BGH entscheidet zu Lasten der Kinderrechte

Haribo wollte den ohnehin florierenden Absatz von Lakritz und Fruchtgummi zusätzlich ankurbeln und läutete im TV „Glückswochen“ ein. Wer insgesamt 5 Packungen mit Süssigkeiten im Wert von jeweils ca. 1 € erwarb, konnte durch Einsendung der Kassenbons an der Verlosung von 100 „Goldbärchenbarren“ im Wert von je ca. 5.000 EUR teilnehmen. Im Spot erläuterte Thomas Gottschalk einer Familie mit 2 Kindern das Spiel; die Eltern sprach er mit „Mutti“ und „Papa“ an. Der Spot endete damit, dass die Familie einen Einkaufswagen gefüllt mit Haribo-Erzeugnissen aus dem Supermarkt schob.
Die Vorinstanzen verstanden keinen Spass
Dem zunächst mit der Sache befassten LG und dem OLG ging die Werbung entschieden zu weit. Das OLG sah durch die Gestaltung des Spots die Grenze der fachlichen Sorgfalt überschritten. Haribo habe mit dieser Werbung die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers missachtet. Da hier Kinder als Zielgruppe fungierten, sei auf deren Verständnishorizont abzustellen. Es gelte der strenge Sorgfaltsmaßstab des § 3 Abs. 2 S. 3 UWG.
Unzulässige Suggestivwirkung auf Kinder
Nach Auffassung des OLG - Senats ist es für die Anwendung dieses strengen Sorgfaltsmaßstabs nicht erforderlich, dass ausschließlich Kinder von der Werbung angesprochen werden. Ausreichend sei es, wenn neben anderen Zielgruppen auch Kindern zu den Ansprechpartnern gehörten. Den Kindern werde suggeriert, dass sie durch Kauf und Erwerb möglichst vieler Haribo - Produkte ihre Chancen im Gewinnspiel erhöhen könnten. Dieses Urteil bedeutete für die Süßwarenhersteller ein großes Ärgernis. Da Süßwarenwerbung praktisch immer auch Kinder anspricht, wäre künftig eine Kopplung von Werbung und Gewinnspiel erheblich erschwert worden.
BGH hat ein Herz für Haribo
Der Der BGH - Senat hob das Urteil des OLG auf. Nach Auffassung des Senats hat das OLG zu Unrecht den strengen Sorgfaltsmaßstab dass § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG angewendet. Entgegen der Auffassung des OLG enthalte der Werbespot keine unmittelbare Kaufaufforderung an Kinder und nutze auch nicht deren geschäftliche Unerfahrenheit in unlauterer Weise aus. Der strenge Sorgfaltsmaßstab sei entgegen der Auffassung des OLG nur dann anzuwenden, wenn Werbung sich ausschließlich an eine besondere Zielgruppe wie Kinder richte und deren Entscheidungsfreiheit beeinflusse. Haribo -Werbung wende sich aber erwiesenermaßen auch an Erwachsene, die diese Produkte ebenfalls selbst verbrauchten. Für die Anwendung des strengen Sorgfaltsmaßstabs sei daher kein Platz
Entscheidung entspricht Europarecht
Die Entscheidung des BGH fügt sich konsequent in die Rechtsprechungspraxis des EuGH ein. Dieser hat bereits entschieden, dass ein pauschales Verbot der Kopplung von Gewinnspielen mit Werbemaßnahmen unzulässig sei. Auch wenn besondere Zielgruppen wie Kinder angesprochen würden, müsse stets im Einzelfall,geprüft werden, ob diese Kopplung eine übertriebene Anlockungswirkung entfalte. Insoweit sei in Deutschland insbesondere § 4 Nr. 6 UWG, der eine Kopplung von Preisausschreiben oder Gewinnspielen mit dem Erwerb einer Ware nur ausnahmsweise zulässt, richtlinienkonform im Sinne des Europarechts auszulegen (EuGH, Urteil v. 14.1.2010, C – 304/08).
Liberalisierung der Gewinnspiele endgültig auf dem Vormarsch
Für die Werbewirtschaft ist die Tendenz der grundsätzlichen Liberalisierung von Gewinnspielen und insbesondere der Möglichkeit der Kopplungen mit Werbemaßnahmen sicher wünschenswert. Diese Liberalisierung greift europaweit um sich. Ob damit gefährdete Gruppen wie Kinder in Zukunft noch ausreichend vor unzulässiger Beeinflussung geschützt sein werden, darf bezweifelt werden.
(BGH, Urteil v. 12.12.2013, I ZR 192/12)
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