Prof. Dr. Michael Worzalla
Rz. 63
Das in § 613a Abs. 6 BGB – im Gegensatz zum Europarecht – in der Bundesrepublik geregelte Widerspruchsrecht ermöglicht es dem Arbeitnehmer, den Übergang des Arbeitsvertrags auf den Betriebserwerber und damit den Austausch des Vertragspartners zu verhindern. Das Widerspruchsrecht hat seine verfassungsrechtliche Grundlage in der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheit der Arbeitsplatzwahl.
Erlischt der bisherige Betriebsinhaber vollständig und tritt der neue Arbeitgeber durch gesellschaftsrechtliche Gesamtrechtsnachfolge in die Arbeitsverhältnisse ein, so besteht kein Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 6 BGB, da das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen erloschenen Arbeitgeber nicht fortgesetzt werden kann. Die Unterrichtungspflicht besteht jedoch weiter. Aus deren Missachtung können sich Schadensersatzansprüche ergeben.
Rz. 64
Nach § 613a Abs. 6 BGB muss der Widerspruch schriftlich nach § 126 BGB erfolgen (eigenhändige Unterschrift!). Er kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber und gegenüber dem Erwerber erklärt werden. Bisheriger Arbeitgeber i. S. d. § 613a Abs. 6 BGB ist derjenige, der bis zum letzten Betriebsübergang den Betrieb innehatte. Neuer Inhaber ist der Erwerber des letzten Betriebsübergangs. Es ist somit Sache desjenigen Betriebsveräußerers oder Betriebserwerbers, der den Widerspruch entgegennimmt, die andere Partei des Betriebsübergangs von dem Widerspruch des Arbeitnehmers zu unterrichten. Unterlässt er es, so berührt es die Wirksamkeit des ausgesprochenen Widerspruchs nicht.
Der Widerspruch kann auch noch nach dem Betriebsübergang erfolgen. Nach Auffassung des BAG soll dies sogar noch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses möglich sein. Ist das Arbeitsverhältnis nach einem Betriebsübergang erneut im Wege eines weiteren Betriebsübergangs übergegangen, kann dem 1. Arbeitgeber gegenüber ein Widerspruch gegen den 1. Übergang des Arbeitsverhältnisses jedoch regelmäßig nicht mehr erklärt werden. Das gilt jedenfalls, wenn nicht wirksam dem 2. Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprochen worden ist, aber auch dann, wenn die Unterrichtung über den 1. Betriebsübergang die grundlegenden Informationen des § 613a Abs. 5 BGB enthielt und die Monatsfrist abgelaufen ist.
Rz. 65
Die Widerspruchsfrist beträgt einen Monat und wird nach den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB berechnet. Der Gesetzgeber hat Vorschläge zur Einführung einer Höchstfrist für die Ausübung des Widerspruchsrechts nicht aufgenommen. Allerdings kann der Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht verwirken, wenn er vom Betriebsübergang Kenntnis hat. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines Zeit- und eines Umstandsmoments. Das Umstandsmoment und das Zeitmoment stehen in einer Wechselwirkung. Je gewichtiger das Umstandsmoment ist, desto schneller kann ein Anspruch verwirken. Je mehr Zeit seit dem Betriebsübergang verstrichen ist und je länger der Arbeitnehmer bereits für den Erwerber gearbeitet hat, desto geringer sind die Anforderungen an das Umstandsmoment. Liegen auch Umstandsmomente vor, erscheint dabei in Anlehnung an § 124 BGB ein Zeitmoment von einem Jahr als plausible Faustregel. Für das Zeitmoment kann aber bei Vorliegen entsprechender Umstandsmomente auch eine Frist von 6 oder knapp 5 Monaten ausreichend sein, wenn in der Gesamtbetrachtung weitere, verstärkende Momente zu beachten sind. Die Frist für das Zeitmoment beginnt grds. einen Monat nach der Unterrichtung über den Betriebsübergang in Textform, auch wenn diese unvollständig oder fehlerhaft war. Wann ein Umstandsmoment zu bejahen ist, entwickelt das BAG in einer Kasuistik. Das Umstandsmoment wird vom BAG insbesondere bejaht, wenn der Arbeitnehmer über sein Arbeitsverhältnis disponiert, z. B., indem er sich gegen eine vom Erwerber ausgesprochene Kündigung nicht zur Wehr setzt oder einen Altersteilzeitvertrag schließt. Gleiches gilt, wenn er einen Aufhebungsvertrag oder Abwicklungsvertrag mit dem Erwerber schließt oder durch einen dreiseitigen Vertrag zu einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft wechselt. Das BAG bejaht ein Umstandsmoment auch dann, wenn der Arbeitnehmer mit dem Betriebserwerber bei tatsächlich gegebenem Betriebsübergang vereinbart, zwischen ihnen habe nie ein Arbeitsverhältnis bestanden und eine nicht näher vereinbarte Zahlung mit dem Erwerber verabredet. Neuer und alter Arbeitgeber können sich hinsichtlich des Umstandsmoments wechselseitig auf die Kenntnis des anderen über das Arbeitnehmerverhalten berufen. Die bloße Weiterarbeit beim Erwerber schafft aber noch kein Umstandsmoment. In einem solchen Fall soll das Widerspruchsrecht frühestens nach sieben Jahren (!) verwirken. Das erscheint wenig praxisgerecht. Bedenkenswert erscheint es daher nach wie vor, die Frist für die Ausübung des Widerspruchsrechts aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch bei ungenügender Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB zeitlich zu begrenzen. So wurde schon im Ge...