Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifgeltung für versicherungsfreie Studierende
Leitsatz (redaktionell)
Der Ausschluß der Studierenden, die nach § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V versicherungsfrei sind, aus dem Geltungsbereich des BAT (§ 3 Buchst n) ist im Verhältnis zu anderen von der Tarifregelung erfaßten teilzeitbeschäftigten Angestellten mit gleichem Arbeitsumfang gleichheitswidrig und daher unwirksam.
Normenkette
BGB § 242; GG Art. 3 Abs. 1; BAT § 3 Buchst. n; SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 3; BeschFG 1985 Art. 1 §§ 6, 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 Anwendung findet.
Die Klägerin ist seit dem 7. Oktober 1985 als Krankenschwester bei dem beklagten Land im Klinikum der Universität Tübingen beschäftigt. Bei Aufnahme des Studiums der Klägerin im Bereich Erziehungswissenschaften und Pädagogik an der Universität Tübingen schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag vom 14. September 1990, wonach die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der weiterhin als Krankenschwester beschäftigten Klägerin ab dem 15. Oktober 1990 nur noch 25 % der Arbeitszeit eines entsprechenden Vollzeitbeschäftigten (rund 9,6 Stunden wöchentlich) beträgt. In § 3 des Arbeitsvertrags heißt es:
"Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach den
§§ 611 - 630 des Bürgerlichen Gesetzbuches und
dem Bundesurlaubsgesetz ... und den diese Bestim-
mungen ändernden und ergänzenden Rechtsvorschrif-
ten.
Weiter gelten für das Arbeitsverhältnis die
§§ 4 - 10, 13, 14, 18, 22, 23, 23 a, 26, 27, 28,
29, 30, 33, 34, 36 Abs. 1 - 6, 38, 42, 58 - 61,
66 und 70 des ... BAT ... in der jeweils gelten-
den Fassung ..."
Die Klägerin ist als ordentliche Studierende nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V versicherungsfrei. Dadurch, daß der BAT nicht vollständig auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden ist, entstehen ihr in Bezug auf Urlaubsanspruch, Urlaubsgeld, Schichtzulage und Freistellungsanspruch nach § 15 a BAT Nachteile. Mit anderen Angestellten, die in gleichem Umfang wie sie zur Arbeitsleistung verpflichtet sind, vereinbart das beklagte Land regelmäßig die Anwendung des BAT in seiner vollständigen Fassung.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe Anspruch auf Gleichbehandlung mit den nichtstudierenden Arbeitnehmern, die im gleichen Umfang wie sie beschäftigt sind. Art. 3 Abs. 1 GG verbiete eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmergruppen, wenn sie nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei. Solche lägen nicht vor. Weder ihre soziale Lage als Studentin noch die für die Nebentätigkeit eines Studenten bestehende Versicherungsfreiheit berechtigten zur Differenzierung.
Die Klägerin hat, soweit dies für die Revisionsinstanz erheblich ist, beantragt:
Es wird festgestellt, daß auf das Arbeitsverhält-
nis der Parteien seit 15. Oktober 1990 durchgän-
gig der BAT in der jeweils geltenden Fassung An-
wendung gefunden hat und weiterhin Anwendung fin-
det.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin sei nach § 3 Buchst. n BAT vom Geltungsbereich des BAT ausgeschlossen. Sachlicher Grund sei nicht nur die Versicherungsfreiheit, sondern auch, daß es sich hier um eine Nebenbeschäftigung handele, die neben der durch das Studium vorgegebenen Hauptbeschäftigung ausgeübt werde.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klage sei unzulässig. Sie betreffe kein Rechtsverhältnis, sondern eine Rechtsfrage, die nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein könne. Auch in der Sache habe die Klage keinen Erfolg. Die Klägerin werde als versicherungsfreie Studierende nicht vom persönlichen Geltungsbereich des BAT erfaßt. Darin liege kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Den Tarifvertragsparteien stehe es frei, für die Nebenbeschäftigung Studierender eine eigenständige Regelung zu treffen, um den beiderseitigen Interessen und den Eigenarten solcher Beschäftigungsverhältnisse Rechnung zu tragen.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.
1. Die Klage ist zulässig.
Der Feststellungsantrag der Klägerin betrifft ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die Frage der Geltung eines Tarifvertrags zum Gegenstand eines Feststellungsantrags gemacht werden (BAG Urteil vom 30. Juli 1992 - 6 AZR 11/92 - BAGE 71, 68, 71 = AP Nr. 1 zu § 1 TV Ang Bundespost, zu B I der Gründe m.w.N.). Daran ändert sich im Gegensatz zur Auffassung des beklagten Landes nichts dadurch, daß bereits ein Teil des Tarifvertrags, nämlich die in § 3 des Arbeitsvertrags genannten Bestimmungen des BAT, kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung gilt. Trotzdem ist ungeklärt, ob der Tarifvertrag mit all seinen Regelungen auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden ist.
2. Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat gegen das beklagte Land aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl. § 242 BGB i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) einen Anspruch auf Anwendung des BAT in seiner vollständigen und jeweiligen Fassung ab dem 15. Oktober 1990.
a) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt, wenn der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage sachfremd schlechterstellt. Bildet der Arbeitgeber Gruppen von begünstigten und benachteiligten Arbeitnehmern, muß diese Gruppenbildung sachlichen Kriterien entsprechen (vgl. BAG Urteil vom 25. April 1995 - 3 AZR 446/94 - AP Nr. 25 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 19. April 1995 - 10 AZR 136/94 - AP Nr. 172 zu § 611 BGB Gratifikation, zu II 2 a der Gründe). Daran fehlt es hier.
b) Nach den für den Senat maßgebenden Feststellungen vereinbart das beklagte Land mit teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, die ein wöchentliches Arbeitsvolumen von 25 % der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten (rund 9,6 Stunden) schulden und weder studieren noch die Voraussetzungen einer geringfügigen Beschäftigung erfüllen, die Anwendung des BAT. Dadurch, daß nach dem Arbeitsvertrag nur einzelne Bestimmungen des BAT gelten sollen, wird die Klägerin gegenüber diesen Arbeitnehmern unterschiedlich behandelt. Während diese alle tarifvertraglichen Leistungen beanspruchen können, steht der Klägerin nur ein Teil derselben zu. Sie ist somit benachteiligt, denn entsprechende oder günstigere einzelvertragliche Vereinbarungen, die an die Stelle der ausgesparten Tarifregelungen treten, sind nicht festgestellt oder behauptet.
c) Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung liegt nicht vor.
Zu Unrecht beruft sich das beklagte Land darauf, daß § 3 Buchst. n BAT die Unterscheidung erlaube. Diese Bestimmung ist wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam, soweit sie Studierende, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V versicherungsfrei sind, vom Geltungsbereich des BAT ausnimmt. §§ 2, 6 BeschFG schließen dieses Ergebnis nicht aus (vgl. BAG Urteil vom 7. März 1995 - 3 AZR 282/94 - AP Nr. 26 zu § 1
BetrAVG Gleichbehandlung, zu B II 2 b der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
aa) Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen. Der allgemeine Gleichheitssatz ist Teil der objektiven Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht (BVerfGE 21, 362, 372 = AP Nr. 9 zu § 1542 RVO, zu B II 3 a der Gründe). Er ist auch von den Tarifvertragsparteien zu beachten. Art. 9 Abs. 3 GG steht dem nicht entgegen. Mit der Tarifautonomie ist den Tarifvertragsparteien die Macht verliehen, wie ein Gesetzgeber Rechtsnormen zu setzen. Dementsprechend müssen sie sich auch wie der Gesetzgeber an die zentrale Gerechtigkeitsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG halten. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt vor, wenn im wesentlichen gleichliegende Sachverhalte ohne sachlich einleuchtenden Grund unterschiedlich behandelt werden (BVerfGE 25, 198, 205; 25, 314, 321; 49, 280, 283). Ein sachlich einleuchtender Grund dafür, innerhalb der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten für die Tarifgeltung darauf abzustellen, ob der Arbeitnehmer versicherungsfreier Studierender ist oder nicht, ist nicht ersichtlich.
bb) § 3 Buchst. n BAT betrifft Teilzeitarbeitsverhältnisse, die nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien als alleinige Existenzgrundlage nicht ausreichen. Dies ergibt sich aus der Protokollnotiz zu § 3 Buchst. n BAT. Danach sind nebenberuflich tätig i.S. dieser Tarifnorm Angestellte mit einer arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 18 Stunden, die ihre Angestelltentätigkeit neben einer hauptberuflichen Erwerbstätigkeit ausüben. Zu Unrecht meint das beklagte Land unter Berufung hierauf, die Klägerin übe als Studentin eine Nebenbeschäftigung aus, die neben der durch das Studium vorgegebenen Hauptbeschäftigung wahrgenommen werde. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt nicht die unterschiedliche Behandlung.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts durch Urteil vom 1. November 1995 (- 5 AZR 84/94 -, zur Veröffentlichung vorgesehen) seine bisherige Rechtsprechung, nach der Teilzeitarbeit schlechter bezahlt werden dürfe als Vollzeitarbeit, wenn der Teilzeitarbeitnehmer einen Hauptberuf ausübe und dadurch eine gesicherte Existenzgrundlage habe (vgl. BAGE 66, 17 = AP Nr. 8 zu § 2 BeschFG 1985; BAGE 70, 48 = AP Nr. 19 zu § 1 BeschFG 1985), aufgegeben hat. Einer Stellungnahme zu dieser neuen Rechtsprechung bedarf es nicht. Bei einem Studierenden kann von einer Haupttätigkeit im Sinne der aufgegebenen Rechtsprechung ohnehin keine Rede sein. Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt kann, um i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V versicherungsfrei zu sein, immer nur eine Teilzeitbeschäftigung von nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich sein (vgl. Hauck/Haines, SGB V, Stand: März 1996, K § 6 Rz 66). Studierende mögen regelmäßig Ansprüche auf Unterhalt oder auf Leistungen nach den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes haben. Diese Leistungen gewähren aber grundsätzlich keine gesicherte Existenzgrundlage. Studierende sind deshalb in aller Regel auf ihren Verdienst aus Nebentätigkeit wirtschaftlich angewiesen. Daß die Dinge bei der Klägerin anders gelegen hätten, ist weder festgestellt noch behauptet worden.
cc) Als sachlicher Grund kann auch nicht die für die Nebentätigkeit von Studenten bestehende Versicherungsfreiheit angesehen werden. Zu Recht hat der Dritte Senat im Urteil vom 7. März 1995 (- 3 AZR 282/94 - AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B II 2 d gg der Gründe) ausgeführt, die im Sozialversicherungs- und Steuerrecht getroffenen Differenzierungen verfolgten öffentlich-rechtliche Zwecke und seien dort unmaßgeblich, wo auf die arbeitsrechtliche Bedeutung und Zielsetzung abgestellt werden müsse. Es handele sich um unterschiedliche, miteinander nicht zu vergleichende Rechtsgebiete. Dies gilt auch hier. Ein sachlicher Grund dafür, einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer deshalb, weil er wegen seiner mit dem Arbeitsverhältnis nicht in Zusammenhang stehenden Eigenschaft als Student in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei ist, gegenüber einem anderen Teilzeitbeschäftigten mit gleicher Arbeitszeit unterschiedlich zu behandeln, ist nicht ersichtlich.
d) Ist damit der Ausschluß der versicherungsfreien teilzeitbeschäftigten Studierenden vom Geltungsbereich des BAT wegen Fehlens einer sachlichen Rechtfertigung nach Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam, kann das beklagte Land für die individualrechtliche Behandlung der Klägerin nicht auf das Ordnungssystem des BAT als Differenzierungsgrund verweisen. Das beklagte Land hat den BAT entsprechend seiner Handhabung gegenüber den anderen Teilzeitbeschäftigten auch auf das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin anzuwenden.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Dr. Peifer Dr. Freitag Dr. Armbrüster
Soltau Augat
Fundstellen
BAGE 82, 344-349 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BAGE, 344 |
BB 1996, 2464 |
BB 1996, 2464-2465 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BB 1996, 910 |
DB 1996, 2549 (Leitsatz 1 und Gründe) |
DStR 1996, 1495 (Kurzwiedergabe) |
NJW 1997, 965 (Leitsatz 1) |
EBE/BAG Beilage 1996, Ls 356/96 (Leitsatz 1) |
ARST 1996, 280 (Leitsatz 1) |
NZA 1996, 1280 |
NZA 1996, 1280-1282 (Leitsatz 1 und Gründe) |
RdA 1997, 57 (Leitsatz 1) |
USK, 9657 (Gründe) |
ZAP, EN-Nr 503/96 (Kurzwiedergabe) |
ZTR 1996, 549-550 (Leitsatz 1 und Gründe) |
AP § 2 BeschFG 1985, Nr 49 |
AP § 242 BGB Gleichbehandlung (Leitsatz 1), Nr 146 |
AP § 3 BAT (Leitsatz 1 und Gründe), Nr 10 |
AP § 611 BGB Werkstudent (Leitsatz 1), Nr 5 |
AR-Blattei, ES 800 Nr 124 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ArbuR 1996, 504 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ArbuR 1997, 35-36 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzA-SD 1996, Nr 22, 16 (Leitsatz 1-2) |
EzA § 2 BeschFG 1985, Nr 47 (Leitsatz 1) |
EzA, (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzBAT § 3 Buchst n (nF) BAT, Nr 8 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ZMV 1997, 93 |
ZMV 1997, 93-94 (red. Leitsatz 1-3, Kurzwiedergabe) |
PflR 1998, 144 |