Rz. 56
Anstelle der Einigungsgebühr kann in Verfahren, deren Gegenstand ein begehrter oder ein mit einem Rechtsbehelf angefochtener oder abgelehnter Verwaltungsakt ist, d. h. in Verfahren nach § 54 Abs. 2 und 4, eine Erledigungsgebühr (Nr. 1002, 1005, 1006 VV RVG) anfallen. Erledigt sich in einem solchen Fall die Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit dem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts bzw. durch (vollständigen oder teilweisen) Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts durch anwaltliche Mitwirkung, entsteht eine Erledigungsgebühr. Das behördliche Verfahren bzw. der Rechtsstreit muss nach vollem oder teilweisem Einlenken eines Beteiligten, der einen Verwaltungsakt gesetzt hat, ohne die Notwendigkeit einer streitigen Entscheidung beigelegt sein (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 25.6.1997, 25 E 449/97; OVG Lüneburg, Beschluss v. 8.7.2013, 5 OA 137/13), ein beidseitiges Nachgeben der Beteiligten ist nicht erforderlich (BSG, Urteil v. 9.12.2010, B 13 R 63/09 R). Eine Erledigung liegt im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren nicht vor, wenn die Behörde streitig entscheidet. Durch Erlass eines Abhilfebescheides nach § 85 im Widerspruchsverfahren kann eine Erledigung i. S. d. Nr. 1002, 1005 VV RVG eintreten (BSG, Urteile v. 2.10.2008, B 9/9a SB 3/07 R, und v. 9.12.2010, B 13 R 63/09 R). Entscheidend für das Entstehen der Gebühr ist die Erledigung in der Hauptsache, ein verbleibender Streit über die Kosten ist unschädlich (LSG Thüringen, Beschlüsse v. 5.5.2020, L 1 SF 179/20 B, und v. 11.1.2018, L 1 SF 51/16 B). Auf eine Untätigkeitsklage nach § 88 ist der Gebührentatbestand der Nr. 1002 VV RVG bzw. der Nr. 1006 VV RVG grundsätzlich nicht anwendbar, da Streitgegenstand einer Untätigkeitsklage nicht ein begehrter oder ein mit einem Rechtsbehelf angefochtener oder abgelehnter Verwaltungsakt, sondern nur das Begehren auf bloße Bescheidung eines Antrags oder eines Widerspruchs ist (vgl. Rz. 52).
Der Anfall dieser Gebühr setzt ein zusätzliches über die allgemeine Prozessführung bzw. dem Betreiben eines behördlichen Verfahrens hinausgehendes, auf die unstreitige Erledigung gerichtetes anwaltliches Handeln voraus, das mitursächlich für die unstreitige Erledigung ist. Nach übereinstimmender Rechtsprechung in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten ist das Mitwirken des Rechtsanwalts bei der formellen Beendigung des (behördlichen wie gerichtlichen) Verfahrens für den Anfall der Gebühr nicht ausreichend, gefordert wird eine über die durch die Tätigkeitsgebühren (Verfahrensgebühr, Terminsgebühr, Geschäftsgebühr) abgegoltene Prozess- oder Verfahrensführung hinausgehende Tätigkeit (vgl. BSG, Urteil v. 7.11.2006, B 1 KR 13/06 R, und v. 9.12.2010, B 13 R 63/09 R zur Abgrenzung von Geschäftsgebühr/Erledigungsgebühr; BVerwG, Beschluss v. 28.11.2011, 6 B 34/11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 18.10.2006, 7 E 1339/05; FG Baden-Württemberg, Beschluss v. 27.8.2007, 8 KO 1/07). Welche Tätigkeiten mit der Geschäftsgebühr oder der Verfahrensgebühr abgegolten werden, hängt von der Eigenart der Verfahren und die sie prägenden Verfahrensvorschriften ab, die die Pflichten und die Obliegenheiten eines Antragstellers im jeweiligen Verfahren begründen (BVerwG, Beschluss v. 28.11.2011, 6 B 34/11).
Als Mitwirkungshandlungen reichen weder die Einlegung und die Begründung eines Widerspruchs, einer Klage oder eines Rechtsmittels, die Stellungnahme auf eine behördliche/gerichtliche Anfrage, die Vorlage von präsenten Beweismitteln, die Mitwirkung an Ermittlungen noch die Abgabe einer verfahrensbeendenden Erklärung aus (BSG, Urteile v. 7.11.2006, B 1 KR 13/06 R, v. 21.3.2007, B 11a AL 53/06 R, v. 5.5.2009, B 13 R 137/08 R, v. 5.5.2010, B 11 AL14/09 R, und v. 9.12.2010, B 13 R 63/09 R; vgl. auch BVerwG, Beschluss v. 28.11.2011, 6 B 34/11). Diese auf den Erfolg in der Sache gerichtete Verfahrenshandlungen werden durch die Tätigkeitsgebühren abgegolten (vgl. Rz. 36 f.). Ein Bevollmächtigter ist gegenüber seinem Mandanten verpflichtet, das Verfahren gewissenhaft, sorgfältig und gründlich zu betreiben. Der Umfang und die Schwierigkeit dieses anwaltlichen Handelns kann bei der Festsetzung der Höhe der Verfahrens-/Geschäftsgebühr berücksichtigt werden, wenn Betragsrahmengebühren anfallen. Das Einlenken einer Behörde als Folge schriftlicher oder mündlicher Ausführungen des Rechtsanwalts im Verfahren, das darauf abzielt, eine für den Auftraggeber günstige streitige Entscheidung herbeizuführen, genügt nicht für den Anfall der Gebühr (BSG, Urteil v. 5.5.2009, B 13 R 137/08 R). Dies gilt auch für den Fall, dass die Ausführungen des Rechtsanwalts die Behörde bzw. das Gericht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen, wie z. B. die Einholung eines Gutachtens, veranlassen, und die weiteren Ermittlungen zu einer Abhilfe führen. Von einem gewissenhaften, sorgfältig und gründlich das Widerspruchsverfahren betreibenden Rechtsanwalt wird erwartet, dass er bei der Begründung eines Rechtsbehelfs den Mitwirkungsoblie...