Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzgeldanspruch. neues Insolvenzereignis. Überwachung des Insolvenzplanverfahrens. Beendigung der Zahlungsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Bei andauernder Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter rechtfertigt die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens nicht die Annahme, die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sei beendet und ein neues Insolvenzereignis könne eintreten (Bestätigung und Weiterführung von BSG vom 21.11 2002 - B 11 AL 35/02 R = BSGE 90, 157 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3).
Normenkette
SGB 3 § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; InsO §§ 217, 258 Abs. 1, §§ 260-262
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 2. Februar bis 1. Mai 2005.
Der Kläger war in einem Architekturbüro (im Folgenden: Arbeitgeber) als Arbeitnehmer beschäftigt. Mit Beschluss des Amtsgerichts (AG) Aachen vom 1. August 2002 wurde über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet (Aktenzeichen 19 IN 760/02). Die Beklagte bewilligte und zahlte dem Kläger Insg wegen offener Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2002.
Im Insolvenzverfahren kam es zur Aufstellung eines Insolvenzplans nach §§ 217 ff Insolvenzordnung (InsO). Der Insolvenzplan vom 3. Juni 2003 sah die Verpflichtung des Arbeitgebers vor, aus zukünftigen Erträgen insgesamt 144.000 €, zahlbar ab 1. September 2003 in monatlichen Raten von je 2.000 €, zur Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung zu stellen. Mit der Planüberwachung über den Zeitraum von sechs Jahren wurde der damalige Insolvenzverwalter beauftragt. Nach Eintritt der Rechtskraft der gerichtlichen Bestätigung des Insolvenzplans hob das AG mit Beschluss vom 16. Juli 2003 das Verfahren gemäß § 258 Abs 1 InsO auf. Da der Arbeitgeber jedoch in der Folgezeit seine Verpflichtungen aus dem Insolvenzplan nicht vollständig erfüllte und seit Februar 2005 keine Ratenzahlungen mehr leistete, eröffnete das AG mit Beschluss vom 2. Mai 2005 erneut das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers (Aktenzeichen 91 IN 26/05). Unter Hinweis auf diesen Beschluss beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung von Insg wegen offener Entgeltansprüche für die Zeit vom 2. Februar 2005 bis 1. Mai 2005. Die Beklagte lehnte eine Bewilligung mit der Begründung ab, ein neues Insolvenzereignis sei nicht eingetreten (Bescheid vom 24. Mai 2005). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2005).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Januar 2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Das SG habe zutreffend entschieden, dass die Sperrwirkung der Insolvenzeröffnung vom 1. August 2002 dem Insg-Anspruch entgegenstehe. Es entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass ein neues Insolvenzereignis nicht eintrete, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauere. Die Zahlungsunfähigkeit ende nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelne Zahlungsverpflichtungen wieder erfülle. Allein wegen Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens sei nicht von einer Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners auszugehen. Die Wirkungen des Insolvenzplanes seien nicht endgültig. Auch könne nicht daraus, dass der Insolvenzplan etwa eineinhalb Jahre eingehalten worden sei, der Schluss gezogen werden, der Arbeitgeber sei wieder uneingeschränkt in der Lage gewesen, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Hiergegen spreche bereits die erhebliche Belastung durch Ansprüche der Beklagten aus übergegangenen Entgeltansprüchen in einer Höhe von 168.947,80 €, wovon während des Insolvenzplanverfahrens lediglich 21.827,53 € getilgt worden seien. Zahlungsfähigkeit könne im Insolvenzplanverfahren vor der Planerfüllung nur in seltenen Ausnahmefällen eintreten, etwa dann, wenn kurz vor dem Ende der Laufzeit des Planes sich die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers so verbessert habe, dass dieser die dem Insolvenzplan zu Grunde liegenden Masseverbindlichkeiten auch sofort erfüllen könne; eine solche Konstellation liege nicht vor. Es bestehe auch kein Anspruch nach § 183 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), und zwar unabhängig davon, ob der Kläger möglicherweise darauf vertraut habe, ein neues Insolvenzereignis sei eingetreten. Soweit für die Weiterarbeit des Klägers eine falsche Information der Beklagten maßgebend gewesen sein sollte, könne ein Schaden über einen Amtshaftungsanspruch ausgleichbar sein, was aber nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das angefochtene Urteil sei mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht in Einklang zu bringen. Die vom LSG zitierte Rechtsprechung des BSG betreffe einen Fall, in dem es um einen Zeitraum von gerade neun Monaten gegangen sei; im vorliegenden Fall seien dagegen Gehälter für gut 24 Monate anstandslos und ohne Zahlungsverzug gezahlt worden und die Angestellten hätten sogar eine Gehaltserhöhung bekommen. Bei einem derartigen Zeitraum müsse aus der Sicht eines juristischen Laien und Arbeitnehmers sehr wohl von der vollständigen Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit ausgegangen werden. Es sei hinsichtlich der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, auf den auch das BSG abgestellt habe. Die Arbeitnehmer hätten auch im Hinblick auf einen dem Arbeitgeber erteilten Großauftrag, der noch über die Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens hinaus gelaufen sei, und wegen eines weiteren Auftrags davon ausgehen können, dass die zu erzielenden Architektenhonorare zur Deckung der Arbeitslöhne ausreichen würden. Im Zuge des zweiten Insolvenzverfahrens habe der seinerzeitige Insolvenzverwalter allen Arbeitnehmern auch gesagt, man solle ruhig weitermachen, ein Anspruch auf Insg bestehe. Wie hoch das Potential des Arbeitgebers zur Abdeckung der noch offenen Forderungen gewesen sei, habe das LSG nicht aufgeklärt. Dies sei aber zur Beantwortung der Frage, ob der Arbeitgeber seine vollständige Zahlungsfähigkeit erlangt habe, geboten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 6. September 2006 und das Urteil des SG vom 25. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Oktober 2005 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 2. Februar bis 1. Mai 2005 Insg nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung von Insg für die Zeit vom 2. Februar bis 1. Mai 2005 hat.
Anspruch auf Insg hat nach § 183 Abs 1 Satz 1 SGB III ein Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Insolvenzereignis ist nach § 183 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Aus Anlass der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss des AG vom 1. August 2002 hatte der Kläger Insg bereits erhalten. Aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das AG am 2. Mai 2005 kann der Kläger keinen erneuten Anspruch auf Insg herleiten, da die Sperrwirkung der Insolvenzeröffnung durch Beschluss des AG vom 1. August 2002 einem solchen Anspruch entgegensteht.
Ein neues Insolvenzereignis tritt nach der Rechtsprechung des BSG sowohl zum Konkursausfallgeld (Kaug) als auch zum Insg nicht ein und kann folglich auch Ansprüche auf Kaug bzw Insg nicht auslösen, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauert (vgl BSG SozR 4100 § 141b Nr 6, Nr 43; SozR 3-4100 § 141e Nr 3; BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 mwN). Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist so lange auszugehen, wie der Gemeinschuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelne Zahlungsverpflichtungen wieder erfüllt (BSGE aaO).
Unter Beachtung dieser in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze ist die Auffassung des LSG, die auf dem Insolvenzereignis vom August 2002 beruhende Zahlungsunfähigkeit habe in der Folgezeit fortbestanden, nicht zu beanstanden. Denn den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, dass der bei der Verfahrenseröffnung unstreitig insolvente Arbeitgeber des Klägers zwar später zeitweise Löhne an Arbeitnehmer und auch Raten zur Verteilung an Gläubiger gezahlt hat, er jedoch zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Unfähigkeit des Arbeitgebers zur Begleichung seiner Verpflichtungen im Allgemeinen wird durch die Aufstellung des Insolvenzplans mit gerichtlicher Bestätigung und Anordnung der Planüberwachung sowie die nachfolgende Nichterfüllung des Plans mit anschließender erneuter Eröffnung des Insolvenzverfahrens belegt.
Dass sich allein aus der Bestätigung des Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch das Insolvenzgericht noch nicht die Beseitigung des zunächst eingetretenen Insolvenzfalls mit der Folge der Möglichkeit des Entstehens neuer Ansprüche gegen die Insg-Versicherung ergibt, hat der Senat bereits entschieden (BSGE 90, 157, 158 ff = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). Der Senat hat näher ausgeführt, dass die materiell-rechtlichen Wirkungen des Insolvenzplanes nur die am Insolvenzplanverfahren Beteiligten (Schuldner, Insolvenzgläubiger, Absonderungsberechtigte) betreffen und dass auch die Beteiligung des Insolvenzgerichts am Insolvenzplanverfahren keinen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit schaffen kann (BSGE aaO S 159 f mit Hinweisen ua auf §§ 231, 254, 255 InsO). Hieran ist festzuhalten.
Zwar hat der Senat in der vorbezeichneten Entscheidung im Hinblick darauf, dass im damals zu beurteilenden Fall der Schuldner bereits beim ersten Fälligkeitstermin zur Begleichung der nach dem Plan geschuldeten Forderung außer Stande war, offen gelassen, ob nach Einleitung eines Insolvenzplanverfahrens ein Entfallen der Sperrwirkung des früheren Insolvenzereignisses unter besonderen Umständen auch bereits vor der Planerfüllung in Betracht kommen kann (BSGE aaO S 162). Diese Rechtsprechung entwickelt der Senat in dem Sinne weiter, dass von einer Fortdauer der aus Anlass des früheren Insolvenzereignisses eingetretenen Zahlungsunfähigkeit jedenfalls dann auszugehen ist, wenn die im Insolvenzplan vorgesehene Überwachung der Planerfüllung andauert (vgl bereits Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 2006, § 183 RdNr 50a). Denn bei vorgesehener und andauernder Planüberwachung wird trotz Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 InsO) der weiter gegebene Zusammenhang mit dem einmal eröffneten Insolvenzverfahren dadurch dokumentiert, dass Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters und gegebenenfalls des Gläubigerausschusses sowie die Aufsicht des Insolvenzgerichts insoweit fortbestehen (§§ 260, 261, 262 InsO; zu den Aufgaben und Befugnissen des Insolvenzverwalters vgl Andres in Andres/Leithaus, InsO, 2006, § 61 RdNr 3 ff). In einer solchen Situation kommt unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des BSG die Wiedererlangung der Fähigkeit des Schuldners, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen erfüllen zu können, nicht in Betracht.
Demgegenüber kann die Revision nicht mit ihrem Vorbringen durchdringen, durch die Abwicklung von Aufträgen und die Zahlung von Löhnen an weiter beschäftigte Arbeitnehmer sei für diese hinsichtlich der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Denn der Umstand, dass ein insolventer Arbeitgeber seinen Betrieb zeitweise weiter führt und insoweit auch Arbeitsentgelt an Arbeitnehmer zahlt, ist für die Frage, ob Zahlungsfähigkeit im Allgemeinen wieder angenommen werden und deshalb ein neuer Versicherungsfall eintreten kann, grundsätzlich unerheblich (vgl zum Kaug BSG SozR 4100 § 141b Nr 43 S 164 f; SozR 4100 § 141b Nr 46 S 170). Die von der Revision genannten Ausführungen des Senats zur Frage, inwieweit für betroffene Arbeitnehmer ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sein könnte, bringen nur zum Ausdruck, dass die Beteiligung des Insolvenzgerichts am Zustandekommen eines Insolvenzplans kein Vertrauen hinsichtlich der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit der Arbeitgeber begründet (BSGE 90, 157, 160 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). Für die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit kann es im Übrigen nur auf tatsächlich gegebene und insoweit eindeutig überprüfbare Umstände ankommen; ein von der Revision gefordertes Abstellen auf ein "Potential" des derzeit zahlungsunfähigen Arbeitgebers, also auf möglicherweise in Zukunft zu erwartende Einnahmen, muss deshalb in aller Regel ausscheiden.
Das LSG hat auch zu Recht entschieden, dass sich ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von (weiterem) Insg auch nicht etwa aus § 183 Abs 2 SGB III ergibt. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitnehmer, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen hat, Insg auch für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses erhalten. Ein solcher Anspruch kommt unter den tatsächlich gegebenen Umständen (maßgebliches Insolvenzereignis bereits 2002, für das der Kläger Insg schon erhalten hat) nicht in Betracht. Aus § 183 Abs 2 SGB III kann kein erneuter Anspruch auf Insg mit Rücksicht auf das Vertrauen auf eine in Wahrheit nicht bestehende Insg-Absicherung hergeleitet werden. Denn § 183 Abs 2 SGB III soll Vertrauen nur mit Rücksicht auf die Weiterarbeit oder Arbeitsaufnahme in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses gewährleisten.
Ein für den Kläger günstigeres Ergebnis lässt sich schließlich nicht aus einer etwaigen - vom LSG im Übrigen nicht festgestellten - falschen Information durch die Beklagte oder die Verletzung einer Beratungspflicht herleiten. Für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bleibt insoweit kein Raum, weil ein eingetretener Nachteil des Klägers nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann (vgl etwa BSGE 76, 84, 91 = SozR 3-8825 § 2 Nr 3; BSGE 92, 241, 244 = SozR 4-2600 § 58 Nr 3 mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 2024439 |
BSGE 2009, 282 |