Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz. Student. Auslandsaufenthalt. Diplomarbeit. organisatorischer Verantwortungsbereich. gemischte Tätigkeit. Entsendung. Handlungstendenz
Leitsatz (amtlich)
Kein Unfallversicherungsschutz eines Studenten, der sich für Arbeiten an seiner Diplomarbeit im Ausland aufhält.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. d, Abs. 2 iVm Abs. 1 Nr. 1, § 549; SGB IV § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 19.08.1992; Aktenzeichen L 3 U 114/89) |
SG Darmstadt (Urteil vom 08.11.1988; Aktenzeichen S 3 U 1485/87) |
Tenor
Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. August 1992 werden zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand, als er am 27. November 1983 bei einem Flugzeugabsturz in Spanien schwer verletzt wurde.
Der im Jahre 1955 geborene Kläger studierte im Wintersemester 1983/84 an der Johann Wolfgang Goethe – Universität Frankfurt am Main – der Beigeladenen -Geowissenschaften. Das Thema seiner Diplomarbeit, die von Prof. Dr. S.… betreut wurde, lautete: “Boden, Relief und Gestein im Raum Curitiba/Südbrasilien”. Prof. Dr. S.… betrieb ein Forschungsprogramm, das sich mit der Landschaftsentwicklung in Parana/Brasilien befaßte. Zwischen dem geologischen Institut der Staatsuniversität Parana und der Beigeladenen bestand eine – mündlich geschlossene – Vereinbarung, die ua deutsche Wissenschaftler berechtigte, Arbeitsplätze in einem von Prof. Dr. B.…, einem brasilianischen Kollegen von Prof. Dr. S.…, eingerichteten Museum zu nutzen. Die Vereinbarung umfaßte auch die Betreuung von Diplomanden. Es standen Unterkunftsplätze zur Verfügung, die von deutscher Seite genutzt wurden. Als Diplomand des Instituts für physikalische Geographie sollte sich der Kläger in der Zeit vom 26. November 1983 bis Ende Februar 1984 im Rahmen seiner Diplomarbeit zu Geländeuntersuchungen in Brasilien aufhalten und einen der Arbeits- und Unterkunftsplätze nutzen. In Brasilien hielten sich bereits zwei Diplomgeographinnen des Fachbereichs von Prof. Dr. S.… auf, die an dem Forschungsprogramm vor Ort beteiligt waren. Sie hatten mit vorbereitenden Arbeiten begonnen und sollten den Kläger einweisen. Die beigeladene Universität stellte dem Kläger die für die Geländearbeiten erforderlichen Geräte zur Verfügung, die er bei Antritt der Reise mit sich führte.
Das Flugzeug, in dem der Kläger nach Brasilien fliegen wollte, stürzte kurz vor einer Zwischenlandung in Madrid ab. Der Kläger, einer von wenigen Überlebenden, zog sich schwere Verletzungen zu.
Nach einer Unfallanzeige durch die Beigeladene bescheinigte Prof. Dr. S.… unter dem 8. Dezember 1983 ua, der Kläger habe in seinem Auftrag eine Diplomarbeit in Parana ausführen sollen. Zum Zweck seiner Reise teilte der Kläger der Beklagten unter dem 25. Juli 1985 mit, das Ziel seiner am 26. November 1983 angetretenen Reise sei Curitiba in Südbrasilien gewesen. Der Flug hätte ihn dort hingeführt, um im Großraum Curitiba Felduntersuchungen für seine Diplomarbeit im Fach Geographie durchzuführen. Er habe die Absicht gehabt, sich bis Mitte/Ende Februar 1984 dort aufzuhalten, um seine Untersuchungen zum Thema seiner Diplomarbeit durchzuführen.
Mit Bescheid vom 25. August 1987 lehnte die Beklagte eine Entschädigung ab, weil die Voraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfüllt seien. Die Reise habe der Vorbereitung der Diplomarbeit gedient; ihre Durchführung stehe mit der Hochschule nur in einem losen Zusammenhang und beruhe im wesentlichen auf der Eigeninitiative des Diplomanden, der seine wissenschaftliche Selbständigkeit zu beweisen habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. November 1988). Bei den beabsichtigten Arbeiten des Klägers in Brasilien fehle es an dem räumlichen Zusammenhang mit seiner Hochschule. Der tatsächliche organisatorische Bereich der Beigeladenen sei auch nicht durch das Forschungsvorhaben von Prof. Dr. S.… auf Institutseinrichtungen in Brasilien ausgedehnt worden. Die Anfertigung einer Diplomarbeit sei im übrigen keine Maßnahme der Hochschule. Der Kläger habe die Arbeit auch nicht im Auftrag von Prof. Dr. S.… angefertigt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen des Klägers und der Beigeladenen zurückgewiesen (Urteil vom 19. August 1992). Die Reise des Klägers nach Brasilien erfülle nicht die Voraussetzungen eines versicherten Betriebsweges. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe der Kläger die Reise angetreten, um als wesentlichen Bestandteil seiner Diplomarbeit Erhebungen im Gelände durchzuführen. Zwar würden etwa 1/3 der von Prof. Dr. S.… betreuten Diplomarbeiten im Ausland durchgeführt; studienbezogene Auslandsaufenthalte seien aber in der Prüfungsordnung nicht zwingend vorgeschrieben. Die in Aussicht genommene Tätigkeit des Klägers in Brasilien falle auch nicht deshalb unter den organisatorischen Verantwortungsbereich der Beigeladenen, weil Prof. Dr. S.… seit dem Jahre 1978 mit seinem brasilianischen Kollegen ein Forschungsprogramm durchgeführt habe, für das Haushaltsmittel der Beigeladenen verwendet worden seien. Wenngleich eine Eingliederung in dieses Forschungsprogramm gegeben gewesen sei, habe Prof. Dr. S.… dem Kläger keinen konkreten Auftrag erteilt. Aus der Sicht des Klägers sei die Tätigkeit in Brasilien ebenfalls nicht geeignet gewesen, den Interessen der Hochschule oder des Hochschullehrers zu dienen. Auffassung des Klägers sei es vielmehr gewesen, daß er wegen der Felduntersuchungen für seine Diplomarbeit nach Brasilien fliegen solle. Eine gemischte Tätigkeit sei weder objektiv noch aus der subjektiven Sicht des Klägers anzunehmen. Die Erfüllung der von ihm zu erbringenden Aufgabe sei jeder Einwirkungsmöglichkeit der Hochschule entzogen gewesen. Ebensowenig seien die Voraussetzungen eines Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO erfüllt. Der Kläger habe Felduntersuchungen für seine Diplomarbeit vornehmen wollen. Diese Untersuchungen als Kernstück der Diplomarbeit seien von der Ableistung der Prüfung, nicht aber von dem Interesse, (auch) für die Beigeladene tätig zu werden, geprägt gewesen.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügen der Kläger und die Beigeladene eine Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger meint, das Urteil verletze § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO iVm § 548 RVO. Seine Reise nach Brasilien habe seiner Aus- und Fortbildung im Rahmen des von Prof. Dr. S.… organisierten Forschungsprojekts gedient. Dieses Projekt habe die beigeladene Hochschule organisiert. Es gehe hier nicht um eine Tätigkeit “außerhalb” der Bildungsstätte; vielmehr habe sich seine Mitwirkung am Forschungsprojekt im organisatorischen Verantwortungsbereich der Beigeladenen gehalten. Ohne diese Einordnung in den organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule und ohne das spezielle Abkommen zwischen den beiden Universitäten hätte er – der Kläger – überhaupt keine Möglichkeit gehabt, dort seine Diplomarbeit anzufertigen. Seine Diplomarbeit sei eine Art “Nebenprodukt” des Forschungsvorhabens gewesen. Er sei in ein Forschungsvorhaben eingegliedert und sein Thema sei ein “Teilprogramm des gesamten Forschungsprogramms” gewesen. Die Forschungsarbeiten seien auch nicht ausschließlich für seine Diplomarbeit “ausgesucht” gewesen. Er habe gewußt und auch akzeptiert, daß das Thema seiner Diplomarbeit Teil des Forschungsprojektes gewesen sei und daß er sich den Weisungen der Leitung des Forschungsprogramms habe unterwerfen müssen. Für den Versicherungsschutz bedürfe es keines “konkreten Auftrags”; entscheidend sei allein die Eingliederung des Verletzten in einen fremden Betrieb. Dies könne auch ohne konkreten Auftrag geschehen.
Die Beigeladene meint, das LSG habe den Unterschied zwischen Universität und einer allgemeinbildenden Schule hinsichtlich des jeweiligen Umfangs des organisatorischen Verantwortungsbereichs nicht ausreichend beachtet. Weisungs- oder Kontrollrechte könnten jedenfalls dann nicht bestehen, wenn gerade die Fähigkeit, selbständig wissenschaftlich zu arbeiten, festzustellen sei. Abzustellen sei nicht auf Weisungs- und Kontrollrechte, sondern darauf, ob das Verhalten des Studenten abstrakt durch das Prüfungsrecht gedeckt und konkret durch eine von der Universität vorgegebene Aufgabenstellung veranlaßt worden sei. Im übrigen sei entgegen der Ansicht des LSG die Eingliederung des Klägers in das laufende Forschungsvorhaben mit Betreuungsmöglichkeit am Bestimmungsort eine ins Ausland ausstrahlende Maßnahme der Universität.
Der Kläger und die Beigeladene beantragen,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. August 1992 sowie des Sozialgerichts Darmstadt vom 8. November 1988 und den Bescheid des Beklagten vom 25. August 1987 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Ereignis vom 27. November 1983 als Arbeitsunfall in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.
Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revisionen sind unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß der Kläger keinen als Arbeitsunfall zu entschädigenden Unfall erlitten hat, als er auf dem Flug von Frankfurt am Main nach Brasilien kurz vor der Zwischenlandung in Madrid am 27. November 1983 verunglückte.
Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet.
Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger im Wintersemester 1983/84 immatrikulierter Student an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er war dementsprechend zwar nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Nach dieser Vorschrift sind in der gesetzlichen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfall Studenten während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen versichert, soweit sie nicht bereits zu den nach Nrn 1 bis 3 und 5 bis 8 des § 539 Abs 1 RVO Versicherten gehören, was – nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) – bei den vom Kläger durchzuführenden Tätigkeiten in Brasilien als Teil der Diplomarbeit nicht der Fall ist. Der Flug des Klägers nach Brasilien erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen einer versicherten Betriebsreise.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats schließen Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl für Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen (§ 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO) als auch für Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen (§ 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO) den Versicherungsschutz auf Betriebswegen von Schülern und Studenten nicht grundsätzlich aus (s BSGE 51, 257, 259 zur Schülerunfallversicherung). Indessen ist ebenso wie der Versicherungsschutz während eines Besuchs allgemeinbildender Schulen auch der Versicherungsschutz während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen zur Abgrenzung vom eigenwirtschaftlichen Bereich des Studierenden auf Tätigkeiten innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Hochschule beschränkt (s BSGE 44, 100, 102; BSG SozR 2200 § 539 Nr 122 und SozR 3-2200 § 539 Nr 1). Hier ist der Schutzbereich enger als der Versicherungsschutz in der gewerblichen Unfallversicherung (BSGE 41, 149, 151; 51, 257, 259 und zuletzt BSG Urteil vom 25. Februar 1993 – 2 RU 11/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Allerdings sind bei der Abgrenzung des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Hochschule die gegenüber dem Bereich der allgemeinbildenden Schulen besonderen Verhältnisse einer Aus- und Fortbildung an Hochschulen zu beachten (BSG SozR 2200 § 539 Nr 122). Nicht nur der unmittelbare Besuch von Vorlesungsveranstaltungen an der Hochschule soll versichert sein, da sich das Studium an der Hochschule hierin nicht erschöpft und oftmals – je nach der persönlichen Ausrichtung des Studiums des einzelnen Studenten – die Teilnahme an solchen Veranstaltungen nicht einmal den wesentlichen Teil des Aufenthalts an der Hochschule ausmacht. Studierende sind deshalb in der Regel auch versichert, wenn sie anstelle von Unterrichtsveranstaltungen oder daneben andere Hochschuleinrichtungen wie Universitätsbibliotheken, Seminare und Institute zu Studienzwecken aufsuchen oder sich an Exkursionen der Universität beteiligen (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 1).
Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten besteht für Studierende an Hochschulen jedoch kein weitergehender Unfallversicherungsschutz als etwa für Schüler der allgemeinbildenden Schulen. Für die Beurteilung des Versicherungsschutzes kommt es damit ebenso wie im Schulbereich entscheidend darauf an, ob die Tätigkeit, die zu dem Unfall geführt hat, dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule zuzurechnen ist. Private studien- und lehrstoffbezogene Arbeiten – auch zur Vorbereitung von Diplomarbeiten – außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Hochschule, etwa im häuslichen Bereich, auf privaten Studienfahrten oder außerhalb zeitlich festgelegter Lehrveranstaltungen sind demgemäß nicht versichert (BSG aaO). Desgleichen besteht bei Tätigkeiten von Studenten im Ausland Unfallversicherungsschutz nur, wenn es sich um eine ins Ausland ausstrahlende Maßnahme oder Veranstaltung einer deutschen Hochschule (§ 4 Abs 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches ≪SGB IV≫) handelt (Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 RdNr 87). Ebenso wie für Schüler kein Versicherungsschutz besteht bei der Erledigung ihrer von der Schule angeordneten Hausaufgaben, ist der Versicherungsschutz beim Anfertigen der Diplomarbeit nicht schon deshalb gegeben, weil die damit verbundenen Verrichtungen im Zusammenhang mit dem Abschluß des Studiums stehen. Entscheidend ist, ob der organisatorische Verantwortungsbereich der Universität auch die Durchführung der dem Studium dienenden Verrichtungen erfaßt.
Von diesen Grundsätzen ausgehend stand der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung; sein geplanter Aufenthalt in Brasilien ist nicht dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Beigeladenen zuzuordnen. Nach den unangegriffenen und daher den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) trat der Kläger die Reise nach Brasilien an, um Felduntersuchungen durchzuführen, die ein wesentlicher Bestandteil seiner Diplomarbeit: “Boden, Relief und Gestein im Raum Curitiba/Südbrasilien” waren. Zwar war das Thema der Diplomarbeit in das Forschungsprogramm von Prof. Dr. S.… eingegliedert; der Kläger hatte jedoch im Rahmen der vorgegebenen Themenstellung eine eigene und unabhängige wissenschaftliche Leistung zu erbringen. Unter Hinweis auf die Bekundungen von Prof. Dr. S.… hat das LSG festgestellt, daß die Vergabe der Diplomarbeit in der Regel so geschieht, daß der Diplomand mit bestimmten Vorstellungen den Hochschullehrer anspricht und sich sodann eine Aufgabenstellung ergibt. Dies wiederum ist mit einem Arbeitsprogramm verbunden, das seinerseits in ein laufendes Forschungsprogramm eingepaßt ist. Im Rahmen der vorgegebenen Themenstellung hat der Diplomand jedoch eine eigene und unabhängige Leistung ohne Weisungen zu erbringen. Nach den weiteren Feststellungen des LSG wird der Diplomand im Regelfall in die Aufgabenstellung eingeführt; danach beginnt er selbständig zu arbeiten. Bei auftretenden Problemen erfolgt eine Besprechung mit dem zuständigen Hochschullehrer. Die dazwischen liegenden Arbeiten sind vom Diplomanden selbständig zu leisten. So waren die vom Kläger durchzuführenden eigenständigen Untersuchungen im Gelände das wesentlichste Element der gesamten Diplomarbeit. Hieraus hat das LSG ohne Rechtsirrtum die Schlußfolgerung gezogen, daß die Erfüllung dieser Aufgabe jeder Einwirkungsmöglichkeit der Hochschule entzogen war. Dieser Status des Klägers änderte sich auch nicht dadurch, daß Prof. Dr. S.… Interesse an dem Ergebnis der Diplomarbeit hatte und – falls brauchbar – es bei seinen eigenen Forschungen berücksichtigen wollte. Der Kläger hatte sich jedoch allein wegen seiner Diplomarbeit auf die Reise nach Brasilien begeben.
Nach den weiteren Feststellungen des LSG waren Zeit, Ort, Form und Dauer des Aufenthalts in Brasilien (s BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 1) in gewisser Weise vorgegeben. Dies ergab sich aber allein schon aus dem vom Kläger gewählten Thema der Diplomarbeit, die einen Aufenthalt vor Ort in Südbrasilien voraussetzte. Die Art der Durchführung seiner Erhebungen im Gelände selbst war jedoch einem Weisungs- und Kontrollrecht entzogen. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger im Rahmen einer Vereinbarung zwischen beiden Hochschulen berechtigt war, die Arbeitsplätze in einem Museum vor Ort zu benutzen. Dort standen auch Unterkunftsplätze zur Verfügung. Diese besonderen Verhältnisse konnte und durfte der Kläger wahrnehmen, indem er nicht gehalten war, sich eine eigene Unterkunft zu suchen. Der Kläger war jedoch in der Art der Benutzung der Einrichtungen und in seiner zeitlichen Einteilung frei und ohne Weisungen der Universität. Auch die Einweisung des Klägers durch die bereits seit einiger Zeit in Brasilien anwesenden beiden Diplomgeographinnen stellte für den Kläger eine Vergünstigung dar. Ihre Vorarbeiten hätten ihm den Beginn seiner Arbeiten erleichtert. Soweit demgegenüber der Kläger in seiner Revision vorträgt, er wäre nach seiner Ankunft in Brasilien den Weisungen der dortigen Mitarbeiter der Universität unterworfen gewesen, und er habe gewußt und akzeptiert, daß er sich “den Weisungen der Leitung des Forschungsprojektes” habe “unterwerfen” müssen, so fehlt es insoweit an einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge der Revision gegen die Feststellungen des LSG. Der Senat ist daher an die – diesem Vortrag nicht entsprechenden – Feststellungen des LSG gebunden (§ 163 SGG). Das gleiche gilt für die weitere Behauptung des Klägers, er habe seine Forschungsarbeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort verrichten sowie Arbeitsplätze in dem Museum benutzen “müssen”; außerdem habe er eine bestimmte Unterkunft “zugewiesen” bekommen. Als bloße Erleichterung der Arbeit hat das LSG auch die Tatsache gewertet, daß die beiden Mitarbeiterinnen von Prof. Dr. S.… den Kläger mit einem Pkw täglich zur Forschungsstelle gebracht und von dort wieder abgeholt hätten. Den Flug mußte der Kläger selbst bezahlen; auch für die Verpflegung hätte er zum Teil selbst aufkommen müssen. Allgemein wird bei wesentlich allein eigenwirtschaftlichen Interessen des Versicherten dienenden Verrichtungen der für den Versicherungsschutz erforderliche innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht dadurch begründet, daß der Unternehmer seinem Arbeitnehmer dabei zusätzliche Vergünstigungen vermittelt.
Entgegen der Auffassung des Revisionsklägers bestand im Unfallzeitpunkt auch kein Versicherungsschutz unter dem Gesichtspunkt der sog gemischten Tätigkeit. Bei Verrichtungen, die sowohl privaten unversicherten als auch betrieblichen Interessen dienen – sog gemischte Tätigkeiten –, steht der Verletzte unter Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall dazu bestimmt gewesen ist, betrieblichen Interessen zu dienen (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl. S 480g I ff mwN). Sind allerdings allein die privaten Interessen des Verletzten wesentlich für die unfallbringende Verrichtung, so ist der Unfall kein Arbeitsunfall; die ebenfalls vorhandenen betrieblichen Interessen sind dann nur der Nebenzweck des Handelns (BSG SozR 2200 § 550 Nr 62; BSG Urteil vom 27. Oktober 1987 – 2 RU 31/87 – HV-Info 1988, 131; Brackmann aaO S 480 q mwN).
Nach den Feststellungen des LSG wollte der Kläger wegen eigener Untersuchungen für seine Diplomarbeit nach Brasilien fliegen und nicht wegen des Forschungsprogramms von Prof. Dr. S.…. Ohne das Thema der von ihm selbständig und eigenverantwortlich zu erstellenden Diplomarbeit, für die Geländeuntersuchungen vor Ort in Brasilien unerläßlich waren, wäre der Kläger nicht nach Brasilien geflogen. Er verfolgte mit seinem Aufenthalt in Brasilien wesentlich allein das Ziel seines Studiums, das Anfertigen der Diplomarbeit, und nicht fremdbestimmte Tätigkeiten für das Forschungsprojekt von Prof. Dr. S.…. Dementsprechend war für den Kläger entgegen seiner mit der Revision vertretenen Auffassung die Diplomarbeit nicht eine Art “Nebenprodukt”; vielmehr war für ihn die vorgesehene Einbindung in das Forschungsprojekt rechtlich unwesentlicher Nebenzweck (s BSG SozR 2200 § 548 Nr 90, § 550 Nr 62; BSG Urteil vom 25. November 1977 – 2 RU 99/76 –) seiner Reise gewesen. Daß das Thema der Diplomarbeit einen Teilbereich aus dem Forschungsprogramm von Prof. Dr. S.… beinhaltete, steht dem nicht entgegen. Es handelte sich um eine dem Kläger zur selbständigen wissenschaftlichen Bearbeitung übertragene Aufgabe. Die Felduntersuchungen durften nach Auskunft von Prof. Dr. S.… von keinem anderen vorgenommen werden.
Unter diesen Gegebenheiten war der vom Kläger geplante Aufenthalt in Brasilien keine ins Ausland ausstrahlende Maßnahme oder Veranstaltung der Beigeladenen iS des § 4 Abs 1 SGB IV. Es ist zwar zutreffend, daß auch für ins Ausland führende Seminare und Exkursionen der Universität Versicherungsschutz bestehen kann; an einer solchen Veranstaltung wollte jedoch der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht teilnehmen. Er hatte vielmehr eine Individualreise angetreten, die er auf die Erfordernisse im Zusammenhang mit seiner Diplomarbeit zugeschnitten hatte. Daß er sich dabei mit Prof. Dr. S.… abgestimmt und an dessen Forschungsvorhaben orientiert hatte, ändert nichts an dem rechtlichen Charakter seiner Reise: Er wollte nach Brasilien fliegen, um wesentliche Teile seiner Diplomarbeit zu erarbeiten; er war nicht “Beauftragter” und “Entsandter” der Beigeladenen oder von Prof. Dr. S.….
Aus diesen Erwägungen scheidet auch ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO aus. Für einen Unfallversicherungsschutz nach dieser Vorschrift reicht es nicht aus, daß die einzelne Verrichtung losgelöst von den sie tragenden Umständen dem Unternehmen nützlich und ihrer Art nach üblicherweise sonst dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist (BSGE 31, 275, 277; BSG SozR 2200 § 539 Nr 119). Wesentlich für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO ist vielmehr die auf die Belange des Unternehmens gerichtete Handlungstendenz (BSG Urteil vom 25. November 1992 – 2 RU 49/91 – HV-Info 1993, 233; Brackmann aaO S 475 q, jeweils mwN). Entsprechend den bereits dargelegten Feststellungen des LSG wollte der Kläger die Felduntersuchungen und die damit verbundene Reise nach Brasilien wesentlich für seine Diplomarbeit durchführen. Diese allein von ihm zu leistenden Arbeiten waren das Kernstück der Diplomarbeit. Sie waren wesentlich geprägt von der Diplomarbeit, nicht aber von dem Interesse, (auch) für die beigeladene Hochschule und/oder Prof. Dr. S.… tätig zu werden. Daß der Kläger auch ohne “konkreten Auftrag” sich in das Forschungsprojekt habe eingliedern wollen und sein Handeln darauf ausgerichtet gewesen sei, wie die Revision als unstreitig vorträgt, hat das LSG nicht festgestellt.
Der Kläger stand im Zeitpunkt des Unfalls auch nicht unter Versicherungsschutz nach § 549 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO. Nach § 549 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall, den ein Versicherter bei einer mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes erleidet. Nach den Feststellungen des LSG führte der Kläger zwar Gerätschaften der Beigeladenen für seine Untersuchungen in Brasilien mit. Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist jedoch, daß die betriebliche Tätigkeit selbst dem Versicherungsschutz unterliegt (BSGE 24, 243, 245; Brackmann aaO S 481 q). Das ist – wie bereits erörtert – hier nicht gegeben.
Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 915579 |
BSGE, 5 |
NJW 1994, 2440 |
Breith. 1994, 216 |