Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzinsung einer Steuernachzahlung; kein Billigkeitserlass für Nachzahlungszinsen
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird ein Folgebescheid erst gegen Ende der vom Gesetzgeber eingeräumten Zweijahresfrist aufgrund der Anpassungsverpflichtung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert, ist die Verzinsung einer eventuellen Nachforderung keine ungewollte und atypische Rechtsfolge, sondern entspricht vielmehr dem vom Gesetzgeber mit der Verzinsungsvorschrift des § 233a AO verfolgten Ziel.
2. Dass das Finanzamt eine der Mitteilungen über die Einkünfte des Steuerpflichtigen nicht zeitnah ausgewertet, sondern übersehen und deshalb Einkommensteuer zunächst erstattet hat, führt nicht dazu, dass aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses für Nachzahlungszinsen bejaht werden müssten.
3. Die Verzinsung mit 6 v. H. verletzt nicht das Übermaßverbot.
Normenkette
AO §§ 227, 233a, 175 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a Abgabenordung (AO).
I.
Der Beschwerdeführer war Gesellschafter einer Rechtsanwaltssozietät und einer Insolvenzberatung. Beide Betriebe wurden in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) geführt. Für das Veranlagungsjahr 2001 gab der mit seiner Ehefrau zusammen veranlagte Beschwerdeführer fristgerecht seine Einkommensteuererklärung beim für ihn zuständigen Finanzamt ab. Seine Beteiligungseinkünfte aus den beiden Gesellschaften gab er – geschätzt – mit zusammen ca. 400.000 DM an. Mit Einkommensteuerbescheid vom 13. Februar 2003 wurde die Einkommensteuer für das Jahr 2001 erklärungsgemäß festgesetzt. Die Steuer wurde vom Beschwerdeführer unverzüglich gezahlt.
Die Einkünfte des Beschwerdeführers aus der Rechtsanwaltssozietät für das Jahr 2001 wurden vom dafür zuständigen Betriebsstättenfinanzamt im April 2004 in Höhe von 339.473 DM einheitlich und gesondert festgestellt und dem für die persönliche Einkommensteuer zuständigen Finanzamt mitgeteilt. Die Einkünfte aus der die Insolvenzberatung ausübenden Gesellschaft wurden vom dafür zuständigen Betriebsstättenfinanzamt im Juli 2004 mit 129.449 DM einheitlich und gesondert festgestellt und dem für die persönliche Einkommensteuer zuständigen Finanzamt mitgeteilt.
Das Finanzamt erließ am 14. September 2004 einen geänderten Einkommen-steuerbescheid und rechnete dem Beschwerdeführer lediglich die Beteiligungseinkünfte aus der Insolvenzberatungs-GbR zu. Die Mitteilung hinsichtlich der Einkünfte aus der Rechtsanwaltssozietät wurde nicht ausgewertet. Es kam daraufhin zu einer erheblichen Erstattung von Einkommensteuern. Nach den Angaben des Beschwerdeführers verblieb der Betrag auf seinem – unverzinslichen – Girokonto.
Am 8. März 2006 erließ das Finanzamt abermals einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001. In diesem wurde nunmehr auch die Mitteilung hinsichtlich der Einkünfte aus der Rechtsanwaltssozietät ausgewertet. Die Beteiligungseinkünfte wurden mit dem zutreffenden Wert von insgesamt 468.922 DM angesetzt. Die Einkommensteuer wurde auf 83.082 EUR festgesetzt. Gleichzeitig wurden Nachzahlungszinsen nach § 233a AO in Höhe von 8.602 EUR festgesetzt. Die Beträge wurden vom Girokonto des Beschwerdeführers abgebucht.
Der Beschwerdeführer legte gegen die Zinsfestsetzung Einspruch ein. Zugleich beantragte er die festgesetzten Zinsen wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen. Der Einspruch gegen die Zinsfestsetzung wurde als unbegründet zurückgewiesen. Der Antrag auf Erlass der Zinsen wurde abgelehnt. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte ebenfalls keinen Erfolg.
Der Beschwerdeführer erhob jeweils eine Klage gegen die Zinsfestsetzung und gegen die Ablehnung des Erlasses. Die Klagen wurden vom Finanzgericht verbunden und als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen. Der Beschwerdeführer legte gegen die Entscheidung eine Nichtzulassungsbeschwerde ein, die ebenfalls keinen Erfolg hatte.
Der Bundesfinanzhof führte unter anderem aus, die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen hätten keine grundsätzliche Bedeutung. Der Bundesfinanzhof habe bereits entschieden, dass die Verzinsung jedenfalls dann unzulässig sei, wenn die Rückzahlung ausschließlich auf einem Fehler des Finanzamts beruhe, die Steuerpflichtigen unverzüglich auf diesen Fehler aufmerksam machten und den Betrag zur sofortigen Rückzahlung auf einem Girokonto bereithielten. Ferner habe der Bundesfinanzhof geklärt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben einer Festsetzung von Nachforderungszinsen grundsätzlich auch dann nicht entgegenstehe, wenn die verzögerte Bearbeitung vom Finanzamt verursacht worden sei. Dies beruhe auf dem allgemein anerkannten Zweck des § 233a AO, den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen beziehungsweise den Zinsnachteil des Steuergläubigers auszugleichen. Hier habe sich die Bearbeitungszeit innerhalb des von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gezogenen Rahmens gehalten.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Ver- letzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und von Art. 3 Abs. 1 GG.
Die Auslegung des § 233a AO in Verbindung mit § 227 AO durch Finanzverwaltung und Finanzgerichte verstoße gegen den aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleiteten Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Finanzverwaltung und Finanzgerichte hätten den Gesetzeszweck des § 233a AO nicht beachtet. Die Auslegung von § 233a AO und § 227 AO durch die angefochtenen Entscheidungen führe in den Fällen, in denen die verzögerte Steuerfestsetzung allein durch die Finanzverwaltung verursacht werde, zu einer ungerechten Mehrbelastung. Es sei nicht Wille des Gesetzgebers gewesen, die durch einen Fehler der Finanzverwaltung erstatteten Steuern mit Zinsen zu belegen. Ein Verschulden der Finanzverwaltung bei der Entstehung von Festsetzungszinsen dürfe nicht gänzlich unbeachtet bleiben. Die Festsetzung der Zinsen verletze zudem das Übermaßverbot. Ohne sein Zutun werde er zu einer zusätzlichen Steuer in Höhe von 8.602 EUR herangezogen. Er habe aber keinen Zins- oder Liquiditätsvorteil gehabt. Die Steuererstattung sei auf seinem Girokonto verblieben. Die Finanzverwaltung habe über eine Einzugsermächtigung verfügt. Sie habe ihren Liquiditätsnachteil jederzeit und kurzfristig ausgleichen können. Weiter sei zu berücksichtigen, dass im Rahmen des § 233a AO eine Verzinsung von 6 % pro Jahr vorgesehen sei. In den Jahren 2001 bis 2006 sei aber eine Verzinsung von 6 % auf dem deutschen Kapitalmarkt bei einer üblichen Anlageform nicht zu erzielen gewesen.
Weiter sei Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Zusammen mit seiner Ehefrau werde er durch die Zinsfestsetzung und die Ablehnung des Erlasses ohne sachlichen Grund gegenüber Steuerbürgern mit gleichen Einkommensverhältnissen ungleich behandelt. Ein Steuerpflichtiger gleicher Einkommensverhältnisse, der seine Steuererklärung zum gleichen Zeitpunkt abgegeben habe, habe Abgaben in Höhe von 8.602 EUR weniger zu tragen. Da er tatsächlich keinen Zins- oder Liquiditätsvorteil gehabt habe, liege kein sachlicher Grund vor, ihn anders zu veranlagen als jeden Dritten. Allein das Fehlverhalten der Finanzverwaltung dafür heranzuziehen, dass er eine höhere Steuerlast zu tragen habe, sei für ihn nicht nachvollziehbar.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die auf der Grundlage des § 233a AO erfolgte Festsetzung von Nachzahlungszinsen wendet, erweist sich die Verzinsung nach dieser Vorschrift – auch im Hinblick auf den über § 238 AO anzuwendenden Zinssatz von 0,5 % je Monat – als verfassungsgemäß (1.). Soweit die Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung des Billigkeitserlasses gerichtet ist, lassen die angefochtenen Entscheidungen eine grundsätzliche Verkennung oder eine Missachtung der gerügten Grundrechte nicht erkennen (2.).
1. Die angegriffene Festsetzung der Nachzahlungszinsen verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (a) und auch nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip (b).
a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird weder durch § 233a AO selbst noch durch dessen Anwendung im konkreten Fall verletzt.
aa) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 110, 274 ≪291≫; 120, 1 ≪29≫; stRspr). Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber einen weit reichenden Entscheidungsspielraum. Dies gilt für die Auswahl des Steuergegenstands und auch für die Bestimmung des Steuersatzes (vgl. BVerfGE 93, 121 ≪135≫; 107, 27 ≪47≫).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Steuergesetze in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und damit in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falls vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen (vgl. BVerfGE 110, 274 ≪292≫; 120, 1 ≪30≫). Außerdem darf eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (vgl. BVerfGE 27, 142 ≪150≫; 112, 268 ≪280 f.≫).
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen verletzt § 233a AO selbst nicht den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Gesetzgeber hat sich mit der Entscheidung für die Vollverzinsung in § 233a AO im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungs- und Typisierungsspielraums gehalten.
(1) § 233a AO regelt die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen (Grundsatz der Vollverzinsung). Die Verzinsung betrifft den Zeitraum zwischen der Entstehung der Steuer – bei der Einkommensteuer der Ablauf des Kalenderjahres – und ihrer Fälligkeit durch Steuerfestsetzung. Der Zinslauf beginnt allerdings nicht bereits mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, sondern erst mit Ablauf einer steuerfreien Karenzfrist von – regelmäßig – 15 Monaten (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO).
(2) Für die mit dieser typisierten Festsetzung der Nachzahlungszinsen einhergehende unterschiedliche Behandlung zwischen zinszahlungspflichtigen und nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern fehlt es nicht an einem hinreichend gewichtigen Differenzierungsgrund.
(a) Mit der Verzinsung von Steuerforderungen und Steuererstattungen wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zwar jeweils spätestens zum Jahresende entstehen, aber zu unterschiedlichen Zeiten festgesetzt und fällig werden. Insoweit beruht die Vorschrift auf der zulässig typisierenden Annahme, dass derjenige, dessen Steuer ganz oder zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt wird, gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt wird, einen Liquiditäts- und damit auch einen potentiellen Zinsvorteil hat. Dieser Vorteil ist umso größer, je höher der nachzuzahlende Betrag ist und je später die Steuer festgesetzt wird. Durch die Sollverzinsung sollen der Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen und seine damit verbundene erhöhte steuerliche Leistungsfähigkeit abgeschöpft werden. Gleichzeitig soll der vorhandene Zinsnachteil des Fiskus, der den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen kann, ausgeglichen werden (vgl. Bericht der Bundesregierung über die Möglichkeit der Einführung einer Vollverzinsung im Steuerrecht – Bericht über die Vollverzinsung – BTDrucks 8/1410, S. 4; vgl. ferner BFHE 182, 293; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30. Oktober 2001 – X B 147/01 –, BFH/NV 2002, S. 505 ≪506≫).
Die Vollverzinsung soll damit auch der Gleichmäßigkeit der Besteuerung dienen. Insbesondere gleicht sie Unterschiede in der Steuererhebung aus, die zwischen Lohnsteuerzahlern und veranlagten (selbständigen) Einkommensteuerpflichtigen bestehen. Der Lohnsteuerpflichtige wird durch den Lohnsteuerabzug zeitnah, das heißt bereits im Zeitpunkt der Abführung der Lohnsteuer steuerlich belastet. Regelmäßig entstehende Überzahlungen werden erst im Veranlagungsverfahren ausgeglichen. Veranlagte Steuerpflichtige haben es hingegen in der Hand, Steuernachzahlungen hinauszuschieben, indem sie ihre Steuererklärung unter Ausnutzung von Fristverlängerungen spät abgeben und so eine entsprechend späte Festsetzung der Steuernachzahlung erreichen (vgl. Bericht über die Vollverzinsung BTDrucks 8/1410, S. 4).
Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der für die Zinsbelastung einzelner Steuerpflichtiger mit Nachzahlungszinsen sprechenden Sachgründe ist zudem zu berücksichtigen, dass die Vollverzinsung nach § 233a AO gleichermaßen zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen wirkt. Kommt es aufgrund einer Überzahlung des Steuerpflichtigen zu einer Erstattung, hat der Staat dem Steuerpflichtigen den entstandenen Zins- und Liquiditätsnachteil in der pauschalierten Höhe zu ersetzen. Dies ist gerade dann von Bedeutung, wenn sich der Steuerpflichtige zur Erhaltung seiner Liquidität die erforderlichen Mittel gegebenenfalls anderweitig, zum Beispiel auf dem Kapitalmarkt, leihen musste.
(b) Der Gesetzgeber bewegt sich in Umsetzung dieser Ziele mit § 233a AO im Rahmen seines weiten Spielraums bei der Ausgestaltung eines rechtsstaatlichen und zugleich praktikablen Besteuerungsverfahrens. Es liegt in der Konsequenz der beschriebenen Regelung, dass sie grundsätzlich unabhängig davon greift, aus welchem Grund es zu einem Unterschiedsbetrag gekommen ist und ob und inwiefern tatsächlich die Liquiditätsvorteile genutzt wurden. Auch ungewollte oder unwissentliche Zins- oder Liquiditätsvorteile sollen ausgeglichen werden. Die reine Möglichkeit der Kapitalnutzung (vgl. BFHE 185, 94 ≪96≫) beziehungsweise die bloße Verfügbarkeit über einen bestimmten Kapitalbetrag reichen aus (vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. April 2000 – XI R 21/97 –, BFH/NV 2000, S. 1178 ≪1179≫). Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige Nachforderungen – zum Beispiel aufgrund einer Außenprüfung oder der Auswertung von Grundlagenbescheiden – nicht voraussehen konnte. Denn tatsächlich hatte er im Vergleich zu Steuerpflichtigen, die ihre zum gleichen Zeitpunkt entstandene Steuer zeitnah entrichtet haben, entsprechende Liquiditätsvorteile (so auch Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 233a AO Rn. 2 ≪Oktober 2007≫).
cc) Vor diesem Hintergrund ist die durch die angefochtenen Entscheidungen vorgenommene Anwendung des § 233a AO auf den vorliegenden Fall eines vom Finanzamt verursachten Unterschiedsbetrags folgerichtig und entspricht dem Sinn und Zweck der Norm. Den angefochtenen Entscheidungen liegt eine verschul-densunabhängige Anwendung der Verzinsungsregelung zugrunde, welche die dem Beschwerdeführer entstandenen „potentiellen” Zinsvorteile abschöpft und die durch die überhöhte Erstattung beim Fiskus verursachten Nachteile ausgleicht. Dass der Beschwerdeführer aufgrund der Verwahrung des empfangenen Geldes auf dem Girokonto tatsächlich keinen Zinsvorteil erlangt hat, ist demzufolge für die Nachverzinsung gemäß § 233a AO grundsätzlich unerheblich.
b) Die Verzinsung eines durch das Finanzamt veranlassten Unterschiedsbetrags führt auch nicht wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot zu einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3 GG. Denn bei der Verzinsung handelt es sich nicht um eine steuerliche Sanktion. Vielmehr soll nur der potentielle Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen abgeschöpft werden.
aa) Der aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende Anspruch des Steuerpflichtigen, nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zur Leistung von Steuern und steuerlichen Nebenleistungen (wie Zinsen) herangezogen zu werden, ermöglicht es ihm auch, hierbei die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips einzufordern. Der Steuerpflichtige darf nicht zu einer unverhältnismäßigen Abgabe herangezogen werden (vgl. BVerfGE 48, 102 ≪115 f.≫).
bb) Soweit sich der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Anlage des Geldes auf seinem Girokonto gegen die Verzinsung mit 6 % pro Jahr wendet, liegt darin keine Verletzung des Übermaßverbots.
Indem der Gesetzgeber im Interesse der Praktikabilität und der Ver-waltungsvereinfachung den auszugleichenden Zinsvorteil und -nachteil typisierend auf 0,5 % pro Monat festgesetzt hat, ist dies jedenfalls rechtsstaatlich unbedenklich und stellt insbesondere keinen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot dar. Nach der Absicht des Gesetzgebers soll der konkrete Zinsvorteil- oder -nachteil für den Einzelfall nicht ermittelt werden müssen. Eine Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz nach § 247 BGB würde wegen dessen Schwankungen auch zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen, da im einzelnen für die Vergangenheit festgestellt werden müsste, welche Zinssätze für den jeweiligen Zinszeitraum zugrunde zu legen wären (vgl. BTDrucks 8/1410, S. 13). In vielen Fällen ist eine solche Ermittlung gar nicht möglich, weil es von subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen abhängt, in welcher Weise er Steuernachzahlungen finanziert oder das noch nicht zu Steuerzahlungen benötigte Kapital verwendet. Zudem ist auch bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen, dass der hohe Zinssatz des § 233a in Verbindung mit § 238 AO gleichermaßen zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen wirkt.
2. Ebenfalls keinen Erfolg hat die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Versagung eines Billigkeitserlasses nach § 227 AO wendet.
a) Gemäß § 227 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuern nach Lage des einzelnen Falls unbillig ist. Die Unbilligkeit kann aus sachlichen und/oder persönlichen Gründen resultieren. Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (vgl. BFHE 151, 221 ≪224≫). Persönliche Unbilligkeit liegt vor allem dann vor, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde.
Im Rahmen der Billigkeitsprüfung ist dabei zu berücksichtigen, ob die Steuerfestsetzung, von der abgesehen werden soll, gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstößt. Denn die Frage, ob im Einzelfall von der Möglichkeit, den Gesetzesvollzug im Wege des Billigkeitserlasses zu suspendieren, in einem der Wirkkraft der Grundrechte ausreichend Rechnung tragenden Maße Gebrauch gemacht worden ist, ist der verfassungsgerichtlichen Prüfung nicht entzogen (vgl. BVerfGE 48, 102 ≪114≫). Ein Billigkeitserlass kann daher geboten sein, wenn ein Gesetz, das in seinen generalisierenden Wirkungen verfassungsgemäß ist, bei der Steuerfestsetzung im Einzelfall zu Grundrechtsverstößen führt. Allgemeine Folgen eines verfassungsgemäßen Gesetzes, die den gesetzgeberischen Planvorstellungen entsprechen und die der Gesetzgeber ersichtlich in Kauf genommen hat, vermögen einen Billigkeitserlass allerdings nicht zu rechtfertigen. Denn Billigkeitsmaßnahmen dürfen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen (vgl. BVerfGE 48, 102 ≪116≫).
b) Die Versagung des begehrten Billigkeitserlasses ist jedoch gemessen an den die Vollverzinsung nach § 233a AO bestimmenden Grundsätzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die angegriffene Zinsbelastung ist typische Folge der gesetzlichen Regelung und entspricht den gesetzgeberischen Vorstellungen. Sie kann daher keine sachliche Unbilligkeit begründen.
aa) Soweit der Beschwerdeführer sich auf Art. 3 Abs. 1 GG beruft und einwendet, anders als die übrigen Steuerpflichtigen werde er aufgrund eines Fehlverhaltens des Finanzamts ohne sachlichen Grund mit einer zusätzlichen Zahlungspflicht belastet, lässt dies nicht auf eine gleichheitswidrige Verkennung der Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses durch das Finanzamt oder das Finanzgericht schließen. Denn der angegriffene Zinsbescheid soll verschuldensunabhängig die dem Beschwerdeführer zur Verfügung stehenden Liquiditätsvorteile abschöpfen, die dessen steuerliche Leistungsfähigkeit erhöht haben und die von anderen Steuerpflichtigen gerade nicht erzielt worden sind (s.o. III.1.a.bb).
bb) Im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die angefochtenen Entscheidungen mit der Versagung des Billigkeitserlasses grundsätzliche Wertungen des Rechtsstaatsprinzips verkannt haben. Abgesehen davon, dass die Verzinsung nach § 233a AO als solche nicht das Übermaßverbot verletzt (s.o. III.1.b.bb), führt auch der Umstand, dass das Finanzamt eine der Mitteilungen über die Einkünfte des Beschwerdeführers nicht zeitnah ausgewertet hat, nicht dazu, dass aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses bejaht werden müssten. Hiergegen spricht schon, dass die Abgabenordnung selbst dem Wohnsitzfinanzamt in § 171 Abs. 10 AO ausdrücklich eine Auswertungsfrist von zwei Jahren einräumt. Innerhalb dieser Frist kann das Finanzamt nicht nur eine Mitteilung über die Beteiligungseinkünfte auswerten, vielmehr ist das Finanzamt nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO innerhalb dieser Frist sogar zwingend zu einer Auswertung verpflichtet. Dies gilt gerade in dem Fall, in dem das Finanzamt eine ihm zugesandte Mitteilung zunächst übersehen hat und dies später erkennt (vgl. Bartone, in: Bartone/von Wedelstädt, Korrektur von Steuerverwaltungsakten 2006, Rn. 1227). Wird ein Folgebescheid erst gegen Ende der vom Gesetzgeber eingeräumten Zweijahresfrist aufgrund der Anpassungsverpflichtung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert, ist die Verzinsung einer eventuellen Nachforderung mithin keine ungewollte und atypische Rechtsfolge, sondern entspricht vielmehr dem vom Gesetzgeber mit der Verzinsungsvorschrift des § 233a AO verfolgten Ziel.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Eichberger, Masing
Fundstellen
Haufe-Index 2223004 |
BFH/NV 2009, 2115 |
HFR 2010, 171 |