm ein, daß er sein Tablett an die dafür vorgesehene Stelle zu bringen hatte. Nachdem er zum Tisch zurückgegangen war, rutschte er, bevor er sein Tablett aufnehmen konnte, aus und zog sich Verletzungen im Bereich des rechten Knies zu. Er mußte sich später einer Knorpelknochentransplantation unterziehen.
Mit Bescheid vom 22. April 1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 1997 teilte die Beklagte dem Kläger mit, es habe sich bei dem Ereignis nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Zwar hätten auch die Wege von und zur - unversicherten - Nahrungsaufnahme während des Lehrganges unter Versicherungsschutz gestanden. Dieser habe jedoch mit dem Durchschreiten der Außentür der Kantine geendet. Daß der Kläger auf dem nassen Parkettboden ausgerutscht sei, stelle keine besondere Betriebsgefahr dar, die einen Versicherungsschutz begründen könne.
Das Sozialgericht Gießen hat unter Aufhebung der Bescheide die Beklagte verurteilt, den Sturz des Klägers am 6. Januar 1997 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren (Urteil vom 1. Juli 1998). Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 3. Februar 1999). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, nach den von der Rechtsprechung für den Versicherungsschutz auf Dienst- und Geschäftsreisen entwickelten Grundsätzen, die auch für die Teilnahme an auswärtigen Schulungen/Lehrgängen in Auswirkung des Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnisses gälten, bestehe der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht schlechthin rund um die Uhr. Vielmehr sei auch hier zwischen rein privaten und mit dem Beschäftigungsverhältnis zusammenhängenden Verrichtungen zu unterscheiden. Hinsichtlich des Versicherungsschutzes bei der Nahrungsaufnahme bestehe grundsätzlich kein Unterschied zur Nahrungsaufnahme während der normalen versicherten Tätigkeit am Sitz des Unternehmens. Dabei sei es auch unerheblich, ob vom Arbeitgeber oder der Schulungsstätte zur Nahrungsaufnahme Einrichtungen zur Verfügung gestellt würden, eine Gemeinschaftsverpflegung stattfinde und/oder die Essenskosten ganz oder teilweise übernommen würden. Auch für Unfälle am Ort einer nicht versicherten Nahrungsaufnahme könne aber ausnahmsweise Versicherungsschutz bestehen, wenn sie wesentlich auf betriebliche Verrichtungen oder besondere Umstände aus dem versicherten Risiko zurückzuführen sei, zB wenn sich der Versicherte aus betrieblichen Gründen besonders beeilen müsse oder wenn er einer durch betriebliche Umstände geprägten besonderen Verletzungsgefahr erliege. Der Kläger habe am Unfalltag die Kantine nicht nur aufgesucht, weil dies so üblich und vorgesehen gewesen sei. Er sei aus mit der Lehrgangsteilnahme zusammenhängenden besonderen Gründen gezwungen oder jedenfalls gehalten gewesen, gerade diese Kantine aufzusuchen und sich der dortigen Ordnung unterzuordnen. Bei einer derartigen Verrichtung (Holen des Tabletts) sei er einer besonderen Gefahr dieser Einrichtung erlegen. Der besondere Anlaß, die Kantine zur Einnahme des Abendessens zu benutzen, sei darin zu sehen, daß ihm das Aufsuchen einer anderen Einrichtung außerhalb der Schule unter den gegebenen Umständen nicht möglich oder jedenfalls nicht zumutbar gewesen sei. Der Kläger habe sich das erste Mal in der Schule aufgehalten. Ihm sei es aufgrund der Entfernung der Schule zum Ort B., seiner Ortsunkenntnis und der herrschenden Straßen- und Schneeglätte nicht zumutbar gewesen, eine andere Einrichtung zur Einnahme des Abendessens aufzusuchen. Der Besuch der Kantine sei daher nicht nur naheliegend, sondern zur Vermeidung einer gesundheitlichen Gefährdung sogar geboten gewesen. Überdies sei der Kläger mangels anderer möglicher oder zumutbarer Alternativen einer Nahrungsaufnahme zur Erhaltung und Wiedererlangung seiner Arbeitskraft für die Fortsetzung des Lehrgangs am nächsten Tag auf den Besuch der Kantine angewiesen gewesen. Schließlich sei der erlittene Unfall auch wesentlich auf eine besondere Gefahrenquelle dieser Einrichtung zurückzuführen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die Nahrungsaufnahme grundsätzlich dem persönlichen, nicht versicherten Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen. Das gelte auch dann, wenn das Essen in einer Werkskantine eingenommen werde. Dem Interesse des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer die Einnahme einer Mahlzeit in der betriebseigenen Kantine zu ermöglichen (Zeitersparnis, Schonung der Arbeitskraft, sinnvolle Verwendung der Arbeitspause) werde nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen. Diese Zwecke träten gegenüber dem persönlichen und privaten Zweck der Nahrungsaufnahme in den Hintergrund. Das gelte auch für die Wege innerhalb des Kantinenbereiches. Die Essenseinnahme sei ausnahmsweise dann versichert, wenn besondere Umstände vorlägen, zB wenn eine besondere Betriebsgefahr im räumlich-zeitlichen Bereich des Arbeitsplatzes auf den Versicherten einwirke, ohne daß die private Tätigkeit wesentlich zur Bedrohung durch die Betriebsgefahr beigetragen habe. Verschüttete Flüssigkeit oder etwa eine am Boden liegende Tomate seien Gefahren, die eindeutig von der Kantine und nicht von der Betriebsstätte ausgegangen seien. Der gegenteiligen Annahme des LSG könne nicht gefolgt werden. Der nasse Fußboden stelle keine betriebsspezifische Gefahr dar. Auch aus dem Umstand, daß der Kläger internatsmäßig untergebracht gewesen und aufgrund des Wetters und der Ortsunkundigkeit angeblich zum Kantinenbesuch "gezwungen" gewesen sei, lasse sich kein Versicherungsschutz herleiten. Wie das LSG ausgeführt habe, komme Versicherungsschutz nur dann in Betracht, wenn sich der Kläger aus betrieblichen Gründen der Kantine habe bedienen müssen. Diese Voraussetzung sei gerade nicht erfüllt. Die vom LSG genannten Umstände sprächen allein für eine Entscheidung aus rein persönlichen Gründen (Bequemlichkeit, finanzielle Ersparnis). Betriebliche Gründe für den Kantinenbesuch, wie zB besondere Eile wegen der Fortsetzung des Lehrganges, seien nicht ersichtlich.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Gießen vom 1. Juli 1998 und des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. Februar 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf Entschädigung wegen des Unfalls vom 6. Januar 1997, wie das LSG zutreffend entschieden hat.
Der Anspruch des Klägers richtet sich nach den Vorschriften des am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII), weil der von ihm geltend gemachte Versicherungsfall nach diesem Zeitpunkt eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes - UVEG -, § 212 SGB VII).
Gemäß § 8 Abs 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. § 8 Abs 1 SGB VII definiert den Arbeitsunfall in Anlehnung an das bisher geltende Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO), wobei das Wort "infolge" in Satz 1 aaO lediglich deutlicher als das Wort "bei" in § 548 Abs 1 Satz 1 RVO zum Ausdruck bringen soll, daß ein kausaler Zusammenhang zwischen der im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall erforderlich ist (vgl Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, 12. Aufl, § 8 RdNr 26); Satz 2 aaO übernimmt den von der Rechtsprechung und Literatur (stellvertretend BSG SozR 2200 § 548 Nr 56 und Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNrn 7 ff) entwickelten Unfallbegriff (s Begründung zum UVEG, BT-Drucks 13/2204, S 77). Die zur RVO ergangene Rechtsprechung und dazu erschienene Literatur kann daher für die rechtliche Beurteilung des Vorliegens von Arbeits- und auch Wegeunfällen nach den Vorschriften des SGB VII weiter herangezogen werden, soweit nicht die wenigen - hier nicht relevanten - Änderungen des materiellen Rechts hinsichtlich des Unfallversicherungsschutzes bei einzelnen Verrichtungen (ua § 8 Abs 2 Nrn 2 bis 5 SGB VII) entgegenstehen.
Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, daß das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr 92; BSG SozR 2200 § 548 Nrn 82 und 97; BSG SozR 3-2200 § 548 Nrn 19 und 26). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84). Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich; bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muß der volle Beweis für das Vorliegen der versicherten Tätigkeit als erbracht angesehen werden können (BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 mwN; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84). Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 19).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen und daher für den Senat bindend (§ 163 SGG) sind, ist der bei der Beklagten infolge Ausbildung (§ 2 Abs 1 Nr 2 SGB VII) versicherte Kläger in der Kantine der Holzfachschule B. gestürzt, als er nach dem Abendessen sein Tablett aufnehmen wollte, um es an die dafür vorgesehene Stelle zu bringen. Dabei handelt es sich um einen Arbeitsunfall, weil der Kläger im Unfallzeitpunkt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat.
Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG die Einnahme einer Mahlzeit auch während einer Arbeitspause zwischen betriebsdienlichen Verrichtungen grundsätzlich nicht versichert, weil die Nahrungsaufnahme für jeden Menschen Grundbedürfnis ist und somit betriebliche Belange, etwa das betriebliche Interesse an der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers, regelmäßig zurücktreten (BSGE 11, 267, 268; 12, 247, 249 = SozR Nr 28 zu § 542 RVO aF; BSG SozR Nr 26 zu § 543 RVO aF; SozR Nrn 41 und 52 zu § 542 RVO aF; BSG SozR 2200 § 548 Nrn 20 und 86; Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 71 mwN auf die weitere Literatur). Das gilt grundsätzlich auch während Dienstreisen oder ähnlichen betriebsdienlichen Tätigkeiten außerhalb des Betriebes. Dort stehen allein die Wege zu und von der Nahrungsaufnahme unter Unfallversicherungsschutz (BSG SozR 2200 § 548 Nr 50; Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 104). Die Nahrungsaufnahme ist auch nicht bereits deshalb der betrieblichen Tätigkeit zuzurechnen, weil Essen oder Trinken in einer Werkskantine eingenommen wird (BSG Urteil vom 7. März 1969 - 2 RU 264/66 - Breithaupt 1969, 755 = USK 6920; BSG SozR 2200 § 548 Nr 20; Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 75). Ausnahmen, in denen betriebliche Interessen die Nahrungsaufnahme wesentlich beeinflussen und dadurch den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit begründen, sind jedoch möglich und in der Rechtsprechung des BSG mehrfach anerkannt. Versicherungsschutz ist angenommen worden, wenn die versicherte Tätigkeit ein besonderes Hunger- oder Durstgefühl verursacht hat, das ohne die betriebliche Tätigkeit gar nicht oder doch erst später aufgetreten wäre, die Nahrungsaufnahme also unmittelbar wesentlich der Wiedererlangung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit dient (BSG SozR Nr 40 zu § 542 RVO aF; Nr 21 zu § 548 RVO; SozR 2200 § 548 Nr 20; Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 72 mwN). Versicherungsschutz ist ferner bejaht worden, wenn Versicherte sich bei der Mahlzeit infolge betrieblicher Zwänge besonders beeilen mußten (BSG Urteil vom 30. September 1964 - 2 RU 197/63 - BG 1965, 273; BSG Urteil vom 31. Oktober 1968 - 2 RU 173/66 - USK 68138 = BB 1969, 408; BSG Urteil vom 7. März 1969, aaO; Brackmann/Krasney, aaO, mwN). Ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ist darüber hinaus angenommen worden, wenn betriebliche Zwänge den Versicherten veranlaßten, seine Mahlzeit an einem besonderen Ort oder in besonderer Form einzunehmen, wenn die Umstände der Nahrungsaufnahme somit durch die versicherte Tätigkeit maßgebend geprägt waren. Das betraf den Fall von Fernfahrern, welche den Lastzug nicht unbeaufsichtigt stehen lassen wollten, beim Grillen auf dem Rastplatz (BSG SozR 2200 § 548 Nr 82), oder eine Kurteilnehmerin, die ihre Mahlzeit in der Kantine des Sanatoriums einnahm, sofern die Essenseinnahme dort angeordnet oder wenigstens dem Kurerfolg dienlich war (Urteil des BSG vom 17. Oktober 1990 - 2 RU 61/89 - HV-Info 1991, 12 = USK 90173). Schließlich hat das BSG den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung während der Nahrungsaufnahme bejaht, wenn besondere betriebliche Umstände den Versicherten zwar nicht zwangen, aber wenigstens veranlaßten, seine Mahlzeit an einem bestimmten Ort, etwa in einer Werks- oder Schulkantine einzunehmen, wenn also betriebliche Umstände die Einnahme des Essens in der Kantine wesentlich mitbestimmten (BSGE 12, 247, 250, 251 = SozR Nr 28 zu § 542 RVO aF). Allein der Umstand, daß einem Versicherten zur Nahrungsaufnahme eine Kantine zur Verfügung stand, reicht jedoch - wie schon dargelegt - nicht aus, Unfallversicherungsschutz anzunehmen (Brackmann/Krasney, aaO, RdNr 75 mwN). Als besonderen Grund, besonderen Anlaß zur Benutzung einer Werkskantine hat das BSG zB erwogen, daß der Besuch einer nahegelegenen Gaststätte dem Versicherten nach seiner Besoldung und seinen Spesensätzen wegen der dortigen höheren Preise unzumutbar gewesen wäre, daß der Versicherte möglicherweise auch ortsfremd gewesen und ihm deshalb die Lage von Speiselokalen unbekannt gewesen sei oder daß der Versicherte im Interesse seiner Tätigkeit als Betriebsprüfer darauf angewiesen gewesen sei, eine nähere persönliche Verbindung zu gewissen Bediensteten des zu prüfenden Unternehmens während der Mahlzeit herzustellen (BSGE 12, 247, 250, 251 = SozR aaO).
Nach den bindenden Feststellungen des LSG hatte der Kläger besondere Veranlassung, am Abend des 6. Januar 1997 die Kantine der Holzfachschule B. aufzusuchen, um dort zu Abend zu essen. Er nahm auf Anordnung seines Ausbildungsbetriebs an der Schulung teil und war deshalb grundsätzlich versichert. Zwar war der Kläger trotz der betrieblich veranlaßten "internatsmäßigen" Unterbringung nicht verpflichtet bzw gezwungen, in der Kantine zu essen. Der Aufenthalt in der Fachschule und die am 6. Januar 1997 herrschenden besonderen Verhältnisse gaben dem Kläger aber besonderen Anlaß, die Kantine aufzusuchen. Die Kantine stand den Lehrgangsteilnehmern offen. Andere Möglichkeiten der Nahrungsaufnahme waren aufgrund der örtlichen Lage der Schule - ca zwei bis drei Kilometer vom Ort B. entfernt - nur mit Mühe erreichbar, insbesondere aufgrund der winterlichen Witterung. Zudem war der Kläger ortsfremd und die Lage von Speiselokalen ihm unbekannt. Der Arbeitgeber des Klägers, der jedenfalls teilweise die Kosten der Lehrgangsteilnahme einschließlich der Kosten der Verpflegung trug, hatte damit - dem Kläger erkennbar - auch zu verstehen gegeben, daß er die Essenseinnahme in der Kantine durchaus wünschte. Dieses betriebliche Interesse ging über die reine Fürsorge gegenüber dem Auszubildenden hinaus und ist auch nachvollziehbar. Das Unfallrisiko in der Kantine im Vergleich zum Besuch einer zwei bis drei Kilometer entfernten Gaststätte war einschließlich des versicherten (BSG SozR 2200 § 548 Nr 50) Wegeunfallrisikos grundsätzlich kleiner.
Für den inneren Zusammenhang spricht schließlich auch der Umstand, daß die Mahlzeiten in der Kantine der Fachschule für den Kläger kostenfrei waren. Diese Kostenfreiheit der Mahlzeiten unterscheidet den zu beurteilenden Sachverhalt maßgeblich von dem der Essenseinnahme in einer Werks- oder Behördenkantine, in der der Angestellte einen mehr oder weniger großen Teil der Kosten der Mahlzeiten privat zu tragen hat. Zwar dokumentiert auch allein der Umstand, daß der Arbeitgeber für seine Mitarbeiter eine Kantine unterhält, sein Interesse daran, daß diese dort ihre Mahlzeiten einnehmen. Wenn die Angestellten einen mehr oder weniger großen Teil der Kosten des Essens selbst zu tragen haben, spricht dies indessen eher dafür, die Essenseinnahme als eigenwirtschaftliche und damit unversicherte Verrichtung anzusehen (vgl BSG SozR Nr 61 zu § 543 RVO aF; BSG Urteil vom 26. April 1973 - 2 RU 213/71 - USK 73105). Auch wenn das Essen vom Arbeitgeber in der Kantine als ein Teil der dem Versicherten zustehenden Naturalvergütung ausgegeben wird, bleibt die Essenseinnahme grundsätzlich eigenwirtschaftlich (BSG Urteil vom 31. Oktober 1968 - 2 RU 173/66 - USK 68138 = BB 1969, 408). Stellt aber der Arbeitgeber das Essen in der Kantine kostenfrei und zusätzlich zur für die Arbeitsleistung geschuldeten Vergütung zur Verfügung, spricht dieser Umstand für ein besonderes, gesteigertes betriebliches Interesse an der Benutzung der Kantine und damit für die Annahme des Unfallversicherungsschutzes. Ob dies allein den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit begründen könnte, muß hier nicht entschieden werden, denn der Versicherungsschutz ist allein schon wegen der - bereits dargelegten - anderen besonderen Umstände anzunehmen.
Insgesamt bestand für den Kläger nicht nur ein bloßer Anreiz, sondern vielmehr besonderer Anlaß, die Schulkantine aufzusuchen. Andere Verhaltensweisen wären, wie das LSG zu Recht schon angedeutet hat, vernunftwidrig gewesen. Das reicht zur Annahme des inneren Zusammenhangs und damit des Unfallversicherungsschutzes aus.
Die Revision der Beklagten war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 543166 |
BuW 2001, 219 |
AuA 2001, 86 |
NZS 2000, 566 |
SozSi 2000, 359 |