Rz. 20
Da der Vergleich gleichzeitig Prozesshandlung und materiell-rechtlicher Vertrag ist, entfaltet er prozess- und materiell-rechtliche Wirkungen. Entspricht der Vergleich den Voraussetzungen des Prozessrechts, ist er also in prozessualer Hinsicht wirksam, beendet er den Rechtsstreit, soweit sich die Beteiligten in dem Vergleich über den Streitgegenstand geeinigt haben. Haben sie sich über den gesamten Streitgegenstand geeinigt, so endet ohne weiteres Zutun die Rechtshängigkeit i. S. d. § 94. Gehen die Beteiligten zumindest davon aus, mit dem Vergleich den gesamten Streitgegenstand zu regeln, empfiehlt sich die Aufnahme einer Erklärung in den Vergleichstext, derzufolge die Beteiligten den gesamten Rechtsstreit für erledigt erklären. Andernfalls bleibt ein möglicherweise übersehener Teil des Rechtsstreits weiter rechtshängig.
Soweit nicht die Auffassung vertreten wird, die Beteiligten könnten die Entscheidung über die Kosten dem Gericht überlassen (siehe hierzu Rn. 13), ist der Rechtsstreit nicht nur in der Hauptsache, sondern in jedem Fall auch hinsichtlich der Kosten beendet. Denn entweder haben die Beteiligten in dem Vergleich eine konkrete Vereinbarung über die Kosten geschlossen oder es gilt die Regelung des § 195, so dass für eine gerichtliche Entscheidung kein Raum mehr vorhanden ist.
Rz. 21
Durch den Vergleich wird ein zuvor angefochtener Verwaltungsakt bindend, soweit in dem Vergleich nicht seine Aufhebung bzw. Abänderung vereinbart worden ist (BSGE 19 S. 295; LSG Thüringen, Breithaupt 2000 S. 334, 335 f.). Eine erneute Klage über denselben Streitgegenstand ist unzulässig (vgl. LSG NRW, Urteil v. 30.8.2000, L 17 U 157/98). Wird der Vergleich nach Urteilsverkündung geschlossen, wird das Urteil wirkungslos, soweit eine abweichende Vereinbarung getroffen worden ist. Der Vergleich ist nach § 199 Abs. 1 Nr. 3 Vollstreckungstitel.
Rz. 22
Die Wirkungen des Vergleichs entfallen nicht dadurch, dass sich die Beteiligten später darüber einigen, nicht mehr am Vergleich festhalten zu wollen (BSGE 19 S. 112 = SozR § 101 Nr. 6). Die bloße Rechtswidrigkeit eines Vergleichs berechtigt auch nicht zur Kündigung (LSG Niedersachsen, Breithaupt 2000 S. 339). Ebenso wenig hat eine Änderung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Einfluss auf die Wirkungen des Vergleichs (LSG NRW, Urteil v. 30.8.2000, L 17 U 157/87). Auch die bloße Nichterfüllung oder verspätete Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung führt nicht zur Unwirksamkeit des Vergleichs (Bay LSG, Urteil v. 30.7.1997, L 1 An 42/97; LSG Sachsen, Urteil v. 3.7.2013, L 3 AS 353/10).
Die materiellen Wirkungen hängen davon ab, ob es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt, was im Sozialgerichtsprozess der Regelfall ist, oder ob es sich um einen privatrechtlichen Vertrag, etwa zwischen einem Leistungserbringer i. S. d. SGB V und einer Krankenkasse, handelt. Die gegenseitigen Rechte und Pflichten hängen, soweit sie nicht ausdrücklich vereinbart worden sind, von den jeweils einschlägigen Vorschriften ab. Es ist eine Frage der Auslegung der Vereinbarungen, wieweit die materiellen Wirkungen reichen und ob bzw. inwieweit damit insbesondere eine Neufeststellung nach § 44 SGB X ausgeschlossen worden ist (BSG, Urteil v. 15.10.1985, 11a RA 58/84, SozR 2200 § 1251 Nr. 115; BSGE 10 S. 248; LSG Hamburg, Urteil v. 1.2.2007, L 6 R 93/06; LSG NRW, Urteil v. 2.11.2006, L 1 AL 24/06). Das gilt insofern auch für eine Neuregelung auf der Basis des § 48 SGB X, als auch dass eine solche vertraglich ausgeschlossen werden kann (hierzu BSG, Urteil v. 12.12.2013, B 4 AS 17/13 R, SozR 4-1500 § 192 Nr. 2 = NZS 2014 S. 276 = Breithaupt 2014 S. 601; LSG Sachsen, Urteil v. 19.2.2014, L 7 VE 15/11).
Rz. 23
Verstößt ein Vergleich nicht gegen materielle Bestimmungen, ist aber prozessrechtlich nicht wirksam, so kann er als außergerichtliche Vereinbarung wirken. Ist er aber in materieller Hinsicht unwirksam, so schlägt dies auf die prozessuale Situation durch. Der Vergleich kann dann auch keine prozessrechtlichen Wirkungen entfalten. Nicht jeder Verstoß gegen materielle Bestimmungen führt aber zur Unwirksamkeit des Vergleichsvertrags. Die Unwirksamkeit kann auf einer Nichtigkeitsbestimmung (§§ 58, 40 SGB X, §§ 134, 138, 116-118 BGB), dem Fehlen der Geschäftsgrundlage (§ 779 BGB) oder einem wirksamen Widerruf beruhen (a. A. bei öffentlich-rechtlichen Verträgen: LSG NRW, Urteil v. 8.2.2006, L 17 U 175/05, siehe Rn. 6). Ein Widerruf kann nur wirksam sein, wenn er im Vergleich vorbehalten war oder der Vergleich unter einer Bedingung stand (vgl. LSG NRW, Urteil v. 29.1.2002, L 6 SB 164/01, HVBG-INFO 2002 S. 3097). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumnis der Widerrufsfrist ist nach allgemeiner Meinung nicht möglich (vgl. auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 18.9.1998, L 3 Ar 16/97). Ob eine wirksame Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB möglich ist, ist umstritten (vgl. Rn. 6).
Ist ein materieller Vertrag von vornherein deswegen nicht wirksam zustande gekommen, weil z. B. das entspr...