Leitsatz (amtlich)
a) Der Schuldner muss im Verfahren der Vergütungsfestsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters angehört werden.
b) Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde des Schuldners gegen die Festsetzung der Vergütung beginnt regelmäßig bereits mit der öffentlichen Bekanntmachung im Internet und nicht erst mit einer späteren persönlichen Zustellung, auch wenn der Schuldner zuvor nicht angehört wurde.
Normenkette
InsO § 64 Abs. 2, § 9 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Beschluss vom 29.01.2010; Aktenzeichen 19 T 266/08) |
AG Darmstadt (Beschluss vom 29.04.2008; Aktenzeichen 9 IN 7/08) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des LG Darmstadt vom 29.1.2010 wird auf Kosten der Schuldnerin als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 74.779,52 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Schuldnerin beantragte am 2.1.2008 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Am folgenden Tag bestellte das Insolvenzgericht den weiteren Beteiligten zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Nachdem die Schuldnerin ihren Eröffnungsantrag am 28.3.2008 zurückgenommen hatte, hob das Insolvenzgericht die Bestellung des weiteren Beteiligten am 31.3.2008 auf und entschied, dass die Schuldnerin die Kosten des Verfahrens zu tragen habe.
Rz. 2
Auf den Antrag des weiteren Beteiligten hat das Insolvenzgericht dessen Vergütung mit Beschluss vom 29.4.2008 auf 81.322,27 EUR und die zu erstattenden Auslagen auf 750 EUR festgesetzt, jeweils zzgl. 19 vom Hundert Umsatzsteuer. Es hat dabei einen Gesamtzuschlag von 85 vom Hundert zur Regelvergütung des vorläufigen Verwalters gewährt. Der Beschluss wurde am 30.4.2008 im Internet öffentlich bekannt gemacht und der Schuldnerin am 10.5.2008 persönlich zugestellt. Am 19.5.2008 hat die Schuldnerin durch ihren Verfahrensbevollmächtigten sofortige Beschwerde erhoben mit dem Ziel, eine Herabsetzung der festgesetzten Vergütung mindestens auf die Regelvergütung zu erreichen. Das LG hat die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
Die nach §§ 6, 7, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 64 Abs. 3 Satz 1 InsO, Art. 103 f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).
Rz. 4
Auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Fragen kommt es nicht an, weil die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des AG bereits unzulässig war.
Rz. 5
1. Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde ist im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen. Bei der Revision prüft das Revisionsgericht von Amts wegen gem. § 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO, ob die Berufung zulässig war, weil es andernfalls an einem gültigen und rechtswirksamen Verfahren vor dem Revisionsgericht fehlt (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 30.9.1987 - IVb ZR 86/86, BGHZ 102, 37 [38]; v. 11.10.2000 - VIII ZR 321/99, ZIP 2000, 2222). Entsprechendes gilt bei der Rechtsbeschwerde gemäß der insoweit gleichlautenden Bestimmung des § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO hinsichtlich der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde (BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - IX ZB 369/02, WM 2004, 198; vgl. auch BGH, Beschl. v. 25.6.2009 - IX ZB 161/08, WM 2009, 1582 Rz. 5 ff.; Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 557 Rz. 8 und § 577 Rz. 2; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 557 Rz. 15 und § 577 Rz. 3).
Rz. 6
2. Die am 19.5.2008 beim Insolvenzgericht per Telefax eingegangene sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 29.4.2008, durch den die Vergütung des weiteren Beteiligten für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter festgesetzt wurde, war verfristet. Die Notfrist von zwei Wochen, innerhalb der die sofortige Beschwerde nach § 4 InsO, § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO einzulegen war, begann gem. § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO, §§ 64 Abs. 2, 9 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 InsO zwei Tage nach der am 30.4.2008 erfolgten öffentlichen Bekanntmachung der Vergütungsfestsetzung im Internet, mithin mit Ablauf des 2.5.2008, und endete am 16.5.2008. Der Umstand, dass der Festsetzungsbeschluss der Schuldnerin nach der Bekanntmachung im Internet auch noch persönlich zugestellt wurde, hat auf den Lauf der Frist keinen Einfluss (BGH, Beschl. v. 5.11.2009 - IX ZB 173/08, ZInsO 2009, 2414 Rz. 9).
Rz. 7
Die Anknüpfung des Fristlaufs an die öffentliche Bekanntmachung im Internet ohne Veröffentlichung der festgesetzten Beträge (§ 64 Abs. 2 Satz 2 InsO) verletzt nicht den Anspruch der Schuldnerin auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4, Art. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 10.11.2011 - IX ZB 165/10, WM 2011, 2374 Rz. 16 ff.). Die Schuldnerin musste mit der Festsetzung der Vergütung des vorläufigen Verwalters rechnen, nachdem sie ihren Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28.3.2008 zurückgenommen und das Insolvenzgericht mit Beschl. v. 31.3.2008 - der Schuldnerin persönlich zugestellt am 5.4.2008 - die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters aufgehoben und die Kosten des Verfahrens der Schuldnerin auferlegt hatte. Zwar hätte ihr das Insolvenzgericht vor der Festsetzung der Vergütung Gelegenheit geben müssen, zu dem Vergütungsantrag des vorläufigen Verwalters Stellung zu nehmen (BGH, Beschl. v. 21.1.2010 - IX ZB 83/06, ZInsO 2010, 397 Rz. 5). Auch ohne Anhörung hatte die Schuldnerin aber Anlass, die Insolvenzveröffentlichungen im Internet zu verfolgen (zum Fall des angehörten Schuldners vgl. BGH, Beschl. v. 4.12.2003 - IX ZB 249/02, WM 2004, 394; vom 21.1.2010, a.a.O., Rz. 6).
Rz. 8
Im Übrigen erteilte die Schuldnerin unter dem Datum des 4.4.2008 ihrem Verfahrensbevollmächtigten eine Vollmacht "in Sachen GmbH/Insolvenzverfahren wegen Beschwerde und Akteneinsicht". Dies kann nur damit erklärt werden, dass sie eine Vergütungsfestsetzung erwartete. Schließlich erlangte die Schuldnerin noch mehrere Tage vor Ablauf der Beschwerdefrist tatsächliche Kenntnis von der Vergütungsfestsetzung durch die persönliche Zustellung des Festsetzungsbeschlusses. Auch deshalb war es für sie nicht unzumutbar erschwert, Rechtsschutz gegen die Vergütungsfestsetzung zu erlangen, selbst wenn die Frist für die sofortige Beschwerde, was sie in Rechnung stellen musste, bereits mit der öffentlichen Bekanntmachung im Internet zu laufen begann.
Fundstellen
Haufe-Index 3272877 |
DStR 2012, 10 |
NJW 2012, 8 |
EBE/BGH 2012 |
CR 2012, 677 |
WM 2012, 1876 |
ZIP 2012, 1779 |
DZWir 2012, 523 |
JZ 2012, 693 |
MDR 2012, 1124 |
NZI 2012, 5 |
Rpfleger 2012, 645 |
VuR 2013, 64 |
ZInsO 2012, 1640 |
GuT 2012, 393 |
InsbürO 2012, 399 |
RVGreport 2013, 40 |
ZVI 2012, 359 |