Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherung des Lebensunterhalts durch Einleitung unzähliger arbeitsgerichtlicher Mahn- und Streitverfahren zur Erstattung von Kosten und Abfindungen. Unbegründeter Einwand des beklagten Arbeitgebers zur fehlenden Prozessfähigkeit des unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt stehenden Klägers bei unerheblichen Ausführungen zum Schutz vor existenzgefährdenden Aktivitäten des Klägers. Anfechtung eines Beendigungsvergleichs durch Anfechtung des zugrundeliegenden Arbeitsvertrages bei Täuschung über Vorbeschäftigungszeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Beim Institut der Betreuung (§ 1896 BGB) handelt es sich um eine ausschließlich auf das Wohl der zu betreuenden Person ausgerichtete öffentliche Hilfe.
2. Der notwendige Schutz Dritter vor erheblichen rechtswidrigen Taten einer möglicherweise schuldunfähigen Person ist ggf. durch die Strafverfolgungsbehörden zu gewährleisten.
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann auch ein gerichtlicher Vergleich angefochten werden, wenn eine Partei vom Prozessgegner oder einem Dritten, dessen Verhalten sich der Prozessgegner zurechnen lassen muss, durch arglistige Täuschung zum Abschluss eines Vergleichs bestimmt worden ist; dabei bildet einen Anfechtungsgrund jede arglistige Täuschung, die den Getäuschten zum Abschluss eines Vergleichs bestimmt hat, den er mit diesem Inhalt ohne die Täuschung nicht abgeschlossen haben würde.
2. Ein Arbeitgeber hat keine Veranlassung, sich von einem knapp neun Monate bestehenden Arbeitsverhältnis durch Zahlung einer im Vergleich zur kurzen Bestandsdauer erheblichen Abfindungssumme von 56.000 Euro "freizukaufen", wenn er nicht bei Abschluss des Vergleichs davon ausgeht, dass das Arbeitsverhältnis wirksam begründet wurde und sein Fortbestand von der Wirksamkeit der streitgegenständigen Kündigung abhängt.
3. Hätte der Arbeitgeber einen Abfindungsvergleich mit Sicherheit nicht abgeschlossen, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass er das Arbeitsverhältnis wegen arglistiger Täuschung über Vorbeschäftigungszeiten des klagenden Arbeitnehmers rückwirkend anfechten kann, wirkt eine bei Vertragsschluss vorgenommene arglistige Täuschung noch fort und ist damit auch kausal für den Vergleichsabschluss; mit einer gemäß § 123 Abs. 1 BGB wirksamen Anfechtung des Arbeitsvertrages bringt der Arbeitgeber somit auch den Vergleichsabschluss zu Fall.
Normenkette
BGB § 123 Abs. 1, § 611 Abs. 1, § 779; ZPO § 51 Abs. 1, §§ 52, 278 Abs. 6; StGB § 20
Verfahrensgang
ArbG Heilbronn (Entscheidung vom 02.12.2008; Aktenzeichen 4 Ca 162/08) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 2. Dezember 2008 - 4 Ca 162/08 - abgeändert.
- Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 12. März 2008 nicht beendet worden ist.
- Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.
Die Kosten des Berufungs- einschließlich des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der zwischen ihnen geführte Rechtsstreit durch den vor dem Arbeitsgericht Heilbronn geschlossenen Vergleich vom 12. März 2008 beendet worden ist, hilfsweise im Falle wirksamer Vergleichsanfechtung, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis noch besteht.
Der am 00.00.1964 geborene Kläger, der einen Grad der Behinderung von 100 aufweist, hat sein Physikstudium an der Universität J. im Jahr 1990 mit dem Diplom als Physiker abgeschlossen.
Er war sodann in folgenden Zeiträumen berufstätig:
Ab dem 01. August 1999 bis zumindest 31. Dezember 1999 (so der Beklagte), längstens bis 31. Juli 2000 (so der Kläger unter Verweis auf ein ihm angeblich ausgestelltes Arbeitszeugnis (Bl. 268 der LAG-Akte), dessen Echtheit der Beklagte bestreitet), bei der Firma A. KG (A.) in M..
Ab dem 1. September 2000 wurde zwischen dem Kläger und der Firma S. GmbH, die im Bezirk des Landesarbeitsgerichts M. ansässig ist, ein Arbeitsverhältnis als "Leiter Entwicklung und Konstruktion" zu einem Bruttomonatsgehalt von 12.500,00 DM begründet, das die Firma S. GmbH mit Schreiben vom 26. Januar 2001 zum 28. Februar 2001 zu kündigen versuchte. Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage wies das LAG M. mit rechtskräftigem Urteil vom 20. November 2002 (Az: 2 Sa 000/00, Bl. 280-297 der LAG-Akte) ab. In den Entscheidungsgründen führte das Gericht aus, dass die Klage unbegründet sei, soweit der Kläger ein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses über den 29. Januar 2001 hinaus geltend mache, denn die S. GmbH habe das Arbeitsverhältnis wirksam gem. § 123 Abs. 1 BGB angefochten. Hierzu führt das LAG in den Entscheidungsgründen unter anderem aus: "Aufgrund dieser Aussage ist die Kammer davon überzeugt, dass nicht die Beklagte Bewerbungsunterlagen des Klägers manipuliert, sondern der Kläger in seinem Lebenslauf falsche Angaben gemacht und ein gefälschtes Zeugnis vorgelegt hat. ...Aufgrund des Verhaltens des Klägers in diesem R...