Rz. 3

Bei wesentlichen Zustellungsmängeln (siehe auch bei § 133) wird die Rechtsmittelfrist nicht in Gang gesetzt. Das kann auch bei wesentlichen Mängeln der Urteilsausfertigung vorliegen, so z. B., wenn das Urteil u. a. das Aktenzeichen, unter dem das Verfahren geführt worden ist, und die Beteiligten nicht korrekt wiedergibt (vgl. BSG, Beschluss v. 28.1.2004, B 6 KA 95/03 B; vgl. auch bei Rz. 5 ff. zu § 133). Fehlt der Ausfertigungsvermerk oder die Unterschrift des Urkundsbeamten, so ist die Zustellung ebenfalls unwirksam, die Rechtsmittelfrist wird daher nicht in Lauf gesetzt (vgl. BSGE 11 S. 30, 31; BGH, Beschluss v. 9.6.2010, XII ZB 133/09 m. w. N.; BGH, NJW 1977 S. 97; BGHZ 100, S. 234; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 317 Rn. 11). Der Mangel kann nur durch Wiederholung der Zustellung einer korrekten Ausfertigung geheilt werden (vgl. BSG, SozR 1500 Nr. 9; Rohwer-Kahlmann, § 137 Rn. 6a; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 137 Rn. 6; zum Fehlen eines Ausfertigungsvermerks vgl. aber auch BVerwG, Beschluss v. 9.10.1998, 4 B 98/98, NVwZ 1999 S. 183; BGHZ 15 S. 142; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 17.1.2008, L 15 B 4/08).

Weicht die zugestellte Ausfertigung von der Urschrift ab, führt dies nur dann zur Unwirksamkeit der Zustellung, wenn die Abweichung wesentlich ist (vgl. BGH, Beschluss v. 24.1.2001, XII ZB 75/00, NJW 2001 S. 1653, 1654 m. w. N.; BGH, Beschluss v. 29.11.2006, XII ZB 194/05; FamRZ 2007 S. 372; BSG, Urteil v. 9.2.1989, 3 BK 25/88). Als wesentliche Abweichung ist es nur anzusehen, wenn die Mängel der Ausfertigung geeignet sind, die Entschließung des Zustellungsempfängers über die Einlegung eines Rechtsmittels zu beeinflussen. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn dieser aus der Ausfertigung den Inhalt der Urschrift und den Umfang seiner Beschwer nicht erkennen kann (BGH, Beschluss v. 30.9.1981, IVb ZB 805/81, VersR 1982 S. 70; BGH, Beschluss v. 29.11.2006, XII ZB 194/05, FamRZ 2007 S. 372). Im Falle der Unvollständigkeit der Urteilsausfertigung stellt der BGH im Interesse einer klaren und praktikablen Handhabung bei der Beurteilung der Frage, ob die Unvollständigkeit wesentlich und infolgedessen die Zustellung unwirksam ist, auf eine typisierende Betrachtungsweise ab. Als typischerweise wesentlicher Mangel sei vor allem das Fehlen ganzer Seiten anzusehen. Eine Abgrenzung danach, wie hoch die Zahl der fehlenden Seiten absolut oder im Verhältnis zur Gesamtseitenzahl des Urteils ist, komme nicht in Betracht, weil dies nicht im Einklang mit dem Ziel einer klaren, handhabbaren und für jedermann leicht nachvollziehbaren Regelung stünde. Grundsätzlich führe daher schon das Fehlen einer einzigen Seite zur Unwirksamkeit der Zustellung (vgl. BGHZ 138, S. 166). Keine unwesentliche Abweichung der Ausfertigung von dem vom Richter unterzeichneten Original ist z. B. gegeben, wenn der Name des Richters im Rubrum von dem in der Unterschrift abweicht. Das Urteil enthält dann nicht lediglich einen Fehler, der nach § 138 zu berichtigen wäre; vielmehr besteht in einem solchen Fall keine Klarheit über die Identität des Richters, der das Urteil gefällt hat. Wenn der in der Urschrift enthaltene Widerspruch in die Ausfertigung übernommen wird, mangelt es an der Ordnungsmäßigkeit. Die Rechtsmittelfrist wird nicht in Lauf gesetzt (BSG, ZfS 1979 S. 79). Auch durch die Zustellung einer Urteilsausfertigung, auf der die Wiedergabe der Unterschrift des Vorsitzenden fehlt, wird die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt (vgl. BSG, SozR 1500 § 151 Nr. 9; BSGE 55 S. 10). Das Fehlen des Dienstsiegels dürfte die Zustellung unwirksam machen (streitig, bejahend: Rohwer-Kahlmann, § 137 Rn. 6; Wolff-Dellen, in: § 137 Rn. 6, der mit Recht darauf hinweist, dass § 137 inzwischen zweimal das Gerichtssiegel ausdrücklich nennt und dass die Wiedergabe des Dienstsiegels zu den Minimalanforderungen der Telekopie gehören dürfte; Bolay, in: Lüdtke, § 137 Rn. 17; a. A. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 137 Rn. 3b; zustimmend BSG, SozR 3-2600 § 60 Nr. 2). Das BSG hat einen wesentlichen Mangel in einem Fall verneint, in dem die Ausfertigung statt des früher erforderlichen Prägesiegels einen normalen Farbdruck-Stempel trug (vgl. BSG, SozR 3-1500 § 137 Nr. 1 mit Anm. Zeihe, SGb 1995 S. 45, 46). Weniger schwere Abweichungen der Ausfertigung von der Urschrift wurden auch in der Übersendung einer unvollständigen Ausfertigung (vgl. BGH, VersR 1980 S. 771; s. a. die Abgrenzung in BGHZ 138 S. 166) oder dem Fehlen der Kostenentscheidung nur im Tenor der Ausfertigung (vgl. BGH, VersR 1982 S. 70) gesehen. Unschädlich ist ferner das Fehlen des Verkündungsvermerks (vgl. BGHZ 8 S. 303; BSG, SozR § 64 Nr. 3; Zöller, § 315 Rn. 7; Peters/Sautter/Wolff, § 137 Rn. 15; vgl. auch Rn. 8 zu § 134). Offenbare Unrichtigkeiten, etwa unwesentliche Abweichungen von der Urschrift, kann der Urkundsbeamte in entsprechender Anwendung des § 138 selbst berichtigen (vgl. Zeihe, § 137 Rn. 5b; Keller, in: Meyer-Ladewig /Keller/Leitherer, § 137 Rn. ...

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