Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerkschaftseigenschaft einer Arbeitnehmervereinigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Arbeitnehmerkoalition ist jedenfalls dann tariffähig, wenn sie die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder bereits durch Tarifverträge regeln konnte, die im Arbeitsleben durchweg beachtet wurden und die Arbeitsverhältnisse bestimmt haben. Darauf, welchen Inhalt diese Tarifverträge haben und in welcher Weise, mit welcher Dauer und Härte Tarifverhandlungen geführt wurden, kommt es nicht an.
2. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn es sich bei den abgeschlossenen Tarifverträgen um Scheintarifverträge gehandelt hat. Das ist der Fall, wenn mit ihnen nicht die Arbeitsbedingungen geregelt werden sollten, sondern mit ihrem Abschluß andere koalitionspolitische Zwecke verfolgt wurden.
Orientierungssatz
Zur Frage, ob der Arbeitnehmerverband land- und ernährungswirtschaftlicher Berufe (ALEB) tariffähig und damit eine Gewerkschaft ist.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; TVG § 2 Abs. 1; ArbGG § 97 Fassung: 1979-07-02, § 2a Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1979-07-02
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 16.03.1983; Aktenzeichen 2 TaBV 17/81) |
ArbG Bonn (Entscheidung vom 02.12.1980; Aktenzeichen 2 BV 34/78) |
Gründe
A. Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob der Arbeitnehmerverband land- und ernährungswirtschaftlicher Berufe (ALEB) - im CGB - tariffähig und damit eine Gewerkschaft ist.
1. Der ALEB ist ein nicht rechtsfähiger Verein mit Sitz in Bonn. Er ist Mitglied im Christlichen Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB). Er ist am 1. Januar 1978 aus dem Zusammenschluß dreier Arbeitnehmerverbände hervorgegangen, nämlich des "Arbeitnehmerverbandes ländlicher Berufe e.V. im CGB", des "Milchwirtschaftlichen Arbeitnehmerverbandes Niedersachsen e.V." und der "Fachvereinigung der in Molkereien und Käsereien tätigen Personen e.V. Westfalen". In seiner Satzung heißt es u.a.:
§ 1
... Der Arbeitnehmerverband ist als Berufsver-
band (Gewerkschaft) der Zusammenschluß der in
den land- und forstwirtschaftlichen sowie den
Gartenbaubetrieben, den Ernährungs- und Genuß-
mittelbetrieben, dem Landhandel und dem Gast-
stätten- und Hotelgewerbe tätigen Arbeitnehmer.
...
Der räumliche Organisationsbereich erstreckt sich
auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein-
schließlich des Landes Berlin-West ...
§ 2
Der Arbeitnehmerverband bezweckt die Förderung
der wirtschaftlichen Sicherung der Existenz und
die Wahrung der Berufsinteressen seiner Mitglie-
der ...
1. Er wird in der Hauptsache:
a) mit den Arbeitgeberverbände Tarifverträ-
ge abschließen
b) die sozialen Belange seiner Mitglieder
vertreten
c) die Mitglieder in allen sozial- und ar-
beitsrechtlichen Angelegenheiten vertre-
ten und ihnen dabei Rechtsschutz gewähren
...
d) fehlt
2. Ferner wird er:
a) die Interessen seiner Mitglieder bei den
privaten, öffentlichen und staatlichen
Stellen vertreten
...
3. Der Arbeitnehmerverband bekennt sich zum
Streikrecht.
4. Der Arbeitnehmerverband ist als Berufsverband
parteipolitisch und konfessionell unabhängig.
Er lehnt Bindungen an Arbeitgeber und deren
Verbände ab.
Anläßlich der Wahl von Arbeitnehmervertretern zum Aufsichtsrat der Raiffeisen-Hauptgenossenschaft eG, Hannover, im Jahre 1978 nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976 kandidierten für die zwei auf Gewerkschaften entfallenden Aufsichtsratssitze Vertreter der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG), der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG), des Deutschen Handels- und Industrieangestellten-Verbandes im CGB (DHV) und des ALEB (damals noch unter dem Namen: "Arbeitnehmerverband ländlicher Berufe"). Gewählt wurden die Vertreter des DHV und des ALEB.
Die Wahl der Vertreter der Gewerkschaften im Aufsichtsrat hat die HBV mit der Begründung angefochten, der DHV und der ALEB seien keine Gewerkschaften, ihre Wahlvorschläge hätten daher nicht zugelassen werden dürfen. Sie hat in diesem Wahlanfechtungsverfahren gleichzeitig die Feststellung beantragt, daß der DHV und der ALEB nicht tariffähig seien. Das Arbeitsgericht hat das Wahlanfechtungsverfahren ausgesetzt, die Feststellungsanträge abgetrennt und sie an die für den DHV und den ALEB zuständigen Arbeitsgerichte verwiesen. Über den gegen den ALEB gerichteten Feststellungsantrag ist im vorliegenden Verfahren zu entscheiden.
2. Die HBV ist der Ansicht, der ALEB sei keine Gewerkschaft. Er sei nicht ernsthaft tarifwillig und begnüge sich mit dem Abschluß von Anschlußtarifverträgen, die sich als reine Gefälligkeitstarifverträge darstellten. Der ALEB sei nicht gegnerunabhängig. Aufgrund seines geringen Beitragsaufkommens sei der ALEB nicht in der Lage, gewerkschaftliche Funktionen mit dem erforderlichen personellen und sachlichen Aufwand wahrzunehmen. Er sei absolut außerstande, einen Arbeitskampf zu führen. Dem ALEB fehle es damit an der erforderlichen Mächtigkeit. Angesichts seiner zu geringen Mitgliederzahl und seines geringen Organisationsgrades sei er nicht in der Lage, auf den tariflichen Gegenspieler in irgendeiner Weise Druck auszuüben. Der ALEB sei praktisch nur im nordwestdeutschen Raum tätig, nehme aber seine Zuständigkeit für das gesamte Bundesgebiet in Anspruch.
Die HBV hat daher beantragt
festzustellen, daß der ALEB nicht tarif-
fähig ist.
Diesem Antrag hat sich vor dem Arbeitsgericht der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) angeschlossen.
Der ALEB hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er macht geltend, daß er bzw. seine Gründungsverbände seit Jahrzehnten Tarifverträge für die Arbeitnehmer in der Milch- und Landwirtschaft mit den zuständigen Arbeitgeberverbänden abgeschlossen habe, so mit dem Land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverband Weser-Ems, dem Genossenschaftlichen Arbeitgeberverband Niedersachsen e.V., dem Verband der privaten Milchwirtschaft Norddeutschland e.V., dem Arbeitgeberverband der Westfälisch-Lippischen Land- und Forstwirtschaft e.V., dem Verband der privaten Milchwirtschaft Nordrhein-Westfalen e.V., dem Genossenschaftsverband Rheinland e.V., dem damaligen Verband Deutscher Sauermilchkäsereien e.V. und der Bay-Wa AG und Raiffeisen-Kraftfutterwerke GmbH, München. Bei diesen Tarifverträgen handele es sich um selbständig ausgehandelte Tarifverträge. Hierfür habe er Tarifkommissionen nach Tarifgebieten und Tarifsektoren, etwa für Molkereibeschäftigte, Leistungsprüfer, Landarbeiter, Melker und Sauermilchkäsereien gebildet.
In der Landwirtschaft in Niedersachsen seien rd. 5.000 Arbeitnehmer beschäftigt, von denen 797 bei ihm als Mitglieder organisiert seien. Von den rd. 4.000 Arbeitnehmern in der Milchwirtschaft Niedersachsens seien 1.077 bei ihm Mitglied. Seine Mitglieder seien in den Betriebsräten vertreten und stellten zum Teil den Betriebsratsvorsitzenden.
Er sei gegnerunabhängig. Mitglieder könnten nur Arbeitnehmer aus dem Bereich der land- und ernährungswirtschaftlichen Berufe werden. Er finanziere sich ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen. Diese reichten aus, seine drei hauptamtlich beschäftigten Mitarbeiter zu bezahlen und seine Tätigkeit zu finanzieren. Daneben bestehe eine Zusammenarbeit mit dem Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften Deutschlands (GVCGD), dessen hauptberufliche Sekretäre seinen Mitgliedern gegen eine pauschale Abgeltung Rechtsschutz gewährten, soweit er diese Aufgabe nicht selbst wahrnehmen könne. Er habe einen Streikfonds gebildet, der ausreiche, die in der Satzung garantierten Streikgelder zu zahlen. Im übrigen bestehe eine Rückversicherung über den GVCGD mit gegenseitiger Solidaritätsverpflichtung sowie einen Europäischen Verbund mit den Christlichen Gewerkschaften Frankreichs, Belgiens und Österreichs.
Dem Antrag des ALEB haben sich vor dem Arbeitsgericht der CGB, der GVCGD, der Verband der privaten Milchwirtschaft Nordrhein-Westfalen e.V. und der damalige Verband Deutscher Sauermilchkäsereien e.V. angeschlossen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der HBV stattgegeben. Gegen diese Entscheidung hat der ALEB Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Feststellung beantragt, daß er eine tariffähige Gewerkschaft sei. Diesem Antrag haben sich der DHV, der CGB, der GVCGD, der Verband der privaten Milchwirtschaft Nordrhein-Westfalen e.V. und der damalige Verband Deutscher Sauermilchkäsereien e.V. angeschlossen. Die HBV, der DGB und die Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG) haben beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der ALEB seinen Antrag weiter, während die HBV und die NGG die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt haben.
B. Die Rechtsbeschwerde des ALEB ist begründet. Für eine abschließende Entscheidung bedarf es jedoch noch weiterer tatsächlicher Feststellungen, so daß der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden muß.
I. Der Senat ist einschließlich der ehrenamtlichen Richter ordnungsgemäß besetzt und damit zur Entscheidung dieses Rechtsstreits berufen. Er ist der gesetzliche Richter.
1. In der Sozialgerichtsbarkeit sind Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Besetzung der Gerichte mit Rücksicht auf die Berufung der ehrenamtlichen Richter geltend gemacht worden (vgl. Presseinformation des BSG Nr. 59/85 vom 20. August 1985). Da § 43 Abs. 1 Satz 2 ArbGG mit § 45 Abs. 2 SGG hinsichtlich der Berufung der ehrenamtlichen Richter am Bundesarbeitsgericht und am Bundessozialgericht übereinstimmt, bestand für den Senat Veranlassung, seine ordnungsgemäße Besetzung von Amts wegen zu prüfen (BVerfGE 40, 356, 357, 360).
2. Der Senat ist ordnungsgemäß besetzt.
a) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 43 Abs. 1 Satz 2 ArbGG sind nicht begründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 18, 241, 254; 26, 186, 196; 27, 312, 320; 48, 300, 315; 54, 159, 166) fordert Art. 92 GG, daß die rechtsprechende Gewalt durch staatliche Gerichte ausgeübt wird. Dazu gehört, daß die Bindung des Gerichts an den Staat auch in personeller Hinsicht hinreichend gewährleistet ist. Staatliche Gerichtsbarkeit muß nicht nur auf staatlichen Gesetzen beruhen und der Erfüllung staatlicher Aufgaben dienen; das Organ, das sie ausübt, muß auch personell vom Staat entscheidend bestimmt sein.
Diesem Erfordernis genügt § 43 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Dort ist vorgeschrieben, daß die ehrenamtlichen Richter vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung berufen werden und "im angemessenen Verhältnis unter billiger Berücksichtigung der Minderheiten aus den Vorschlagslisten zu entnehmen" sind, die von den dafür vorgesehenen Verbänden eingereicht werden. Die Zusammensetzung des Gerichts wird danach vom zuständigen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung entscheidend dadurch bestimmt, daß dieser die Vorschläge der Verbände nicht ohne weiteres übernehmen muß. Wenn er bei der gebotenen umfassenden Überprüfung dazu gelangt, einzelne oder mehrere vorgeschlagene ehrenamtliche Richter nicht zu ernennen, ist es ihm unbenommen, gegebenenfalls weitere Vorschläge anzufordern (BVerfGE 26, 186, 197; 27, 312, 321).
b) Inwieweit der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung tatsächlich eine Auswahl aus den Listen vornimmt oder sich an die Vorschläge der Verbände hält, ist vom Senat nicht zu prüfen. Die Berufung zum ehrenamtlichen Richter ist nicht ohne weiteres nichtig, wenn Mängel in dem Verfahren der Berufung bestehen. Selbst wenn ehrenamtliche Richter nur aufgrund von Einzelvorschlägen berufen werden, zwingt das nicht zu der Annahme, daß die Ernennung verfassungswidrig und damit nichtig wäre. Daraus kann nicht darauf geschlossen werden, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung sich an den Vorschlag für gebunden hielt, und sich seiner Befugnis begeben hätte, die Zusammensetzung des Bundesarbeitsgerichts entscheidend zu bestimmen (so im Ergebnis jetzt auch das Bundessozialgericht im Beschluß vom 26. September 1985 - 1 S 12/85).
II. Die Rechtsbeschwerde des ALEB ist zulässig.
1. Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Umstand, daß sie einen förmlichen Sachantrag nicht enthält, macht sie nicht unzulässig. Zwar muß nach § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG die Rechtsbeschwerdebegründung angeben, inwieweit die Abänderung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird, diesem Erfordernis ist jedoch schon dann genügt, wenn sich aus der Rechtsbeschwerdebegründung ergibt, in welchem Umfange eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung erstrebt wird (BGH, VersR 1982, 974 f.). Das ist vorliegend der Fall. Aus der Rechtsbeschwerdebegründung wird deutlich, daß der ALEB die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, er sei nicht tariffähig, in vollem Umfange angreift und die Abweisung des entsprechenden Feststellungsantrages der HBV und die Feststellung seiner Tariffähigkeit erstrebt.
2. Der ALEB ist Beteiligter des vorliegenden Verfahrens im Sinne von § 83 Abs. 3 ArbGG. Er wird von der beantragten Entscheidung, er sei nicht tariffähig, unmittelbar in seiner Rechtsstellung als Arbeitnehmervereinigung betroffen. Er ist daher auch befugt, gegen eine in diesem Verfahren ergehende Entscheidung ein Rechtsmittel einzulegen.
III. 1. Der Antrag der HBV ist zulässig. Nach § 2 a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG ist über die Tariffähigkeit einer Vereinigung in einem besonderen Beschlußverfahren zu entscheiden. Antragsberechtigt ist neben anderen auch eine räumlich und sachlich zuständige Vereinigung von Arbeitnehmern (§ 97 Abs. 1 ArbGG). Die HBV ist eine solche räumlich und sachlich zuständige Vereinigung. Ihr räumlicher Zuständigkeitsbereich erstreckt sich ebenso wie der des ALEB auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Zumindest für den Landhandel nehmen beide Vereinigungen ausweislich ihrer Satzung eine Zuständigkeit in Anspruch. Eine solche Konkurrenz in nur einem Wirtschaftsgebiet reicht aus, um das Antragsrecht der konkurrierenden Vereinigung nach § 97 Abs. 1 ArbGG zu begründen (BAG 12, 184 = AP Nr. 13 zu § 2 TVG).
Darüber hinaus ergibt sich die Antragsbefugnis der HBV auch aus § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG. Die HBV hat die Wahl der Gewerkschaftsvertreter zum Aufsichtsrat der Raiffeisen-Hauptgenossenschaft eG, Hannover, gemäß § 22 MitbestG angefochten. Das Anfechtungsverfahren ist vom Arbeitsgericht gemäß § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ausgesetzt worden, da die Entscheidung über die Wahlanfechtung nach seiner Ansicht davon abhängt, ob der ALEB tariffähig ist. In diesem Falle sind auch die Beteiligten des Wahlanfechtungsverfahrens und damit auch die HBV berechtigt, im Verfahren um die Tariffähigkeit einer Vereinigung nach § 2 a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG Anträge zu stellen.
2. Das Landesarbeitsgericht hat eine Reihe weiterer Vereinigungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die obersten Arbeitsbehörden des Bundes und der Länder sowie die durch die Wahlanfechtung betroffenen Aufsichtsratsmitglieder am Verfahren beteiligt. Ob alle diese Personen, Vereinigungen und Stellen zu beteiligen waren, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Sie haben gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kein Rechtsmittel eingelegt und keine Sachanträge gestellt. Ihre Beteiligung ist zu keiner Zeit gerügt worden. Der Senat hat allen Beteiligten die Rechtsbeschwerde und die Rechtsbeschwerdebegründung gemäß § 95 ArbGG zur Äußerung zugestellt. Daß weitere Personen oder Stellen zu beteiligen waren, ist nicht ersichtlich.
IV. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der ALEB habe sich nach seiner Satzung die Förderung der Wirtschaftsbedingungen seiner Mitglieder u.a. durch den Abschluß von Tarifverträgen zum Ziel gesetzt, er sei tarifwillig und anerkenne das geltende Tarifrecht als für sich verbindlich. Er sei auch frei, demokratisch und auf überbetrieblicher Grundlage gebildet. Es hat festgestellt, daß ihm als Mitglieder nur Arbeitnehmer angehörten, er damit gegnerfrei sei. Es hat die Tariffähigkeit des ALEB jedoch verneint, da dieser nicht über die für die Annahme der Tariffähigkeit erforderliche Mächtigkeit und Leistungsfähigkeit verfüge. Der ALEB habe Ende 1980 in Niedersachsen 1.077 und Ende 1981 1.741 Mitglieder gehabt. Davon, daß er in anderen Bundesländern über eine nennenswerte Zahl von Mitgliedern verfüge, könne nicht ausgegangen werden. Mit einer solchen Mitgliederzahl sei der ALEB nicht in der Lage, Druck auf den sozialen Gegenspieler auszuüben, zumal seine Mitglieder auch keine Schlüsselstellungen im Arbeits- und Wirtschaftsleben bekleideten und der Organisationsgrad in der Land- und Forstwirtschaft Niedersachsens mit etwa 18 % und in der Milchwirtschaft mit etwa 27 % nicht besonders groß sei. Darüber hinaus verfüge der ALEB mit einem Beitragsaufkommen von rd. 122.000,-- DM im Jahre 1980 und etwa 172.000,-- DM im Jahre 1981 sowie mit nur drei hauptberuflichen Mitarbeitern nicht über die erforderliche finanzielle und personelle Ausstattung, um den Aufgaben einer Gewerkschaft gerecht werden zu können. Daß der ALEB in der Vergangenheit bereits Tarifverträge abgeschlossen habe, könne eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen. Auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, wie diese Tarifverträge im einzelnen zustande gekommen seien, brauche daher nicht eingegangen zu werden.
Mit dieser Begründung kann die Tariffähigkeit des ALEB nicht verneint werden.
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, daß einer Arbeitnehmervereinigung die Tariffähigkeit und damit die Gewerkschaftseigenschaft im Sinne des Gesetzes nur zukommt, wenn sie in der Lage ist, durch Vereinbarungen mit dem sozialen Gegenspieler u.a. Arbeitsbedingungen tarifvertraglich zu regeln. Das hat der Senat wiederholt ausgesprochen (vgl. zuletzt die Entscheidung vom 16. November 1982 - 1 ABR 22/78 - AP Nr. 32 zu § 2 TVG). Danach sind an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung bestimmte Mindestanforderungen zu stellen. Die Arbeitnehmervereinigung muß sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge abzuschließen. Sie muß frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Die Tariffähigkeit setzt insbesondere voraus, daß die Arbeitnehmervereinigung ihre Aufgabe als Tarifpartner auch sinnvoll erfüllen kann. Dazu gehört eine Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler, die sicherstellt, daß dieser wenigstens Verhandlungsangebote nicht übersehen kann. Ein angemessener, sozial befriedigender Interessenausgleich kann nur zustande kommen, wenn die Arbeitnehmervereinigung so leistungsfähig ist, daß sich die Arbeitgeberseite veranlaßt sieht, sich auf Verhandlungen über eine tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen einzulassen und zum Abschluß eines Tarifvertrages zu kommen. Dazu muß die Arbeitnehmervereinigung Autorität gegenüber ihrem Gegenspieler und gegenüber ihren Mitgliedern besitzen und auch von ihrem organisatorischen Aufbau her in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. Anderenfalls wäre sie vom guten Willen der Gegenseite und anderer Arbeitnehmervereinigungen abhängig; es bestünden keine annähernd gleichwertigen Verhandlungschancen, die allein das Zustandekommen eines sozialen Ausgleichs gewährleisten.
Diese Rechtsprechung des Senats ist vom Bundesverfassungsgericht wiederholt - zuletzt in der Entscheidung vom 20. Oktober 1981 (BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG) - gebilligt worden. Danach ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung von gewissen Mindestvoraussetzungen abhängig gemacht wird. Allerdings dürfen keine Anforderungen an die Tariffähigkeit gestellt werden, die erheblich auf die Bildung und Betätigung einer Koalition zurückwirken, diese unverhältnismäßig einschränken und so zur Aushöhlung der durch Art. 9 Abs. 3 GG gesicherten freien Koalitionsbildung und -betätigung führen. Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem sozialen Gegenspieler kann nicht bedeuten, daß die Arbeitnehmerkoalition die Chance eines vollständigen Sieges haben muß. Es muß nur erwartet werden, daß sie vom Gegner überhaupt ernst genommen wird, so daß die Regelung der Arbeitsbedingungen nicht einem Diktat der einen Seite entspringt, sondern ausgehandelt wird, wobei dann die unterschiedliche Stärke ins Gewicht fällt. Ob eine solche Durchsetzungsfähigkeit angenommen werden kann, muß bei jeder Koalition nach ihrer konkreten Situation im Einzelfall beurteilt werden.
2. Die Merkmale der danach erforderlichen Durchsetzungsfähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung gegenüber ihrem sozialen Gegenspieler hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
a) Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Entscheidung ausschließlich auf die Mitgliederzahl und die finanzielle und personelle Ausstattung des ALEB abgestellt. Mit rd. 1.800 Mitgliedern könne eine Arbeitnehmervereinigung keinen Druck auf den sozialen Gegenspieler ausüben, zumindest dann nicht, wenn diese Arbeitnehmer nicht in Schlüsselstellungen beschäftigt seien und nur einen geringen Anteil der in Frage kommenden Arbeitnehmerschaft ausmachen. Mit einer geringen finanziellen und personellen Ausstattung könne eine Arbeitnehmervereinigung die Aufgaben einer Gewerkschaft nicht wahrnehmen.
b) Allein aufgrund dieser Kriterien kann jedoch die Tariffähigkeit einer Vereinigung dann nicht verneint werden, wenn diese schon seit längerer Zeit Tarifverträge abgeschlossen hat. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht das Vorbringen des ALEB, er habe schon seit Jahrzehnten Tarifverträge mit den Arbeitgeberverbänden der Land- und Milchwirtschaft in Norddeutschland abgeschlossen, nicht berücksichtigt. Der ALEB hat eine Vielzahl solcher Tarifverträge zu den Akten gereicht und im einzelnen vorgetragen, wie es zum Abschluß dieser Tarifverträge gekommen ist.
Trifft dieses Vorbringen zu, dann kann die Tariffähigkeit des ALEB nicht verneint werden. Eine Arbeitnehmervereinigung, der es gelungen ist, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder durch Tarifverträge zu ordnen, hat damit gezeigt, daß sie so leistungsfähig ist, daß sich die Arbeitgeberseite veranlaßt gesehen hat, sich auf Verhandlungen über tarifliche Regelungen von Arbeitsbedingungen einzulassen und Tarifverträge abzuschließen. Sie ist von der Gegenseite ernst genommen worden. Sie hat damit Autorität gegenüber ihren Tarifpartnern bewiesen. Es ist akzeptiert worden, daß sie auch Autorität gegenüber ihren Mitgliedern besitzt. Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht nur um gelegentliche Tarifabschlüsse handelt, sondern - wie vom ALEB behauptet - um eine kontinuierliche tarifliche Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für einen ganzen Wirtschaftszweig, mag dieser auch regional beschränkt sein, und wenn diese Tarifverträge in der Praxis beachtet wurden und die Arbeitsverhältnisse tatsächlich bestimmt haben. Mit einer solchen tariflichen Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen hat die Arbeitnehmervereinigung dargetan, daß sie in der Lage ist, ihre wesentliche Aufgabe zu erfüllen, daß sie tariffähig ist.
Dabei kann es nicht darauf ankommen, welchen Inhalt diese Tarifverträge haben, insbesondere nicht darauf, ob mit diesen die Arbeitsbedingungen für die Mitglieder der Arbeitnehmervereinigung schon in optimaler Weise oder auch nur ähnlich günstig geregelt worden sind, wie sie von großen und anerkannten Gewerkschaften geregelt werden konnten. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Arbeitnehmervereinigung ihre Forderungen jeweils durchsetzen konnte und ob sie auch in der Lage gewesen wäre, ihre Forderungen notfalls zu erstreiken. Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem sozialen Gegenspieler bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht, daß die Arbeitnehmervereinigung die Chance eines vollständigen Sieges haben muß. Es reicht aus, wenn Arbeitsbedingungen mit dem tariflichen Gegenspieler ausgehandelt werden. Das tatsächliche Gewicht der Arbeitnehmervereinigung mag für den Inhalt der Tarifverträge von Bedeutung sein, ihre Attraktivität gegenüber konkurrierenden Arbeitnehmervereinigungen erhöhen und damit auch über ihre Weiterentwicklung und ihren Fortbestand entscheiden. Ihre Tariffähigkeit ist nicht davon abhängig, daß die von ihr ausgehandelten Tarifverträge sich als besonders günstig erweisen und einen Vergleich mit anderen Tarifverträgen aushalten.
3. Die HBV hat geltend gemacht, bei den vom ALEB abgeschlossenen Tarifverträgen handele es sich um reine Gefälligkeitstarifverträge. Der ALEB habe sich nur bereits von anderen Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträgen anschließen, keine eigenen Forderungen stellen und nicht selbst Verhandlungen führen können. Selbst wenn dies zuträfe, könnte damit die Tariffähigkeit des ALEB nicht ohne weiteres in Frage gestellt werden. Die Frage, ob eine Arbeitnehmervereinigung in der Lage ist, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, kann weder - wie dargelegt - nach dem für die Arbeitnehmer mehr oder weniger günstigen Inhalt der abgeschlossenen Tarifverträge noch nach der Art, Dauer und Härte der geführten Tarifverhandlungen beurteilt werden. Dies kann von Zufälligkeiten abhängen und muß grundsätzlich dem freien Spiel der Kräfte überlassen bleiben. Entscheidend ist, daß die Arbeitnehmervereinigung in den Prozeß der tariflichen Regelung der Arbeitsbedingungen aktiv eingreift und auch mit ihr Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen tariflich geregelt werden sollen.
Sind an der tariflichen Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für einen bestimmten Wirtschaftszweig und ein bestimmtes Tarifgebiet mehrere Gewerkschaften beteiligt, so hat die Arbeitgeberseite ein natürliches Interesse daran, mit allen Gewerkschaften gleichlautende Tarifverträge abzuschließen. Von daher besagt das Verhandeln mehrerer Gewerkschaften in Tarifgemeinschaften oder der Abschluß von Anschlußtarifverträgen nichts darüber, daß der Inhalt der Verhandlungen und letztlich der Inhalt der abgeschlossenen Tarifverträge jeweils nur allein von der jeweils stärksten Gewerkschaft bestimmt wird und die Mitunterzeichnung der Tarifverträge oder der Abschluß von Anschlußtarifverträgen durch andere Gewerkschaften nur formalen Charakter hat. Auch im Abschluß von Anschlußtarifverträgen liegt daher kein Indiz dafür, daß die abgeschlossenen Tarifverträge dieser Gewerkschaft gegenüber lediglich Gefälligkeitstarifverträge sind, die nichts darüber besagen, ob die schwächere Gewerkschaft in der Lage ist, auch allein oder nur im Zusammenhang mit anderen schwächeren Gewerkschaften zu einem Abschluß von Tarifverträgen zu kommen.
Gefälligkeitstarifverträge, die nichts über die Tariffähigkeit der Arbeitnehmervereinigung besagen, können daher nur solche Tarifverträge sein, die von vornherein nicht der Regelung der Arbeitsbedingungen dienen sollen, sondern aus anderen Gründen abgeschlossen werden, etwa um der Arbeitnehmervereinigung das Etikett einer in Betrieben oder Unternehmen vertretenen "Gewerkschaft" zu verleihen oder um dieser den Zutritt zu Selbstverwaltungskörperschaften zu ermöglichen. In solchen Fällen dient der Tarifvertrag nicht der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, er ist ein Scheintarifvertrag und Mittel zur Erreichung anderer koalitionspolitischer Ziele.
4. Der Senat kann aufgrund des Vorbringens des ALEB über die von ihm bislang abgeschlossenen Tarifverträge nicht abschließend entscheiden. Dieses Vorbringen ist unter den Beteiligten streitig. Das Landesarbeitsgericht hat dazu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, weil es dieses Vorbringen von seinem Standpunkt aus für unerheblich gehalten hat. Die festgestellten Tatsachen zur Mitgliederzahl sowie zur finanziellen und personellen Ausstattung allein lassen eine Entscheidung, daß der ALEB tariffähig ist, nicht zu. Es kommt daher auf die von der HBV in bezug auf diese Feststellungen erhobenen Verfahrensrügen nicht an. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob diese erstmals im Anhörungstermin vor dem Senat mündlich erhobenen Rügen in zulässiger Weise vorgebracht wurden, obwohl sie entgegen § 129 Abs. 1 ZP0 nicht schriftsätzlich angekündigt waren.
Die angefochtene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts mußte daher aufgehoben werden. Der Rechtsstreit ist an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, damit dieses noch die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Dr. Wehr Blanke
Fundstellen
BAGE 49, 322-334 (LT1-2) |
BAGE, 322 |
DB 1986, 755-756 (LT1-2) |
NJW 1986, 1708 |
NJW 1986, 1708-1709 (LT1-2) |
NZA 1986, 332-334 (LT1-2) |
RdA 1986, 66 |
SAE 1986, 229-232 (LT1-2) |
AP § 2 TVG (LT1-2), Nr 34 |
AR-Blattei, Berufsverbände Entsch 24 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 420 Nr 24 (LT1-2) |
ArbuR 1986, 351-352 (LT1-2) |
EzA § 2 TVG, Nr 14 (LT1-2) |