Rz. 5
Da der Rechtsstreit aufgrund des unmittelbaren Eindrucks der Verhandlung und Beweisaufnahme entschieden werden soll, ist auch erforderlich, dass alle Richter während der gesamten Verhandlung anwesend sind, der Verhandlung folgen und nicht "schlafen".
Auch eine nur vorübergehende Abwesenheit eines Richters während der der Urteilsfällung vorausgehenden mündlichen Verhandlung macht das erkennende Gericht zu einem nicht vorschriftsmäßig besetzten Gericht (BSG, Urteil v. 24.4.1963, 11 RV 1072/61; BVerwG, DÖV 1961, 558; BFH, Urteil v. 14.7.1993, I B 108/92 zur kurzen Abwesenheit eines Beisitzers während der Beweisaufnahme; BFH, Beschluss v. 30.1.2004, II B 111/02, zur zeitweisen Abwesenheit einer ehrenamtlichen Richterin während des Sachvortrags). Das Gericht ist auch dann nicht ordnungsgemäß besetzt, wenn ein Richter während eines nicht unerheblichen Zeitraums nicht in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen, soweit es sich nicht nur um kurzfristige Ablenkungs- oder Ermüdungserscheinungen handelt (vgl. BSG, KOV 1965, 219; BVerwG, NJW 1984, 413; BVerwG, NJW 1986, 2721; BVerwG, Beschluss v. 15.11.2004, 7 B 56/04; BVerwG, Beschluss v. 22.5.2006, 10 B 9/06). Das Schließen beider Augen über weite Strecken der Verhandlung und das Senken des Kopfes auf die Brust beweist allein nicht, dass der Richter schläft. Denn diese Haltung kann auch zur geistigen Entspannung oder zwecks besonderer Konzentration eingenommen werden. Deshalb kann erst dann davon ausgegangen werden, dass ein Richter schläft oder in anderer Weise abwesend ist, wenn andere sichere Anzeichen hinzukommen, wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung. Hochschrecken allein kann auch nur darauf schließen lassen, dass es sich um einen Sekundenschlaf gehandelt hat, der nicht reicht (vgl. dazu und zu den Anforderungen an die Besetzungsrüge ausführlich BVerwG, NJW 2001, 2898 m. w. N.; BVerwG, Beschluss v. 15.11.2004, 7 B 56/04, mit Anm. Neumann, in: JurisPR extra 2005, 22; BVerwG, Beschluss v. 22.5.2006, 10 B 9/06; BVerwG, Beschluss v. 19.7.2007, 5B 84/06; Buchholz 310 § 133 (n. F.) VwGO Nr. 88). Derjenige, der sich darauf beruft, das Gericht sei wegen eines in der mündlichen Verhandlung eingeschlafenen Richters nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, muss konkrete Tatsachen vortragen, welche eine Konzentration des Richters auf die wesentlichen Vorgänge in der mündlichen Verhandlung ausschließen (BVerwG, Beschluss v. 13.6.2001, 5 B 105/00 m. w. N.). Dabei sind der Zeitpunkt, die Dauer und die Einzelheiten des gerügten Verhaltens des Richters genau anzugeben und es ist darzulegen, was während dieser Zeit in der mündlichen Verhandlung geschehen ist, welche für die Entscheidung wichtigen Vorgänge der Richter also nicht habe erfassen können (vgl. BVerwG, Beschluss v. 22.5.2006, 10 B 9/06; BSG, Beschluss v. 28.3.1985, 2 BU 240/84). Wer das Verhalten des Richters so genau schildern kann, wie es das BVerwG verlangt, wird sich fragen lassen müssen, weshalb er nicht in der mündlichen Verhandlung bereits auf das Einschlafen des Richters hingewiesen hat. Die Unterlassung eines solchen Hinweises ließ das BVerwG aber in seinen bisherigen Entscheidungen (in denen konkret ein treu- und pflichtwidriges Verhalten des Prozessbevollmächtigten nicht angenommen wurde) nicht zu einem Rügeverzicht führen, sondern wurde von ihm als ein die tatsächliche Würdigung abrundender und unterstützender Gesichtspunkt angesehen (vgl. BVerwG, Urteil v. 16.12.1980, 6 C 110/79; BVerwG, Beschluss v. 19.7.2007, 5B 84/06), wobei derjenige, der die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Vordergerichts rügt, gerade bei der Behauptung, ein Richter habe geschlafen, das Beweisrisiko tragen muss, weil sich ein Beweis von Tatsachen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgelegen haben, zu einem späteren Zeitpunkt kaum noch oder nur sehr schwer erbringen lässt (vgl. BVerwG, Urteil v. 16.12.1980, 6 C 110/79). Ein Beispiel für einen erfolgreichen Nachweis des Schlafens eines Richters gibt die Entscheidung des BVerwG v. 19.7.2007 (5B 84/06). Das BSG hat auf die Rüge, ein (ehrenamtlicher) Richter habe während der mündlichen Verhandlung geschlafen, ggf. Beweis zu erheben (vgl. BSG, Beschluss v. 12.4.2017, B 13 R 289/16 B, Rz. 11, dort u. a. durch Einholung von dienstlichen Stellungnahmen der Berufsrichter des LSG und durch Zeugenvernehmung einer Beklagtenvertreterin und eines Dolmetschers).