Prof. Dr. Peter Wollmert, Prof. Dr. Peter Oser
Die Bilanzierung der Einnahmen aus Pfandgeldern in der Getränkeindustrie ist seit vielen Jahren von steuerlichen Vorgaben geprägt und seit der Entscheidung des BFH v. 9.1.2013 (BFH, Urteil v. 9.1.2013, I R 33/11, BStBl 2019 II S. 150) heftig umstritten.
Während die Einnahmen aus dem Verkauf von Getränken regelmäßig ergebniswirksam als Umsatzerlöse zu erfassen sind, werden die Einnahmen aus Pfandgeldern entweder als Entgelt für den Verkauf des Leerguts – mit der Folge einer erfolgswirksamen Erfassung als Umsatzerlöse – oder als Kaution für die Rückgabe des Mehrwegleerguts – mit der Folge einer erfolgsneutralen Erfassung als Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten – interpretiert. Nach Ansicht des BMF (BMF, Schreiben v. 13.6.2005, IV B 2 – S 2137 – 30/05, BStBl 2005 I S. 715) waren Einnahmen aus Pfandgeldern stets erfolgswirksam zu erfassen und für die Verpflichtung zur Rückzahlung des erhaltenen Pfandgelds bei Rückgabe des Leerguts stets eine (ergebnisneutralisierende) Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden.
Kernaussage
In der Getränkeindustrie werden Flaschen oder Kästen entweder als Individualleergut oder sog. Einheitsleergut verwendet. Individualleergut kann eindeutig einem bestimmten Abfüller zugeordnet werden, weil z. B. der Firmenname in die Flasche oder den Kasten eingeprägt ist. Beim sog. Einheitsleergut ist die Zuordnung zu einem bestimmten Abfüller nicht möglich; die Flaschen oder Kästen können von jedem Abfüller zum Verkauf seiner Produkte eingesetzt werden. Darüber hinaus wird zwischen Einweg- und Mehrwegleergut unterschieden.
Dem BFH zufolge (BFH, Urteil v. 9.1.2013, I R 33/11, BStBl 2019 II S. 150) darf eine Rückstellung für Mehrweg-Einheitsleergut nicht gebildet werden. Diesem, insbesondere im handelsrechtlichen Schrifttum sehr umstrittenen Urteil, hat sich das BMF nach mehr als 6 Jahren mit seinem Schreiben v. 19.2.2019 (BMF, Schreiben v. 19.2.2019, IV C 6 – S 2133/13/10002, BStBl 2019 I S. 210) – ohne Übergangsregelung – angeschlossen. Nach dem für das Bilanzsteuerrecht maßgeblichen objektiven Fehlerbegriff mussten daraufhin in allen noch offenen Veranlagungen bislang gebildete Rückstellungen ertragswirksam aufgelöst werden. Dies hatte für die Betroffenen zum Teil hohe Steuer(nach)zahlungen zur Folge.
Beim sog. Individual- und beim Brunnen-Einheitsleergut (Pool-System der Genossenschaft Deutscher Brunnen e.G.) blieb es dagegen auch nach dem o. g. BFH-Urteil bei der Rückstellungsbildung für vereinnahmte Pfandgelder.
Die handelsrechtliche Literatur lehnt das BFH-Urteil ab. Da der BFH indes Handelsbilanzrecht ausgelegt hat (§§ 246 und 249 HGB i. V. m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG), ist eine entsprechende Anwendung der Urteilsgrundsätze auf die Handelsbilanz vertretbar, aber nicht zwingend (vgl. weiterführend Bilanz Check-up 2021, Kap. A 11.2, S. 68 f.).
Aufgrund zahlreicher Hinweise der betroffenen Unternehmen und ihrer Verbände hat das BMF mit einem weiteren Schreiben (BMF, Schreiben v. 8.12.2020, IV C 6 – S 2133/19/10002 :013, BStBl 2020 I S. 1367) nunmehr folgende Vereinfachungs- und Übergangsregelungen geschaffen:
(1) Vereinfachungsregelung
Aus Vereinfachungsgründen wird es von der Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn der Steuerpflichtige Einheitsleergut bilanziell wie Individualleergut behandelt. Damit besteht ein Wahlrecht, für die Verpflichtung zur Rückzahlung des erhaltenen Pfandgelds bei Rückgabe des Leerguts eine Rückstellung zu bilden oder nicht. Das Wahlrecht ist einmalig und betriebseinheitlich auszuüben, sodass die Unternehmen künftig unwiderruflich an diese Entscheidung für sämtliche im Umlauf befindlichen Mehrwegflaschen gebunden sind.
Mit dem BMF-Schreiben vom 8.12.2020 räumt die Finanzverwaltung den Unternehmen der Getränkeindustrie aus Vereinfachungsgründen und entgegen der BFH-Rechtsprechung die Möglichkeit (Wahlrecht) ein, in der Steuerbilanz (weiterhin) für vereinnahmte Pfandgelder von Einheitsleergut eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden und so einen Gleichlauf mit der Handelsbilanz zu erreichen.
(2) Übergangsregelung
Sofern ein Unternehmen die Vereinfachungsregelung nicht anwendet und keine Rückstellung (mehr) für Einheitsleergut bildet, kann ein Gewinn aus der Auflösung der in der Vergangenheit gebildeten Rückstellung auf einen Zeitraum verteilt werden, der spätestens am 31.12.2029 endet. Hierzu ist im Jahr der Auflösung (in der Steuerbilanz zum 31.12.2019) eine gewinnmindernde Rücklage zu bilden, die anschließend jährlich in gleichbleibenden Beträgen bis zum 31.12.2029 über 10 Jahre gewinnerhöhend aufzulösen ist.
Sollten Bilanzierende unter Bezugnahme auf das o. g. BFH-Urteil die in der Handelsbilanz für die Verpflichtung zur Rückzahlung des erhaltenen Pfandgelds bei Rückgabe des Einheits-Mehrwegleerguts passivierten Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten ertragswirksam auflösen, scheidet die Verteilung des Ertrags über einen Zeitraum von 10 Jahren durch Bildung einer gewinnmindernden Rücklage handelsr...