Beteiligte
… Kläger und Revisionskläger |
Allgemeine Ortskrankenkasse Berlin |
1.Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin 31, Ruhrstraße 2, 2.Bundesanstalt für Arbeit,Nürnberg, Regensburger Straße 104,3.Arbeiterwohlfahrt der Stadt Berlin e.V.,Berlin 61, Hallesches Ufer 32 - 38 |
Tatbestand
G r ü n d e :
I.
Die Beteiligten streiten um die Berechtigung der Beklagten zur Rücknahme eines Bescheides; darin hatte sie eine Tätigkeit des Klägers als Dozent zunächst als versicherungspflichtige Beschäftigung anerkannt.
Der 1954 geborene Kläger war ua von Dezember 1979 bis Juli 1980 und von September 1980 bis Februar 1981 als Dozent an einer Fachschule für Erzieher tätig, die vom Beigeladenen zu 3), einem eingetragenen Verein (im folgenden: Verein) unterhalten wurde. Beiträge zur Kranken- und zur Angestelltenversicherung wurden nicht für ihn abgeführt.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 1983 stellte die Beklagte nach einer Betriebsprüfung im November 1983 dem Verein gegenüber die Versicherungspflicht des Klägers in der Kranken- und der Angestelltenversicherung fest und forderte von ihm als "Arbeitgeber" entsprechende Pflichtbeiträge. Diesen Bescheid idF des Widerspruchsbescheides vom 31. August 1984 focht der Verein vor dem Sozialgericht (SG) Berlin an. Mit Bescheid vom 20. Dezember 1984 hob die Beklagte ihre früheren Bescheide wieder auf, nachdem in einem Parallelprozeß rechtskräftig entschieden worden war, daß die fragliche Dozententätigkeit nicht als abhängige Beschäftigung, sondern in einem freien Mitarbeiterverhältnis ausgeübt worden sei.
Vorher hatte die Beklagte auch dem Kläger gegenüber einen Bescheid vom 19. April 1984 erlassen, mit dem sie - inhaltlich dem Bescheid vom 15. Dezember 1983 entsprechend - seine Versicherungspflicht zur Kranken- und Rentenversicherung festgestellt und darauf hingewiesen hatte, daß sie gegenüber dem Verein Beiträge nachberechnet und dieser gegen ihre Feststellungen Widerspruch erhoben habe.
Mit Bescheid vom 20. Dezember 1984 hob die Beklagte auch den dem Kläger erteilten Bescheid vom 19. April 1984 wieder auf. Zugleich stellte sie fest, daß er in den fraglichen Zeiten als selbständiger Lehrer gemäß § 166 Abs 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF krankenversicherungspflichtig gewesen sei. Die seit Dezember 1979 zu entrichtenden Krankenversicherungsbeiträge setzte sie in Höhe von 1.319,68 DM fest. Den Widerspruch des Klägers wies sie zurück. Das von ihm angerufene SG hob den Bescheid vom 20. Dezember 1984 idF des Widerspruchsbescheides vom 26. März 1985 mit Urteil vom 18. Juli 1986 auf. Es war der Auffassung, daß die Rücknahme des Bescheides vom 19. April 1984 nur unter den Voraussetzungen des § 49 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) hätte erfolgen dürfen. Der Bescheid vom 20. Dezember 1984 sei mithin schon deswegen fehlerhaft, weil er nicht auf Ermessenserwägungen gestützt gewesen sei. Soweit darin die Versicherungspflicht des Klägers nach § 166 Abs 1 Nr 2 RVO aF festgestellt und entsprechende Beiträge festgesetzt worden seien, folge die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 20. Dezember 1984 schon aus seiner Unvereinbarkeit mit dem bindenden Bescheid vom 19. April 1984.
Mit Urteil vom 20. April 1988 hob das Landessozialgericht (LSG) das sozialgerichtliche Urteil auf und wies die Klage ab. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien nicht nach § 45 SGB 10 rechtswidrig, weil die Anwendbarkeit dieser Vorschrift hier durch § 49 SGB 10 ausgeschlossen sei. Bei dem zurückgenommenen Bescheid vom 19. April 1984 habe es sich nämlich um einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung gehandelt. Dieser sei zwar nicht - wie in § 49 SGB 10 gefordert - von einem Dritten (hier: vom beigeladenen Verein) angefochten worden. § 49 SGB 10 sei aber analog anwendbar, weil dem Kläger der wesentliche Inhalt des dem Verein gegenüber ergangenen Bescheides vom 15. Dezember 1983 sowie der Umstand bekannt gewesen sei, daß der Verein diesen Bescheid angefochten habe. Der Kläger habe gewußt, daß der Bescheid vom 19. April 1984 in seinem Bestand von dem Schicksal des vom Verein erhobenen Widerspruchs abhängig gewesen sei. Im übrigen sei zwischen den Beteiligten nicht mehr umstritten, daß Tätigkeiten der vom Kläger ausgeübten Art als Tätigkeiten eines freien Mitarbeiters einzuordnen seien. Die Tätigkeit falle auch unter § 166 Abs 1 Nr 2 RVO aF; diese Vorschrift setze insbesondere nicht die Einrichtung eines eigenen Betriebes voraus.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, die im wesentlichen wie folgt begründet wird: Das LSG habe den Anwendungsbereich des § 49 SGB 10 verkannt. Es handele sich dabei um eine nicht analogiefähige Vorschrift des Verfahrensrechts. Nach § 49 SGB 10 müsse der Dritte denjenigen Verwaltungsakt angefochten haben, um dessen Rücknahme es gehe. Hier sei aber der von der Beklagten zurückgenommene Bescheid vom 19. April 1984 nicht angefochten gewesen. Die Anfechtung lediglich des Bescheides vom 15. Dezember 1983 durch den Verein reiche für die Anwendung des § 49 SGB 10 nicht aus. Es bestehe für die vom LSG angenommene Analogie zu § 49 SGB 10 auch kein Bedürfnis, weil der Verein den Bescheid vom 19. April 1984 habe anfechten können.
Der Kläger beantragt,unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 20. April 1988 den Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 1984 idF des Widerspruchsbescheides vom 26. März 1985 aufzuheben.
Die Beklagte beantragtdie Zurückweisung der Revision des Klägers.
Sie hält die analoge Anwendung des § 49 SGB 10 durch das LSG für zulässig. Im übrigen sei der Bescheid vom 19. April 1984 in entsprechender Anwendung der §§ 86, 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Widerspruchs- und Klageverfahrens gegen den Bescheid vom 15. Dezember 1983 geworden. Der Sinn des § 49 SGB 10 bestehe darin, keinen Vertrauensschutz des Begünstigten auf einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung anzuerkennen, solange der Verwaltungsakt von einem Dritten angefochten werde. Der Kläger verdiene hinsichtlich des Bescheides vom 10. April 1984 keinen Vertrauensschutz, weil sie, die Beklagte, in diesem Bescheid ausdrücklich auf das vom Verein gegen ihren Bescheid vom 15. Dezember 1983 eingeleitete Widerspruchsverfahren hingewiesen habe. Ihre Handlungsfähigkeit dürfe nicht stärker eingeschränkt werden, als es der Vertrauensschutz des Klägers gebiete.
Die Beigeladene zu 1) beantragt ebenfallsdie Zurückweisung der Revision des Klägers.
Sie schließt sich im wesentlichen der Meinung der Beklagten an.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 1984 ist rechtmäßig. Das gilt sowohl für die Rücknahme des Bescheides vom 19. April 1984 als auch für die Feststellung der Krankenversicherungspflicht des Klägers nach § 166 Abs 1 Nr 2 RVO aF.
Die Beklagte hat den Bescheid vom 19. April 1984 zu Recht zurückgenommen. Wie das LSG zutreffend erkannt hat, gilt § 49 SGB 10 entsprechend, wenn bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Doppelwirkung der durch den Verwaltungsakt belastete Dritte zwar nicht den zurückzunehmenden Verwaltungsakt, aber einen inhaltlich gleichen derselben Behörde angefochten und diese den Begünstigten davon unterrichtet hat.
Der Bescheid vom 19. April 1984 war nicht lediglich eine unselbständige Verfahrenshandlung innerhalb des auf den Widerspruch des Vereins gegen den Bescheid vom 15. Dezember 1983 anhängig gewordenen Widerspruchsverfahrens. Eine Hinzuziehung des Klägers zu diesem Verfahren nach § 12 Abs 2 SGB 10 wäre zwar zweckmäßig gewesen; in dem Bescheid vom 19. April 1984 ist jedoch ein Wille der Beklagten, den Kläger an dem fraglichen Widerspruchsverfahren zu beteiligen, nicht zum Ausdruck gekommen.
Der Bescheid vom 19. April 1984 war rechtswidrig, wie zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig ist. Denn der Kläger war, anders als in dem Bescheid festgestellt, in den fraglichen Zeiten nicht beim beigeladenen Verein abhängig beschäftigt, sondern als selbständiger Lehrer tätig (vgl das in einem Parallelfall ergangene rechtskräftige Urteil des LSG Berlin vom 7. November 1984 - L 9 Kr 4/83 -). Gemäß § 44 SGB 10 war die Beklagte berechtigt und verpflichtet, den Bescheid trotz seiner dem Kläger gegenüber eingetretenen Bindungswirkung aufzuheben. Daran war sie auch nicht deswegen gehindert, weil der Bescheid dem Kläger gegenüber begünstigend war. Denn die für rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte getroffene Regelung der Absätze 1 bis 4 des § 45 SGB 10 galt hier nicht.
Gemäß § 49 SGB 10 gelten ua die Absätze 1 bis 4 SGB des § 45 SGB 10 nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird.
Zu Recht hat das LSG in dem Bescheid der Beklagten vom 19. April 1984 einen Verwaltungsakt gesehen, der den Kläger begünstigte, weil er ihn nachträglich in die Kranken- und die Angestelltenversicherung einbezog, ohne ihn wegen der Vorschriften in § 395 Abs 2 RVO aF und § 119 Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF mit Beiträgen zu belasten.
Das LSG hat § 49 SGB 10 bei der Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 19. April 1984 nicht für unmittelbar anwendbar gehalten. Dem stimmt der Senat zu. Dabei scheitert die Anwendung des § 49 SGB 10 nicht schon daran, daß der Verwaltungsakt hier nicht von der Widerspruchsstelle oder dem Sozialgericht, sondern von der Stelle, die ihn erlassen hatte, aufgehoben worden ist. Gleichwohl ist hier § 49 SGB 10 nicht unmittelbar anwendbar, weil der Dritte (hier: der beigeladene Verein) den später zurückgenommenen Verwaltungsakt vom 19. April 1984 nicht angefochten hatte. Dieser Verwaltungsakt war auch nicht - wie die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung geltend macht - nach § 86 Abs 1 SGG Gegenstand des von dem Verein angestrengten Widerspruchsverfahrens geworden (die Anwendung des § 96 SGG scheidet schon deswegen aus, weil die Klage des Vereins gegen den Bescheid vom 15. Dezember 1983 im April 1984 noch nicht anhängig war). § 86 Abs 1 SGG wäre hier nur anwendbar gewesen, wenn der Bescheid vom 19. April 1984 an den beigeladenen Verein als den Widerspruchsführer gerichtet gewesen wäre (vgl Meyer-Ladewig SGG 3. Aufl Anm 3 zu § 86; auch Bley, Gesamtkommentar Anm 2a cc zu § 86 SGG); das war nicht der Fall.
§ 49 SGB 10 ist auf einen Sachverhalt der vorliegenden Art aber entsprechend anzuwenden. Der Regelung des § 49 SGB 10 liegt der Gedanke zugrunde, daß ein durch einen Verwaltungsakt Begünstigter keinen Vertrauensschutz verdient, solange der begünstigende Verwaltungsakt noch der Nachprüfung durch die Widerspruchsbehörde oder ein Gericht unterliegt, weil diese bei ihrer Entscheidung über den Rechtsbehelf nicht an die Einschränkungen der §§ 45 ff SGB 10 gebunden sind. Dasselbe muß gelten, wenn der Begünstigte - wie hier der Kläger - von einem Rechtsbehelf erfährt, der gegen einen anderen, aber denselben Gegenstand betreffenden und inhaltlich gleichen Verwaltungsakt erhoben worden ist. Die Bescheide vom 15. Dezember 1983 und vom 19. April 1984 regelten denselben Gegenstand. Der Kläger mußte auch damit rechnen, nachdem er von dem Rechtsbehelf des Vereins gegen den Bescheid vom 15. Dezember 1983 Kenntnis erlangt hatte, daß seine in beiden Bescheiden festgestellte Versicherungspflicht noch einmal geprüft und ggf anders beurteilt werden würde. Er verdient deshalb nicht mehr Vertrauensschutz, als wenn ihm der Bescheid vom 15. Dezember 1983 nachträglich zugestellt und er zu dem anhängigen Widerspruchsverfahren des Vereins gegen diesen Bescheid hinzugezogen worden wäre oder aber der Verein den an den Kläger gerichteten Bescheid vom 19. April 1984 angefochten hätte.
Nach allem hat die Beklagte ihren Bescheid vom 19. April 1984 zu Recht zurückgenommen, so daß der weiteren Feststellung der Krankenversicherungspflicht des Klägers nach § 166 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF eine Bindungswirkung des Bescheides vom 19. April 1984 nicht entgegenstand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen