Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtswidrige Kündigungsdrohung der Arbeitgeberin gegenüber einem Beisitzer des Betriebsrats in einer Einigungsstelle. Zulässiger Feststellungsantrag des Betriebsrats zum Verbot von Kündigungsdrohungen der Arbeitgeberin gegen Beisitzer des Betriebsrats in Einigungsstellen
Leitsatz (amtlich)
1. Droht der Arbeitgeber einem vom Betriebsrat benannten Beisitzer wegen dessen Äußerungen in der Einigungsstelle eine Kündigung an, oder leitet er ein Verfahren nach § 103 BetrVG ein, kann dies eine unzulässige Behinderung imSinne des § 78 BetrVG darstellen.
2. In einem solchen Fall ist auch der Betriebsrat in eigenen Rechten aus § 76 BetrVG verletzt.
Normenkette
BetrVG §§ 103, 76, 78; ZPO § 256; BetrVG § 76 Abs. 2 S. 1, § 87 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 103 Abs. 2; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Wilhelmshaven (Entscheidung vom 03.09.2013; Aktenzeichen 1 BV 15/12) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 03.09.2013 - 1 BV 15/12 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 2. die Tätigkeit einer Einigungsstelle der Filiale 719 nicht dadurch stören bzw. behindern darf, dass sie den ordnungsgemäß beschlossenen Beisitzer auf Betriebsratsseite im Rahmen der Verhandlungen der Einigungsstelle für dessen Äußerungen über mögliche Inhalte der verhandelten Betriebsvereinbarung mit einer Kündigung bedroht oder die Äußerung des Beisitzers zum Inhalt einer Kündigung oder eines Kündigungsanhörungsverfahrens nach § 102 bzw. § 103 BetrVG macht.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um Maßnahmen der Arbeitgeberin gegen Beisitzer des Betriebsrats in einer Einigungsstelle.
Die Beteiligte zu 2 ist ein bundesweit tätiges Einzelhandelsunternehmen mit Sitz in B-Stadt und betreibt mehr als 390 Filialen, die jeweils als eigenständige Betriebe organisiert sind. In der Filiale 719 in A-Stadt fand im Jahr 2013 eine Einigungsstelle zum Thema Arbeitszeit statt. Der Betriebsrat (Bet. zu 1.) hatte als Beisitzer Herrn Q. (ursprünglich Bet. zu 3.) als Beisitzer berufen. Dieser ist Vorsitzender des Betriebsrats der Filiale 741 T-Stadt. Er hat die Beteiligte zu 2. im Oktober 2012 um Genehmigung einer dauerhaften Nebentätigkeit als Betriebsratsberater unter dem Briefkopf "Komparative Betriebsratsberatung" gebeten (Bl. 69 f. d.A.) und war als Einigungsstellenbeisitzer bei den Filialen in U-Stadt und H-Stadt tätig. Die Beteiligte zu 2. hat - durch den Betriebsleiter der Filiale T-Stadt - gegenüber Herrn Q. dessen - entgeltliche - Nebentätigkeit als Einigungsstellenbeisitzer bei der Filiale 771 U-Stadt beanstandet (Bl. 12 f. d.A.). Am 17.12.2012 erhob Herr Q. Klage auf Erteilung einer Nebentätigkeitsgenehmigung vor dem Arbeitsgericht Trier (Bl. 107 d.A.). Nachdem er am 18.12.2012 als Beisitzer an einer Einigungsstelle in U-Stadt teilgenommen hatte, beantragte die Beteiligte zu 2 beim Betriebsrat in T-Stadt die Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung. Diese wurde mit Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 18.06.2013 ersetzt (Bl. 331 ff. d.A.). Die Beschwerde dagegen wurde vom LAG Rheinland-Pfalz am 20.03.2014 zurückgewiesen; die Rechtsbeschwerde wurde zugelassen.
Mit Schreiben vom 14.02.2013 beantragte die Beteiligte zu 2. beim Betriebsrat in T-Stadt erneut die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Herrn Q. (Bl. 141 d.A.). In dem Antrag heißt es unter Ziff. 3 u.a., er habe sich im Rahmen der Einigungsstellensitzung vehement für die Interessen des Betriebsrats der Filiale 771 eingesetzt, die den wirtschaftlichen und organisatorischen Interessen der Beteiligte zu 2 bereits im Grundsatz widersprächen.
Wegen der Durchführung der Einigungsstelle zur Arbeitszeit in der Filiale 719 A-Stadt hatte der Beteiligte zu 1. einstweiligen Rechtsschutz im Beschlussverfahren begehrt. Das LAG Niedersachsen hat mit Beschluss vom 05.06.2013 - 11 TaBVGa 14/13 - dem Antrag teilweise stattgegeben, soweit sich die Beteiligte zu 2. sich in ihren Anträgen nach § 103 BetrVG auf Äußerungen des ehemaligen Beteiligten zu 3. in der Einigungsstelle berufen hat. Der Entscheidungstenor ist im Wesentlichen Grundlage für das vorliegende Hauptsacheverfahren geworden.
In der letzten Sitzung der Einigungsstelle am 07.06.2013 erging ein Spruch, der gerichtlich angefochten ist.
Mit Schreiben vom 15.04.2013, 16.05.2013 und 11.06.2013 beantragte die Beteiligte zu 2. erneut die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Herrn Q., jeweils wegen der Teilnahme an der Einigungsstelle der Filiale 719 A-Stadt (Bl. 175, Bl. 307 und Bl. 310 d.A.).
Wegen einer erneuten Einigungsstelle zum Thema Arbeitszeit bei der FiIiale 719 hat Herr Q. im November 2013 erklärt, nicht mehr zur Verfügung zu stehen (Bl. 283 d.A.).
Im vorliegenden Verfahren hat der Betriebsrat den Arbeitgeber ursprünglich auf Unterlassung der Behinderung und Störung der Tätigkeit der Einigungsstelle in Anspruch ...