Rz. 26
Allein ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wahrt die Rechtsbehelfsfrist nicht. Wird gleichzeitig mit dem Prozesskostenhilfeantrag ein Schriftsatz eingereicht, der den Anforderungen an eine Rechtsmittelschrift genügt, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob neben dem Prozesskostenhilfeantrag auch Klage erhoben werden sollte. Grundsätzlich kann es sich um
(1.) einen unabhängig von der Prozesskostenhilfebewilligung eingelegten oder
(2.) um einen unter der Bedingung der Prozesskostenhilfegewährung erhobenen und damit unzulässigen Rechtsbehelf oder
(3.) einen Schriftsatz handeln, der lediglich einen der Begründung des Prozesskostenhilfeantrages dienenden Entwurf eines erst zukünftig einzulegenden Rechtsbehelfs enthält.
Im Rahmen der Auslegung kommt es nicht auf den inneren Willen der Beteiligten, sondern auf den in der Erklärung verkörperten Willen an (BSG, Urteil v.13.10.1992, 4 RA 36/92, SozR 3-1500 § 67 Nr. 5; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 26.1.2010, L 5 AS 1949/09 B PKH).
Rz. 27
Eine wirksame Klageerhebung darf unter keiner (echten) Bedingung stehen; eine bedingte Klageerhebung, z. B. für den Fall der Prozesskostenhilfebewilligung, ist unzulässig (BSG, Urteil v. 13.10.1992, 4 RA 36/92, SozR 3-1500 § 67 Nr. 5; LSG NRW, Beschluss v. 27. 5. 2009, L 19 B 217/08 AS; Leitherer, SGG, § 90 Rn. 5b). Die Anknüpfung einer Prozesshandlung an eine echte Bedingung macht diese unzulässig, was auch für die Einlegung eines Rechtsmittels unter der Bedingung der Gewährung von Prozesskostenhilfe Geltung hat (Keller, SGG, § 73a Rn. 5b). Daher: Wenn nicht nur die Durchführung der Klage, sondern ausdrücklich die Klageerhebung von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht wird, liegt eine echte Bedingung vor (vgl. dazu BGH, Beschluss v. 21.12.2005, XII ZB 33/05, BGHZ 165 S. 318, 320 f.). Einem Kläger kann auch nicht Prozesskostenhilfe im Hinblick auf die Möglichkeit der Rücknahme der bedingten Klage und Erhebung einer unbedingten Klage nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe verbunden mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. dazu Born, NJW 2007 S. 2088, 2089 f.) bewilligt werden.
Unterbleibt die rechtzeitige Vornahme einer fristwahrenden Handlung, ist die Frist unverschuldet versäumt und der Partei auf ihren Antrag oder von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu gewähren, sofern sie bis zu deren Ablauf einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht und alles in ihren Kräften stehende getan hat, damit über den Antrag ohne Verzögerung sachlich entschieden werden kann (BGH, Beschluss v. 6.7.2006, IX ZA 10/06, FamRZ 2006 S. 1522). Unverschuldet ist eine Fristversäumnis daher, wenn ein Rechtsmittelführer innerhalb der Rechtsmittelfrist formgerecht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt und er nach den gegebenen Umständen nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (BSG, Urteil v. 13.10.1992, 4 RA 36/92, SozR 3-1500 § 67 Nr. 5; Zeihe, SGG, § 67 Rn. 3k). Hierzu muss er innerhalb der Rechtsmittelfrist sowohl das Prozesskostenhilfegesuch als auch die auf dem vorgeschriebenen Vordruck abzugebende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingereicht haben (BSG, Beschlüsse v. 5.2.2010, B 2 U 287/09 Bund v. 13.4.1981, 11 BA 46/81, SozR 1750 § 117 Nr. 1).
Rz. 28
Da die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für jeden Rechtszug gesondert erfolgt (§ 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO), sind die Erklärungen nach § 117 Abs. 2 und 4 ZPO auch im höheren Rechtszug, ggf. erneut, beizufügen (BGH, Beschluss v. 9.10. 2003, IX ZA 8/03, FamRZ 2004 S. 99). Das Verlangen zur Vorlage der Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO auf vorgeschriebenem Vordruck innerhalb der Beschwerdefrist ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 29
Beantragt ein Rechtssuchender innerhalb der Klagefrist unter Vorlage eines vollständigen Antrages und Beifügung der erforderlichen Unterlagen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, ohne zugleich Klage in der Hauptsache zu erheben, so kann bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe und nachfolgender Klagerhebung nach Ablauf der Klagefrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein (so LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 13.9.2010, L 2 AS 302/10 B; vgl. auch Rz. 26). Anders judiziert das LSG Berlin-Brandenburg: Wer als Mittelloser erwägt, einen Zivilprozess anzustrengen, wird dies nur wollen und können, wenn geklärt ist, ob und ggf. wie er die damit verbundenen Kosten aufbringen kann. Für das zweitinstanzliche Verfahren benötigt er einen Rechtsanwalt, um eine Prozesserklärung wirksam abgeben zu können (§ 78 ZPO). Das Einlegen eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung eines Sozialgerichts hingegen wird durch Mittellosigkeit weder unmöglich noch beschwerlich. Ein Gerichtskostenvorschuss wird nicht erhoben; für Versicherte, Leistungsempfänger, behinderte Menschen und deren Sonderrechtsnachfolger ist das Verfahren grunds...