1 Allgemeines
Rz. 1
Die Vorschrift ist seit Inkrafttreten des SGG unverändert geblieben und ist Ausfluss des Grundsatzes der Unmittelbarkeit, der auch in § 117 zum Ausdruck kommt. Sinn des § 127 ist es, den Beteiligten von jeder bevorstehenden Beweisaufnahme Kenntnis zu geben, sodass sie in der Lage sind, ihr beizuwohnen und durch eine kritische Stellungnahme ein günstiges Ergebnis herbeizuführen oder aber ungünstige Schlüsse zu verhindern (BSG, Urteil v. 26.9.1974, 5 RJ 371/72, Rz. 13). Vor jeder Entscheidung ist gemäß § 62 rechtliches Gehör zu gewähren. Ein Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs. 2). Diese Grundsätze werden durch § 127 ergänzt, dessen Verletzung ein Verfahrensmangel (vgl. Rz. 4) ist. In der VwGO findet sich keine entsprechende Vorschrift.
2 Rechtspraxis
Rz. 2
Ein Beteiligter kann eine Beweisaufnahme und eine für ihn ungünstige Entscheidung nicht schon dadurch verhindern, dass er in der mündlichen Verhandlung nicht zugegen und auch nicht vertreten ist. Um in derselben mündlichen Verhandlung Beweis erheben und ggf. auch zuungunsten eines nicht erschienenen und nicht vertretenen Beteiligten entscheiden zu können, muss das Gericht aber zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die Beteiligten davon unterrichten, dass eine Beweiserhebung beabsichtigt ist. § 111 Abs. 2 schreibt deshalb vor, dass die Ladung von Zeugen und Sachverständigen den Beteiligten bei der Mitteilung des Termins zur mündlichen Verhandlung bekannt zu geben ist. Diese Mitteilung kann ggf. nachgeholt werden, wobei die Frist des § 110 gewahrt werden sollte, damit der Beteiligte sich auf die Beweisaufnahme einstellen kann. Schon die Beiziehung von Akten und die Kenntnisnahme von den darin enthaltenen Urkunden und Gutachten ist eine Beweiserhebung i. S. d. § 127, von der die Beteiligten zu benachrichtigen sind (vgl. BSG, Urteil v. 26.9.1974, B 5 RJ 371/72; Urteil v. 14.2.2013, B 14 AS 62/12 R). Dies hat spätestens mit der Terminsbenachrichtigung zu erfolgen.
Rz. 3
Die vorgeschriebene Benachrichtigung von einer Beweisaufnahme ist dem Gericht nicht möglich, wenn der Gegner der abwesenden Partei zur Überraschung des Gerichts erst in der mündlichen Verhandlung einen präsenten Zeugen stellt oder neue Urkunden vorlegt. Auch in diesem Falle greift § 127 ein (vgl. BSG, SozR Nr. 1 zu § 127), denn die Vorschrift stellt keine Sanktion für eine Verletzung der §§ 111 Abs. 2, 116 Satz 1 durch das Gericht dar, sondern soll den abwesenden Beteiligten zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs davor schützen, dass in ein und derselben Sitzung eine Beweisaufnahme stattfindet, von der er nicht unterrichtet war, und ein für ihn negatives Urteil gefällt wird. Daraus folgt aber nicht, dass das Gericht die Erhebung des in der Verhandlung angebotenen Beweises ablehnen müsste, denn § 127 schließt weder generell aus, dass in Abwesenheit des Beteiligten Beweis erhoben wird, noch dass ein für ihn günstiges Urteil gefällt wird. Je nach Lage des Falles kann es daher sinnvoll sein, den Beweis zu erheben, etwa weil mit einem positiven Ausgang für den von der Beweisaufnahme nicht benachrichtigten Abwesenden oder einem Verlust des Beweismittels oder damit gerechnet wird, dass die zu beweisende Tatsache durch die Beweiserhebung ohnehin unstreitig werden wird. Wenn das Gericht in diesem Falle Beweis erhebt, wird das Recht des nicht unterrichteten abwesenden Beteiligten auf Benachrichtigung von Beweisaufnahmeterminen und sein Recht, der Beweisaufnahme beizuwohnen und dem Zeugen oder Sachverständigen Fragen zu stellen, verletzt. Es liegt weiterhin eine Verletzung von § 127 vor, selbst wenn aus der Beweiserhebung durch das Gericht für den nicht erschienenen Beteiligten günstige Schlüsse gezogen werden (BSG, Urteil v. 26.9.1974, 5 RJ 371/72, Rz. 13; BSG, Urteil v. 14.2.2013, B 14 AS 62/12 R, Rz. 19). Entscheidend ist für eine Verletzung von § 127 lediglich, dass nach Beweiserhebung im Termin ein ungünstiges Urteil erlassen worden ist, ohne dass eine Benachrichtigung über die Beweiserhebung erfolgt ist. Sofern die fehlende Benachrichtigung nicht geheilt wird (§ 202 SGG i. V. m. § 295 ZPO, vgl. BSG, Beschluss v. 22.4.1998, B 9 V 23/97 R), womit bei für den abwesenden Beteiligten ungünstigem Ausgang der Beweisaufnahme gerechnet werden muss, wäre also z. B. die Zeugenvernehmung unter Umständen zu wiederholen. Das wird es regelmäßig angezeigt erscheinen lassen, in einem solchen Falle zu vertagen und einen Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme anzuberaumen.
Rz. 4
Erhebt das Gericht in Abwesenheit des nicht benachrichtigten Beteiligten Beweis und erlässt es im selben Termin ein für ihn ungünstiges Urteil, ist § 127 verletzt. Dabei ist es unerheblich, wenn die Beweisaufnahme von dem nicht erschienenen und nicht vertretenen Beteiligten selbst angeregt worden ist (vgl. BSG SozR Nr. 1 zu § 127). Für die Verletzung des § 127 ist es nach seinem Wortlaut unerheblich, ob das Ergebnis der Beweisaufnahme in dem Urteil verwertet wir...