Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht eines Organmitgliedes einer juristischen Person des öffentlichen Rechts
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einem Dauerrechtsverhältnis ist über einen nachgehenden Bescheid auch dann nach SGG § 96 in dem rechtshängigen Verfahren mitzuentscheiden, wenn er von einem beigeladenen Versicherungsträger erlassen worden ist und sich auf einen Zeitraum erstreckt, der sich nicht unmittelbar an den im ersten Bescheid geregelten Zeitraum anschließt (Weiterführung von BSG 1972-05-25 5 RKn 61/68 = SozR Nr 23 zu § 96 SGG und BSG 1978-04-19 4 RJ 91/77 = SozR 1500 § 96 Nr 7).
2. Der Vorstandsvorsitzende - Verbandsvorsteher - eines Wasser- und Bodenverbandes iS der WasVerbV 1 vom 1937-09-03 (RGBl I 1937, 933) ist versicherungspflichtig in der KV und RV.
Orientierungssatz
Die Organstellung eines Vorstehers des Vorstandes einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft schließt für sich allein nicht die Versicherungspflicht aus. Der Vorsteher ist versicherungspflichtig, wenn er fremdbestimmte Arbeit leistet und funktionell in die Organisation der Körperschaft eingegliedert ist.
Normenkette
WasVerbV 1 Fassung 1937-09-03; SGG § 96 Fassung 1953-09-03; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung 1945-03-17
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revisionen der Beigeladenen zu 1) und 3) wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Februar 1976 aufgehoben, soweit das Landessozialgericht den Bescheid der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 aufgehoben hat. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Unter den Beteiligten ist streitig, ob der Beigeladene zu 2) während der Zeit seiner früheren Tätigkeit als Vorsteher des Vorstandes (Verbandsvorsteher) der Klägerin abhängig beschäftigt gewesen ist und deshalb in der Kranken- und Rentenversicherung der Angestellten versicherungspflichtig war.
Die Klägerin ist als Wasser- und Bodenverband im Sinne der Ersten Verordnung über Wasser- und Bodenverbände vom 3. September 1937 (RGBl I 933 -WVVO-) eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. Nach ihrer Satzung hat sie die Aufgaben der Be- und Entwässerung sowie der Verbesserung des Kulturzustandes des Bodens land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke in ihrem Verbandsgebiet wahrzunehmen. Ihre Organe sind der Vorstand und der Ausschuß. Der Vorstand besteht aus dem Vorsteher und zwei weiteren Mitgliedern, die ehrenamtlich tätig sind. Der Verbandsvorsteher erhält eine “Aufwandsentschädigung”. Verbandsvorsteher der Klägerin war seit 1939 der Beigeladene zu 2). Dieser ist von Beruf Landwirt; seinen Hof, der 80 ha landwirtschaftliche und 10 ha forstwirtschaftliche Nutzfläche umfaßt, hatte er 1965 zunächst an seinen ältesten Sohn gegen einen jährlichen Pachtzins von etwa 6.000,-- DM und freie Kost und Wohnung verpachtet; später hat er den Hof seinem Sohn übergeben.
Die Landkrankenkasse Oldenburg – die zunächst Beklagte war – forderte mit Bescheid vom 7. Dezember 1967 – geändert durch den Bescheid der jetzt als Rechtsnachfolgerin beklagten landwirtschaftlichen Krankenkasse Oldenburg-Bremen vom 23. Mai 1973 von der Klägerin ua Beiträge für die dem Beigeladenen zu 2) von der Klägerin gezahlte monatliche Aufwandsentschädigung, die die Beklagte – um den vom Finanzamt Vechta bei der Einkommenssteuerfestsetzung mit 25 vH pauschalierten Betriebsaufwand vermindert – auf 375,-- DM monatlich berechnet hat. Die Beklagte hat Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten und zur Arbeitslosenversicherung für die Jahre 1965 und 1966 im Gesamtbetrag von 2.075,60 DM festgesetzt. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1970; Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 30. Mai 1973). Gegen das Urteil des SG hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beigeladene zu 3) beigeladen, weil sie den Beigeladenen zu 2) für die Zeit vom 1. Oktober 1972 bis 31. Dezember 1973 gamäß § 97 Abs 2 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte -KVLG- vom 10. August 1972 (BGBl I 1433) als ihr Pflichtmitglied in Anspruch genommen und mit Bescheid vom 22. September 1975 unter Hinweis auf die von der Landkrankenkasse Oldenburg festgestellte Versicherungspflicht von der Klägerin für den Beigeladenen zu 2) Beiträge zur Kranken- und Angestelltenversicherung in Höhe von 1.214,24 DM gefordert hat. Diesem Betrag liegen – ebenfalls um die vom Finanzamt Vechta als Betriebskosten anerkannten Pauschbeträge gekürzte monatliche Zahlungen in Höhe von 287,50 DM für 1972 und von 300,-- DM für 1973 zugrunde. Das LSG hat den Bescheid der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 in sein Verfahren einbezogen. Es hat mit Urteil vom 18. Februar 1976 das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin und der Beigeladenen zu 3) aufgehoben. Es hat dazu ausgeführt: Die Bescheide der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin seien deshalb fehlerhaft, weil bei dem Beigeladenen zu 2) in seiner Eigenschaft als Verbandsvorsteher der Klägerin bis zur Einführung der Krankenversicherung der Landwirte am 1. Oktober 1972 die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft bei einer Landkrankenkasse nicht vorgelegen hätten (§§ 235, 417 der Reichsversicherungsordnung -RVO- in der bis zum 30. September 1972 geltenden Fassung). Die Landkrankenkasse Oldenburg habe daher den Beigeladenen zu 2) auch nicht als ihr Mitglied in Anspruch nehmen dürfen; sie sei auch nicht als zuständige Einzugsstelle im Sinne des § 121 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) tätig geworden. Über den Bescheid der Beigeladenen zu 3) habe entschieden werden können, weil die Beigeladene zu 3) darin hinsichtlich der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 2) an die Feststellungen der Landkrankenkasse Oldenburg angeknüpft habe und unter Anwendung des § 97 Abs 2 Satz 1 KVLG davon ausgegangen sei, daß der Beigeladene zu 2) ab 1. Oktober 1972 ihr Mitglied geworden sei. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Einzelfalles sei deshalb eine Funktions- oder Gesamtrechtsnachfolge anzunehmen. Der Bescheid vom 22. September 1975 sei rechtswidrig, weil der Beigeladene zu 2) als Vorstandsmitglied der Klägerin nicht in einem die Versicherungspflicht begründenden abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe.
Die Beigeladenen zu 1) und 3) haben Revision eingelegt. Beide Beteiligte wenden sich nur gegen die Aufhebung des Bescheides der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975. Die Beigeladene zu 3) rügt in erster Linie die Verletzung der §§ 8 und 78 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Klage gegen den Bescheid vom 22. September 1975 sei unzulässig, weil ein Vorverfahren nicht stattgefunden habe. Das LSG habe den Bescheid auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Funktionsnachfolge als Klage behandeln dürfen. Dieser Rechtsauffassung hat sich auch die Beklagte angeschlossen. Darüber hinaus rügen die Beigeladenen zu 1) und 3) – in Übereinstimmung mit der Beklagten – die Verletzung der §§ 2 Abs 1 Nr 1 und 3 Abs 1 Nr 1 AVG. Die Beklagte hat mit dem am 16. Juli 1976 eingegangenen Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 15. Juli 1967 zusätzlich noch vorgetragen, das LSG habe auch die Bescheide der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin zu Unrecht aufgehoben.
Die Beigeladenen zu 1) und 3) beantragen (sinngemäß),
das Urteil des LSG aufzuheben, soweit es den Bescheid der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 aufgehoben hat, und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte schließt sich diesem Antrag an und beantragt zusätzlich,
die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 2) in der Kranken- und Angestelltenversicherung auch für die Zeit vom 1. Januar 1965 bis zum 30. September 1972 festzustellen.
Die Klägerin beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revisionen der Beigeladenen zu 1) und 3) sind statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Sie sind auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 164 SGG). Die Beklagte ist hingegen nicht Revisionsklägerin. Sie hat zwar mit dem Schriftsatz vom 15. Juli 1976 Einwendungen gegen die Richtigkeit des Urteils des LSG erhoben, soweit dieses die Bescheide der Beklagten aufgehoben hat. Dieser Schriftsatz ist aber sowohl nach seiner äußeren Form als auch nach den übrigen Umständen nicht als Revisionsschrift anzusehen. Er ist – obwohl es sich beim Absender um eine rechtskundige Stelle handelt – nicht als “Revision” bezeichnet und lange nach Ablauf der Revisionsfrist eingegangen. Daher ist trotz des weitergehenden Antrags nicht anzunehmen, daß die Beklagte mit dem Schriftsatz vom 15. Juli 1976 noch Revision einlegen wollte. Anderenfalls könnte – wie der Senat vorsorglich feststellt – im Hinblick auf die Nichteinhaltung der Frist des § 164 SGG auch nur die Verwerfung der Revision als unzulässig (§ 169 Satz 2 SGG) in Betracht kommen. Zugleich ergibt sich hieraus, daß der Senat über den von der Beklagten zusätzlich gestellten Sachantrag nicht zu entscheiden hat.
Die Beigeladenen zu 1) und 3) haben ihre Revisionen auf die Überprüfung des Urteils des LSG beschränkt, soweit dieses den Bescheid der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 betrifft. Das angefochtene Urteil ist daher rechtskräftig, soweit das Berufungsgericht die Bescheide der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin aufgehoben hat.
Die statthaften Revisionen der Beigeladenen zu 1) und 3) sind auch begründet. Das Urteil des LSG muß hinsichtlich der Entscheidung über den Bescheid der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 aufgehoben und der Rechtsstreit insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Das LSG konnte über den – erst während des Berufungsverfahrens ergangenen – Bescheid der Beklagten zu 3) vom 22. September 1975 entscheiden, da dieser Bescheid Gegenstand des Verfahrens im zweiten Rechtszug geworden ist. Nach § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt, der nach Klageerhebung ergeht und der den im Streit befindlichen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt, Gegenstand des rechtshängigen Verfahrens. Im Berufungsverfahren entscheidet das LSG über den nachgehenden Bescheid als erste Instanz (BSGE 18, 231, 234; 34, 255, 257). Die Vorschrift des § 96 SGG ist hier zwar nicht unmittelbar anzuwenden, weil der Bescheid der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 die in dem Bescheid der Landkrankenkasse Oldenburg vom 7. Dezember 1967 in der Fassung des Änderungsbescheides der Beklagten vom 23. Mai 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 2. Juli 1970 getroffene Entscheidung weder ausdrücklich noch inhaltlich ganz oder teilweise ersetzt oder abgeändert hat. Der Bescheid der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 regelt vielmehr sowohl hinsichtlich der Versicherungspflicht als auch der Beiträge einen anderen Zeitraum. Das Bundessozialgericht (BSG) zieht aber seit langem in ständiger Rechtsprechung (BSG SozR Nr 14 zu § 96 SGG; BSGE 34, 255, 256 f) die Grenzen des § 96 SGG im Hinblick auf die prozessuale Zielsetzung dieser Vorschrift, nämlich die Durchsetzung des Grundsatzes der Prozeßökonomie, insbesondere bei Dauerrechtsverhältnissen sehr weit. Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum überwiegend Zustimmung gefunden (vgl statt vieler: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 8. Aufl. bis einschließlich 50. Nachtrag, S. 242o ff; Meyer-Ladewig, SGG § 96 Anm 5; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, SGG § 96 Anm 1b – S. II/46 – 1 – ). Für Dauerrechtsverhältnisse ist daher allgemein anerkannt, daß ein nachgehender Verwaltungsakt auch dann – analog zu § 96 SGG – in ein laufendes Verfahren einzubeziehen ist, wenn er sich nicht auf den im ersten Bescheid geregelten Streitgegenstand im engeren Sinne bezieht, aber das Dauerrechtsverhältnis für einen weiteren Zeitraum regelt. Zunächst war es dabei für erforderlich angesehen worden, daß der nachgehende Verwaltungsakt sich an den von dem ersten Bescheid erfaßten Zeitraum anschließt (BSG SozR Nr 14 zu § 96 SGG zu einem Honorarabrechnungsbescheid für einen anschließenden Abrechnungszeitraum; BSGE 34, 255, 256 f zu einem Rentenablehnungsbescheid für einen anschließenden Zeitraum). Später ist die Gleichartigkeit des Verfahrensgegenstandes nicht mehr als erforderlich angesehen worden (BSG SGb 1974, 293 zur Ablehnung der Rente wegen Berufsunfähigkeit nach Ablehnung des Altersruhegeldes). Schließlich haben der 6. Senat des BSG – ebenfalls für die kassenärztliche Honorarabrechnung (SozR Nr 19 zu § 96 SGG) – und der 4. Senat des BSG (Urteil vom 19. April 1978 – 4 RJ 91/77 –, insoweit in SozR 2200 § 1259 Nr 28 nicht mit veröffentlicht) – für einen Fall der Wiedergewährung des Altersruhegeldes während eines Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit eines früheren Bescheides, der ein inzwischen weggefallenes Altersruhegeld betraf – auch die zeitliche Verknüpfung der im ersten und im nachgehenden Bescheid geregelten Verfahrensgegenstände nicht mehr für geboten erachtet. Vorausgesetzt wurde nur, daß beide Bescheide “aufgrund desselben Rechtsverhältnisses ergangen sind und unter Aufrechterhaltung des vom Kläger beanstandeten Rechtsstandpunktes den … ursprünglich angefochtenen Bescheid … ergänzen” (BSG SozR Nr 19 zu § 96 SGG) bzw der nachgehende Bescheid aus den gleichen Gründen wie der frühere Bescheid angefochten wird (BSG, Urteil vom 29. April 1978 – 4 RJ 91/77 –). Beide Senate haben der Vermeidung unnötiger Belastung der Beteiligten und des Gerichts, also dem Grundsatz der Prozeßwirtschaftlichkeit, auch insoweit den Vorrang eingeräumt. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des 4. und 6. Senats an. Da die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht durch die Beigeladene zu 3) dasselbe Dauerrechtsverhältnis betrifft, das auf der Tätigkeit des Beigeladenen zu 2) für die Klägerin beruht und der Bescheid der Beigeladenen zu 3) aus denselben rechtlichen Gründen angefochten wird wie die von der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin erlassenen Bescheide, steht der Einbeziehung des Bescheids der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 nicht entgegen, daß die Beitragsfeststellung in diesem Bescheid sich zeitlich nicht an den in den Bescheiden der Beklagten erfaßten Zeitraum anschließt.
Die Einbeziehung des Bescheids der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 in das Verfahren im zweiten Rechtszug scheitert auch nicht daran, daß dieser Bescheid nicht von dem Versicherungsträger erlassen worden ist, der den ersten Verwaltungsakt erlassen hat. Zwar kann ein Verwaltungsakt, den ein anderer als der beklagte Versicherungsträger erläßt, nach § 96 SGG grundsätzlich nur im Falle der Funktionsnachfolge in ein laufendes Verfahren einbezogen werden (BSG SozR Nr 5 zu § 80 SGG; Brackmann aaO S. 242u). Etwas anderes gilt aber, wenn ein beigeladener Versicherungsträger während des Berufungsverfahrens einen Verwaltungsakt erläßt, der den streitigen Anspruch betrifft. Das folgt, wie bereits der 5. Senat des BSG (SozR Nr 23 zu § 96 SGG) dargelegt hat, aus der besonderen verfahrensrechtlichen Stellung des beigeladenen Versicherungsträgers. Dieser kann verurteilt werden (§ 75 Abs 5 SGG) und wird somit kraft Gesetzes – hilfsweise – wie ein Beklagter behandelt. Der Bescheid der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 muß deshalb nach dem Grundgedanken des § 96 SGG als mitangefochten gelten, auch wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift unmittelbar nicht vorliegen. Der Entscheidung durch das LSG stand unter diesen Umständen auch nicht entgegen, daß der Bescheid der Beigeladenen zu 3) vom 22. September 1975 nicht in einem Vorverfahren nachgeprüft worden ist. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl SozR Nr 16 zu § 96 SGG) entfällt in den Fällen der Einbeziehung eines nachgehenden Bescheides gemäß § 96 SGG das Vorverfahren.
Zu Unrecht ist das LSG aber zu dem Ergebnis gekommen, die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 2) zur Krankenversicherung (§ 165 Abs 1 Nr 2 RVO) und zur Angestelltenversicherung (§ 2 Abs 1 Nr 1 AVG) bestehe schon deshalb nicht, weil der Beigeladene zu 2) bei der Klägerin nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.
Die Entscheidung, ob der Beigeladene zu 2) für die Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden ist, richtet sich nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, insbesondere des erkennenden Senats, setzt ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis voraus, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist (BSG 20, 6, 8; 35, 20, 21; 38, 53 57; SozR Nrn 62, 68, 71 und 72 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 1227 Nr 4; vgl insbesondere auch die Urteile des erkennenden Senats vom 16. Dezember 1976 – 12/3 RK 4/75 – USK 76196; vom 1. Dezember 1977 – 12/3/12 RK 39/74 – SozR 2200 § 1227 Nr 8 und das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil vom 13. Juli 1978 – 12 RK 14/78 –). Bei einer Tätigkeit in einem fremden Betrieb ist erforderlich, daß der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem die Zeit, die Dauer und den Ort der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (BSGE 13, 196, 197, 201 f; 35, 20, 21; SozR Nr 68 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 1227 Nr 4). Das Weisungsrecht kann jedoch – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur “funktionsgerechten dienenden Teilhabe am Arbeitsprozeß” verfeinert sein (BSGE 16, 289, 294; SozR Nr 68 zu § 195 RVO; SozR 2200 § 1227 Nr 4 StRspr). Andererseits sind ua die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die Befugnis, die Tätigkeit und die Arbeitszeit im wesentlichen frei zu gestalten, Anzeichen für eine selbständige Tätigkeit (BSGE 13, 196, 201; 16, 289, 293; 35, 20, 21; 38, 53, 57; SozR Nr 68 zu § 165 RVO; SozR Nr 7 zu § 2 AVG = SGb 1973, 274 mit Anm von Bley; SozR 2200 § 1227 Nr 4; BSG USK 76196 und Urteil vom 13. Juli 1978 – 12 RK 14/78 – ). Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Daher sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen; maßgebend hat stets das Gesamtbild der jeweiligen Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu sein (BSG SozR Nrn 8 und 51 zu § 165 RVO; SozR Nrn 4 und 7 zu § 2 AVG).
Der Beigeladene zu 2) ist nach dem Gesamtbild seiner Arbeitsleistung für die Klägerin und unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung (vgl BSG SozR 2200 § 1227 Nr 8 mwN) abhängig beschäftigt gewesen. Er ist zwar nach den Feststellungen des LSG bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben nicht an Weisungen gebunden gewesen. Dies lag aber allein in der Natur der Sache begründet; die praktisch vorhanden gewesene Weisungsfreiheit entsprach hier voll der weitestgehend durch Gesetz oder Satzung geregelten funktionsgerechten dienenden Teilhabe am Aufgabenfeld der Klägerin (BSGE 16, 289, 294; SozR Nr 68 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 1227 Nr 4 stRspr). Im Falle des Beigeladenen zu 2) ist daher das für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechende charakteristische Merkmal der persönlichen Abhängigkeit gegenüber der Klägerin allein durch die Eingliederung in deren Organisation gekennzeichnet (vgl BSG SozR Nr 7 zu § 2 AVG; SozR Nr 22 zu § 3 AVG). Ihrem Wesen nach blieb die Tätigkeit des Beigeladenen zu 2) fremdbestimmt; er stellte dem Verband seine Arbeitskraft für eine bestimmte Zeitdauer (fünf Jahre) zur Verfügung und unterschied sich insoweit grundsätzlich nicht von einem sonstigen Arbeitnehmer. Seine Tätigkeit kam auch nicht unmittelbar ihm, sondern der Klägerin zugute. Der Beigeladene zu 2) erhielt die in § 109 WVVO als Vergütung und in der Satzung als Entschädigung festgelegten Bezüge ohne ein eigenes wirtschaftliches Risiko. Unabhängig von sonstigen Kriterien spricht vor allem die Zahlung laufender Bezüge für das Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses (BSG SozR Nr 22 zu § 3 AVG mwN).
Im Falle des Beigeladenen zu 2) scheidet die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses auch nicht deshalb aus, weil er als Vorsteher des Vorstandes der Klägerin auch ein Organ einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gewesen ist. Das BSG hat wiederholt entschieden, daß die Organstellung innerhalb einer juristischen Person des Privatrechts für sich allein die Versicherungspflicht nicht ausschließt (BSGE 13, 196, 200; 16, 73, 74; 17, 15, 20; SozR Nr 68 zu § 165 RVO; SozR Nr 22 zu § 3 AVG). Nach der durch das Dritte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 28. Juli 1969 (BGBl I 956) eingefügten Vorschrift des § 3 Abs 1a AVG gehören lediglich die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft nicht zu den versicherten Angestellten. Daraus – vor allem unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte dieser Norm (vgl BT-Drucks V/2880 und BT-Drucks V/4474, Teil A III 1b) – ist der Umkehrschluß gerechtfertigt, daß andere Organträger als Vorstandsmitglieder nicht ohne weiteres außerhalb der Versicherungspflicht stehen (vgl auch BSGE 36, 164, 166 f; 36, 258, 260). Für die Mitglieder von Organen juristischer Personen des öffentlichen Rechts kann nichts anderes als für Organe einer juristischen Person des Privatrechts gelten. Daher hat bereits der 3. Senat des BSG in seinem Urteil vom 21. Januar 1969 – 3 RK 81/67 – (Breithaupt 1969, 823 = DAngVers 1969, 81) zur Versicherungspflicht von ehrenamtlichen Bürgermeistern im Saarland entschieden, daß die Organstellung von einem etwa vorliegenden Beschäftigungsverhältnis zu trennen ist. Nicht entscheidungserheblich ist weiter die rechtliche Qualifikation des persönlichen Grundverhältnisses als Berufs- oder Ehrenamtsverhältnis (vgl Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, 4. Aufl, § 73 IIIa und b – S. 34 f), in dem der Amtswalter zur juristischen Person des öffentlichen Rechts steht; maßgeblich sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten des Beschäftigungsverhältnisses. Daher ist für die bereits erwähnten vergleichbaren Fälle der ehrenamtlichen Bürgermeister in Rechtsprechung (BSG aaO) und Schrifttum (vgl die umfangreichen Nachweise bei Brackmann aaO S. 308h I f) darauf abgestellt worden, ob der Bürgermeister nur eine Repräsentationsfunktion oder eine dem allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Verwaltungsfunktion ausübt. Diese Kriterien müssen auch für den Beigeladenen zu 2) als Verbandsvorsteher der Klägerin gelten.
Entgegen der Auffassung des LSG ist der Beigeladene zu 2) funktionell in der Organisation der Klägerin eingegliedert gewesen. Aufgrund der Vorschriften der WVVO sowie der Satzung der Klägerin oblagen dem Beigeladenen zu 2) alle den Verband betreffenden Geschäfte, zu deren Verrichtung nicht der Vorstand oder andere Stellen berufen waren. Schon aus dieser Regelung ergibt sich, daß der Beigeladene zu 2) nicht bloßes “Willensorgan”, sondern “Verwaltungsorgan” der Klägerin war (vgl auch BFH DOK 1966, 202). Die letztgenannte Funktion folgt ferner daraus, daß der Verbandsvorsteher gemäß § 50 Satz 1 WVVO das Recht und die Pflicht hat, den Verband nach außen zu vertreten. Weiter ergibt sich aus den in zahlreichen Vorschriften der WVVO und der Satzung der Klägerin geregelten Aufgaben des Verbandsvorstehers, daß der Beigeladene zu 2) nicht nur Repräsentationsfunktionen hatte, sondern vielmehr die Spitze der Selbstverwaltung des Verbandes, ihr Vollzugsorgan, war.
Der Umstand, daß der Beigeladene zu 2) als Mitglied des Vorstandes der Klägerin zugleich auch Einfluß auf dessen Willensbildung nehmen konnte, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Diese – mit der Organstellung zusammenhängende – Funktion ist vom BSG bereits bei der Beurteilung der Versicherungspflicht ehrenamtlicher Bürgermeister als unbeachtlich angesehen worden (BSG Breithaupt 1969, 823 = DAngVers 1969, 81). Hierzu hat die Beigeladene zu 1) auch zutreffend darauf hingewiesen, daß der Einfluß des Vorstehers auf die Willensbildung des Vorstandes der Klägerin nicht von “ausschlaggebender” Bedeutung ist, weil er im dreiköpfigen Vorstand mit einfacher Stimmenmehrheit jederzeit überstimmt werden kann. Nur ein Einfluß, der jeden mißliebigen Beschluß verhindern kann, ist als Indiz für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit angesehen worden (BSGE 17, 15). Schon deshalb kann offenbleiben, ob dieser vom BSG für das Gesellschaftsrecht entwickelte Grundsatz ohne weiteres auf Organe öffentlich-rechtlicher Körperschaften übertragbar ist.
Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses steht ferner nicht entgegen, daß das Finanzamt die Bezüge des Beigeladenen zu 2) aus seiner Tätigkeit für die Klägerin nicht als lohnsteuerpflichtig angesehen hat. Die Träger der Sozialversicherung sind bei der rechtlichen Beurteilung einer Tätigkeit nicht an die Entscheidungen der Finanzbehörden gebunden (BSGE 20, 6, 9; vgl ferner BSGE 24, 29, 31 mwN). Schließlich ist unerheblich, daß die Klägerin und der Beigeladene zu 2) ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nicht gewollt haben. Dieser Wille der Beteiligten ist hier schon deshalb ohne Bedeutung, weil die zuvor im einzelnen dargelegten tatsächlichen Umstände nur eine Beurteilung als abhängiges Beschäftigungsverhältnis zulassen (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 13. Juli 1978 – 12 RK 14/78 –).
Nach den Feststellungen des LSG hat die dem Beigeladenen zu 2) gewährte Aufwandsentschädigung seinen tatsächlichen Aufwand – in dem von der Beklagten in Anlehnung an die Entscheidung des Finanzamts angenommenen Umfang – um 50 vH überstiegen. Jeden falls dieser den tatsächlichen Aufwand übersteigende Teil der Aufwandsentschädigung ist als Entgelt zu qualifizieren, weil nach der gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 AVG auch für die Angestelltenversicherung geltenden Vorschrift des § 160 Abs 1 Satz 1 RVO – in der hier anzuwendenden bis zum 30. Juni 1977 in Kraft gewesenen Fassung – zum Entgelt neben dem Gehalt oder dem Lohn ua auch andere Bezüge gehören, die der Versicherte statt des Gehaltes oder Lohnes erhält. Deshalb kann ohne weitere Feststellungen davon ausgegangen werden, daß die vom Finanzamt nicht als pauschalierter Ersatz tatsächlich entstandener Aufwendungen anerkannte Hälfte der dem Beigeladenen zu 2) gezahlten Entschädigung steuerpflichtiges Einkommen und damit auch Entgelt im Sinne der Vorschriften über die Versicherungspflicht in der Kranken- und Angestelltenversicherung ist (ebenso BSG Breithaupt 1969, 823 = DAngVers 1969, 81).
Der Beigeladene zu 2) ist demgemäß – entgegen der Ansicht des LSG – versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Gleichwohl kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts ist nicht auszuschließen, daß der Beigeladene zu 2) die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit nach § 168 Abs 1 Nr 2, Abs 2b RVO und nach § 4 Abs 1 Nr 6, Abs 2 AVG (beide Vorschriften in der hier anzuwendenden Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 – BGBl I 476 –) erfüllt. Der Rechtsstreit muß deshalb insoweit gemäß § 170 Abs 2 SGG an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
BSGE 47, 201-207 (LT1-2) |
BSGE, 201 |
RegNr, 7618 |
DAngVers 1979, 220-221 (ST1) |
Das Beitragsrecht Meuer, 299 A 76 a 111/7 (LT1-2) |
USK, 78194 (LT1-2) |
EzS, 130/160 |
SozR 1500 § 96, Nr 14 (LT1-2) |
SozR 2200 § 165, Nr 32 (LT1-2) |
SozSich 1979, RsprNr 3391 (LT1) |