Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuflussprinzip im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz. Elterngeld. Höhe. Erzielen von Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. tatsächlicher Zufluss im Bemessungszeitraum. Ungleichbehandlung von Einkünften aus selbstständiger und nichtselbstständiger Arbeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Bemessung des Elterngeldes bei Einkommen aus selbstständiger Arbeit ist für den Begriff des “Erzielens von Einkommen aus Erwerbstätigkeit” i. S. d. § 2 Abs. 3 Satz 1 BEEG i. d. F. vom 5.12.2006 das strenge Zuflussprinzip bestimmend, nachdem es auf den tatsächlichen zeitlichen Zufluss des Einkommens im Bemessungszeitraum in Anlehnung an § 11, § 4 Abs. 3 EStG ankommt (Bestätigung von BSG vom 5.4.2012, B 10 EG 10/11 R).
2. Die unterschiedliche Behandlung von Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit (strenges Zuflussprinzip) einerseits und nichtselbstständiger Arbeit (modifiziertes Zuflussprinzip) andererseits verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG (Bestätigung von BSG vom 5.4.2012, B 10 EG 10/11 R).
Normenkette
BEEG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 3 S. 1, Abs. 7-8, 9 Fassung: 2006-05-12; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. Juni 2011 und des Sozialgerichts München vom 15. Januar 2009 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für alle Rechtszüge nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des Elterngeldes des Klägers für den ersten Lebensmonat seines am 12.7.2007 geborenen Sohnes X. (12.7. bis 11.8.2007).
Der Kläger war vor der Geburt seines Sohnes als Unternehmensberater selbstständig erwerbstätig. Als Vergütung für seine Tätigkeit ging am 4.7.2007 auf dem Konto des Klägers aus "Rechnung 05/2007" der Betrag von 22 393,42 Euro ein, am 2.8.2007 aus "Rechnung 06/2007" ein solcher von 19 161,38 Euro und am 4.9.2007 aus "Rechnung 07/2007" (für Beratungsleistungen vom 1. bis 12.7.2007) ein Betrag von 9926,98 Euro.
Auf seinen Antrag, ihm für den ersten und dreizehnten Lebensmonat des Sohnes Elterngeld zu gewähren, bewilligte der beklagte Freistaat dem Kläger mit Bescheid vom 4.12.2007 vorläufig Elterngeld, und zwar für den ersten Lebensmonat in Höhe von 300 Euro und für den dreizehnten Lebensmonat in Höhe von 1800 Euro. Dabei berücksichtigte der Beklagte ein Nettoerwerbseinkommen im Kalenderjahr vor der Geburt (2006) in Höhe von 98 831,89 Euro (monatlich 8235,99 maximal 2700 Euro) und im ersten Lebensmonat von netto 13 103,28 Euro. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.3.2008 zurück. Gemäß § 2 Abs 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) sei für die Berechnung des Elterngeldes das im Bezugszeitraum erzielte Erwerbseinkommen maßgeblich. Es greife das steuerliche Zuflussprinzip nach § 11 Einkommensteuergesetz (EStG), sodass allein die Einnahmen bzw Ausgaben entscheidend seien, nicht aber wann die Arbeitsleistung erbracht worden sei. Das zu berücksichtigende Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit sei insoweit zu hoch angesetzt worden, als ein Betrag von 22 393,42 Euro bereits am 4.7.2007, also vor dem Bezugszeitraum, zugeflossen sei. Auch nach einer Neuberechnung verbleibe es jedoch bei dem Mindestbetrag von 300 Euro, sodass eine vorläufige Neuberechnung nicht veranlasst sei.
Das vom Kläger daraufhin angerufene Sozialgericht München (SG) hat unter Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes den Beklagten verurteilt, dem Kläger für den ersten Lebensmonat seines Sohnes Elterngeld in Höhe von 1800 Euro zu erbringen (Urteil vom 15.1.2009). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - das Urteil des SG sowie den angefochtenen Bescheid abgeändert und den Beklagten verurteilt, dem Kläger Elterngeld für den ersten Lebensmonat des Kindes in Höhe von weiteren 754,96 Euro zu zahlen (Urteil vom 9.6.2011).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Der Anspruch des Klägers auf Elterngeld ergebe sich zunächst dem Grunde nach aus § 1 BEEG. Die dort genannten Voraussetzungen (Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland, Zusammenleben mit dem Kind in einem Haushalt, Betreuung und Erziehung des Kindes durch den Anspruchsteller und keine Ausübung bzw keine volle Ausübung einer Erwerbstätigkeit) lägen vor. Der Kläger habe zwar am 12.7.2007 noch 9,75 Stunden gearbeitet, sei damit aber gemäß § 1 Abs 6 BEEG nicht voll erwerbstätig gewesen, weil seine wöchentliche Arbeitszeit 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats nicht überstiegen habe.
Die Höhe des Elterngeldes richte sich nach § 2 BEEG, insbesondere nach dessen Abs 3, wenn - wie hier - im Bezugszeitraum Einkommen aus einer zulässigen Erwerbstätigkeit erzielt worden sei. Der hier allein streitige Bezugsmonat vom 12.7. bis 11.8.2007 sei dadurch gekennzeichnet, dass einerseits am 2.8.2007 eine Zahlung in Höhe von 19 161,38 Euro aus einer Rechnung vom 30.6.2007 auf dem Konto des Klägers eingegangen sei. Zudem habe der Kläger aus seiner Tätigkeit am 12.7.2007 einen Honorarbetrag vom 1125,44 Euro erhalten. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in mehreren Urteilen zur Elterngeldberechnung von abhängig Beschäftigten das modifizierte Zuflussprinzip angewendet. Diese Rechtsprechung müsse auch für selbstständig Tätige gelten. Zwischen abhängig Beschäftigten und selbstständig Tätigen bestünden keine so bedeutsamen Unterschiede, dass auch unter Berücksichtigung von Art 3 GG eine unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen wäre.
Die Anwendung des modifizierten Zuflussprinzips führe im vorliegenden Fall zunächst dazu, dass die auf dem Konto des Klägers am 2.8.2007 eingegangene Zahlung in Höhe von 19 161,38 Euro aus einer Rechnung vom 30.6.2007 nicht als Einkommen berücksichtigt werden könne, weil dieses Einkommen nicht im Bezugszeitraum, sondern im Juni 2007 "erzielt" worden sei. Andererseits müsse folgerichtig der für die Erwerbstätigkeit am 12.7.2007 (Tag der Geburt des Kindes innerhalb des Bezugszeitraums) am 4.9.2007 dem Konto des Klägers gutgeschriebene Betrag in Höhe von 1125,44 Euro als erzieltes Einkommen berücksichtigt werden. Nach der in § 2 Abs 3 S 1 BEEG vorgesehenen Berechnung sei unter Anrechnung der dem Kläger bereits gewährten 300 Euro noch ein Betrag von 754,96 Euro zu bezahlen.
Gegen dieses Urteil haben sowohl der Kläger als auch der Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass das von ihm am 12.7.2007 bis 18.30 Uhr erarbeitete Einkommen nicht berücksichtigt werden dürfe, da sein Sohn an diesem Tage erst um 22.54 Uhr geboren worden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen, das Urteil des Bayerischen LSG vom 9.6.2011 abzuändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 15.1.2009 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 9.6.2011 und des SG München vom 15.1.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts und hält an seiner im angefochtenen Bescheid und insbesondere im Widerspruchsbescheid vertretenen und begründeten Rechtsauffassung fest. Das BSG habe in seiner bisherigen Rechtsprechung das modifizierte Zuflussprinzip eher restriktiv angewandt und auf bestimmte Fallgestaltungen begrenzt. So schließe es den Fall der rückwirkenden Lohnerhöhungen aus und berücksichtige nur tatsächlich zugeflossenes Einkommen, nicht aber bloße Entgeltansprüche. Es wende das modifizierte Zuflussprinzip allein auf Fälle der nachträglichen Vertragserfüllung an. Entgegen dieser einschränkenden Anwendung erweitere das LSG den Anwendungsbereich dieses Prinzips nicht nur auf selbstständig Tätige, sondern auch auf vertragsgemäße Zahlungen. In bestimmten Fallkonstellationen ordne es die Einnahme einem Zeitpunkt zu, an dem diese noch nicht einmal fällig gewesen sei. Dies entspreche weder dem Wortlaut des Gesetzes noch seiner Zielsetzung oder seinem Sinn und Zweck und sei auch bei einer systematischen Betrachtung des BEEG nicht zu rechtfertigen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die vom LSG zugelassene, also statthafte Revision des beklagten Freistaats ist zulässig und begründet.
Unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile ist die Klage abzuweisen, denn der Beklagte hat das Elterngeld für den ersten Lebensmonat des am 12.7.2007 geborenen Sohnes des Klägers, also für die Zeit vom 12.7. bis 11.8.2007, zu Recht vorläufig auf den Mindestbetrag von 300 Euro festgesetzt.
Der Sachentscheidung durch das Revisionsgericht stehen keine Hindernisse entgegen. Insbesondere ist die Berufung des Beklagten statthaft; denn der hierfür gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 SGG erforderliche Wert von 750 Euro ist überschritten. Das SG hatte den Beklagten zur Zahlung des Höchstbetrages von 1800 Euro verurteilt, sodass sich aufgrund des bewilligten Basisbetrages von 300 Euro ein Berufungswert von 1500 Euro ergibt.
Der Anspruch des Klägers auf Elterngeld während der Betreuung seines Sohnes richtet sich nach dem BEEG idF vom 5.12.2006 (BGBl I 2748). Soweit die späteren Änderungen des BEEG (erstmals durch das Gesetz vom 19.8.2007 - BGBl I 1970) überhaupt die den streitigen Anspruch berührenden Bestimmungen der §§ 1 und 2 BEEG betreffen, sind sie im vorliegenden Verfahren nicht anwendbar. Die durch das Gesetz vom 19.8.2007 erfolgte Änderung betraf den hier nicht einschlägigen Abs 7 des § 1 BEEG. Bei der ersten Änderung des § 2 BEEG durch das Gesetz vom 17.1.2009 (BGBl I 61) mit Wirkung zum 24.1.2009 war der Elterngeldzahlungszeitraum bereits abgeschlossen (s BSG Urteil vom 18.8.2011 - B 10 EG 5/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-7837 § 2 Nr 11 vorgesehen, RdNr 27 mwN), sodass die Neufassung des Gesetzes den vorliegend zu beurteilenden Anspruch des Klägers nicht erfasst.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die für das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG bindend sind, hat der Kläger im ersten Lebensmonat seines Sohnes die Grundvoraussetzungen für den Anspruch auf Elterngeld gemäß § 1 Abs 1 BEEG erfüllt.
Für die streitige Höhe des Elterngeldanspruchs des Klägers ist § 2 BEEG maßgebend. Nach dessen Abs 1 S 1 wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist nach § 2 Abs 1 S 2 BEEG die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit iS von § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 EStG nach Maßgabe der Abs 7 bis 9 zu berücksichtigen. Gemäß § 2 Abs 3 S 1 BEEG wird für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte Person ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, das durchschnittlich geringer ist als das nach Abs 1 berücksichtigte durchschnittlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt, Elterngeld in Höhe des nach Abs 1 (oder 2) maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrages dieser durchschnittlich erzielten monatlichen Einkünfte aus Erwerbstätigkeit gezahlt. Die weiter maßgebenden Bestimmungen enthält bei Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit § 2 Abs 7 BEEG, während für Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit die Abs 8 und 9 des § 2 BEEG gelten.
Für die Berechnung des Elterngeldes des Klägers ist § 2 Abs 3 BEEG einschlägig, weil der Kläger im streitigen Bezugsmonat (erster Lebensmonat seines Sohnes) Einkommen aus (selbstständiger) Erwerbstätigkeit erzielt hat.
Der nach § 2 Abs 3 S 1 BEEG maßgebliche Begriff des "Erzielens von Einkommen aus Erwerbstätigkeit" kann allein vom Wortlaut her unterschiedlich verstanden werden, und zwar entweder im Sinne eines tatsächlichen Zuflusses des Einkommens (Zuflussprinzip) oder in dem Sinne, dass in dem maßgeblichen Zeitraum auch die Erwerbstätigkeit, mit der das Einkommen erwirtschaftet oder erarbeitet worden ist, ausgeübt worden sein muss (sog modifiziertes Zuflussprinzip).
Für das Einkommen aus selbstständiger Arbeit hat der erkennende Senat den Begriff des Erzielens von Einkommen anhand des - strengen - Zuflussprinzips bestimmt (Urteil vom 5.4.2012 - B 10 EG 10/11 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Zur Begründung hat er ausgeführt:
"Für das Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit im Bemessungszeitraum vor der Geburt des Kindes hat der erkennende Senat inzwischen mehrfach entschieden, dass ein Einkommen auch dann im Bemessungszeitraum erzielt ist, wenn es in diesem Zeitraum erarbeitet aber erst nach dessen Ablauf in Folge nachträglicher Vertragserfüllung durch den Arbeitgeber ausgezahlt worden ist (BSG Urteile vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R - BSGE 107, 18 = SozR 4-7837 § 2 Nr 6; vom 18.8.2011 - B 10 EG 5/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Dieses für Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit entwickelte modifizierte Zuflussprinzip ist indes nicht auf Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit anzuwenden. Ein solches Einkommen ist in dem Zeitraum erzielt, in dem es dem Elterngeldberechtigten tatsächlich zugeflossen ist. Hierfür sind folgende Gründe maßgebend:
Gesetzessystematisch betrachtet wird der Begriff des Erzielens von Einkommen in der allgemeinen Regelung des § 2 Abs 1 S 1 BEEG ohne Differenzierung nach Einkunftsarten (vgl dazu § 2 Abs 1 S 2 BEEG iVm § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 EStG) gebraucht. Für das Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit erhält er in § 2 Abs 8 und 9 BEEG jedoch eine besonders deutliche steuerrechtliche Ausprägung. Nach § 2 Abs 8 S 2 BEEG ist auf den Gewinn abzustellen, wie er sich aus einer mindestens den Anforderungen des § 4 Abs 3 EStG entsprechenden Berechnung ergibt. Demzufolge ist insoweit der Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben im steuerrechtlichen Sinne maßgebend. Noch eindeutiger ist der Bezug auf das Steuerrecht in § 2 Abs 9 BEEG verankert. Nach Satz 1 dieser Bestimmung gilt als vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen aus der Erwerbstätigkeit der durchschnittlich monatlich erzielte Gewinn, wie er sich aus dem für den letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum ergangenen Steuerbescheid ergibt. Demgegenüber verweist § 2 Abs 9 S 3 BEEG für die Ermittlung zeitgleich erzielten Einkommens aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit auf die Regelung des § 2 Abs 7 BEEG, wonach gerade nicht auf den Steuerbescheid zurückzugreifen ist.
Der Senat hat im Rahmen seiner Rechtsprechung zum modifizierten Zuflussprinzip bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit bereits darauf hingewiesen, dass für Einkommen aus selbstständiger Arbeit in § 2 Abs 8 und 9 BEEG eigenständige Regelungen geschaffen sind, die den Besonderheiten dieser Einkunftsarten Rechnung tragen und Rückschlüsse auf die Auslegung des § 2 Abs 7 BEEG nicht zulassen (Urteil vom 30.9.2010, aaO, RdNr 31; Urteil vom 18.8.2011, aaO, RdNr 26).
Auch sonst kann sich das LSG für die von ihm für richtig gehaltene Anwendung des modifizierten Zuflussprinzips auch auf Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nicht auf die Rechtsprechung des BSG berufen. Das vom BSG verfolgte Ziel der Vermeidung von Zufallsergebnissen durch Anwendung des modifizierten Zuflussprinzips hat nur bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit Bedeutung. Denn bei abhängig Beschäftigten ist die regelmäßige und zeitnahe Zahlung der Gehälter durch die Arbeitgeber der Regelfall, deren verspätete Zahlung dagegen die Ausnahme. Bei Einkünften aus selbstständiger Arbeit ist das Gegenteil der Fall. Hier ist die unregelmäßige Bezahlung von erbrachten Leistungen die Regel. Darauf hat zB Dau (juris PR-SozR 1/2012 Anm 4) deutlich hingewiesen. Auch sonst bestehen zwischen beiden Einkunftsarten gewichtige Unterschiede. Während bei Arbeitnehmern das vor der Geburt des Kindes laufend erzielte Arbeitsentgelt regelmäßig wegfällt oder sinkt, sobald sie "keine oder keine volle Erwerbstätigkeit" mehr ausüben, um ihr Kind zu betreuen, sind bei Selbstständigen tatsächliche Erwerbstätigkeit und Einkommensverlust nicht so eng verknüpft. Auch wenn sie ihre Arbeit unterbrechen, werden ihnen zumeist noch Betriebseinnahmen zufließen und weitere Betriebsausgaben entstehen. Diese Gegebenheiten rechtfertigen es, für Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit das modifizierte Zuflussprinzip anzuwenden (BSG Urteile vom 30.9.2010 und 18.8.2011, aaO), für Einkommen aus selbstständiger Arbeit hingegen am strengen Zuflussprinzip des Steuerrechts festzuhalten (vgl Dau, aaO).
Soweit der Kläger meint, die Anwendung des modifizierten Zuflussprinzips sei jedenfalls bei Selbstständigen wie ihm, die zeitbezogene Arbeiten erbringen und abrechnen, geboten, verfängt diese Argumentation nicht. § 2 Abs 1 S 2 iVm Abs 7 bis 9 BEEG unterscheidet nur zwischen den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit einerseits und aus nichtselbstständiger Arbeit andererseits. Eine vom Kläger für möglich angesehene Differenzierung innerhalb der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit danach, ob die Tätigkeit mehr oder weniger zeitbezogen ausgeübt wird, ist somit ausgeschlossen. Sie wäre auch kaum praktikabel.
Die unterschiedliche Behandlung von Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit einerseits und nichtselbstständiger Arbeit andererseits verstößt nach Auffassung des erkennenden Senats nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG.
Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Er hat gerade auch im Bereich des Sozialrechts, wozu die Bestimmungen über das Elterngeld im ersten Abschnitt des BEEG gehören (§ 6, § 25 Abs 2 S 2, § 68 Nr 15a SGB I), einen weiten Gestaltungsspielraum. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist grundsätzlich erst dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (stRspr des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - seit BVerfGE 55, 72, 88; vgl jüngst BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55; BVerfGE 117, 272, 300 f = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 70). Ebenso verbietet Art 3 Abs 1 GG auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, insbesondere die Gleichbehandlung einer Gruppe von Normadressaten mit einer anderen, obwohl zwischen beiden Gruppen gewichtige Unterschiede bestehen, die deren Gleichbehandlung als sachwidrig erscheinen lassen (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl 2011, Art 3 RdNr 8 mwN).
Durch die dargestellte andersartige Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Elterngeldes infolge der Anwendung der modifizierten Zuflusstheorie bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit einerseits und der strengen Zuflusstheorie bei Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit andererseits werden die betroffenen Personengruppen rechtlich unterschiedlich behandelt. Diese unterschiedliche Behandlung ist indes sachlich gerechtfertigt, da insbesondere die Ausübung der jeweiligen Erwerbstätigkeit sowie die Art der Erzielung des Einkommens wesentlich voneinander abweichen."
An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch im vorliegenden Fall nach erneuter Prüfung fest.
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ergibt sich - wie vom Beklagten festgestellt - unter Berücksichtigung des vom Kläger im ersten Lebensmonat seines Sohnes erzielten Einkommens ein vorläufiger Anspruch auf Elterngeld lediglich in Höhe des monatlichen Basisbetrages von 300 Euro. Maßgebend ist insoweit der Zufluss von 19 161,38 Euro aus der "Rechnung 06/2007" am 2.8.2007. Zwar ist bisher weder vom Beklagten noch von den Tatsachengerichten ermittelt worden, in welcher Höhe das sich daraus ergebende Nettoeinkommen beläuft. Die nach § 2 Abs 3 S 1 BEEG vorzunehmende Differenzberechnung wird voraussichtlich ergeben, dass ein zu berücksichtigendes Einkommen des Klägers nicht vorhanden ist, weil das nachgewiesene Einkommen im Bezugsmonat das vorgeburtliche durchschnittliche Monatseinkommen im Rahmen der gesetzlichen Obergrenze von 2.700 Euro jedenfalls erreichte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine exakte Berechnung hier allein deshalb entbehrlich ist, weil es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 4.12.2007 um eine vorläufige Festsetzung gemäß § 8 Abs 3 S 1 BEEG handelt. Da nach Lage der Akten bisher eine endgültige Festsetzung des Anspruchs noch nicht erfolgt ist, bleibt eine exakte Berechnung des Einkommens des Klägers im Bezugszeitraum gegebenenfalls dem Beklagten vorbehalten.
Die Revision des Klägers ist dagegen jedenfalls unbegründet, da ihm für den ersten Lebensmonat seines Sohnes Elterngeld vorläufig - nur - in Höhe des vom Beklagten zuerkannten Basisbetrages von 300 Euro zusteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 3488612 |
BFH/NV 2013, 336 |