1 Allgemeines
Rz. 1
§ 117 stellt klar, dass der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme auch für das sozialgerichtliche Verfahren hohe Bedeutung hat. Nach diesem Grundsatz findet die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung statt, damit der unmittelbare Eindruck von ihrem Inhalt und ihrem Ergebnis in der sich anschließenden Beratung bestmöglich genutzt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss v. 30.1.2008, 2 BvR 2300/07, NJW 2008 S. 2243 f.).
2 Rechtspraxis
Rz. 2
Es ist schwierig, hinsichtlich der Frage, in welchen Fällen genau Beweis außerhalb der mündlichen Verhandlung erhoben werden kann, insgesamt eine klare Linie des Gesetzgebers für das sozialgerichtliche Verfahren auszumachen. Während § 117 davon spricht, dass die Beweiserhebung nicht einen besonderen Termin "erfordern" darf, erlaubt es § 106 Abs. 3 Nr. 4 dem Vorsitzenden, vor der mündlichen Verhandlung Zeugen und Sachverständige "in geeigneten Fällen" vernehmen zu lassen. Man wird insgesamt zunächst nach dem Sinn und Zweck der konkret in Aussicht genommenen Beweisaufnahme unterscheiden müssen. Besteht eine gute Chance, dass das Ergebnis der in Aussicht genommenen Beweisaufnahme nur ein Zwischenergebnis auf dem gesamten Weg der Ermittlungen darstellen wird, die Beweisaufnahme insbesondere eine Weichenstellung für das weitere gerichtliche Vorgehen bedeuten wird, so wird der Vorsitzende von § 106 Abs. 3 Nr. 4 Gebrauch machen. Es gibt Fälle, in denen das Ermessen des Vorsitzenden sogar auf null dahin reduziert sein wird, dass er den Beweis nicht in der mündlichen Verhandlung erhebt, sondern von § 106 Abs. 3 Nr. 4 Gebrauch macht. Dies gilt dann, wenn durch eine Zeugenvernehmung zunächst die Identität weiterer zu vernehmender Zeugen ermittelt werden soll. Beabsichtigt das Gericht etwa, einen namentlich nicht bekannten Krankenhausarzt zu vernehmen, der einen Kläger behandelt hat, und unterlässt die Krankenhausverwaltung es, dem Gericht Auskunft zu der Identität dieses Arztes zu geben, so wird eine Verpflichtung angenommen werden müssen, die erforderliche Vernehmung des Verwaltungsleiters des Krankenhauses nicht in mündlicher Verhandlung, sondern in einem vorgeschalteten Termin durchzuführen, denn es ist fast sicher, dass das Gericht – eben durch Vernehmung des Arztes – sodann weitere Ermittlungsschritte wird gehen müssen.
Rz. 3
Auch in Fällen, in denen es zunächst wahrscheinlich erscheint, dass das Gericht unmittelbar auf die Beweisaufnahme hin ohne weitere Ermittlungen wird entscheiden können, ist es nicht untersagt, von § 106 Abs. 3 Nr. 4 Gebrauch zu machen. Dies ergibt sich inzidenter aus § 375 Abs. 1a ZPO, der zur Vereinfachung des zivilprozessualen Verfahrens geschaffen wurde, über § 118 jedoch auch für das sozialgerichtliche Verfahren anwendbar ist. Zuzugeben ist allerdings, dass § 106 Abs. 3 Nr. 4, § 118 SGG i. V. m. § 375 Abs. 1a ZPO mit dem Wortlaut des § 117 schwerlich in Einklang zu bringen sind. Der Gesetzgeber hat es bislang verabsäumt, insoweit Klarheit zu schaffen.
Lässt man die Beweisaufnahme in einem vorgeschalteten Termin auch in den beschriebenen weitergehenden Fällen zu, so muss allerdings jedenfalls der Tatbestand des § 375 Abs. 1a ZPO erfüllt sein, d. h., es muss von vornherein anzunehmen sein, dass das Prozessgericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag.
Rz. 3a
Es sind mittlerweile mehrere Entscheidungen des BSG ergangen, wonach der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme einen besonders sensiblen Umgang mit solchen Zeugenaussagen erfordert, die nicht in Anwesenheit eines jeden an der Entscheidung mitwirkenden Richters gemacht worden sind. So sieht das BSG die Vernehmung von Zeugen in einem Erörterungstermin in denjenigen Fällen als verboten an, in denen es in besonderem Maße auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen ankommt (BSG, Urteil v. 14.9.1995, 7 RAr 62/95, juris). Ebenfalls einen strengen Maßstab legt das BSG in der Frage der Verwertung von Beweisergebnissen früherer Verfahren an. Mit der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme soll zur Überzeugung des BSG sichergestellt werden, dass diejenigen Richter, die im Rahmen ihrer freien Beweiswürdigung einen Rechtsstreit entscheiden, einen persönlichen Eindruck von den der Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen haben. Es soll nicht ausgeschlossen sein, das Ergebnis einer früheren Beweisaufnahme durch Heranziehung der Niederschrift zu verwerten. Gegenstand dieser Verwertung darf nach Auffassung des BSG jedoch nur das sein, was auf der Wahrnehmung aller an der Entscheidung beteiligten Richter beruht oder aber mindestens aktenkundig ist (vgl. BSG, Beschluss v. 17.8.2006, B 12 KR 79/05 B, juris) . Auch dies gilt jedenfalls dann, wenn die Glaubwürdigkeit eines Zeugen entscheidungserheblich ist. Wenn die Zeugenvernehmung in dem früheren Verfahren vor anderen Richtern vonstatten gegangen ist, so ist es in solch einem Fall erforderlich, dass der seinerzeit von dem Zeugen gewonnene persönliche Eindruck protokolliert oder auf sonstige Weise...