Beteiligte
… Kläger und Revisionsbeklagter |
Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Württemberg, Böblingen, Friedrich-Gerstlacher-Straße 15, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I.
Die Beteiligten streiten, ob die beklagte landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft den Kläger zu Recht - wie bisher - als ihr Mitglied erfaßt und Beiträge von ihm verlangt.
Der Kläger wohnt in H. und ist auch dort als Industriekaufmann beschäftigt. Im Jahre 1966 erwarb er einen Weinberg, der mehrere Kilometer von seiner Wohnung entfernt in der Nähe von L. liegt. Er gab den Weinbau auf, pflanzte stattdessen Obstbäume, Beeren- und Ziersträucher auf einer Wiese, baute ein Gartenhäuschen mit einem kleinen, überdachten Vorplatz, umgab es mit einigen Tannen und Birken und stellte einen Geräteschuppen auf. Auf dem Grundstück, das mindestens 1.500 qm groß ist, stehen seit 1967 43 tragende Obstbäume (1 Nuß-, 2 Süßkirsch-, 2 Sauerkirsch-, 2 Mirabellen-, 8 Zwetschgen-, 7 Birn- und 21 Apfelbäume).
Die Beklagte, die den Kläger auch schon zuvor zu Mitgliedsbeiträgen veranlagt hatte, forderte von ihm für die Geschäftsjahre 1984 und 1985 Beiträge in Höhe von je 37,78 DM bezogen auf eine Grundstücksfläche von 0,15 ha (Beitragsbescheid vom 11. Juni 1985 und Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 1986; während des Klageverfahrens erlassener Beitragsbescheid vom 24. September 1986 über 37,78 DM für das Geschäftsjahr 1985).
Dagegen haben das Sozialgericht (SG) Heilbronn diese Bescheide aufgehoben (Urteil vom 26. Juni 1987) und das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 1. Juni 1988). Das LSG hat dazu ausgeführt, als anderer Kleingarten i.S. des § 778 Reichsversicherungsordnung (RVO) gelte das zu Freizeitzwecken genutzte Grundstück des Klägers nicht als landwirtschaftliches Unternehmen. Der Kläger bewirtschafte es nicht mit fremden Arbeitskräften und die Erzeugnisse dienten hauptsächlich seinem eigenen Haushalt. Wer ein Grundstück von weniger als 2.400 qm ausschließlich privat und in erster Linie zur Freizeitgestaltung nutze, wie hier das Gartenhäuschen ausweise, verbleibe im unversicherten Lebensbereich, der ebenso wie die private Freizeit und der Privathaushalt der eigenen Verantwortung und Vorsorge vorbehalten sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte vor allem die Verletzung des in den §§ 658, 776 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 778 RVO enthaltenen materiellen Rechts. Der Kläger sei Unternehmer (§ 658 Abs. 2 Nr. 1 RVO) eines landwirtschaftlichen Unternehmens (§ 776 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RVO), denn er betreibe auf dem Grundstück landwirtschaftliche Bodenbewirtschaftung. Das sei der Inbegriff aller wirtschaftlichen Tätigkeiten, die der Grundstücksbesitzer zum Zwecke einer planmäßigen Aufzucht von Bodengewächsen für eigene Rechnung verrichte. Nach den Feststellungen des LSG habe der Kläger sein Grundstück regelmäßig bepflanzt, gepflegt und abgeerntet. Auch die vom LSG festgestellte Grundstücksgröße entspreche einem landwirtschaftlichen Unternehmen. Auf die Tätigkeitsmotive komme es für die landwirtschaftliche Unfallversicherung nicht an, vor allem setze sie nicht voraus, daß der Unternehmer Gewinn erzielen wolle. Das folge deutlich aus § 776 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RVO i.d.F. des Gesetzes vom 21. Juli 1988 (BGBl. I 1053), der auch Unternehmen des Natur- und Umweltschutzes in die landwirtschaftliche Unfallversicherung einbeziehe. Rechtsirrig habe das LSG angenommen, daß demgegenüber zur Stützung des Klageanspruchs die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 773 RVO erfüllt seien. Das Obstbaumgrundstück des Klägers sei weder ein Haus-, Zier- noch ein anderer Kleingarten. Sinn und Zweck des Gesetzes sei es, mit dem Begriff "andere Kleingärten" die sogenannten Schrebergärten und ähnliche Gärten zu erfassen, wie sie beute z.B. im Bundeskleingartengesetz (BKleingG) geregelt seien. Davon unterscheide sich jedoch das Grundstück des Klägers erheblich. Nicht zuletzt sein hoher Obstbaumbestand und die damit verbundenen regelmäßigen Pflege- und Erntearbeiten höben es aus dem Kreis der Kleingärten heraus.
Die Beklagte beantragt,die angefochten Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend und meint, die Abgrenzung zwischen der privaten Tätigkeit und derjenigen, die einer Pflichtversicherung unterliege, dürfe nicht ohne Beachtung des im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) geregelten Spannungsverhältnisses zwischen Bürger und Staat vorgenommen werden. Nach Art 1 GG sei eine Bindung nur dann gerechtfertigt, wenn sie die individuelle Freiheit aller zu fördern vermöge.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
Der Kläger betreibt auf dem streitbetroffenen Grundstück ein Unternehmen der Landwirtschaft, das weder ein Haus-, Zier- noch ein anderer Kleingarten i.S. des § 773 RVO ist. Es wird von der landwirtschaftlichen Unfallversicherung umfaßt (§ 776 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RVO), macht den Kläger als Unternehmer zum Mitglied der Beklagten (§ 792 i.V.m. § 658 RVO) und begründet seine Beitragspflicht auch für die Geschäftsjahre 1984 und 1985 (§ 802 i.V.m. § 723 RVO).
Nach § 776 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RVO in der hier anzuwendenden Fassung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) - vor Inkrafttreten der Neufassung durch das Gesetz vom 21. Juli 1988
(BGBl. I 1053) - umfaßt die landwirtschaftliche Unfallversicherung Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues sowie Unternehmen der Binnenfischerei - ... - und der Imkerei (landwirtschaftliche Unternehmen). Während die RVO den Gesetzesbegriff Landwirtschaft nicht näher definiert, hat die Rechtsprechung darunter ständig die Bodenbewirtschaftung verstanden (BSG SozR Nr. 7 zu § 776 RVO und 2200 § 776 Nr. 2 jeweils m.w.N.; BSG vom 26. Mai 1987 - 2 RU 25/86 - NZA 1987, 759, USK 87110, BdLBG RdSchr UV 6/87, HV-Info 1987, 1443; vom 24. Februar 1988 - 2 RU 29/37 - HV-Info 1988, 991). Sie umfaßt Tätigkeiten von nicht ganz kurzer Dauer, die dazu bestimmt sind, Bodengewächse überwiegend planmäßig aufzuziehen und abzuernten (s. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., Band II, S. 494a m.w.N. Demjenigen sind sie als landwirtschaftlichem Unternehmer zuzurechnen, auf dessen Rechnung sie gehen (§-8 Abs. 2 Nr. 1 RVO). Zutreffend hat das LSG erkannt, daß der Kläger diese Voraussetzungen erfüllt.
Nach den insoweit unangegriffenen und für den Senat bindenden Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (§ 163 SGG) hat der Kläger auf diesem Grundstück nicht nur in früheren Jahren 43 Obstbäume und einige Beerensträucher planmäßig gepflanzt, sondern er hat auch seitdem den überwiegenden Teil davon regelmäßig gepflegt oder pflegen lassen. Die Bäume sind etwa 20 Jahre alt, d.h. in einem guten Ertragsalter. Sie bedürfen zwar keiner intensiven Bearbeitung mehr, aber an mehr als 30 Obstbäumen schneidet der Kläger noch regelmäßig die Wassertriebe heraus (die Zwetschgenbäume sind davon ausgenommen) und sorgt für deren Beseitigung. Alle Bäume tragen Früchte und werden vom Kläger und seinen Angehörigen regelmäßig abgeerntet. Sie ernten das Obst, wie es der Privatgebrauch im eigenen Haushalt bestimmt.
Wer eine landwirtschaftliche Nutzfläche derart bewirtschaftet, betreibt ein landwirtschaftliches Unternehmen, das grundsätzlich von der landwirtschaftlichen Unfallversicherung umfaßt wird (§ 776 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RVO). Verfassungsrechtlich ist das ebensowenig bedenklich wie die Versicherungspflicht der Nebenerwerbslandwirte in der Krankenversicherung der Landwirte (s. BVerfGE 44, 70 = SozR 5420 § 94 Nr. 2) Die landwirtschaftliche Unfallversicherung erfaßt selbst Zwergbetriebe oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze (s. Brackmann a.a.O. S. 494c m.w.N.). Diese Grenze wird vor allem von dem Arbeitsaufwand der Bodenbewirtschaftung bestimmt, dagegen nicht von der Größe der landwirtschaftlichen Nutzfläche.
Nach § 778 RVO gelten Haus-, Zier- und andere Kleingärten nicht als landwirtschaftliche Unternehmen oder als Unternehmen der Gartenpflege, wenn sie weder regelmäßig noch in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet werden und ihre Erzeugnisse hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen. Das LSG hat richtig erkannt, daß die letzteren Voraussetzungen im vorliegenden Falle erfüllt sind, während das Grundstück nicht als Haus- oder Ziergarten bewirtschaftet wird (s. zur Entstehungsgeschichte: § 1 Abs. 1 Unfallversicherungsgesetz für Land- und Forstwirtschaft vom 30. Juni 1900 - RGBl. I 641 -; §, 917 Abs. 2 RVO i.d.F. vom 19. Juli 19111 - RGBl. I 509 -; § 917 RVO i.d.F. des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 - RGBl. I 10'7 -, dessen Text unverändert und ohne besondere Begründung - s. den Entwurf eines UVNG in BT-Drucks. IV/120 - in § 778 RVO i.d.F. des UVNG übernommen wurde). Indessen vermag der Senat dem Berufungsgericht nicht darin zu folgen, daß der Kläger darauf einen Kleingarten i.S. des § 778 RVO unterhält, selbst dann nicht, wenn der Kläger es neben anderen dort möglichen Freizeitbeschäftigungen als Freizeitgestaltung auffaßt, seinen Grundstücksboden zu bewirtschaften.
Das Reichsversicherungsamt (RVA) hat in ständiger Rechtsprechung 2.500 qm als die Obergrenze kleiner Haus- und Ziergärten angesehen (EuM 21, 212), deren Maß bei extrem geringer Bewirtschaftung noch geringfügig überschritten werden durfte (vgl. auch Schiedsstelle beim Verbande der Deutschen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften in EuM 34, 488; 38, 244; 50, 11; Schrader/Strich, Die deutsche Unfallversicherung, 1942, Anm. 4 zu § 917 RVO a.F. S. 918 m.w.N.), während es das Bundessozialgericht (BSG) offengelassen hat (s. BSGE 36, 71, 73; SozR 2200 § 778 Nr. 1), ob diese Grenze im Hinblick auf die Verhältnisse seit dem Jahre 1945 herabgesetzt werden muß (Noell/Breitbach, Landwirtschaftliche Unfallversicherung, 1963, Anm. zu § 773 RVO S. 213, halten 1.250 qm für angemessen). Diese Frage läßt der Senat auch weiterhin offen. Selbst wenn die Flächenbegrenzung auf 2.500 qm als Anhaltspunkt noch zuträfe, bewirtschaftete der Kläger keinen anderen Kleingarten i.S. des § 778 RVO. Ein Grundstücksbesitzer wie der Kläger, der sein Grundstück in freier Gemarkung planmäßig als Streuobstgrundstück mit 43 Obstbäumen nebst einigen Beerensträuchern anlegt, sprengt damit regelmäßig den Rahmen dessen, was das Gesetz mit der Herausnahme anderer Kleingärten aus der landwirtschaftlichen Unfallversicherung bezweckt. Der Grundstücksbesitzer schafft damit die Grundlage für einen Mindestarbeitsaufwand und für Unfallgefahren, die wesentlich größer sind als solche, die in Kleingärten vorkommen (s. Schiedsstelle EuM 50, 6). Kleingärten, wie sie sich nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt haben und vom Staat als sozial schutzwürdig anerkannt worden sind, sogenannte Sozial- oder Schrebergärten, wurden aus der Wohnungs-, Ernährungs- und Gesundheitsnot geschaffen. Mit ihnen ersetzten vor allem die Bewohner der Städte kleine Hausgärten, an denen es immer mehr mangelte. Sie wurden am Rande des Siedlungsgebiets oft in freier Gemarkung, also unter Voraussetzungen angelegt, die regelmäßig landwirtschaftliche Unfallversicherung begründeten. Der Gesetzgeber förderte und schützte Kleingärten in verschiedener Hinsicht, vor allem darin, daß er ihre Verpachtung und den Pachtzins regelte (Kleingarten- und Kleinpachtlandordnung vom 31. Juli 1919 - RGBl. S 1371 -; heute - seit 1. April 1983 -: Bundeskleingartengesetz -BKleingG- vom 28. Februar 1983 - BGBl. I 210 -). Ihren Flächenumfang grenzte er deshalb auf 400 qm bis 1.000 qm ein (s. die Preußischen Ausführungsbestimmungen zur Kleingarten- und Kleinpachtlandordnung vom 2. Oktober 1919 - Lw MBl. S 288 -, die Richtlinien des Reichswirtschaftsministers zu § 1 Abs. 1 der Kleingarten- und Kleinpachtlandordnung, auch zitiert in der Entscheidung der Schiedsstelle beim Verbande der Deutschen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften vom 8. Dezember 1931 - BG 1932, Sp. 101 ff., 106 - und die Richtlinien zur vorstädtischen Kleinsiedlung und Bereitstellung von Kleingärten für Erwerbslose vom 10. November 1931 - RABl. I 262, 265 -). Dementsprechend schreibt heute § 3 Abs. 1 BKleingG vor, ein Kleingarten solle nicht größer als 400 qm sein. In diesen engen Grenzen schafften sich die Kleingärtner, unter ihnen besonders Erwerbslose als eine wichtige Zielgruppe, private Lebensräume zum Unterhalt und zur Erholung, die der Gesetzgeber respektierte und schützte. Im Jahre 1942, während des Zweiten Weltkrieges, nahm der Gesetzgeber dann auch diese Tätigkeiten der Kleingartenbesitzer und ihrer Angehörigen, Kleingärten hauptsächlich für den eigenen Haushalt zu bewirtschaften, nach Art und Umfang der historischen Entwicklung aus der landwirtschaftlichen Unfallversicherung heraus. Die Rechtsprechung und höchstinstanzliche Verwaltungsentscheidungen waren in derselben Weise vorausgegangen (EuM 50, 6 m.w.N.). Wesentlich mehr als bei kleinen Haus- oder Ziergärten wird dabei das soziale Spannungsverhältnis zwischen dem privaten Freiraum und dem sozialen Versicherungsschutz deutlich. Dafür, daß der Gesetzgeber dem Bürger die Beitragspflicht erließ, nahm er ihm zugleich den Versicherungsschutz für einen von der Wohnung regelmäßig entfernt liegenden landwirtschaftlichen oder Gartenbaubetrieb. Nicht zuletzt mit Rücksicht darauf gebieten es gerade auch das erhöhte Maß des Wegeunfallrisikos und der Versicherungsschutz gelegentlich mithelfender Dritter nach § 539 Abs. 2 RVO, den Begriff Kleingarten in § 917 RVO a.F. = § 778 RVO n.F. eng an denjenigen in den Gesetzen und Verordnungen über Kleingärten anzulehnen. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes gibt dazu alle Veranlassung. Zwar nimmt § 778 RVO weder unmittelbar noch mittelbar auf die Flächenbegrenzung für die gesetzlich geregelten Kleingärten Bezug, aber seinem Sinn und Zweck nach beschränkt er im wesentlichen den versicherungsfreien Arbeitsaufwand und die ungeschützten Unfallrisiken auf den begrenzten Umfang, in dem sie in den gesetzlich geregelten Kleingärten vorkommen können. Jenseits dessen erfaßt die landwirtschaftliche Unfallversicherung nach wie vor auch solche landwirtschaftlichen oder Gartenbaubetriebe, die selbst auf einer Fläche von weniger als 2.500 qm eine Bodenbewirtschaftung betreiben, wie sie in gesetzlich geregelten Kleingärten (s. § 3 Abs. 1 BKleingG) nicht möglich ist. Das trifft auf den landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers vor allem wegen der hohen Zahl der bewirtschafteten Obstbäume zu. Deshalb unterhielt er keinen Kleingarten i.S. des § 778 RVO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 517958 |
BSGE, 252 |