Völkermord - das ist der Begriff, den man in der Türkei nicht gerne hört und schon gar nicht der türkische Staatspräsident Erdogan. Bereits zum 100. Jahrestag des Genozids hat Bundespräsident Joachim Gauck vor einem Jahr im Berliner Dom den Begriff gebraucht und damit Unmut bei der türkischen Staatsregierung ausgelöst. Ebenso tat es der Papst und der Präsident des Deutschen Bundestages Norbert Lammert. Und nun hat der Bundestag als Ganzes den Vorgang beim Namen genannt.
Der geschichtliche Hintergrund
Zur Erinnerung: Im November trat das Osmanische Reich an der Seite der Mittelmächte in den 1. Weltkrieg ein. Gegner waren die so genannten Entente-Staaten mit Russland in vorderster Front. Das Osmanische Reich startete im Kaukasus einer Großoffensive gegen Russland, die kläglich scheiterte und mit einer erfolgreichen russischen Gegendrucksoffensive endete.
Der Großteil der Armenier war gegenüber dem Osmanischen Reich loyal und kämpfte an dessen Seite, lediglich ein kleiner Teil der Armenier unterstützte Russland in der Hoffnung, hierdurch vom Osmanischen Reich unabhängiger zu werden.
Armenier kollektiv für die Niederlage verantwortlich gemacht
Das Osmanische Reich fand darauf in den christlichen Armeniern den geeigneten Sündenbock und machte die Armenier insgesamt für die Niederlage verantwortlich. Armenier wurden in armenischen Städten zusammengetrieben, viele von ihnen einfach brutal erschossen, manche deportiert, ein Großteil auf so genannte Todesmärsche geschickt, die nur wenige überlebten. Nach Schätzungen wurden auf diese Weise 800.000 - 1.500.000 Armenier getötet.
Das deutsche Kaiserreich kehrte aus Freundschaft zum osmanischen Verbündeten den Sachverhalt unter den Teppich und half dabei, jede öffentliche Information über die Verbrechen im Keim zu ersticken.
Der Bundestag rückt Opfer und Widerständler in den Fokus
Seit Jahren herrscht ein heftiger Streit unter Historikern und Politikern darüber, wie dieser Vorgang zu bewerten ist. Insbesondere die Türkei wehrt sich vehement gegen die Bezeichnung als Völkermord. In der Resolution des Bundestages wird der Begriff des Völkermordes entgegen den vermehrten Warnungen aus der Türkei verwandt. In der Resolution heißt es:
- “Im Auftrag des damaligen jungtürkischen Regimes begann am 24. April 1915 im osmanischen Konstantinopel die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über 1 Million ethnischer Armenier“ und
- „Der Deutsche Bundestag ehrt mit seinem Gedenken an die unvorstellbar grausamen Verbrechen nicht nur deren Opfer, sondern auch all diejenigen im Osmanischen Reich und dem Deutschen Reich, die sich vor über 100 Jahren unter schwierigen Umständen und gegen den Widerstand ihrer jeweiligen Regierung in vielfältiger Weise für die Rettung von armenischen Frauen, Kindern und Männern eingesetzt haben“.
Deutsche Mitverantwortung wird mehrfach betont
Die Resolution verwendet relativ viel Raum für die Betonung der deutschen Mitverantwortung, bedauert explizit die
- unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches...,
- „das trotz eindeutiger Informationen .... über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier
- nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen“.
Im übrigen geht es in der Resolution vor allem um
- die Aufarbeitung der historischen Geschehnisse,
- eine Ermutigung der Beteiligten, sich mit den Vertreibungen und Massakern offen auseinander zu setzen,
- der Aufforderung zur Versöhnung,
- die Unterstützung der wissenschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und kulturellen Aktivitäten der Armenier in der Türkei sowie
- im Rahmen finanzieller Möglichkeiten, auch weiterhin innerhalb Deutschlands Initiativen und Projekte im Kontext mit diesen Geschehnissen zu fördern .
Aufforderung zur Versöhnung ist der zentrale Punkt der Resolution
Zentrales Anliegen der Resolution ist die Aufforderung zur Versöhnung, dennoch ist die Resolution für die Türkei ein unfassbarer Vorgang. Der türkische Staatspräsident hatte in einem Telefonat die Bundeskanzlerin aufgefordert, den Bundestag vor der Entschließung umzustimmen, der neue türkische Ministerpräsident Yildirim sieht der Resolution eine schwere Belastungsprobe für die deutsch-türkische Freundschaft
Türkei zieht Botschafter ab
Unmittelbar nach der Abstimmung im Bundestag, zog die Türkei ihren Botschafter aus Berlin ab. Ohne Eindruck sind die Warnungen aus der Türkei denn auch nicht geblieben. Sowohl Merkel als auch deren Vize Gabriel sowie Außenminister Steinmeier - der die Resolution allerdings auch vorher schon nicht befürwortete - sind der Abstimmung wegen anderweitiger Verpflichtungen ferngeblieben. Gleichwohl ist die Abstimmung mit überwältigender Mehrheit zu Gunsten der Resolution erfolgt.
Türkei bemängelt anmaßende Rolle des Bundestags
Türkischen Kritiker wiesen mehrfach darauf hin, der Bundestag sei kein Gericht und habe daher auch nicht die Aufgabe, über die völkerrechtliche Einordnung eines geschichtlichen Vorgangs zu befinden. Dem ist entgegenzuhalten, dass türkische Kritiker nicht bestimmen können, welche gesellschaftspolitischen Ereignisse der Bundestag thematisiert.
Nach Art. 63, 67 ff GG ist der Bundestag das wichtigste Verfassungsorgan in Deutschland, denn es wird unmittelbar vom Souverän - dem Volk - gewählt. Der Bundestag hat hiernach nicht nur die Aufgabe, Bundesgesetze und den Bundeshaushalt zu beschließen sowie bei der Wahl des Bundespräsidenten mitzuwirken.
Bundestag ist ein zentrales Forum der Meinungsbildung in Deutschland
Der Bundestag ist nach der Verfassung das Forum der deutschen Nation zur Austragung von Meinungsverschiedenheiten über zentrale politische und gesellschaftspolitische Themen. Er ist der zentrale Ort der politischen Auseinandersetzung zu Fragen, die für die Gesellschaft von überragender Bedeutung sind. Zu Recht wies der SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan in seiner viel beachteten Rede darauf hin, dass die Resolution weder ein Gerichtsurteil noch eine Anklageschrift sein wolle. Vielmehr handle es sich um eine
- späte Verneigung der Deutschen vor den Opfern und
- um eine Aufforderung an alle Beteiligten, sich aufrichtig um Wiedergutmachung
- und Versöhnung zu bemühen.
Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen, aber der türkische Staatspräsident dürfte noch einige Nachträge in petto haben. Die türkische Presse jedenfalls schießt sich schon Mal auf Kanzlerin Merkel ein, die gar nicht vor Ort war.