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BGH Beschluss vom 16.06.2005 - IX ZB 264/03

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Übertragung von Rechten und Pflichten an den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter. Ermächtigungsumfang. Angemessene Vergütung. Zu- und Abschläge zur Vergütung

 

Leitsatz (amtlich)

a) Der vorläufige schwache Insolvenzverwalter, der vor Bekanntwerden des Urteils des Senats v. 18.7.2002 (BGH, Urt. v. 18.7.2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = BGHReport 2002, 953, m. Anm. Göhler-Schlicht = MDR 2002, 1454) bestellt wurde, konnte und durfte auf die Wirksamkeit seiner pauschalen und umfassenden Ermächtigung, die damals allgemein üblich und verbreitet war, vertrauen (Fortführung von BGH, Urt. v. 18.7.2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 [367] = BGHReport 2002, 953, m. Anm. Göhler-Schlicht = MDR 2002, 1454).

b) Wurde der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen einer ihm wirksam übertragenen pauschalen und umfassenden Ermächtigung tätig, ist er für diese Tätigkeit angemessen zu vergüten. Von der Vergütungspflicht sind nur solche Tätigkeiten nicht erfasst, die von den ihm übertragenen Aufgaben und Befugnissen ausdrücklich ausgenommen oder die insolvenzzweckwidrig sind.

c) Das Verbot der Schlechterstellung bezieht sich bei der Vergütung des vorläufigen (oder endgültigen) Insolvenzverwalters auf die Gesamthöhe der zuzuerkennenden Vergütung.

 

Normenkette

InsO § 21 Abs. 2 Nrn. 1, 2 Fall 2, § 22 Abs. 2, § 63; InsVV §§ 3, 10-11

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Beschluss vom 03.11.2003; Aktenzeichen 326 T 83/03)

AG Hamburg (Beschluss vom 29.07.2003)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 22.09.2011; Aktenzeichen IX ZB 107/10)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des vorläufigen Insolvenzverwalters werden der Beschluss der Zivilkammer 26 des LG Hamburg v. 3.11.2003 und der Beschluss des AG Hamburg - Insolvenzgericht - v. 29.7.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelzüge, an das Insolvenzgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 6.120 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der weitere Beteiligte wurde durch Beschluss des Insolvenzgerichts v. 2.10.2000 zum vorläufigen Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin bestellt (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Es wurde angeordnet, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 InsO). Außerdem wurde angeordnet:

"Der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht allgemeiner Vertreter der Schuldnerin. Er hat die Aufgabe, durch Überwachung der Schuldnerin deren Vermögen zu sichern und zu erhalten. Er wird ermächtigt, mit rechtlicher Wirkung für die Schuldnerin zu handeln, ist jedoch, unbeschadet der Wirksamkeit der Handlung, verpflichtet, diese Befugnis nur wahrzunehmen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgabe schon vor der Verfahrenseröffnung dringend erforderlich ist."

Die Tätigkeit des weiteren Beteiligten als vorläufiger Insolvenzverwalter endete mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss v. 14.11.2000. Er beantragte für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter eine Vergütung i.H.v. 15.131,43 EUR. Ausgehend von einem Regelsatz von 20.084,55 EUR beantragte er einen Erschwerniszuschlag von 75 % (zusammen 35.840,97 EUR). Im Hinblick auf den Zustimmungsvorbehalt begehrt er hiervon einen Bruchteil von 35 % zzgl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer.

Das AG hat die Vergütung auf insgesamt 9.011,43 EUR festgesetzt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der vorläufige Insolvenzverwalter sein Festsetzungsbegehren in vollem Umfang weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 7 InsO, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und zulässig, § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

AG und Beschwerdegericht haben die beantragten Zuschläge versagt, weil dem Beschwerdeführer die Aufgaben, für deren Erledigung er die Zuschläge begehrt, nicht übertragen gewesen seien. Dies betreffe die Fortführung des Geschäftsbetriebes und seine Beordnung. Dasselbe gelte für die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes, die Abrechnung der Lohnverbindlichkeiten, die Abstimmung der Betriebsfortführungen sowie die Übertragung des Geschäftsbetriebes im Rahmen einer übertragenden Sanierung. Andererseits haben sie den Bruchteil des Vergütungssatzes auf 35 % des Regelsatzes festgelegt.

Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Die Aufgabenbestimmung und Befugniszuweisung an den vorläufigen Insolvenzverwalter im Beschluss v. 2.10.2000 war zwar unzulässig, aber - noch - wirksam.

a) Die pauschale gerichtliche Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters, mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln, ist unzulässig. Der vorläufige schwache Insolvenzverwalter darf, wenn zugleich ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt (§ 22 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 InsO) erlassen ist, zugleich dazu ermächtigt werden, über bestimmte Gegenstände des Schuldnervermögens zu verfügen. Er kann - ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot - auch dazu ermächtigt werden, einzelne im voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen, soweit dies für eine erfolgreiche Verwaltung nötig ist. Müssen dazu nur einzelne Masseverbindlichkeiten von begrenztem Umfang begründet werden, ist deswegen nicht ohne weiteres der Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbotes nach § 22 Abs. 1 InsO erforderlich. Das Insolvenzgericht darf nach § 22 Abs. 2 InsO die Pflichten und Befugnisse des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters grundsätzlich bis hin zur Grenze des mit einem begleitenden Verfügungsverbot bestellten starken vorläufigen Verwalters (§ 22 Abs. 1 InsO) ausdehnen. Es darf die Befugnisse jedoch nicht - wie hier geschehen - in das Ermessen des schwachen Insolvenzverwalters stellen. Vielmehr hat das Gericht selbst die einzelnen Maßnahmen bestimmt zu bezeichnen, zu denen der vorläufige Verwalter berechtigt und verpflichtet sein soll (BGH v. 18.7.2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 [365 f.] = BGHReport 2002, 953, m. Anm. Göhler-Schlicht = MDR 2002, 1454).

b) Der Beschwerdeführer durfte sich indes auf die Wirksamkeit der am 2.10.2000 getroffenen Anordnung verlassen. Die pauschale, umfassende Ermächtigung war wirksam, weil der BGH insoweit die Rechtslage erst im Urteil v. 18.7.2002 geklärt hat (BGH v. 18.7.2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 [367] = BGHReport 2002, 953, m. Anm. Göhler-Schlicht = MDR 2002, 1454; Beschl. v. 17.2.2004 - IX ZR 135/03, MDR 2004, 902 = BGHReport 2004, 917 = ZIP 2004, 766 [767]).

2. Folglich ist für die Vergütung die Auslegung des wirksamen Beschlusses v. 2.10.2000 maßgebend. Hierbei ist entscheidend, dass seinerzeit Beschlüsse in dieser Form allgemein üblich und verbreitet waren. Sie hatten das Ziel, dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter die Rechte und Pflichten eines starken vorläufigen Insolvenzverwalter zu übertragen, ohne dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen (vgl. BGH v. 18.7.2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 [363 f.] = BGHReport 2002, 953, m. Anm. Göhler-Schlicht = MDR 2002, 1454). Im Hinblick auf diese allgemeine Handhabung konnte und durfte der Beschwerdeführer davon ausgehen, dass er umfassend ermächtigt war. Dann ist er auch entsprechend zu vergüten. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss die Vergütung sowohl des Insolvenzverwalters als auch des vorläufigen Insolvenzverwalters für die ihm übertragenen und von ihm erledigten Aufgaben angemessen sein (BGH v. 14.12.2000 - IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165 [174] = MDR 2001, 592 = BGHReport 2001, 263, m. Anm. Vallender; v. 15.1.2004 - IX ZB 96/03, BGHZ 157, 282 [286] = MDR 2004, 653, m. Anm. Hartung = BGHReport 2004, 631, m. Anm. Runkel = BGHReport 2004, 308).

Von der Vergütungspflicht sind demnach nur solche Tätigkeiten des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht erfasst, die von den ihm übertragenen Aufgaben und Befugnissen ausdrücklich ausgenommen oder die insolvenzzweckwidrig sind.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist es im Ausgangspunkt angemessen, dem vorläufigen Insolvenzverwalter 25 v.H. der Vergütung des endgültigen Insolvenzverwalters zuzubilligen (BGH, Beschl. v. 24.6.2003 - IX ZB 453/02, BGHReport 2003, 1245 = MDR 2003, 1252 = ZIP 2003, 1759; Beschl. v. 17.7.2003 - IX ZB 10/03, BGHReport 2003, 1241 = MDR 2003, 1441 = ZIP 2003, 1612; v. 8.7.2004 - IX ZB 589/02, BGHReport 2004, 1596 = MDR 2004, 1201 = ZIP 2004, 1555 [1557]).

Hat das Insolvenzgericht angeordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, rechtfertigt dies bei der gesonderten Festsetzung der Vergütung des vorläufigen Verwalters keinen generellen Zuschlag auf den Ausgangssatz von 25 % (BGH, Beschl. v. 17.7.2003 - IX ZB 10/03, BGHReport 2003, 1241 = MDR 2003, 1441 = ZIP 2003, 1612; v. 8.7.2004 - IX ZB 589/02, BGHReport 2004, 1596 = MDR 2004, 1201 = ZIP 2004, 1555 [1557]).

Von diesem Ausgangssatz von 25 % sind sodann je nach der konkreten Art und Weise, wie der schwache vorläufige Insolvenzverwalter von seinen Befugnissen Gebrauch gemacht hat, Zu und Abschläge in der Form vorzunehmen, dass sie unmittelbar gem. § 3 InsVV den für den vorläufigen Insolvenzverwalter maßgebenden Bruchteil verringern oder erhöhen (BGH, Beschl. v. 18.12.2003 - IX ZB 50/03, MDR 2004, 656 = BGHReport 2004, 701 = ZIP 2004, 518; v. 8.7.2004 - IX ZB 589/02, BGHReport 2004, 1596 = MDR 2004, 1201). Das Leistungsbild der entfalteten Verwaltertätigkeit muss dabei im Einzelfall gewürdigt und eine leistungsangemessene Vergütung (§ 21 Abs. 2 Nr. 1, § 63 InsO) festgesetzt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 17.7.2003 - IX ZB 10/03, BGHReport 2003, 1241 = MDR 2003, 1441 = ZIP 2003, 1612).

Das Insolvenzgericht, das bislang einen Bruchteil des Vergütungssatzes von 35 % zu Grunde gelegt hat, ist nach der Zurückverweisung nicht gehindert, entsprechend den genannten Vorgaben zu verfahren; das Verbot der Schlechterstellung bezieht sich nur auf die Gesamthöhe der zuzuerkennenden Vergütung (vgl. BGH, Beschl. v. 6.5.2004 - IX ZB 349/02, BGHReport 2004, 1318 = MDR 2004, 1202 = ZIP 2004, 1214 [1215]; Beschl. v. 24.5.2005 - IX ZB 6/03).

4. Die Zurückverweisung erfolgt an das Insolvenzgericht, weil schon dieses die Vergütung entsprechend hätte festsetzen und den aufgeworfenen Fragen hätte nachgehen müssen (BGH, Beschl. v. 29.4.2004 - IX ZB 225/03, BGHReport 2004, 1321 = MDR 2004, 1204 = ZIP 2004, 1653 [1655]) und weil auch das Beschwerdegericht ihm die Neufestsetzung der Vergütung vernünftigerweise übertragen hätte (BGH, Beschl. v. 22.7.2004 - IX ZB 161/03, BGHReport 2004, 1653 = MDR 2005, 173 = ZIP 2004, 1717 [1721]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1394870

BB 2005, 1760

DB 2005, 2297

DStZ 2005, 763

BGHR 2005, 1422

WM 2005, 1760

WuB 2005, 869

ZIP 2005, 1372

DZWir 2005, 514

InVo 2005, 482

MDR 2005, 1435

NZI 2005, 627

Rpfleger 2005, 624

ZInsO 2005, 804

ZVI 2005, 441

ZVI 2006, 36

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