Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Maßnahmen der Behandlungspflege. zeitlicher Zusammenhang mit Verrichtung der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Leistungspflicht der Pflegeversicherung. ärztliche Verordnung. Kostenerstattung
Leitsatz (amtlich)
Es ist nicht der Regelfall, dass während der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung die Beatmungskontrolle als Behandlungssicherungspflege in den Hintergrund tritt.
Orientierungssatz
Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch dann, wenn dieser Hilfebedarf bei der Beurteilung von Pflegebedürftigkeit berücksichtigt wird.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28. August 2007 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Urteils wie folgt gefasst wird:
Der Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. September 2006 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 129.252,25 zu zahlen sowie die Kosten der Behandlungssicherungspflege ab April 2009 in vollem Umfang - abzüglich des von der Beigeladenen zu tragenden (Sach-)Kostenanteils gemäß § 36 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI - zu übernehmen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Die Beklagte dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für Behandlungssicherungspflege vom 01. November 2005 bis 31. März 2009 € 129.252,25 zu erstatten und die Kosten der Behandlungssicherungspflege ab April 2009 im vollem Umfang, abzüglich des von der Beigeladenen zu tragenden Kostenanteils für erbrachten Pflegesachleistungen nach Pflegestufe III, zu übernehmen.
Der am 1956 geborene verheiratete Kläger, dessen Ehefrau E. G. zur Betreuerin bestellt ist, bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Bund Rente wegen voller Erwerbsminderung (Rentenzahlbetrag ab 01. März 2006 € 768,07). Als Rentner ist er bei der Beklagten krankenversichert und bei der Beigeladenen pflegeversichert. Der Kläger erkrankte am 11. Oktober 2004 an einer bakteriellen Meningitis/Meningoenzephalitis. Er wurde seit 16. Dezember 2004 im Rahmen einer neurologischen Frührehabilitation im Fachkrankenhaus N. stationär behandelt. Nach dem Arztbrief des Facharztes für Neurologie Dr. S. von der genannten Klinik vom 08. September 2005 bestanden beim Kläger folgende Diagnosen: Zentrale pontine und extrapontine Myelinolyse, rezidivierende Hyponatriämie, zerebrales Salzverlustsyndrom (CSWS) nach bakterieller Meningitis/Meningoenzephalitis. Es bestand danach dauernde Beatmungspflicht. Die Ehefrau als medizinischer Laie sei nicht in der Lage, die im Zusammenhang mit der Beatmungssituation notwendigen Tätigkeiten zu übernehmen. Dafür sei eine 24-Stunden-Betreuung durch qualifiziertes Pflegepersonal unbedingt notwendig. Insbesondere könne ihr und dem Kläger nicht zugemutet werden, die ohne Vorhersagbarkeit auftretenden Sättigungseinbrüche, die auch potentiell lebensgefährlich sein könnten, zu managen. Es wurden die Leistungen der Behandlungspflege aufgeführt, die vom Pflegepersonal zu erbringen seien. Der Kläger entschied sich, die Pflegesachleistungen und die Behandlungspflege durch den M. Hilfsdienst e.V. Ambulante Pflege in E. (Pflegedienst) durchführen zu lassen (vgl. Pflegevertrag vom 25. Oktober 2005). Am 25. Oktober 2005 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen.
Am 15. September 2005 hatte er bereits bei der Beigeladenen Leistungen der Pflegeversicherung in Form von Sachleistungen beantragt. Die Beigeladene veranlasste seine Begutachtung durch die Pflegefachkraft Se. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), die am 30. November 2005 in seiner häuslichen Umgebung durchgeführt wurde. Im am 12. Dezember 2005 erstellten Gutachten wurde ausgeführt, der Versicherte benötige voll umfassende 24-Stunden-Pflege und Betreuung. Er sei beatmungspflichtig, erhalte 1,5 bis 2 Liter Sauerstoff pro Minute, benötige spezielle Lagerung, Vibraxmassage zum Lösen des Schleims und müsse regelmäßig oral und nasal abgesaugt werden bei ständigem Speichelfluss. Diese werde zweimal wöchentlich über die PEG-Sonde abgeführt. Der Hilfebedarf bei der Grundpflege wurde mit täglich 246 Minuten eingeschätzt, nämlich für die Körperpflege 112 Minuten, für die Ernährung (Sondenkost) 35 Minuten und für die Mobilität 99 Minuten; der Hilfebedarf für die hauswirtschaftliche Versorgung betrug danach täglich 60 Minuten. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2005 bewilligte die Beigeladene dem Kläger ab 25. Oktober 2005 Pflegesachleistungen nach Pflegest...