Rz. 41
Seit Inkrafttreten des Gesetzes v. 10.10.2013 zum 1.1.2018 (dazu Rz. 4 f.) müssen alle die Schriftform ersetzenden elektronischen Dokumente entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder mit einfacher Signatur der verantwortenden Person über einen sicheren Übermittlungsweg (§ 65a Abs. 4) eingereicht werden (§ 65a Abs. 3 Satz 1). Diese Regelung ist formal strenger als die zuvor geltende Fassung, die nur eine Sollvorschrift enthielt. Der daraus resultierende praktische Unterschied ist eher gering, weil eine elektronische Signatur, zu deren Erstellung i. d. R. eine Chipkarte erforderlich ist, für bestimmende Schriftsätze schon bisher als erforderlich angesehen wurde (Bacher, MDR 2019 S. 1, 2; hierzu auch Müller, NZS 2019 S. 207, 208). Das Signaturerfordernis wird ab 1.1.2018 insofern eingeschränkt, als anstelle einer qualifizierten Signatur auch eine einfache Signatur ausreicht, wenn das Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird (Bacher, MDR 2019 S. 1, 2).
Rz. 42
Die elektronische Form ersetzt die Schriftform und die mündliche Form (zur Niederschrift) als gleichrangige prozessuale Form und ist damit als weiterer Regelweg anzusehen (so zu § 84 Abs. 1 SGG i.V.m. § 36a Abs. 2 SGB I: LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 29.10.2021, L 3 AS 108/20). Wird das elektronische Dokument weder qualifiziert elektronisch signiert noch auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht, ist die prozessuale Form nicht gewahrt. Ein solches Dokument ist, sofern die Verfahrensordnung Schriftform voraussetzt, nicht wirksam (BT-Drs. 17/12634 S. 25; zur Schriftform ausführlich LSG Hessen, Beschluss v. 13.12.2018, L 6 SF 1/18 DS).
Als Praxisbeispiel sei das BSG (Beschluss v. 11.4.2022, B 4 AS 8/21 R) wie folgt zitiert: Der Beklagte hat hier innerhalb der bis zum 4.2.2021 laufenden Revisionsfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils (§ 164 Abs. 1 Satz 1 SGG) zwar formwirksam schriftlich Revision eingelegt, wobei er unter Einhaltung der gesetzlichen Maßgaben den Weg der elektronischen Übermittlung (§ 65a Abs. 1 SGG) gewählt hat. Er hat indessen innerhalb dieser Frist keine dem Schriftformerfordernis entsprechende Zustimmungserklärung des Rechtsmittelgegners, also der Klägerin, vorgelegt. Die Übersendung einer pdf-Datei, die zwar textlich eine Zustimmungserklärung zum Inhalt hat, aber nicht unterzeichnet oder durch den Urheber signiert ist, wahrt die Schriftform nicht. Zwar kann das Schriftformerfordernis für die Zustimmung dann noch als gewahrt angesehen werden, wenn eine unterschriebene Zustimmungserklärung einscannt, in eine pdf-Datei umgewandelt und als Anhang zu einer den Anforderungen an den elektronischen Rechtsverkehr genügenden Revisionsschrift übersandt wird (so BSG vom 7.7.2011 – B 14 AS 153/10 R – BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 13 f). Eine unterschriebene Zustimmungserklärung enthielt hier die übersandte pdf-Datei aber gerade nicht.
Hieraus folgt, dass eine Übermittlung durch (einfache) E-Mail weiterhin nicht zulässig ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 8.4.2021, L 12 AS 279/21 B ER; vgl. auch Rz. 40). Dies gilt nach zutreffender Auffassung auch dann, wenn die E-Mail oder ein der E-Mail angehängtes Dokument, das eine eingescannte Unterschrift enthält, ausgedruckt zur Akte genommen wurde (vgl. Stäbler, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 65a Rz. 37; a. A. BGH, Beschluss v. 8.5.2019, II ZB 8/19). Ein "E-Mail-to-Fax"-Verfahren erfüllt daher gleichermaßen nicht die Voraussetzungen. Denn in diesem Verfahren liegt lediglich eine eingescannte Unterschrift vor. Der Anbieter transportiert nicht lediglich wie ein Post- oder Telekommunikationsunternehmen eine fremde Erklärung in seinem Netz, sondern wandelt ein Dokument in das zu übermittelnde technische Format, ohne zuvor zu prüfen, ob das Dokument der Person zugeordnet werden kann, die den Übermittlungsauftrag erteilt hat (OLG Dresden, Beschluss v. 4.12.2020, 22 WF 872/20). Daher gewährleistet die Einreichung eines Schriftsatzes im "E-Mail-to-Fax"-Verfahren die Zuordnung des Schreibens zu einer bestimmten Person auch nicht besser als eine gewöhnliche E-Mail, die der Schriftform nicht genügt (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 8.4.2021, 12 AS 279/21 B ER; hierzu auch LAG Hessen, Urteil v. 23.3.2022, 6 Sa 1248/20). Jeweils muss das Gericht auf die Unzulässigkeit hinzuweisen und ggf. Wiedereinsetzung gewähren (Stäbler, a.a.O.). Das wiederum ergibt sich nicht aus § 65a Abs. 6 Satz 1, denn diese Vorschrift befasst sich nur mit der Bearbeitung des Dokuments, folgt vielmehr aus den allgemeinen Vorschriften zur Wiedereinsetzung.
Rz. 43
Das Gesetz v. 12.12.2019 (dazu oben Rz. 11) hat dem Abs. 3 ab 1.1.2020 einen Satz 2 hinzugefügt. Hiernach gilt Satz 1 nicht für vorbereitenden Schriftsätzen beigefügte Anlagen. Diese sind seither von der Signaturpflicht ausgenommen. Zu den hierfür maßgebenden Gründen vgl. oben unter Rz. 10.