BGH begrenzt haftungsrelevante Nebenpflichten aus Anwaltsvertrag

Der BGH hat ein für alle Rechtsanwälte bedeutsames Urteil zum Umfang der Beratungspflichten gegenüber Mandanten gefällt. Danach geht der Umfang der Beratungspflicht grundsätzlich über den konkret erteilten Mandatsauftrag nicht hinaus, auch wenn es im Umfeld des Sachverhalts noch andere für den Mandanten wichtige Rechtsfragen gibt.

Ein in der täglichen Anwaltspraxis bedeutsames Problem bei der Bearbeitung eines Mandats entsteht oft dadurch, dass der Anwalt anlässlich der Fallbearbeitung Veranlassung hätte, den Mandanten auf tatsächliche und rechtliche Probleme und Gefahren außerhalb des eigentlichen Beratungsauftrags hinzuweisen.

Muss der Anwalt auf angrenzende Rechtsgestaltung hinweisen?

Die Anforderungen, die hierbei an die Aufmerksamkeit und Rechtskenntnisse des Rechtsanwalts zu stellen sind, hat der BGH nun in einem Grundsatzurteil deutlich eingegrenzt.

Die Bedeutung des Urteils für die tägliche Berufspraxis des Anwalts kann nicht hoch genug veranschlagt werden, neigte der BGH doch in der Vergangenheit eher dazu, die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts ins nahezu Unermessliche zu steigern (BGH, Urteil v.  1.3.2007, IX ZR 261/03).

Widerspruch der Anwältin hatte teilweise Erfolg

Im vom BGH entschiedenen Fall hatte die von ihrer ehemaligen Mandantin verklagte Rechtsanwältin diese gegenüber der Deutschen Rentenversicherung vertreten und gegen die Ablehnung einer Erwerbsunfähigkeitsrente Widerspruch eingelegt. Der Widerspruch hatte teilweise Erfolg.

  • Die DRV bewilligte mit einem Teilabhilfebescheid der Widerspruchsführerin
  • eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für einen abgegrenzten Zeitraum.
  • Die Rechtsanwältin leitete den Abhilfebescheid an ihre Mandantin weiter mit dem Hinweis, dass die Möglichkeit eines weiteren Widerspruchs bestehe. 

DRV-Hinweis zu Weiterbeschäftigung auf leidensgerechtem Teilarbeitsplatz

Darüber hinaus erteilte die DRV den Hinweis, dass

  • der Arbeitgeber in diesem Fall zu prüfen hat, ob ein leidensgerechtem Teilzeitarbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden könne.
  • Für den Fall, dass die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung nicht gegeben sein sollte, wies die DRV darauf hin, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bestehen könnte.

Das entsprechende Schreiben übersandte die Anwältin ihrer Mandantin mit der Bitte, es ihrer Arbeitgeberin vorzulegen.

Weiterbeschäftigungsantrag nicht fristgerecht gestellt

Die Arbeitgeberin, eine Sparkasse, teilte mit, dass für die Klägerin beginnend mit dem 1.7.2014 ein Teilzeitarbeitsplatz angeboten werden könne. Einige Wochen später erklärte die Sparkasse, der Teilzeitarbeitsplatz könne doch nicht zur Verfügung gestellt werden, weil die Arbeitnehmerin entgegen § 33 Abs. 3 TVöD-S nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Rentenbescheides den hierfür erforderlichen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt habe

OLG erkennt auf Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages

Die Mandantin warf ihrer Anwältin daraufhin vor,

  • sie nicht auf die Notwendigkeit eines schriftlichen Weiterbeschäftigungsantrages und
  • nicht auf die Zweiwochenfrist des § 33 Abs. 3 TVöD-S hingewiesen zu haben und
  • verklagte die Rechtsanwältin u.a. auf Schadenersatz in Höhe von knapp 30.000 Euro.

Nachdem das LG die Klage abgewiesen hatte, gab das OLG der Klägerin teilweise Recht. Das OLG stellte sich auf den Standpunkt, die Anwältin habe eine Nebenpflicht aus dem Anwaltsvertrag verletzt, indem sie es versäumt habe, auf die Zweiwochenfrist des § 33 TvöD-S hinzuweisen.

BGH definiert die Beratungspflichten des Anwalts

Von dieser Entscheidung des OLG setzte sich der BGH nun deutlich ab. Der BGH verwies zunächst darauf, dass

  • der Umfang und der Inhalt der vertraglichen Pflichten eines Rechtsanwalts sich nach dem jeweiligen Mandat und den Umständen des Einzelfalls richten. 
  • In den Grenzen des erteilten Auftrags, sei der Rechtsanwalt grundsätzlich zur umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung seines Mandanten angehalten.
  • Dies umfasse auch die Pflicht, den Mandanten vor Irrtümern oder Schäden zu bewahren, die voraussehbar und unvermeidbar sind.

Beratungspflichten werden im Grundsatz durch den Mandatsauftrag begrenzt

Bei der Übertragung dieser Grundsätze auf den zu entscheidenden Fall stellte der BGH entscheidend auf den Inhalt des Mandatsverhältnisses ab.

  • Inhalt des Mandatsverhältnisses sei die Wahrnehmung der Interessen der Klägerin gegenüber der DRV gewesen,
  • nicht dagegen die Wahrnehmung der Interessen gegenüber der Arbeitgeberin der Klägerin.

Vor diesem Hintergrund stellte der BGH fest, dass die Frist des § 33 TVöD-S den Mandatsauftrag nicht unmittelbar betreffe, da diese Vorschrift die Rechte eines teilweise erwerbsgeminderten Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber regle, nicht aber die gegenüber einer Rentenversicherung, auf die allein sich das erteilte Mandat beziehe. Damit betreffe der versäumte Weiterbeschäftigungsantrag einen Sachverhalt außerhalb des eigentlichen Mandats.

Beratungspflichten über den Mandatsauftrag hinaus nur in engen Grenzen

Mit diesen Feststellungen des BGH war die Anwältin aber noch nicht aus dem Schneider.

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Solche Warn- und Hinweispflichten knüpften grundsätzlich an das bestehende Informations-  und Wissensgefälle zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten an und seien aus § 242 BGB abzuleiten. Nach Auffassung des BGH dürfen solche über das eigentliche Mandatsverhältnis hinausgehende Beratungspflichten gegenüber dem Anwalt aber nicht überspannt werden.

Anwalt muss außerhalb des Mandats nur vor offenkundigen Gefahren warnen

Die hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung grundsätzlich an die Beratungspflichten des Anwalts stelle, beträfen in erster Linie den konkret erteilten Mandatsauftrag, nicht aber darüber hinausgehende Rechtsgebiete.

  • Im Fall der Annahme eines Auftrags müsse der Anwalt bereit sein, sich im Rahmen des Auftrags auch in Spezialmaterien gründlich einzuarbeiten
  • oder aber er müsse den erteilten Auftrag ablehnen.
  • Daneben dürfe aber nicht verkannt werden, dass auch ein Anwalt grundsätzlich nicht alles wissen könne.

Über den eigentlichen Auftrag hinausgehende Beratungspflichten setzten daher voraus, dass die dem Mandanten drohenden Gefahren dem Anwalt bekannt oder für ihn offenkundig sind oder sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats regelrecht aufdrängten.

Außerdem müsse der Anwalt Grund zu der Annahme haben, dass sein Auftraggeber sich der drohenden Gefahren nicht bewusst ist (BGH Urteil v. 20.4.2017, III ZR 470/16). Darüber hinaus stellte der BGH klar, dass von einer Anwältin, die ein sozialversicherungsrechtliches Mandat entgegennimmt, nicht prinzipiell verlangt werden könne, dass sie auch in speziellen arbeitsrechtlichen Materien bewandert ist und den Inhalt von Tarifverträgen kenne.

Auch Anwälte müssen nicht alles wissen

Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass die beklagte Anwältin

  • die drohende Gefahr eines Endes oder Ruhen des Arbeitsvertrages ihrer Mandantin im Falle der Nichtbeachtung der Frist des § 33 TVöD-S nicht zwingend kennen musste.
  • Die einschlägige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Erfordernis eines schriftlichen Weiterbeschäftigungsantrags habe ihr ebenfalls nicht bekannt sein müssen.
  • Kenntnisse und Fähigkeiten hinsichtlich rechtlicher Bestimmungen, die über das eigentliche Mandat hinausgehen, dürften vom Anwalt nicht allgemein, jederzeit und unter allen Umständen verlangt werden.

Solch unrealistisch hohen Anforderungen könne niemand gerecht werden.

Die Vorinstanz muss noch einige Sachfragen klären

Da das OLG noch nicht sämtliche für die Entscheidung des Falls erheblichen Umstände aufgeklärt hatte, insbesondere auch nicht der Frage nachgegangen war, ob die beklagte Rechtsanwältin die Vorschrift des § 33 TVöD-S möglicherweise doch kannte und die für die Weiterbeschäftigung ihrer Mandantin drohende Gefahr deshalb hätte erkennen können oder müssen, hat der BGH die Sache zur weiteren Sachaufklärung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Für die anwaltliche Praxis ist die grundsätzliche Begrenzung der Beratungs- und Hinweispflichten auf den erteilten Auftrag von hoher Bedeutung.

(BGH, Urteil v. 21.6.2018, IX ZR 80/17).



BRAK fordert gesetzlich sanktionierte Fortbildungspflicht

Nicht umsonst fordert die Bundesrechtsanwaltskammer seit Jahren  eine gesetzlich sanktionierte Fortbildungspflicht, denn gehäufte Haftungsfälle gefährden die Zulassung.

Vor diesem Hintergrund kommt einer effektiven Berufshaftung umso mehr reinigende Wirkung zu, scheidet sie doch die Spreu vom Weizen, weil Anwälten, die gleich mehrmals daneben greifen, der Verlust des Versicherungsschutzes droht – und damit zugleich der Verlust der Zulassung!

Allerdings muss die Anwaltshaftung klaren Regeln folgen. Dass viele Mandanten (und auch Richter) aus einer Vollkasko-Mentalität heraus dazu neigen, den Anwalt für eigene Versäumnisse und Lebenslügen zum Sündenbock zu stempeln, kann nicht der Ansatz sein.    


Schlagworte zum Thema:  Regress, Rechtsanwalt, Mandant