Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Feststellung einer Arbeitnehmereigenschaft eines Volkshochschuldozenten. §§ 242, 611 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Volkshochschuldozenten, die Unterricht in von der Bundesanstalt für Arbeit finanzierten Kursen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung nach §§ 77 ff. SGB III erteilen (hier: Deutsch für Aussiedler), sind Arbeitnehmer, wenn ihnen der Unterrichtsträger Unterrichtsinhalte und -ziele in Lehrplänen vorgibt, wenn sie in erheblichem Umfang zu Nebenarbeiten wie Durchführung und Korrektur von Tests, Teilnahme an Konferenzen und Durchführung von Exkursionen verpflichtet sind und entschuldigte und unentschuldigte Fehlzeiten der Teilnehmer in einem Klassenbuch detailliert zu dokumentieren haben. Das gilt auch dann, wenn die konkrete Arbeitszeit von den Lehrkräften selbst festgelegt wird.
2. Hat sich ein Volkshochschuldozent auf den Hinweis des Unterrichtsträgers, dass eine Fortführung der drittmittelfinanzierten Maßnahme aus wirtschaftlichen Gründen nur möglich sei, wenn der Unterricht im Rahmen eines freien Mitarbeiterverhältnisses erteilt werde, jahrelang mit dieser Handhabung einverstanden erklärt und hat sich der Unterrichtsträger auf diese Vertragspraxis eingestellt, so steht einer rückwirkenden Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Es ist dem Unterrichtsträger unzumutbar, die Rechtsbeziehung der Parteien rückwirkend als Arbeitsverhältnis zu behandeln. Die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft kann daher erst für die Zeit ab Rechtshängigkeit der Statusfeststellungsklage begehrt werden.
Normenkette
BGB §§ 242, 611
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 10.05.2000 – 2 Ca 531/99 – teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass seit dem 03.01.2000 zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht, das über den 02.06.2000 hinaus fortbesteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten werden zu 1/3 der Klägerin, zu 2/3 der Beklagten auferlegt.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen seit dem 1. Januar 1996 ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Klägerin ist seit Februar 1990 für die Beklagte tätig. Sie unterrichtete seit Beginn ihrer Tätigkeit als Lehrerin im Rahmen von Deutschkursen, die in der von der Beklagten unterhaltenen Volkshochschule erteilt werden. Sie erteilte etwa 700 Unterrichtsstunden jährlich in Deutschkursen für Aussiedler, Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge, ferner etwa 80 Unterrichtsstunden je Jahr in den Kursen „Deutsch als Fremdsprache”. Sie erhielt je Stunde zwischen 30,– DM und 36,– DM, durchschnittlich insgesamt 2.400,– DM im Monat. Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer wurden von der Beklagten nicht abgeführt, vielmehr wurde die Rechtsbeziehung der Parteien als freies Mitarbeiterverhältnis behandelt. Schriftliche Verträge wurden zwischen den Parteien nicht geschlossen.
Die Deutschkurse für Aussiedler wurden von der Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen der Förderung der beruflichen Weiterbildung (§§ 77 ff. SGB III) finanziert. Das „Projekt Aussiedler” wurde für jeweils ein Jahr genehmigt. Nach Zuweisung der für einen Lehrgang erforderlichen Anzahl von etwa 20 Teilnehmern wurde der Unterricht in diesem Lehrgang aufgenommen, der sechs Monate dauerte. Nach Zuweisung der nächsten 20 Teilnehmer begann der nächste Kurs. Innerhalb eines Projektes wurden demnach mehrere, aufeinander folgende Kurse durchgeführt, in denen in der Regel jeweils drei Lehrkräfte eingesetzt wurden. Der Inhalt der Deutschkurse für Aussiedler war in dem seit 1994 gültigen Lehrplan/Stoffverteilungsplan der Beklagten geregelt, der sich an den Vorgaben der Bundesanstalt für Arbeit orientierte und ihr vorzulegen war. Die Einhaltung der Pläne wurde von der Bundesanstalt für Arbeit stichprobenartig überprüft. Die Lehrkräfte waren von der Beklagten angewiesen, nach diesen Plänen zu arbeiten. Danach waren 910 Unterrichtsstunden à 45 Minuten in 35 Unterrichtswochen zu erteilen. Die Sprachausbildung hatte in drei Stufen zu erfolgen, wobei das Erreichen des Lernzieles jeder Stufe durch Tests zu überprüfen war, die von den Lehrkräften zu korrigieren waren. Die Tests waren auf Veranlassung der Beklagten von zwei Lehrkräften erstellt worden. Diese Tests waren von den Lehrkräften durchzuführen. Die einzusetzenden Lehrbücher waren aufgeführt, die von der Klägerin während der gesamten Zeit ihrer Tätigkeit für die Beklagte in der jeweils aktuellen Auflage eingesetzt wurden. Für jede Stufe waren Themen vorgegeben, die zusätzlich zu den Unterrichtsthemen der Lehrbücher zu vermitteln waren, etwa die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Umgang mit Behörden und Ämtern, Darstellung des Schul- und Ausbildungssystems in Deutschland, Arbeitsplatzsuche, Wohnungssuche, Rollenspiele über Alltagssituationen. Ferner ...