Beteiligte
Klägerin und Revisionsbeklagte |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Die Klägerin erlitt am 4. November 1982 im Alter von acht Jahren eine akute infantile Hemiplegie (Hirninfarkt im Bereich der Capsula interna links), die zu einer bleibenden Schädigung geführt hat. Streitig ist, ob der Hirninfarkt als Folge eines Schulunfalls eingetreten und daher von der Beklagten zu entschädigen ist (§ 548 Abs. 1 i.V.m. § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchstabe b Reichsversicherungsordnung -RVO-).
Die Klägerin besuchte die Gemeinschaftsgrundschule A Weg in D . Als sie am 4. November 1982 zu Beginn des Unterrichts im Klassenzimmer auf ihren Platz gehen wollte, stolperte sie oder rutschte aus und fiel auf den Kopf. Der Durchgangsarzt Dr. P. diagnostizierte eine Schädelprellung ohne Anzeichen einer Fraktur. Nachdem sich im Laufe des Tages eine Facialisparese und eine verwaschene Sprache eingestellt hatte, wurde die Klägerin mittags in die Kinder- und Poliklinik der Universität D eingewiesen. Dort stellte Prof. Dr. M. die Diagnose einer akuten infantilen Hemiplegie.
Mit Bescheid vom 26. September 1983 lehnte es die Beklagte ab, der Klägerin eine Entschädigung zu gewähren. Nach ihren Ermittlungen könne der Sturz im Klassenzimmer nicht als ein adäquates Trauma für den nachfolgend aufgetretenen Hirninfarkt angesehen werden.
Im anschließenden Gerichtsverfahren hat das Sozialgericht (SG) ein ärztliches Gutachten vom Oberarzt der Neurologischen Universitätsklinik D , Prof. Dr. H. , eingeholt (Gutachten vom 4. Oktober 1984). Unter Bezugnahme auf dieses Gutachten hat das SG die Klage abgewiesen: Nach dem gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft könnten hauptsächlich nur cerebro-vasculäre Erkrankungen infantile Hirninfarkte verursachen; ganz selten seien traumatische Perforationsverletzungen der Arteria Karotis interna beobachtet worden, was sich bei der Klägerin jedoch nicht habe nachweisen lassen (Urteil vom 30. Januar 1986).
Das Landessozialgericht (LSG) hat den angefochtenen Bescheid und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin wegen der Folgen des Schulunfalls vom 4. November 1982 Verletztenrente zu gewähren. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Fest stehe, daß die versicherte Tätigkeit Ursache des Unfalls und seiner Folgen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne gewesen sei. Andere Ursachen dürften nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Frage nach der haftungsbegründenden Kausalität nur berücksichtigt werden, wenn sie als vorhanden festgestellt seien (vgl. BSGE 61, 127, 130; Urteil vom 24.2.1988 - 2 RU 30/87 -). Solche lägen nicht vor; insbesondere sei eine cerebro-vasculäre Erkrankung als innere Ursache für den Sturz im Klassenzimmer nicht erwiesen. Bei der diesbezüglichen Annahme des Sachverständigen handele es sich nur um eine Möglichkeit. Sei somit im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität eine innere Ursache nicht zu berücksichtigen, könne diese folgerichtig auch nicht im Rahmen der sogenannten haftungsausfüllenden Kausalität als Mitursache des eingetretenen Schlaganfalls mit seinen bleibenden Folgen in Betracht gezogen werden. Zwar halte Prof. Dr. H. einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Sturz im Klassenzimmer und dem Hirninfarkt im Ergebnis nicht für wahrscheinlich. Bei seiner Anhörung vor dem LSG am 18. Januar 1989 habe Prof. Dr. H. aber auch darauf hingewiesen, daß ein solcher Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden könne und es durchaus möglich sei, daß es zu einer kausalen Beziehung zwischen Kopfverletzung und Hirninfarkt bei einem Kinde komme. Wenn sich nicht sicher feststellen lasse, daß der Schlaganfall auf eine anlagebedingte Erkrankung der Klägerin zurückzuführen sei, könne er nach den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung seine Ursache allein nur in der dem Schulbetrieb zuzurechnenden Tätigkeit gehabt haben. Die Revision sei zuzulassen, weil ungeklärt erscheine, ob die vom BSG im Urteil vom 24. Februar 1988 (2 RU 30/87) aufgestellten Grundsätze auch im Rahmen der sogenannten haftungsausfüllenden Kausalität gälten (Urteil vom 7. März 1990).
Mit der Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des § 548 Abs. 1 RVO. Ihrer Ansicht nach reiche es zur Bejahung der haftungsausfüllenden Kausalität nicht aus, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und der anschließend aufgetretenen schweren Körperschädigung nur möglich, nicht aber wahrscheinlich sei.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. März 1990 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30. Januar 1986 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend. Bleibe als festgestellte Bedingung des Unfalls allein die versicherte Tätigkeit übrig, weil andere - mögliche - Ursachen nicht berücksichtigungsfähig seien, dann sei es zwangsläufig wahrscheinlich, daß die versicherte Tätigkeit wesentlich zu den Unfallfolgen beigetragen habe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Die Klägerin hat keinen Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte, weil der Hirninfarkt und dessen bleibende Schäden nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den Schulunfall (Arbeitsunfall) vom 4. November 1982 zurückzuführen sind.
Zutreffend ist das LSG zunächst davon ausgegangen, daß die Klägerin als Schülerin einer allgemeinbildenden Schule gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst b RVO versichert war und sich der Versicherungsschutz auf die unfallbringende Verrichtung, nämlich das Gehen zum Sitzplatz im Klassenzimmer, erstreckte. Die Klägerin hat den Unfall - den Sturz und die Schädelprellung - auch "bei" der versicherten Tätigkeit erlitten (§ 548 Abs. 1 RVO), ohne daß es einer genauen Feststellung des Unfallhergangs bedurft hätte (BSGE 61, 127, 130). Die für die Annahme eines Arbeitsunfalls erforderliche haftungsbegründende Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis ist stets gegeben, wenn außer dem - hier erwiesenen - kausalen Anknüpfungspunkt keine anderen Tatsachen festgestellt sind, die als Konkurrenzursachen wirksam geworden sein könnten. Kann eine in Betracht zu ziehende Konkurrenzursache in ihrer Grundvoraussetzung nicht festgestellt werden, scheidet sie bereits im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne als Ursache aus (so zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 24. Februar 1988 - 2 RU 30/87 -, USK 8825; Meso B 290/41). Die Möglichkeit, daß der Sturz im Klassenzimmer bereits ein erstes Symptom für den ischämischen Hirninfarkt gewesen ist, möglicherweise also ein anlagebedingtes Leiden als überragende innere Ursache für das Zustandekommen des Unfalls in Betracht kommt, kann daher im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität keine Berücksichtigung finden.
Das bedeutet jedoch nicht, daß auch alle im Anschluß an den Arbeitsunfall aufgetretenen Gesundheitsstörungen kausal der versicherten Tätigkeit zuzuordnen sind. Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist vielmehr selbständig zu prüfen, ob die geltend gemachte Gesundheitsstörung mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen ist. Auch bei dieser Kausalitätsprüfung haben diejenigen betriebsfremden Ursachen, deren tatsächliche Grundlagen nicht sicher festgestellt sind, außer Betracht zu bleiben. Insoweit besteht kein Unterschied zu der zitierten Rechtsprechung des BSG. Die hier im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehende Annahme einer bereits vorhandenen cerebro-vasculären Vorerkrankung kann deshalb als mögliche Ursache für den Hirninfarkt keine Berücksichtigung finden. Im Gegensatz zur Auffassung des LSG folgt daraus jedoch nicht zwingend, daß der Hirninfarkt "seine Ursache allein nur in der dem Schulbetrieb zuzurechenden Tätigkeit des Stolperns bzw. Ausrutschens gehabt haben" könne. Denn anders als bei der haftungsbegründenden Kausalität ist im vorliegenden Fall bei der haftungsausfüllenden Kausalität keine Ursache erwiesen oder zumindest wahrscheinlich. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG kann der ursächliche Zusammenhang zwischen dem unfallbedingten Trauma und dem Schlaganfall vielmehr nur nicht ausgeschlossen werden. Das LSG hat die gutachterlichen Ausführungen des Prof. Dr. H. auch nicht dahingehend gewürdigt, daß die nach seiner Auffassung durchaus gegebene Möglichkeit eines traumatisch bedingten Hirninfarkts der Wahrscheinlichkeit eines solchen ursächlichen Zusammenhangs gleichzusetzen sei. Es hat lediglich aus der Unbeachtlichkeit einer unfallfremden Ursache auf die Zwangsläufigkeit eines Kausalzusammenhangs zur versicherten Tätigkeit geschlossen. Damit hat es die in zwei getrennten Schritten vorzunehmende Kausalitätsprüfung rechtsirrig vermischt.
Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß die Ursache der infantilen Hemiplegie nicht geklärt werden konnte. Die Ermittlungen der Vorinstanzen haben ergeben, daß diese Gesundheitsstörung auf zwei möglichen Ursachen beruhen kann. Ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und dem Körperschaden aber nicht feststellbar, so treffen die Folgen der objektiven Beweislosigkeit denjenigen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Auflage S. 480n mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG). Das ist im vorliegenden Fall die Klägerin, weil deren Entschädigungsanspruch von dem Vorliegen der haftungsausfüllenden Kausalität abhängig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen