Entscheidungsstichwort (Thema)
Elternzeit. mündliche Geltendmachung. Berufung auf Formvorschrift
Leitsatz (redaktionell)
Der Arbeitgeber kann sich nicht auf die Formunwirksameit eines mündlichen Elternzeitantrags berufen, wenn er die Elternzeitnahme ohne weitere Hinweise über ein Jahr lang duldet.
Normenkette
BErzGG § 18 Abs. 1; BGB §§ 134, 242
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 08.03.2006; Aktenzeichen 14 Ca 10799/05) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom08. März 2006 – 14 Ca 10799/05 – abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Oktober 2005 nicht aufgelöst worden ist.
- Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
II. Die Revision wird zugelassen.
Gebührenstreitwert für den zweiten Rechtszug: 9.000,00 EUR
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung unter dem Gesichtspunkt des § 18 Abs. 1 BErzGG.
Die Klägerin stand seit 01. Dezember 2002 bei der beklagten Gesellschaft des bürgerlichen Rechts in deren Büro als Rechtsanwältin in einem Arbeitsverhältnis. Die an die Betriebsgröße gebundenen Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KSchG liegen nicht vor.
Die Klägerin erbrachte wegen Komplikationen in Bezug auf ihre Schwangerschaft ab 17. April 2004 keine Arbeitsleistungen mehr. Am 08. Juni 2004 wurde ihr Kind geboren. Auch nachfolgend trat die Klägerin ihre Arbeit bei den Beklagten nicht mehr an. Wegen Ablaufs der Mutterschutzfrist am 18. August 2004 übersandte die Krankenkasse der Klägerin unter dem Datum vom 20.07.2004, also rund vier Wochen vor Ablauf dieser Frist, der Beklagten eine „Anfrage wegen Elternzeit” (Fotokopie Bl. 46/Rückseite der Akte des Arbeitsgerichts). Diese Anfrage beantwortete die Beklagte unter dem Datum vom 26.07.04 dahingehend, dass die Klägerin für die Zeit vom 08. Juni 2004 bis 07. Juni 2007 Elternzeit in Anspruch nehme (Fotokopie BI. 48 der Akte des Arbeitsgerichts).
Mit Schreiben vom 13.10.2005 (BI. 35 der Akte des Arbeitsgerichts) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 31. Dezember 2005.
Dagegen richtet sich die am 31. Oktober 2005 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihre Auffassung verfolgt, die Kündigung sei mit Rücksicht auf § 18 Abs. 1 BErzGG unwirksam.
Sie hat vorgetragen, sie habe den Gesellschafterinnen der Beklagten gegenüber mehrfach mündlich, erstmals am 23. Dezember 2003, Elternzeit für drei Jahre geltend gemacht. Zuletzt sei dies nach der Entbindung der Fall gewesen, als sie auch ihr Kind in der Kanzlei der Beklagten vorgestellt habe. Sie hat weiter die Rechtsauffassung vertreten, der Beklagten sei es im Hinblick auf die Umstände gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf den Formmangel zu berufen.
Die Klägerin hat folgenden Antrag gestellt:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 13.10.2006 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat in Abrede gestellt, dass die Klägerin mündlich Elternzeit beantragt habe, und sich außerdem auf die Formunwirksamkeit eines etwaigen mündlich vorgebrachten Verlangens der Klägerin berufen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen, da der Kündigungsschutz nach § 18 BErzGG ein formwirksames Elternzeitverlangen nach § 16 BErzGG voraussetze. Umstände, dass sich die Beklagte nach Treu und Glaube nicht auf den Formmangel berufen könnte, lägen nicht vor.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Klageantrag weiterverfolgt und insbesondere ihre Rechtsauffassung darlegt, die Schriftform für das Elternzeitverlangen sei nicht Wirksamkeitsvoraussetzung. Demgegenüber bittet die Beklagte um die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen des Vortrags der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt ihrer im Berufungsrechtszug vorgelegten Schriftsätze wie auch das angefochtene Urteil Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die an sich statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig und auch in der Sache gerechtfertigt. Die streitbefangene Kündigung ist nach § 18 Abs. 1 BErzGG in Verbindung mit § 134 BGB nichtig.
1. Zulässig ist die Berufung im Hinblick auf § 519 Abs. 2 ZPO, obwohl die am Nachmittag des drittletzten Tags der Berufungsfrist eingegangene Berufungsschrift nur die Angabe des Nachnamens einer Partei und die Kurzbezeichnung der anderen Partei, das erstinstanzliche Aktenzeichen, das Ausgangsgericht und das Verkündungsdatum des Urteils enthält. Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde erst nach Ablauf der Berufungsfrist nachgereicht. Dass die Anschriften der Parteien, die Bezeichnung der Prozessbevollmächtigten sowie deren Anschrift nicht in der Berufungsschrift enthalten sind, macht diese nicht unzulässig, obwohl dies für die sachgerechte Bearbeitung der Sache zweckdienlich wäre. Es muss aber die Parteist...