Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst
Die Widerstandsfähigkeit einzelner Personen setzt sich meist aus unterschiedlichen Fähigkeiten und Einstellungen zusammen. Nicht jeder verfügt über die gleichen Stärken und Ressourcen, sondern entwickelt eine persönliche Resilienz. So kann die Kombination von "Resilienzbausteinen" sehr unterschiedlich ausfallen.
Das Gleiche trifft natürlich auf Organisationen und Unternehmen zu, bei denen es ja noch komplexer zugeht als bei einem einzelnen Menschen. Nicht jeder Resilienzfaktor eignet sich also in gleichem Maße für jede Organisation. Eine öffentliche Verwaltung hat andere Bedingungen und muss andere Krisen erwarten als ein Wirtschaftsunternehmen. Ein Start-up-Unternehmen hat andere Möglichkeiten als ein multinationaler Konzern. Ein Produktionsunternehmen muss anders reagieren als ein Dienstleister.
Es sind aber nicht nur unterschiedliche Gefahren und Krisen zu erwarten, gleichzeitig verfügen die verschiedenen Organisationen auch über unterschiedliche Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen, die im Krisenfall zum Einsatz kommen können.
So sind z. B. Kirchen oder öffentliche Verwaltungen i. Allg. sehr langlebig, können also als extrem resilient gelten, da sie bereits viele Krisen erfolgreich überstanden haben. Auf der anderen Seite verfügen sie sicherlich nicht über eine ähnlich hohe Flexibilität oder Innovationskraft, wie beispielsweise ein Start-up-Unternehmen der IT-Branche.
Die öffentliche Verwaltung könnte durch politische Veränderungen oder durch internes Fehlverhalten in eine Krise geraten. Das junge Start-up wird möglicherweise eher durch Veränderungen am Markt oder durch zu knappe finanzielle Ressourcen bedroht werden.
Ein erster Schritt zur Erhöhung der organisationalen Resilienz für Organisationen unterschiedlicher Art wäre es also, sich folgende Fragen zu stellen:
- Welches sind die Krisen, die für uns die größten Bedrohungen darstellen würden?
- Welches sind unsere besonderen Stärken, Ressourcen und Fähigkeiten, auf die wir im Krisenfall zurückgreifen können?
Im nächsten Schritt müssten für die identifizierten Krisen entsprechende Präventionsmaßnahmen und Krisenpläne entwickelt werden. Außerdem können die ausgemachten Stärken noch weiter ausgebildet und ggf. ergänzt werden.
Als Grundlage für die Resilienzstärkung im Unternehmen eignet sich die DIN-Norm ISO22316 zur organisationalen Resilienz. In dieser Norm werden 9 Bereiche zur Förderung der Resilienz benannt:
- Gemeinsame Vision und Klarheit über den Unternehmenszweck: Gemeinsame Visionen und Werte stärken den Zusammenhalt und geben gerade in Krisen schnell eine Richtung des Handelns vor. Sowohl die Ziele der Organisation, als auch die individuellen Ziele der Mitarbeitenden sollten auf die gemeinsame Vision abgestimmt sein. Ganz wichtig ist, dass alle den Zweck des Unternehmens verstanden haben.
- Verständnis des internen und externen Umfelds: Es ist hilfreich zu verstehen, in welchem Umfeld ein Unternehmen agiert. So lässt sich der Kontext aktiv gestalten – am besten mit Partnern, die ähnliche Visionen und Werte teilen. Auch Veränderungen im Unternehmen selbst oder im Markt können rechtzeitig erkannt und strategische Maßnahmen daraus abgeleitet werden.
- Unterstützende Führungskräfte: Eine Organisation wird dauerhaft widerstandsfähig, wenn die Führungskräfte sich ermutigend, unterstützend und tolerant gegenüber Fehlern verhalten. Gerade in Krisen ist Integrität der Vorgesetzten wichtig, weil die Mitarbeitenden so einen stabilen Halt finden.
- Unterstützende Unternehmenskultur: Dazu gehören ein aktives Engagement für die gemeinsamen Werte sowie eine positive Grundeinstellung. In einer unterstützenden Kultur wird über mögliche Risiken, aber auch über Innovation und Chancen kommuniziert.
- Wissen teilen: Gerade in Krisen kann spezielles Wissen schlagartig enorm wichtig werden, um z. B. im Bedarfsfall eine schon ausgemusterte Maschine wieder in Gang zu setzen. Das Teilen von Wissen und Informationen bedeutet auch ein offenes und unterstützendes Klima. Um Krisen vorzubeugen ist das gemeinsame Lernen aus Erfahrungen und Fehlern wichtig.
- Ausreichende Ressourcen: Um auch auf schwierige Zeiten vorbereitet zu sein, benötigt eine Organisation ausreichend Ressourcen. So ist im Pandemiefall mit vielen erkrankten Mitarbeitenden eine ausreichende Personaldecke sehr wichtig. Bei technischen Ausfällen oder Schäden an Gebäuden oder Ausstattung sind Reservekapazitäten und Ausweichmöglichkeiten erfolgsentscheidend, um den Betriebsablauf schnell wieder herstellen zu können.
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Wenn über verschiedene Bereiche hinweg zusammengearbeitet wird und die unterschiedlichen Bereiche im Unternehmen auch gut koordiniert werden, können Probleme frühzeitig erkannt und auf Krisen effizient reagiert werden.
- Kontinuierliche Verbesserung: Hiermit sind geplante und gesteuerte Prozesse gemeint, mit denen aus Erfahrungen gelernt werden kann, um Chancen zu erkennen und Schwierigkeiten zu verhindern oder zu überwinden. Es geht darum, mögliche Hindernisse und Verbesserungsmöglichkeiten ...