Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung und Auflösungsantrag wegen kritischer Äußerungen über den Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn kritische Äußerungen des Arbeitnehmers über den Arbeitgeber (hier: Internetbeitrag) vom Grundrecht der freien Meinungsäußerungen gedeckt sind, verletzen sie auch keine arbeitsvertraglichen (Rücksichtnahme-)Pflichten.
2. Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG erfordert eine Abwägung der Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers mit den Interessen des Arbeitgebers.
Normenkette
KSchG §§ 1, 9
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 19.02.2009; Aktenzeichen 6 Ca 6113/08) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 19.02.2009 – 6 Ca 6113/08 – wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das oben genannte Urteil in Ziff. 2 abgeändert:
Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung und einen von der Beklagten hilfsweise gestellten Auflösungsantrag.
Der am 18. Oktober 1954 geborene, verheiratete und noch 2 Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 13. Januar 1986 bei der Beklagten beschäftigt. Er war zuletzt als Maschinenbediener im Stammwerk Z. mit einem monatlichen Einkommen von 3.200,00 EUR brutto tätig. Seit dem 22.03.2007 ist der Kläger schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100. Der Kläger ist Mitglied der IG Metall und gewerkschaftlicher Vertrauensmann im Betrieb. In der Zeit von 1994 bis 1998 war der Kläger Betriebsrat (im Entwicklungszentrum W.). Der Kläger ist ferner Mitglied des Solidaritätskreises „Einer für Alle – Alle für Einen”.
Die Beklagte ist ein Großunternehmen der Automobilindustrie und beschäftigt allein in ihrem Betrieb in S. mehrere Tausend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die streitgegenständliche Kündigung ist die fünfte Kündigung der Beklagten in einer langjährigen (gerichtlichen) Auseinandersetzung zwischen den Parteien. Die Beklagte stützt die Kündigungen auf verschiedene Äußerungen des Klägers oder ihm angeblich zuzurechnender Erklärungen in (Betriebs) Zeitschriften, Info-Blättern und Beiträgen im Internet. Soweit für die Beurteilung der streitgegenständlichen Kündigung von Interesse, erschien am 26.09.2002 das „Solidaritätskreis-Info” Nr. 1 des Solidaritätskreises „Einer für Alle – Alle für Einen „. In diesem Informationsblatt ging es u.a. um angebliche politische Maßregelungen von 2 weiteren Arbeitskollegen und Mitgliedern des Solidaritätskreises. Das „Solidaritätskreisinfo” endete folgendermaßen:
„
- • „In dieser Sache richten wir uns an die Arbeiter und die breite Bevölkerung.
- • Wir greifen die verschärfte Ausbeutung an und weisen die Angriffe auf die politischen und gewerkschaftlichen Rechte zurück.
- • Wir lehnen die menschenverachtende Jagd auf Kranke ab.
- • Wir setzen uns ein für das Recht auf freie politische und gewerkschaftliche Betätigung im Betrieb und die Rücknahme der politischen Maßregelung nach der Tarifrunde.
- • Für die Weiterbeschäftigung von K.
• Für die Rücknahme der Abmahnung von H.
Name: |
Adresse: |
Unterschrift: |
Kontaktadresse: Name, Adresse und E-Mail Anschrift des Klägers.”
Am 04.12.2002 sprach die Beklagte die erste ordentliche Kündigung aus und stellte im darauf folgenden Kündigungsschutzprozess hilfsweise einen Auflösungsantrag. Mit Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 12.01.2006 (2 AZR 21/05) wurde wie in den Vorinstanzen die Kündigung für unwirksam erklärt und der Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Die zweite Kündigung der Beklagten vom 24.06.2004 wurde durch das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Baden-Württemberg vom 01.02.2007 (21 Sa 73/06) rechtskräftig für unwirksam erklärt und der Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Auch die dritte, außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.05.2006 wurde erstinstanzlich für unwirksam erklärt und der Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Der Kündigungsschutzprozess endete durch Berufungsrücknahme der Beklagten vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg am 25.01.2008 (7 Sa 73/07). Die vierte Kündigung vom 06.12.2006 nahm die Beklagte im Kündigungsschutzprozess zurück. Seit dem 01.07.2003 wird der Kläger bei der Beklagten nicht mehr beschäftigt. Seither wurden in 5 Beschlüssen Zwangsgelder in Höhe von insgesamt 75.000,00 EUR gegen die Beklagte festgesetzt.
Die Beklagte stützt die streitgegenständliche Kündigung auf schwere und gezielte Loyalitätspflichtverletzungen des Klägers. Diese sieht die Beklagte zum einen in einem Rundschreiben des Klägers im Internet (www.l..de), in dem der Kläger um zahlreiches Erscheinen in einer Gerichtsverhandlung bittet und in dem folgende Äußerungen enthalten sind (Bl. 119 und 120 der erstinstanzlichen Akte):
„Dieses BAG-Urteil (Anmerkung: vom 12.01.2006) ist ein Erfolg für die Arbeiterbewegung hier in Deutschland, den(n) m...