Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I.
Der Kläger verunglückte am 24. Juni 1981 auf einer Fahrradtour, die er zusammen mit etwa 20 Personen von einem Kurort aus unternahm. Er war dort zur stationären Behandlung eines Wirbelsäulenleidens auf Veranlassung einer Landesversicherungsanstalt (LVA). Die Fahrt hatte der Badearzt nicht angeordnet. Sie wurde vom Verkehrsverein der Kurverwaltung organisiert und von einem Angestellten der Verwaltung geleitet. Eine Entschädigung wegen der Folgen einer bei dem Unfall erlittenen Daumenverletzung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 12. Juli 1983, Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1983). Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 16. August 1984). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 30. Januar 1985). Das Berufungsgericht hat einen "Arbeitsunfall" im Zusammenhang mit einer Verrichtung angenommen, die nach der Vorstellung des Klägers der stationären Behandlung dienlich gewesen sei (§ 548 Abs. 1 Satz 1, § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a Reichsversicherungsordnung - RVO -). Dem Kläger seien Gymnastik und Wellenbäder zur körperlichen Bewegung verordnet worden, und er habe im übrigen ausgedehnte Spaziergänge sowie Waldläufe unternommen. Das Radfahren habe dies ergänzt; es sei nicht kontraindiziert gewesen.
Die Beklagte rügt mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision eine unzureichende Sachaufklärung und logische Fehler in der Beweiswürdigung, soweit das LSG angenommen hat, das Radfahren habe der Kurbehandlung nicht entgegengestanden. Außerdem habe das Berufungsgericht zu Unrecht einen Versicherungsschutz angenommen. Der Kläger sei bei der Fahrradtour nicht einem Gefahrenumstand ausgesetzt gewesen, der gerade durch den Kuraufenthalt außerhalb des ihm vertrauten häuslichen Bereiches bedingt gewesen sein müßte.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er tritt der Rechtsauffassung des LSG bei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Auf die Revision der Beklagten muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen werden.
Ob das Berufungsurteil auf den von der Beklagten gerügten Verfahrensfehlern beruht (§§ 163, 164 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), was nach der sachlich-rechtlichen Ansicht des Vordergerichts zu beurteilen wäre, kann dahingestellt bleiben. Das Urteil ist, ohnedies deshalb aufzuheben, weil für eine auf der Rechtsauffassung des Revisionsgerichts beruhende Entscheidung über den Anspruch des Klägers nicht genügend Tatsachen festgestellt worden sind (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG; st.Rspr., z.B. BSGE 41, 80, 81 = SozR 3100 § 35 Nr. 2).
Der Unfall des Klägers wäre nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO nur dann mit der Folge eines Entschädigungsanspruches gemäß § 547 RVO als "Arbeitsunfall" anzuerkennen, wenn der Kläger ihn "bei" einer der in § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO (i.d.F. des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes -RehaAnglG- vom 7. August 1974 -BGBl I 1881-) "genannten Tätigkeiten" erlitten hätte. Nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO war er durch die Teilnahme an der von der LVA, einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, gewährten Kur, während der er verunglückte, d.h. an der stationären, Behandlung i.S. des § 559 RVO, gegen Arbeitsunfälle versichert. Zu den "Tätigkeiten" des Teilnehmers an einer solchen medizinischen Rehabilitation gehört alles, was er im Zusammenhang mit der stationären Heilbehandlung einschließlich Unterkunft und Verpflegung in einer Spezialeinrichtung verrichtet (§ 559 i.V.m. § 556 Abs. 1 Nr. 1 und § 557 Abs. 1 RVO, § 10 RehaAnglG). Für den erforderlichen Zusammenhang mit der stationären Behandlung genügt nicht ein zeitlicher (st.Rspr., z.B. BSG, USK 79245). Der Versicherte muß vielmehr als Kurteilnehmer in der Weise "tätig" geworden sein, daß er an der Durchführung der ihm gewährten Behandlung mitgewirkt hat; dazu ist er gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 RehaAnglG "nach Kräften" verpflichtet (vgl. zur sozialen Entschädigung: BSG SozR 3100 § 1 Nr. 33).
Diese Verpflichtung besteht wohl auch während einer ambulanten, von Hause aus unternommenen Behandlung, die nicht unter Unfallversicherungsschutz steht. Im Unterschied dazu ist eine stationäre Behandlung vor allem durch die dauernde Unterbringung in der Kuranstalt und somit in fremder Umgebung gekennzeichnet, und damit sind besondere Risiken verbunden, z.B. infolge von baulichen Eigentümlichkeiten (BSGE 46, 283, 285 = SozR 2200 § 539 Nr. 47; BSGE 55, 10, 12 = SozR 2200 § 539 Nr. 88; SozR 2200 § 539 Nr. 72; USK 81102). Das ist der Kernbereich der Versicherung nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO (Gitter, SGb 1982, 220, 225); er entspricht der Versicherung während einer Dienst- oder Geschäftsreise außerhalb von Dienstverrichtungen (z.B. BSGE 50, 100 = SozR 2200 § 548 Nr. 50 m.N.; SozR 2200 § 539 Nr. 110). Ein derartiges Unfallereignis aus dem Bereich der Kuranstalt traf den Kläger auf der Fahrradtour nicht.
Außerdem kommen folgende abgestufte Unfallursachen in Betracht, die mit der Behandlung, dem Kern der Leistung des § 559 RVO, zusammenhängen: Mitwirkung bei ärztlich angeordneten oder bloß empfohlenen Maßnahmen; sonstige der Kur dienliche oder bloß für dienlich gehaltene, zugleich objektiv kurgerechte, jedenfalls nicht kurschädliche Verrichtungen.
Die erforderliche Mitwirkung bei den Maßnahmen, die dem Kurzweck, der Wiederherstellung oder Besserung der beruflichen Leistungsfähigkeit oder der Abwendung einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, dienen sollen (§ 1 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 10 RehaAnglG, § 1236 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1237 Nr. 1 RVO), kann unter Versicherungsschutz stehen, soweit ein Schaden nicht durch ein ärztliches Versagen (BSGE 46, 283; SozR 2200 § 539 Nr. 56; USK 81102) verursacht wurde. Dieser Schutzbereich kann die ärztlich geleitete und damit im wesentlichen fremdbestimmte Kurorganisation, in die der Versicherte als Teilnehmer der Rehabilitationsmaßnahme eingegliedert ist, erfassen, soweit sie funktionell über die Räumlichkeiten der Kuranstalt hinausreicht. Dazu könnte z.B. die Beteiligung an Behindertensport im Freien, der die Heilbehandlung ergänzt (§ 569a Nr. 3 RVO), oder an einer ähnlichen Unternehmung, etwa an einem von der Kuranstalt organisierten, ärztlich angeordneten oder wenigstens überwachten Fahrradausflug, der auf denselben Zweck gerichtet ist, gehören. Mit einer solchen Rehabilitationsveranstaltung könnte die stationäre Behandlung i.S. des § 559 RVO mit den ihr eigentümlichen Gefahren erweitert sein, wie eine Beschäftigung i.S. des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO oder eine selbständige, versicherte Tätigkeit durch eine Ausstrahlung nach § 4 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften in der Sozialversicherung - vom 23. Dezember 1976 -SGS IV- (BGBl I 3845) oder durch eine Dienst- oder Geschäftsreise räumlich ausgedehnt werden.
Dies trifft indes für die Radtour, bei der der Kläger, verunglückte, nicht zu. Sie wurde nicht von der Kuranstalt, sondern von der Kurverwaltung veranstaltet und von einem ihrer Bediensteten angeführt. Außerdem war sie dem Kläger nicht aus gesundheitlichen Gründen ärztlich verordnet worden. Schließlich wird sie als übliche Kurortveranstaltung auch anderen Personen als den Kurteilnehmern i.S. des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO offengestanden haben, z.B. anderen Kurgästen, Urlaubern und Ortsbewohnern.
Über den zuvor bezeichneten Schutzbereich hinaus hat die Rechtsprechung andere, nicht ärztlich verordnete Betätigungen eines Kurpatienten, die seiner stationären Behandlung dienlich sind, den nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO versicherten Gefahren zugerechnet (BSG USK 78131; zur sozialen Entschädigung: BSG SozR 3100 § 1 Nr. 33). In solcher schutzwürdigen Weise hat jemand noch an der fremdbestimmten Kur teilgenommen, falls seine Verrichtung, die zum Unfall führte, funktional auf das oben gekennzeichnete Kurziel bezogen war. Sie muß in den vom Kurarzt festgelegten Organisationsplan passen, außerdem die ausdrücklich angeordneten Maßnahmen ergänzen und ebenso wie diese auf den Rehabilitationszweck ausgerichtet sein. Dieser Zusammenhang mit der stationären Behandlung kann auf zweierlei Weise begründet sein; entweder durch eine ärztliche Empfehlung oder durch objektive Gegebenheiten, denen das Verhalten des Versicherten entspricht, was erst nachträglich festgestellt wird.
Ob die zweite Voraussetzung hier anzunehmen ist, muß auf Grund der erhobenen Gesundheitsbefunde einerseits und allgemeiner medizinischer Erfahrungen andererseits noch ärztlich beurteilt werden. Für diese Zuordnung ist eine Besonderheit der stationären Behandlung maßgebend. Bei ihr wird - über die ärztlichen Anordnungen und die sie befolgende Mitwirkung hinaus, die bei jeglicher Rehabilitation, auch der ambulanten, erforderlich sind - der ganze Tagesablauf sowohl mit den ärztlich festgelegten Anwendungen als mit den dazwischenliegenden Betätigungen des Patienten, soweit sie ebenfalls die Rehabilitation fördern können und nicht ausschließlich oder vorrangig seine persönlichen Bedürfnisse befriedigen, unter ärztlicher Aufsicht in den Dienst des Kurzieles gestellt (vgl. Ricke, Berufsgenossenschaft 1980, 550 ff.). Vom Versicherungsschutz sind unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt normale, bei Gesunden wie bei Rehabilitanten übliche Verrichtungen des Alltages, z.B. Ausflüge und ähnliche Unternehmungen, ausgeschlossen, sofern sie mindestens überwiegend der Freizeitgestaltung, der eigenen Unterhaltung, der Zerstreuung oder der Anregung dienen und nicht in erheblicher Weise nach ihrer Eigenart auf den Kurzweck ausgerichtet sind (st.Rspr., z.B. BSG SozR 2200 § 539 Nrn. 48 und 84; USK 78131).
Ob derart die Teilnahme des Klägers an der Radtour, bei der er verunglückte, , behandlungsgerecht war, d.h. der stationären Rehabilitation diente und das vorgeschriebene Kurprogramm ergänzte, hat das LSG noch aufzuklären. In erster Linie ist der behandelnde Arzt zu befragen. Notfalls muß dazu auch ein Sachverständiger gehört werden.
Schließlich hat die Rechtsprechung, worauf das Berufungsurteil beruht, den erforderlichen Bezug zur stationären Behandlung als gegeben angenommen, falls ein Versicherter der Ansicht war, seine Tätigkeit, die zu einem Unfall führe, diene der Kur (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 48; USK 78131; 79153). Diese subjektive Auffassung vermag allerdings nicht nachträglich jede beliebige Unternehmung eines Patienten den rechtserheblichen Unfallursachen i.S. des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a i.V.m. § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO zu Lasten der Versichertengemeinschaft zuzuordnen. Vielmehr muß ein entsprechendes Verhalten des Versicherten, das nicht objektiv erforderlich gewesen zu sein braucht, nach den objektiven kurbezogenen Gegebenheiten vernünftig und vertretbar sein (BSGE 52, 57, 59 f. SozR 2200 § 555 Nr. 5 m.N.; Urteil des erkennenden Senats in SozR 2200 § 539 Nr. 84). Ein Verhalten, das dem Behandlungszweck und den ärztlichen Anordnungen widerspricht und deshalb vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist, kommt im Fall des Klägers nach den Feststellungen des LSG nicht in Betracht.
Daß in diesen Grenzen eine subjektive Vorstellung, zumal eine nachträglich erklärte, ein frei gewähltes Tun sei für die Behandlung nützlich, auch objektiven Gegebenheiten entsprechen muß, ist durch die Eigenart der gesetzlichen Unfallversicherung bedingt. Der Versicherte muß einer gesetzlich umschriebenen Gefahr zum Opfer gefallen sein, und speziell die geschützte Kur muß im wesentlichen fremdbestimmt gestaltet sein. Der Versicherungsschutz kann nicht beliebig allein durch subjektive Ansichten über seine Voraussetzungen und entsprechendes Verhalten begründet werden. Solche Einstellungen vermögen die objektiv erforderliche Zuordnung eines Geschehens zum geschützten Risikobereich nicht zu ersetzen. Nicht anders ist es für die, nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 548 Abs. 1 Satz, 1 RVO versicherten Arbeitnehmer, die den Hauptanteil der Unfallversicherten bilden. Sie sind mit einer nicht im einzelnen von ihrem Arbeitgeber oder einem Vorgesetzten vorgeschriebenen und in der Ausführungsart unüblichen, insbesondere, fehlerhaften oder erfolglosen Verrichtung, von der sie meinen, sie dient den Interessen des Unternehmens, in dem sie beschäftigt sind, nur bei einem objektiven funktionellen Zusammenhang mit der aufgetragenen Arbeit unfallversichert (§§ 553, 554 RVO; BSGE 20, 215, 218 = SozR Nr. 67 zu § 542 RVO a.F.; SozR Nr. 30 zu § 548 RVO; vgl. auch SozR Nr. 23 zu § 548 RVO). Ein solcher Mangel in Einzelheiten der Ausführungsweise bei einem im großen und ganzen beschäftigungsbezogenen Vorgang schließt den Versicherungsschutz nicht aus, falls der Versicherte nach den Umständen vernünftigerweise noch glauben konnte, er verhalte sich auch bei der Abweichung auftragsgemäß.
In Anlehnung an diese Rechtsprechung besteht ein Versicherungsschutz auf dem Weg von der und zur Arbeit (§ 550 RVO) ausnahmsweise bei einem während der Fahrt erforderlich gewordenen Auftanken des benützten Fahrzeuges jedenfalls dann, wenn ein Kraftfahrer davon ausgehen konnte, der Kraftstoff reiche noch aus, sich dabei an die Anzeige des Überganges oder an das Umschalten auf den Reservetank hielt, unterwegs aber erwartungswidrig tanken mußte (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 39). Für die Zuordnung zum Unternehmensbereich ist hingegen bei unfallversicherten Selbständigen naturgemäß die subjektive Vorstellung und Absicht bedeutsamer (BSGE 30, 282, 283 = SozR Nr. 19 zu § 548 RVO; SozR Nr. 25 zu § 548 RVO). Das liegt darin begründet, daß der Unternehmer grundsätzlich selbst bestimmt, was zu seinen Geschäftsverrichtungen gehört (Urteil des erkennenden Senats vom 14. November 1984 - 9b RU 8/83 -).
Eine Betätigung außerhalb des angeordneten oder mindestens empfohlenen Behandlungsplanes kann kraft subjektiver Auffassung lediglich unter den folgenden Voraussetzungen dem Gefahrenbereich des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO zugerechnet werden. Falls der Patient meint, durch eine selbstgewählte Art besonderer körperlicher Anstrengung die Behandlung zu fördern, muß seine Aktivität wenigstens aus der Sicht medizinischer Laien, die gewissenhaft und verantwortungsbewußt bei der Behandlung mitwirken wollen, verständlicherweise vertretbar und außerdem objektiv in dem Sinn kurgerecht sein, daß sie die medizinisch gebotenen Maßnahmen nach dem Organisationsplan der stationären Heilbehandlung sinnvoll ergänzt.
Darüber, ob dies für die Fahrradtour zutrifft, hat das LSG einen Sachverständigen, in erster Linie den für den Kläger zuständig gewesenen Kurarzt, zu befragen, falls es nicht schon aus dem zuvor genannten Gesichtspunkt die Klage für begründet hält.
Das Berufungsgericht hat auch über die Kosten des Revisionsgerichts zu entscheiden.
Fundstellen