Entscheidungsstichwort (Thema)
Direktionsrecht bezüglich des Orts der Arbeitsleistung. Ausübung des Direktionsrechts im Rahmen billigen Ermessens. Home-Office-Arbeitsplatz nach SARS-CoV-2-ArbSchVO. Maßregelungsverbot nach § 612a BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 106 S. 1 GewO kann der Arbeitgeber den Ort der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen selbst bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch andere Normen festgelegt sind. Die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum schafft regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand, dass der Arbeitgeber von diesem gesetzlich eingeräumten Direktionsrecht keinen Gebrauch mehr machen will. Der Arbeitgeber ist nach § 106 GewO grundsätzlich berechtigt, eine Home-Office-Tätigkeit durch Weisung zu beenden.
2. Ob eine Weisung des Arbeitgebers, die Arbeitsleistung künftig wieder in den Betriebsräumen zu erbringen, rechtmäßig ist, bestimmt sich danach, ob diese Leistungsbestimmung billigem Ermessen entspricht. Dieses billige Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie nach Verkehrssitte und Zumutbarkeit.
3. Die gesetzliche Vorschrift des § 2 Abs. 4 SARS-CoV-2-ArbSchVO vermittelt dem Beschäftigten nach dem Willen des Verordnungsgebers kein subjektives Recht auf einen Home-Office-Arbeitsplatz. Sofern es keine vertraglichen Vereinbarungen gibt, kann ein Home-Office-Arbeitsplatz nicht eingeklagt werden.
4. Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 612a BGB und damit auch für den Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der zulässigen Rechtsausübung. Ein bloß zufälliger zeitlicher Zusammenhang zwischen Vereinbarung oder Maßnahme und der Rechtsausübung reicht nicht aus.
Normenkette
GewO § 106; BGB §§ 134, 241, 315 Abs. 1, 3 S. 2, § 612a; SARS-CoV-2-ArbSchVO § 2 Abs. 4 Fassung: 2021-01-21; AGG §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 08.04.2021; Aktenzeichen 32 Ca 33/21) |
Tenor
Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 08.04.2021 - 32 Ca 33/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wege des Eilverfahrens über die Berechtigung des Verfügungsklägers, an seinem Wohnsitz arbeiten zu dürfen.
Der am 00.00.0000 geborene Verfügungskläger ist seit dem 00.00.0000 bei der Verfügungsbeklagten aufgrund des Arbeitsvertrags vom 00.00.0000 als Grafiker in Vollzeit gegen eine monatliche Bruttovergütung von 3.650,00 € beschäftigt. Er lebt zusammen mit seiner zweimal an Krebs erkrankten Ehefrau, die zuhause freiberuflich als Grafikerin tätig ist. Bei der Verfügungsbeklagten sind ein Geschäftsführer und eine weitere Mitarbeiterin tätig. Darüber hinaus arbeitet der Verfügungskläger eng mit ca. 15 Mitarbeitern der Z zusammen. Seit Dezember 2020 arbeiten die Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten und der Z aufgrund Erlaubnis des personenidentischen Geschäftsführers an ihrem jeweiligen Wohnort mit Ausnahme des Sekretariats, das im eingeschränkten Umfang vor Ort im Büro in C-Stadt ist. Während der Tätigkeit zuhause führte der Verfügungskläger seine Arbeiten an dem im Eigentum seiner Ehefrau stehenden Laptop und unter Nutzung einer auf die Ehefrau zugelassenen Grafiklizenz für mehrere Arbeitsplätze aus. Diese Software ist über Apple Cloud stets auf dem aktuellen Stand, wohingegen die Technik der Verfügungsbeklagten auf dem Stand von ca. 2010 ist. Bei der Speicherung von zuhause erbrachten Grafikleistungen des Verfügungsklägers im Büro der Verfügungsbeklagten kommt es deshalb zu einem "downgrade", d. h. zu einer Herabstufung. Dies kann zu einem Verlust bestimmter Eigenschaften führen.
Der Verfügungskläger meldete sich während der Homeofficezeit anfangs zur Arbeit elektronisch an und ab, aber stellte diese Meldungen zu einem nicht näher mitgeteilten Zeitpunkt ein. Am 26.01., 02.02, 09.02, 16.02. und 23.02.2021 fanden virtuelle Mitarbeitermeetings statt, an denen der Verfügungskläger trotz Einladung ohne Angabe von Gründen nicht teilnahm.
Der Verfügungskläger teilte dem Verfügungsbeklagten am 23.02.2021 mit, dass er sein Arbeitsverhältnis auch nach Eintritt in das Rentenalter am 01.03.2021 fortsetzen wolle.
Mit zwei Schreiben vom 24.02.2021 mahnte die Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger wegen Verstoßes gegen die An- und Abmeldepflicht und wegen unentschuldigten Fehlens bei den virtuellen Mitarbeitermeetings ab (vgl. Bl. 9 u. 10 d. A.). Darüber hinaus ordnete die Verfügungsbeklagte gegenüber dem Verfügungskläger mit Email vom 24.02.2021, 08:44 Uhr, die Anwesenheitspflicht im Büro in C-Stadt zu den Bürozeiten 09:00 - 18:00 Uhr mit entsprechender Mittagspause an. Der Verfügungskläger solle sich täglich in das Anwesenheitsbuch mit exakter ...