Entscheidungsstichwort (Thema)
Einzelvertragliche Arbeitszeitregelung in Abweichung vom TV
Leitsatz (amtlich)
1.) Führt ein tarifgebundener Arbeitgeber durch einzelvertragliche Abreden mit nahezu sämtlichen Arbeitnehmern einer Abteilung dort ein vom Tarifvertrag abweichendes Arbeitszeitmodell ein (Sonnabend als Regelarbeitszeit), so ist die Versetzung des einzigen Arbeitnehmers, der – selbst tarifgebunden – diese Abrede nicht akzeptiert und an seiner tariflich vorgesehenen Arbeitszeit (Montag bis Freitag) festhalten möchte, in einen anderen Betrieb des Unternehmens nicht nach „billigem Ermessen” i. S. von § 315 BGB gerechtfertigt.
2.) Auch eine entsprechende Änderungskündigung ist nicht sozial gerechtfertigt; denn ein tarifgebundener Arbeitnehmer darf seinen – auch konkreten – Arbeitsplatz nicht deswegen verlieren, weil er eine in seiner Person tarifwidrige Abrede mit dem Arbeitgeber verweigert.
Normenkette
KSchG § 2; BGB §§ 315, 611, 612a; TVG § 4 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 20.02.1996; Aktenzeichen 23 Ca 30957/95) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 23 Ca 30987/95 – vom 20. Februar 1996 unter Zurückweisung der Berufung im übrigen teilweise geändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt:
- Es wird festgestellt, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen des Klägers unwirksam ist.
- Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 15. November 1995 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.723,70 DM (zweitausendsiebenhundertdreiundzwanzig 70/100) brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 27. Dezember 1995 zu zahlen.
- Der Weiterbeschäftigungsantrag wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer Versetzung des Klägers vom Berliner Betrieb der Beklagten zu der Betriebsstätte nach F. und um damit zusammenhängende Vergütungsansprüche und Ansprüche auf Entfernung einer Abmahnung.
Der 1967 geborene Kläger ist nach Absolvierung eines entsprechenden Ausbildungsverhältnisses seit dem 1. September 1992 bei der Beklagten als Kunststoffformengeber tätig. Er und die Beklagte sind tarifgebunden an den Tarifvertrag der Papier-, Pappe- und kunststoffverarbeitenden Industrie; dabei sieht der Manteltarifvertrag unter anderem vor, daß die Arbeitszeit für den einzelnen Arbeitnehmer auf 5 Tage zu verteilen und auf die Wochentage Montag bis Freitag zu legen ist, sofern nicht zwingende technische Arbeiten eine andere Regelung erfordern. Der Tarifvertrag enthält weiter unter anderem Regelungen darüber, daß eine anderweitige Verteilung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat durch Betriebsvereinbarung vorgenommen werden kann und daß die Teilnahme einzelner Arbeitnehmer an einem Arbeitszeitsystem mit regelmäßiger Samstagsarbeit freiwillig ist.
Die Beklagte hat mit Beginn des Monats September 1995 eine Änderung der Arbeitszeit in der Abteilung Spritzguß, in der auch der Kläger beschäftigt war, dahin vorgenommen, daß im Drei-Schicht-Betrieb unter Einschluß des Sonnabends gearbeitet wird. Hierzu hat sie mit nahezu sämtlichen Arbeitnehmern der Abteilung eine „Ergänzung des Arbeitsvertrages” (Bl. 22 d.A.) einzelvertraglich vereinbart.
Der Kläger, der mit dieser Regelung nicht einverstanden war, wurde im Ergebnis eines diesbezüglich zwischen ihm und der Beklagten geführten Schriftverkehrs mit Schreiben vom 30. Oktober 1995 (Bl. 41 d.A.) per 13. November 1995 in die Betriebsstätte F. versetzt; mit Schreiben vom 27. November 1995 (Bl. 43 d.A.) sprach die Beklagte „vorsorglich” eine Änderungskündigung im Hinblick auf eine Beschäftigung des Klägers in F. aus. Der Kläger, der das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung angenommen hat, hatte zuvor auf das Versetzungsschreiben seine Arbeit in F. nicht aufgenommen; er erhielt deswegen eine Abmahnung, die Beklagte zahlte ab dem 13. November 1995 keine Vergütung mehr.
Mit der vorliegenden, bei Gericht am 17. Oktober 1995 eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen seine Versetzung, gegen die Änderungskündigung sowie gegen die Abmahnung und begehrt die Zahlung der Differenzvergütung.
Er hat die Auffassung vertreten, die Beschäftigung in F. sei hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Anfahrtsweges nicht zumutbar; zur Änderungskündigung lägen keine sozialen Rechtfertigungsgründe vor, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß gehört.
Demgegenüber hat die Beklagte auf dem Standpunkt gestanden, die Änderung der Arbeitsbedingungen sei durch ihr Direktionsrecht gerechtfertigt gewesen. Die Änderung der Arbeitszeit in der Abteilung Spritzguß in der Berliner Betriebsstätte sei betriebswirtschaftlich unabdingbar notwendig gewesen, da ansonsten Arbeitsplätze in Gefahr gewesen seien. Der Kläger sei diesbezüglich nicht mehr in den Drei-Sc...