Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Übernahme der Befriedigung der Ansprüche der Arbeitnehmer durch die Garantieeinrichtungen. Begrenzung der Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen. Ausschluss der Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die mehr als drei Monate vor der Eintragung der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Handelsregister entstanden sind
Normenkette
Richtlinie 2008/94/EG Art. 3-4
Beteiligte
Virginie Marie Gabrielle Guigo |
Fonds „Garantirani vzemania na rabotnitsite i sluzhitelite” |
Tenor
Die Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie Art. 4 Abs. 1 des Zakon za garantiranite vzemania na rabotnitsite i sluzhitelite pri nesastoyatelnost na rabotodatelia (Gesetz über die garantierten Ansprüche der Arbeitnehmer bei Insolvenz des Arbeitgebers) nicht entgegensteht, die die Arbeitsentgeltansprüche der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate vor der Eintragung der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers in das Handelsregister beendet wurde, nicht garantiert.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Bulgarien) mit Entscheidung vom 31. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juni 2017, in dem Verfahren
Virginie Marie Gabrielle Guigo
gegen
Fonds „Garantirani vzemania na rabotnitsite i sluzhitelite”
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Guigo, vertreten durch H. Hristev, advokat,
- der bulgarischen Regierung, vertreten durch L. Zaharieva und E. Petranova als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer, Y. Marinova und P. Mihaylova als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 151 und 153 AEUV, des Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), der Art. 3, 4, 11 und 12 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. 2008, L 283, S. 36) sowie der Grundsätze der Verfahrensautonomie, der Äquivalenz, der Effektivität und der Verhältnismäßigkeit.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Virginie Marie Gabrielle Guigo und dem Fonds „Garantirani vzemania na rabotnitsite i sluzhitelite” (Fonds „Garantierte Ansprüche der Arbeitnehmer”, Bulgarien) beim Natsionalen osiguritelen institut (Nationales Sozialversicherungsinstitut, Bulgarien) (im Folgenden: Garantiefonds) wegen der Weigerung, die Befriedigung nicht erfüllter Ansprüche auf Arbeitsentgelt zu gewährleisten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Mit der Richtlinie 2008/94 wurde die Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. 1980, L 283, S. 23) in der zuletzt durch die Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. 2002, L 270, S. 10) geänderten Fassung kodifiziert und aufgehoben.
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/94 lautet:
„Diese Richtlinie gilt für Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 sind.”
Rz. 5
Art. 3 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vorbehaltlich des Artikels 4 Garantieeinrichtungen die Befriedigung der nicht erfüllten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen sicherstellen, einschließlich, sofern dies nach ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehen ist, einer Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Die Ansprüche, deren Befriedigung die Garantieeinrichtung übernimmt, sind die nicht erfüllten Ansprüche auf Arbeitsentgelt für einen Zeitraum, der vor und/oder gegebenenfalls nach einem von den Mitgliedstaaten festgelegten Zeitpunkt liegt.”
Rz. 6
Art. 4 der Richtlinie lautet wie folgt:
„(1) Die Mitgliedstaaten können die in Artikel 3 vorgesehene Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen begrenzen.
(2) Machen die Mitgliedstaaten von der in Absatz 1 genannten Möglichkeit Gebrauch, so legen sie die Dauer des Zeitraums fest, für den die Garantieeinrichtung die nicht erfüllten Ansprü...