Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldner von Lohnsteuer - keine Bindung des FA an eine dem Arbeitgeber erteilte Anrufungsauskunft im Lohnsteuerverfahren des Arbeitnehmers - beschränkte Steuerpflicht eines GmbH-Geschäftsführers ohne Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitnehmer ist Schuldner von Lohnsteuer.
2. Nach einer dem Arbeitgeber erteilten Anrufungsauskunft ist das FA nicht daran gehindert, im Lohnsteuerverfahren dem Arbeitnehmer gegenüber einen anderen ungünstigeren Rechtsstandpunkt zu vertreten als im Auskunftsverfahren.
Orientierungssatz
1. Ein Geschäftsführer einer inländischen Kapitalgesellschaft, der weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, übt die nichtselbständige Tätigkeit am Sitz der Gesellschaft im Inland aus (vgl. BFH-Beschluß vom 15.11.1971 GrS 1/71). Im Streitfall hatte der Geschäftsführer seinen Wohnsitz in Italien. Die Besteuerung der Geschäftsführerbezüge war nicht durch das DBA-Italien ausgeschlossen. Der Senat konnte offenlassen, ob der Beschluß des Großen Senats des BFH auch auf neuere DBA zutrifft.
2. Parallelentscheidung: BFH, 28.8.1991, I R 2/89, NV.
Normenkette
EStG § 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 42e; DBA ITA Art. 7 Abs. 1; EStG § 1 Abs. 3, § 49 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Streitjahren 1980 bis 1982 im Handelsregister eingetragener Mitgeschäftsführer der X-GmbH (GmbH) --Bundesrepublik Deutschland-- und bezog insoweit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er hatte seinen Wohnsitz in M/Italien. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte auf Antrag der GmbH mit Bescheinigungen gemäß § 39d Abs.3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs.6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für die Streitjahre geltenden Fassung die Geschäftsführerbezüge des Klägers aufgrund Art.7 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiete der direkten Steuern vom 31.Oktober 1925 --DBA-Italien-- (RGBl II 1925, 1145) widerruflich vom Lohnsteuerabzug frei. Die Bescheinigungen waren an die GmbH zu Händen des Geschäftsführers A gerichtet. Eine Lohnsteuerprüfung im Juli 1982, die auch die Jahre 1980 und 1981 umfaßte, ergab keine Beanstandungen.
Einen Antrag der GmbH auf Verlängerung der Freistellungsbescheinigungen für das Jahr 1983 lehnte das FA mit Verfügung vom 8.Februar 1983 ab. Ihm war zwischenzeitlich bekanntgeworden, daß nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Geschäftsführer einer inländischen Kapitalgesellschaft, der seinen Wohnsitz im Ausland hat und dort die Geschäfte der Gesellschaft führt, seine persönliche Tätigkeit am Sitz der Gesellschaft im Inland ausübt (Beschluß des Großen Senats vom 15.November 1971 GrS 1/71, BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68). Das FA forderte mit Lohnsteuernachforderungsbescheid vom 21.Dezember 1984 die auf die Jahre 1980 bis 1982 entfallende Lohnsteuer (insgesamt 42 075 DM) vom Kläger nach. In der Anlage zum Bescheid widerrief das FA die erteilten Freistellungsbescheinigungen.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage sah das Finanzgericht (FG) als begründet an.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 42d Abs.3 EStG sowie des § 38 Abs.2 EStG.
Es beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; das Urteil des FG war aufzuheben (§ 126 Abs.2 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klage war abzuweisen. Das FA hat den Kläger zu Recht wegen der nicht abgeführten Lohnsteuer in Anspruch genommen.
Der Kläger unterlag mit den Geschäftsführerbezügen --wie zwischen den Beteiligten unstrittig-- der beschränkten Steuerpflicht. Er hatte im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 1 Abs.3 EStG in der für die Streitjahre gültigen Fassung --jetzt § 1 Abs.4 EStG--). Die Bezüge zählen gemäß § 49 Abs.1 Nr.4 EStG zu den inländischen Einkünften; denn er übt als Geschäftsführer einer inländischen Kapitalgesellschaft die nichtselbständige Tätigkeit am Sitz der Gesellschaft im Inland aus (Beschluß des Großen Senats in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68). Die Besteuerung ist nicht durch das DBA-Italien ausgeschlossen. Nach Art.7 Abs.1 DBA-Italien steht das Besteuerungsrecht dem Staat zu, in dem die nichtselbständige Tätigkeit ausgeübt wird. Der Senat kann offenlassen, ob der Beschluß des Großen Senats auch auf neuere DBA zutrifft.
Von den Bezügen war Lohnsteuer zu erheben; denn sie wurden von einem Arbeitgeber gezahlt, der im Inland seine Geschäftsleitung hatte (§ 38 Abs.1 Satz 1 EStG in der für die Streitjahre gültigen Fassung).
Der Kläger ist gemäß § 38 Abs.2 Satz 1 EStG Schuldner der Lohnsteuer.
Dem steht § 42d Abs.3 Satz 4 EStG nicht entgegen, wonach der Arbeitnehmer nur in Anspruch genommen werden kann, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten hat oder der Arbeitnehmer weiß, daß der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat. Durch die Formulierung in § 42d Abs.3 Satz 4 EStG wird nicht der Grundsatz eingeschränkt, demzufolge der Arbeitnehmer Schuldner der Steuer ist (vgl. BFH-Urteil vom 17.Mai 1985 VI R 137/82, BFHE 144, 217, BStBl II 1985, 660).
Die der GmbH erteilte Freistellungsbescheinigung steht der Inanspruchnahme des Klägers nicht entgegen. Der Senat hält insoweit die Grundsätze für anwendbar, die im Falle einer unrichtigen Anrufungsauskunft nach § 42e EStG gelten. Das FA ist bei einer dem Arbeitgeber erteilten Anrufungsauskunft nicht daran gehindert, im Lohnsteuerverfahren dem Arbeitnehmer gegenüber einen anderen ungünstigeren Rechtsstandpunkt zu vertreten als im Auskunftsverfahren gegenüber dem Arbeitgeber (BFH-Urteil vom 13.November 1959 VI 124/59 U, BFHE 70, 290, BStBl III 1960, 108).
Die personenbezogene Bindung sowohl der Anrufungsauskunft als auch des Freistellungsbescheides entspricht dem Sinn beider Institutionen. Sie wollen sicherstellen, daß der Anrufende im Rahmen des Abzugsverfahrens ohne Risiko der Inanspruchnahme disponieren kann. Insbesondere hat der Arbeitgeber daran ein Interesse, wenn er sich zwischen den Belangen des FA und den Ansprüchen des Arbeitnehmers entscheiden muß.
Der Senat weicht mit seiner Entscheidung von dem BFH-Urteil vom 9.März 1979 VI R 185/76 (BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451) auch nicht unter dem Gesichtspunkt ab, daß für die Anrufungsauskunft und die Freistellungsbescheinigung die gleichen Grundsätze gelten. Das BFH-Urteil in BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451 betraf eine dem Arbeitnehmer erteilte Anrufungsauskunft und die Bindungswirkung im Lohnsteuer-Jahresausgleichs- bzw. Veranlagungsverfahren. Selbst wenn man die Lohnsteuernachforderung im Falle beschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer wegen der durch § 50 Abs.5 Satz 1 EStG vorgeschriebenen Abgeltungswirkung dem Lohnsteuer-Jahresausgleichs- bzw. Veranlagungsverfahren gleichstellt, besteht der entscheidende Unterschied gegenüber dem vom BFH-Urteil in BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451 entschiedenen Sachverhalt, daß im Streitfall die Freistellungsbescheinigung dem Arbeitgeber erteilt wurde.
Fundstellen
Haufe-Index 63886 |
BFH/NV 1992, 10 |
BStBl II 1992, 107 |
BFHE 165, 404 |
BFHE 1992, 404 |
BB 1992, 331 |
BB 1992, 331-332 (LT) |
DB 1992, 71-72 (LT) |
DStR 1992, 28 (KT) |
HFR 1992, 134 (LT) |
StE 1991, 439 (K) |