Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Hannover vom 28. März 2001 – 12 O 4091/00 – und das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 28. Februar 2002 – 8 U 59/01 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Urteile werden aufgehoben, soweit sie die Klage der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Feststellungsantrags zu 1 im Hilfsantrag sowie hinsichtlich des Leistungsantrags zu 2 und des Feststellungsantrags zu 3 abweisen.
Damit wird der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Oktober 2002 – IV ZR 111/02 – insoweit gegenstandslos.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an das Landgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin die im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 30.000 EUR (in Worten: dreißigtausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde hat Fragen des Datenschutzes im privaten Versicherungsrecht zum Gegenstand. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine versicherungsvertragliche Obliegenheit, zur Feststellung des Versicherungsfalls eine Schweigepflichtentbindung zu erteilen.
I.
1. Die Beschwerdeführerin schloss mit der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte), einem Lebensversicherungsunternehmen, einen Lebensversicherungsvertrag mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab. Grundlage des Vertragsverhältnisses waren die besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (im Folgenden: BUZ).
§ 4 BUZ enthält Regelungen für die Mitwirkungspflichten des Versicherungsnehmers im Versicherungsfall. Nach § 8 BUZ ist das Versicherungsunternehmen leistungsfrei, solange eine Mitwirkungspflicht nach § 4 BUZ vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht erfüllt wird. § 4 BUZ lautet in der von der Beklagten verwandten Fassung auszugsweise:
„§ 4 Welche Mitwirkungspflichten sind zu beachten, wenn Leistungen wegen Berufsunfähigkeit verlangt werden?
(1) Werden Leistungen aus dieser Zusatzversicherung verlangt, sind uns unverzüglich folgende Unterlagen einzureichen:
- der Versicherungsschein;
- eine Darstellung der Ursache für den Eintritt der Berufsunfähigkeit;
- ausführliche Berichte der Ärzte, die den Versicherten gegenwärtig behandeln bzw. behandelt oder untersucht haben, über Ursache, Beginn, Art, Verlauf und voraussichtliche Dauer des Leidens sowie über den Grad der Berufsunfähigkeit oder über die Pflegestufe;
- Unterlagen über den Beruf des Versicherten, dessen Stellung und Tätigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit sowie über die eingetretenen Veränderungen;
- bei Berufsunfähigkeit infolge Pflegebedürftigkeit zusätzlich eine Bescheinigung der Person oder der Einrichtung, die mit der Pflege betraut ist, über Art und Umfang der Pflege.
(2) Wir können außerdem – dann allerdings auf unsere Kosten – weitere ärztliche Untersuchungen durch von uns beauftragte Ärzte sowie notwendige Nachweise – auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse und ihre Veränderungen – verlangen, insbesondere zusätzliche Auskünfte und Aufklärungen. Der Versicherte hat Ärzte, Krankenhäuser und sonstige Krankenanstalten sowie Pflegeheime, bei denen er in Behandlung oder Pflege war oder sein wird, sowie Pflegepersonen, andere Personenversicherer und Behörden zu ermächtigen, uns auf Verlangen Auskunft zu erteilen…”
1999 wurde die Beschwerdeführerin wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Sie beantragte Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bei der Beklagten. Die Beklagte übersandte ihr daraufhin einen formellen Antrag. Die Beschwerdeführerin reagierte auf diesen Antrag etwa ein halbes Jahr lang nicht. Daraufhin lehnt die Beklagte den Antrag wegen nicht nachgewiesener Berufsunfähigkeit ab, setzte ihr aber eine Frist nach § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG. Daraufhin reichte die Beschwerdeführerin den formellen Antrag bei der Beklagten ein, hatte dabei jedoch die Schweigepflichtentbindungserklärung gestrichen. Stattdessen bot sie an, Einzelermächtigungen für jedes Auskunftsersuchen abzugeben. Dies lehnte die Beklagte ab. Der Antrag enthielt hinsichtlich der Schweigepflichtentbindung die Ermächtigung,
„von allen Ärzten, Krankenhäusern und Krankenanstalten, bei denen ich in Behandlung war oder sein werde sowie von meiner Krankenkasse: … und von Versicherungsgesellschaften, Sozialversicherungsträgern, Behörden, derzeitigen und früheren Arbeitgebern sachdienliche Auskünfte einzuholen. Die befragten Personen und Stellen entbinde ich hiermit ausdrücklich von ihrer Schweigepflicht (§ 4 der Besonderen Bedingungen für die BUZ-Versicherung).”
2. Die Beschwerdeführerin klagte auf Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, die Abgabe der Erklärung zu verlangen, sowie auf Versicherungsleistungen und die Feststellung der zukünftigen Leistungspflicht der Beklagten.
a) Das Landgericht wies die Klage ab. Die Schweigepflichtentbindungsklausel sei zulässig, das Überprüfungsinteresse des Versicherers allgemein anerkannt. Die Klausel sei auch nicht zu weitreichend. Die Formulierung „sachdienliche Auskünfte” grenze die Klausel ein und verwehre es der Beklagten, undifferenziert Auskünfte über die Versicherungsnehmer einzuholen. Hinsichtlich der begehrten Versicherungsleistungen sei die Klage unbegründet, da die Beschwerdeführerin die ihre Berufsunfähigkeit begründenden Tatsachen nicht nachgewiesen und der Beklagten die Überprüfung der Leistungspflicht nicht ermöglicht habe. Die von der Beschwerdeführerin angebotene Einzelermächtigung genüge nicht, um der Beklagten eine sachgerechte Prüfung des Leistungsantrags zu ermöglichen.
b) Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beschwerdeführerin zurück.
Die Beschwerdeführerin könne nicht hinsichtlich aller Versicherungsnehmer der Beklagten die Unzulässigkeit der Ermächtigungserklärung feststellen lassen. In Betracht komme lediglich eine Feststellung, dass die Beklagte diese Erklärung von der Beschwerdeführerin nicht verlangen dürfe.
Die Beklagte bedürfe zur Feststellung des behaupteten Versicherungsfalls der umfassenden Mitwirkung der Beschwerdeführerin im Rahmen des § 4 Abs. 2 BUZ. Die entsprechenden vertraglichen Regelungen begegneten keinen Bedenken. Dabei berührten Fragen der Gesundheit und der Berufsunfähigkeit wegen Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls notwendigerweise höchstpersönliche Bereiche, was jedem verständigen Versicherungsnehmer von vorneherein klar sei.
Die Grenze der von der Beschwerdeführerin verlangten Erklärung liege in der Sachdienlichkeit der Auskünfte. Deshalb sei die allgemeine Ermächtigungs- und Schweigepflichtentbindungserklärung nicht zu pauschal. Der von der Beschwerdeführerin angebotene Weg der Schweigepflichtentbindung zu jedem einzelnen Auskunftsersuchen sei nicht gangbar, da eine solche Vorgehensweise bei Massengeschäften einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand erfordern würde und zudem durch umfassende Aufklärung des Sachverhalts erst ermittelt werden solle, welcher Sachverhalt vorliege und welche Schlüsse daraus etwa im Hinblick auf die Berufsunfähigkeit zu ziehen seien.
Die Beklagte sei hinsichtlich der begehrten Versicherungsleistungen leistungsfrei, da die Beschwerdeführerin ihre Mitwirkungsobliegenheit vorsätzlich nicht erfüllt habe.
c) Der Bundesgerichtshof wies die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Nichtzulassung der Revision ohne nähere Begründung zurück.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
Der Versicherungsnehmer wisse in der Regel nicht, über welche Informationen die in der Schweigepflichtentbindung genannten Personen und Stellen verfügten. Er erteile daher der Versicherungsgesellschaft eine Generalermächtigung, die ihr Möglichkeiten zur Informationserhebung und -auswertung eröffne, die für den Betroffenen völlig undurchschaubar seien. Der Begriff der Sachdienlichkeit führe nicht zu einer Begrenzung der Informationserhebung, die diese überschaubar mache. Das Interesse der Versicherungswirtschaft an der Abwehr unberechtigter Ansprüche könne auch gewahrt werden, indem Schweigepflichtentbindungserklärungen im Einzelfall verlangt würden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist insoweit zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen der Privatrechtswirkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 84, 192 ff.) und der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Inhaltskontrolle von Verträgen (vgl. BVerfGE 81, 242 ff.; 89, 214 ff.; 103, 89 ff.; 114, 73 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht bereits beantwortet. Die Verfassungsbeschwerde ist überwiegend zulässig und im Umfang ihrer Zulässigkeit auch begründet.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist überwiegend zulässig. Unzulässig ist sie mangels einer den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Begründung allerdings insoweit, als die Klage der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Feststellungsantrags zu 1 im Hauptantrag abgewiesen wurde. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen.
Mit diesem Hauptantrag begehrte die Beschwerdeführerin die Feststellung, die Beklagte sei gegenüber ihren Versicherungsnehmern nicht berechtigt, die Schweigepflichtentbindung zu verlangen. Hierzu hat das Oberlandesgericht ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe an einer so weitgehenden Feststellung kein Interesse. Sie könne allenfalls eine auf ihre Person bezogene Feststellung verlangen. Gründe, warum diese Rechtsauffassung gegen Verfassungsrecht verstoßen soll, hat die Beschwerdeführerin nicht vorgetragen.
2. Soweit zulässig, ist die Verfassungsbeschwerde auch begründet. Die angegriffenen Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung.
a) Der Beurteilung der Verfassungsbeschwerde ist die von den erkennenden Gerichten gefundene Auslegung der Vertragsklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 BUZ zugrunde zu legen. Danach hat die Beschwerdeführerin die Obliegenheit, die geforderte Schweigepflichtentbindung zu erteilen. Das Bundesverfassungsgericht kann die Vertragsauslegung der Fachgerichte grundsätzlich nicht korrigieren (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫; stRspr). Es hat jedoch zu prüfen, ob die Annahme der erkennenden Gerichte, gegen die Zulässigkeit der so ausgelegten Klausel bestünden keine Bedenken, gegen grundrechtliche Schutzgehalte verstößt.
Die Grundrechte entfalten im Privatrechtsverkehr ihre Wirkkraft als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen durch das Medium der Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪205 f.≫; 42, 143 ≪148≫; 103, 89 ≪100≫). Den Gerichten obliegt es, diesen grundrechtlichen Schutz durch Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zu gewähren und im Einzelfall zu konkretisieren. Ihrer Beurteilung und Abwägung von Grundrechtspositionen im Verhältnis zueinander kann das Bundesverfassungsgericht nur dann entgegentreten, wenn eine angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪93≫; 42, 143 ≪149≫; 54, 148 ≪151 f.≫; stRspr).
b) Die angegriffenen Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts sind an der aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Pflicht der staatlichen Gewalt zu messen, dem Einzelnen seine informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten zu ermöglichen.
aa) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪43≫). Dieses Recht entfaltet als Norm des objektiven Rechts seinen Rechtsgehalt auch im Privatrecht. Verfehlt der Richter, der eine privatrechtliche Streitigkeit entscheidet, den Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, so verletzt er durch sein Urteil das Grundrecht des Bürgers in seiner Funktion als Schutznorm (vgl. BVerfGE 84, 192 ≪194 f.≫).
Gerade im Verkehr zwischen Privaten lässt sich dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht allerdings kein dingliches Herrschaftsrecht über bestimmte Informationen entnehmen. Der Einzelne ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪43 f.≫). Dies kann Rücksichtnahmen auf die Kommunikationsinteressen anderer bedingen. Grundsätzlich allerdings obliegt es dem Einzelnen selbst, seine Kommunikationsbeziehungen zu gestalten und in diesem Rahmen darüber zu entscheiden, ob er bestimmte Informationen preisgibt oder zurückhält. Auch die Freiheit, persönliche Informationen zu offenbaren, ist grundrechtlich geschützt. Dem Einzelnen ist es regelmäßig möglich und zumutbar, geeignete Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um seine Geheimhaltungsinteressen zu wahren.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet, dass in der Rechtsordnung gegebenenfalls die Bedingungen geschaffen und erhalten werden, unter denen der Einzelne selbstbestimmt an Kommunikationsprozessen teilnehmen und so seine Persönlichkeit entfalten kann. Dazu muss dem Einzelnen ein informationeller Selbstschutz auch tatsächlich möglich und zumutbar sein. Ist das nicht der Fall, besteht eine staatliche Verantwortung, die Voraussetzungen selbstbestimmter Kommunikationsteilhabe zu gewährleisten. In einem solchen Fall kann dem Betroffenen staatlicher Schutz nicht unter Berufung auf eine nur scheinbare Freiwilligkeit der Preisgabe bestimmter Informationen versagt werden. Die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgende Schutzpflicht gebietet den zuständigen staatlichen Stellen vielmehr, die rechtlichen Voraussetzungen eines wirkungsvollen informationellen Selbstschutzes bereitzustellen.
bb) Dem Einzelnen steht allerdings frei, Daten anderen gegenüber zu offenbaren. Als freiwillige Preisgabe persönlicher Informationen ist es grundsätzlich anzusehen, wenn jemand eine vertragliche Verpflichtung oder Obliegenheit eingeht, solche Informationen seinem Vertragspartner mitzuteilen oder Dritte zu derartigen Mitteilungen zu ermächtigen. Der Vertrag ist das maßgebliche Instrument zur Verwirklichung freien und eigenverantwortlichen Handelns in Beziehung zu anderen. Der in ihm zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien lässt in der Regel auf einen sachgerechten Interessenausgleich schließen, den der Staat grundsätzlich zu respektieren hat (vgl. BVerfGE 81, 242 ≪254≫; 114, 73 ≪89 f.≫).
Ist jedoch ersichtlich, dass in einem Vertragsverhältnis ein Partner ein solches Gewicht hat, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, ist es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der Grundrechtspositionen beider Vertragspartner hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt (vgl. BVerfGE 89, 214 ≪232≫; 103, 89 ≪101≫; 114, 1 ≪34 f.≫; 114, 73 ≪90≫).
Eine solche einseitige Bestimmungsmacht eines Vertragspartners kann sich auch daraus ergeben, dass die von dem überlegenen Vertragspartner angebotene Leistung für den anderen Partner zur Sicherung seiner persönlichen Lebensverhältnisse von so erheblicher Bedeutung ist, dass die denkbare Alternative, zur Vermeidung einer zu weitgehenden Preisgabe persönlicher Informationen von einem Vertragsschluss ganz abzusehen, für ihn unzumutbar ist. Sind in einem solchen Fall die Vertragsbedingungen in dem Punkt, der für die Gewährleistung informationellen Selbstschutzes von Bedeutung ist, zugleich praktisch nicht verhandelbar, so verlangt die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgende Schutzpflicht eine gerichtliche Überprüfung, ob das Geheimhaltungsinteresse des unterlegenen Teils dem Offenbarungsinteresse des überlegenen Teils angemessen zugeordnet wurde. Dazu sind die gegenläufigen Belange einander im Rahmen einer umfassenden Abwägung gegenüberzustellen (vgl. BVerfGE 84, 192 ≪195≫).
c) Nach diesen Maßstäben genügen die Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
aa) Zwischen der Beschwerdeführerin und der Beklagten bestand bei Abschluss des Versicherungsvertrags ein derart erhebliches Verhandlungsungleichgewicht, dass die Beschwerdeführerin ihren informationellen Selbstschutz nicht eigenverantwortlich und selbstständig sicherstellen konnte.
Der Versicherungsnehmer einer Berufsunfähigkeitsversicherung kann nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden, um dieses Selbstschutzes willen einen Vertragsschluss zu unterlassen oder die Leistungsfreiheit des Versicherers hinzunehmen. Angesichts des gegenwärtigen Niveaus gesetzlich vorgesehener Leistungen im Fall der Berufsunfähigkeit sind die meisten Berufstätigen auf eigene Vorsorge, insbesondere darauf angewiesen, für diesen Fall durch den Abschluss eines entsprechenden Versicherungsvertrags privat vorzusorgen, um ihren Lebensstandard zu sichern. Die Alternative, Sozialhilfe zu beziehen oder den Stamm des eigenen Vermögens zu verbrauchen, um eine Preisgabe persönlicher Informationen im Leistungsfall zu verhindern, ist diesem Personenkreis nicht zumutbar.
Die Vertragsbedingungen der Versicherer sind praktisch nicht verhandelbar (vgl. – für die Lebensversicherung – BVerfGE 114, 73 ≪92, 95≫). Die Versicherungsnehmer können hinsichtlich der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zwar die Produkte verschiedener Versicherer im Hinblick auf die Vertragsbedingungen vergleichen, die teilweise erheblich voneinander abweichen. Der Wettbewerb zwischen den Versicherern bezieht sich insoweit jedoch auf die Gestaltung der Voraussetzungen und des Umfangs der Leistungspflicht. Dass auch ein Wettbewerb über die datenschutzrechtlichen Konditionen im Versicherungsfall stattfände, ist dagegen nicht ersichtlich.
bb) Die Annahme der erkennenden Gerichte, § 4 Abs. 2 Satz 2 BUZ ordne in der gefundenen Auslegung die gegenläufigen Belange von Versicherungsunternehmen und Versichertem einander in angemessenem Verhältnis zu, steht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in Einklang.
(1) Wenn die Beklagte von der Beschwerdeführerin die Abgabe der begehrten Schweigepflichtentbindung verlangen kann, wird deren Interesse an wirkungsvollem informationellem Selbstschutz in erheblichem Ausmaß beeinträchtigt.
(a) Die in der formularmäßigen Erklärung der Schweigepflichtentbindung genannten, zum Teil sehr allgemein umschriebenen Personen und Stellen können über sensible Informationen über die Beschwerdeführerin verfügen, die deren Persönlichkeitsentfaltung tief greifend berühren. Sie sind infolgedessen an sich gegenüber der Beschwerdeführerin zur Verschwiegenheit verpflichtet. Mit der Erklärung muss die Beschwerdeführerin jedoch von dieser Pflicht dispensieren. Dabei begibt sie sich auch der Möglichkeit, die Wahrung ihrer Geheimhaltungsinteressen selbst zu kontrollieren, da wegen der weiten Fassung der Erklärung, in der weder bestimmte Auskunftsstellen noch bestimmte Auskunftsersuchen bezeichnet sind, für sie praktisch nicht absehbar ist, welche Auskünfte über sie von wem eingeholt werden können.
Zwar mag die Beschwerdeführerin zumindest gegenüber den meisten der genannten Personen und Stellen Ansprüche auf Auskunft über die bei ihnen vorhandenen Informationen über sie haben. Es ist aber weder realistisch noch zumutbar, von der Beschwerdeführerin zu erwarten, zur Durchsetzung ihres Rechts auf informationellen Selbstschutz von allen potentiell als Informanten in Betracht kommenden Stellen Auskunft zu verlangen, um sich ein Bild davon machen zu können, welche Informationen aufgrund der Ermächtigung an die Versicherung gelangen können.
Die von der Beklagten verlangte Ermächtigung kommt damit einer Generalermächtigung nahe, sensible Informationen mit Bezug zu dem Versicherungsfall zu erheben, deren Tragweite die Beschwerdeführerin kaum zuverlässig abschätzen kann. Diese Unsicherheit macht der Beschwerdeführerin einen informationellen Selbstschutz praktisch unmöglich.
(b) Das Gewicht der Interessenbeeinträchtigung wird nicht dadurch gemindert, dass von der Beschwerdeführerin lediglich verlangt wurde, ihr Einverständnis zur Erhebung sachdienlicher Informationen zu erklären. Durch diese Einschränkung ändert sich an der weitgehenden Unmöglichkeit eines informationellen Selbstschutzes für die Beschwerdeführerin nichts. Es fehlt an einem wirksamen Kontrollmechanismus für die Überprüfung der Sachdienlichkeit einer Informationserhebung.
Aufgrund der Weite des Begriffs der Sachdienlichkeit kann der Versicherungsnehmer nicht im Voraus bestimmen, welche Informationen aufgrund der Ermächtigung erhoben werden können. Das Landgericht hat ausgeführt, sachdienlich seien „alle Tatsachen, die für die Feststellung und Abwicklung der Leistungen aus dem Versicherungsvertrag rechtserheblich sein können, und sei es auch nur mittelbar als Hilfstatsachen”. Damit reicht praktisch jeder Bezug zu dem behaupteten Versicherungsfall aus, um eine Auskunftserhebung zu begründen.
Der Versicherungsnehmer kann die Sachdienlichkeit einzelner Informationserhebungen zumindest im Voraus auch nicht wirksam prüfen, wenn er die Ermächtigung einmal erteilt hat. Eine gesonderte Aufklärung des Versicherungsnehmers über die einzelnen Erhebungen ist in den Vertragsbedingungen nicht vorgesehen. Allenfalls nach einer Auskunftserteilung hat der Versicherte, soweit er von ihr erfährt, die Möglichkeit, deren Berechtigung zu prüfen und gegebenenfalls gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt kann sein Interesse jedoch bereits irreparabel geschädigt sein, wenn das Versicherungsunternehmen unbefugt sensible Informationen erhoben hat.
Die Personen und Stellen, an die sich das Versicherungsunternehmen aufgrund der Ermächtigung wendet, werden faktisch oft nicht in der Lage sein, die Sachdienlichkeit der Anfrage zu überprüfen, da sie nicht den gesamten versicherungsrechtlich bedeutsamen Sachverhalt kennen, sondern nur einen Ausschnitt davon. Selbst wenn diesen Personen und Stellen mitgeteilt wird, welches Ereignis überprüft werden soll, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie stets oder regelmäßig über genug Wissen verfügen, um die Relevanz der bei ihnen verfügbaren Informationen für die Feststellung des Versicherungsfalls zu ermitteln. Darüber hinaus führen Ausführungen über die konkrete Sachdienlichkeit an den Adressaten der Anfrage zu einem eigenständigen Risiko der Verletzung von Persönlichkeitsrechten der Beschwerdeführerin.
(2) Dem Interesse der Beschwerdeführerin an informationeller Selbstbestimmung steht ein Offenbarungsinteresse der Beklagten von gleichfalls erheblichem Gewicht gegenüber.
Es ist für das Versicherungsunternehmen von hoher Bedeutung, den Eintritt des Versicherungsfalls überprüfen zu können. Diesem Interesse genügt die in § 4 Abs. 1 BUZ enthaltene Obliegenheit, Angaben zum Versicherungsfall zu machen und zu belegen, allein nicht in jedem Fall. Zudem ist es aufgrund der Vielzahl denkbarer Fallgestaltungen dem Versicherer nicht möglich, bereits in der Vertragsklausel alle Informationen im Voraus zu beschreiben, auf die es für die Überprüfung ankommen kann.
Im Rahmen der Gewichtung des Interesses der Beklagten kann auch der organisatorische und finanzielle Aufwand berücksichtigt werden, den verschiedene Prüfungsmöglichkeiten erfordern. Dieser Aufwand trifft nicht lediglich das einzelne Versicherungsunternehmen, sondern mittelbar auch dessen Kunden und berührt letztlich die Leistungsfähigkeit der Berufsunfähigkeitsversicherung insgesamt.
(3) Nach den angegriffenen Urteilen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts hat die Beschwerdeführerin die Obliegenheit, die von der Beklagten geforderte umfassende Schweigepflichtentbindung zu erteilen. Eine andere, das Interesse der Beschwerdeführerin an informationeller Selbstbestimmung schonendere Möglichkeit, dem Aufklärungsinteresse der Beklagten nachzukommen, bestehe nicht. Die Beschwerdeführerin habe lediglich die Wahl, ob sie ihr Interesse an informationellem Selbstschutz umfassend preisgibt oder auf Versicherungsleistungen vollständig verzichtet.
Diese Auffassung begegnet durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die erkennenden Gerichte haben nicht hinreichend geprüft, ob dem Überprüfungsinteresse des Versicherers auch in einer Weise genügt werden kann, die die Beschwerdeführerin in die Lage versetzt, ihr Interesse wirksam wahrzunehmen.
(a) Die Beschwerdeführerin hat bereits vorprozessual angeboten, Einzelermächtigungen für von der Versicherung begehrte Auskünfte zu erteilen.
Zur Feststellung des Versicherungsfalls im Rahmen einer Berufsunfähigkeitsversicherung muss ein bestimmtes Ereignis überprüft werden, dessen Konturen durch die Angaben nach § 4 Abs. 1 BUZ schon weitgehend feststehen. Es liegt nicht auf der Hand, dass es für das Versicherungsunternehmen unmöglich oder unzumutbar ist, bestimmte Aufklärungsmaßnahmen im Voraus zu beschreiben und dem Versicherungsnehmer vorzulegen.
Der pauschale Verweis der erkennenden Gerichte auf die damit verbundenen Kosten genügt insoweit nicht. Zwar können solche Kosten durchaus dazu führen, dass das Selbstschutzinteresse des Versicherungsnehmers zurücktreten muss. Die Gerichte haben jedoch nicht ausgeführt, wodurch genau derartige Mehrkosten in erheblicher Höhe entstehen würden, wenn Einzelermächtigungen eingeholt würden. Die Beklagte muss, wenn sie Auskünfte nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BUZ einholen will, ohnehin zunächst ermitteln, welche Auskünfte sie benötigt. Das Ergebnis ihrer Überlegungen könnte sie dem Versicherungsnehmer unschwer zugänglich machen. Möglicherweise führt schon dies dazu, dass der Versicherungsnehmer von sich aus weitere sachdienliche Informationen bereitstellt. Warum die Einschaltung des Versicherungsnehmers mit unvertretbaren Kosten verbunden sein soll, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Wenn es aufgrund eines solchen Vorgehens zu Verzögerungen bei der Bearbeitung des Leistungsantrags kommen sollte, schadet das in erster Linie der Beschwerdeführerin als Versicherungsnehmerin und nicht der Beklagten, die sogar einen Zinsvorteil hat.
In dem Urteil des Oberlandesgerichts findet sich noch die Erwägung, dass „gerade durch umfassende Aufklärung des Sachverhalts… erst ermittelt werden soll, welcher Sachverhalt vorliegt und welche Schlüsse daraus etwa im Hinblick auf Berufsunfähigkeit zu ziehen sind”. Auch diese Erwägung ist in dieser Allgemeinheit nicht nachvollziehbar. Welcher Sachverhalt nach Behauptung des Versicherungsnehmers vorliegt, ist dem Versicherer bereits deshalb bekannt, weil den Versicherungsnehmer nach § 4 Abs. 1 BUZ die Obliegenheit zu umfassender und belegter Sachverhaltsdarstellung trifft. Der hier einschlägige § 4 Abs. 2 BUZ betrifft lediglich weitere Informationserhebungen des Versicherers, die auf der Grundlage dieser Darstellung und also mit Blick auf einen konkret behaupteten Sachverhalt vorgenommen werden.
(b) Selbst wenn von der Annahme des Landgerichts und des Oberlandesgerichts ausgegangen wird, das von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Verfahren, Einzelermächtigungen einzuholen, verursache einen unangemessenen Aufwand, hätten die erkennenden Gerichte in Erwägung ziehen müssen, ob andere Vorgehensweisen in Betracht kommen, die das Selbstschutzinteresse der Beschwerdeführerin wahren.
So könnte das Versicherungsunternehmen im Zusammenhang mit der Mitteilung, welche Informationserhebungen beabsichtigt sind, dem Versicherten die Möglichkeit zur Beschaffung der Informationen oder jedenfalls eine Widerspruchsmöglichkeit einräumen. Der Informationsfluss könnte auch so ausgestaltet werden, dass die befragte Stelle die relevanten Informationen dem Versicherten zur Weiterleitung zur Verfügung stellt, der sie dann gegebenenfalls ergänzen oder unter Verzicht auf seinen Leistungsanspruch von ihrer Weiterleitung absehen kann. Dass derartige oder andere denkbare Vorgehensweisen einen unzumutbaren Aufwand verursachen, ist nicht ohne nähere Prüfung ersichtlich. In eine solche Prüfung hätten die erkennenden Gerichte eintreten müssen.
(c) Im Übrigen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, eine Schweigepflichtentbindung wie die hier umstrittene vorzusehen und dem Versicherten die denkbaren Alternativen freizustellen. Dem Versicherten muss allerdings die Möglichkeit zu informationellem Selbstschutz geboten werden, die er auch ausschlagen kann. Es wäre verfassungsrechtlich grundsätzlich auch unbedenklich, den Versicherten die Kosten tragen zu lassen, die durch einen besonderen Aufwand bei der Bearbeitung seines Leistungsantrags entstehen. Die damit verbundene Kostenlast darf allerdings nicht so hoch sein, dass sie einen informationellen Selbstschutz unzumutbar macht.
3. Die Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts beruhen, soweit die Verfassungsbeschwerde begründet ist, auf dem Verfassungsverstoß. Dabei ist unbeachtlich, ob die Beschwerdeführerin eine Obliegenheit verletzt hat, umgehend, jedenfalls nicht erst nach mehreren Monaten, das Formblatt auszufüllen. Jedenfalls hat die Beklagte der Beschwerdeführerin zusammen mit der Ablehnung des Antrags eine Frist zur Einreichung des ausgefüllten Formblatts gestellt und damit zum Ausdruck gebracht, dass die Verzögerung allein nicht zum Wegfall des Leistungsanspruchs führen soll.
Die Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts sind daher gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG unter Zurückverweisung der Sache an das Landgericht aufzuheben. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision wird dadurch insoweit gegenstandslos.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. auch BVerfGE 79, 357 ≪361 ff.≫; 79, 365 ≪366 ff.≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen