Richtervorlagen zum Berliner Zweckentfremdungsverbotsgesetz unzulässig
Für das OVG Berlin-Brandenburg beinhaltet die jetzt bekannt gewordene Entscheidung des BVerfG eine empfindliche Zurechtweisung. Der Berliner Senat dagegen dürfte über die Entscheidung erfreut sein, lässt sie doch zumindest zwischen den Zeilen inhaltlich erkennen, dass das höchste deutsche Gericht die Berliner Regelung zur Zweckentfremdung von Wohnraum zumindest nicht als offensichtlich verfassungswidrig bewertet.
Wohnraum in Berlin nur noch mit Genehmigung als Ferienwohnung vermietbar
Bereits am 12.12.2013 ist in Berlin das Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwVbG) in Kraft getreten. Das gegen große Widerstände in Politik und Wirtschaft durchgesetzte Gesetz sollte zur Eindämmung der im Stadtgebiet von Berlin bereits zu diesem Zeitpunkt stetig wachsenden Wohnungsnot beitragen. Mit der auf dem Gesetz beruhenden Zweckentfremdungsverbotsverordnung (ZwVbVO) vom 4.3.2014 wurde die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum im gesamten Berliner Stadtgebiet als gefährdet eingestuft und damit die Nutzung von Wohnraum zu anderen als Wohnungszwecken im gesamten Berliner Stadtgebiet von einer Genehmigung durch die zuständigen Bezirksämter abhängig gemacht. Insbesondere der Neigung einiger Haus- und Wohnungseigentümer, Wohnraum nicht an Wohnungssuchende, sondern auf lukrativere Weise an Feriengäste zu vermieten, sollte mit dem Gesetz ein Riegel vorgeschoben werden.
Wohnungsbesitzer klagten auf Erteilung eines Negativattestes
Einige Immobilienbesitzer, denen die gesetzliche Regelung ein Dorn im Auge war, gingen gerichtlich gegen das Gesetz vor. Der jetzigen Entscheidung des BVerfG lagen die Klagen mehrerer Eigentümer und auch Mieter von Wohnungen in Berlin zu Grunde, die die in ihrem Besitz befindlichen Wohnungen an Feriengäste vermieteten, zum Teil privat, zum Teil auch gewerblich. Sämtliche Kläger hatten mit dieser Form der Vermietung bzw. Untervermietung bereits vor Inkrafttreten des ZwVbG begonnen. Die Kläger hatten beim Land Berlin die Ausstellung eines Negativattestes beantragt, wonach sie berechtigt sein sollten, die bereits vor Inkrafttreten des ZwVbG begonnene Nutzung der betroffenen Wohnungen als Ferienwohnungen fortzusetzen und hierfür keiner besonderen Genehmigung nach dem ZwVbG zu bedürfen.
OVG beschließt Vorlage an das BVerfG
Vor den Verwaltungsgerichten blieben die Klagen erfolglos. Im Berufungsverfahren legte das OVG dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vor, ob § 1 Abs. 3 ZwVbG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als zur dauernden Wohnnutzung geeignete Räumlichkeiten, die bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zu anderen Zwecken genutzt wurden, dem Zweckentfremdungsverbot unterfallen. Nach Auffassung des OVG entfaltet das ZwVbG insoweit eine verfassungsrechtlich nicht zulässige Rückwirkung. Das Verbot verletze sowohl die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG als auch das Recht auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG.
Vorlagebeschluss unzulässig
Das BVerfG bewertete die Vorlagen als insgesamt unzulässig. Die Begründung der Vorlagen entspricht nach Auffassung des BVerfG nicht den Vorgaben des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Nach dieser Vorschrift müsse das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der anzuwendenden Vorschriften überzeugt sein und die Gründe hierfür dezidiert darlegen.
Verfassungswidrigkeit nicht hinreichend begründet
Dem vom OVG angenommenen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG sowie gegen die gemäß Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit wurde nach der Bewertung des BVerfG nicht hinreichend plausibel dargelegt. Die Begründung einer das Eigentumsrecht sowie die Berufsfreiheit verletzenden Rückwirkung des ZwVbG lasse eine Auseinandersetzung mit für die Beurteilung der Rechtslage maßgeblichen Vorschriften vermissen. Insbesondere habe das OVG sich nicht mit den bauplanungsrechtlichen Aspekten der Nutzung von Wohnraum als Ferienwohnungen auseinandergesetzt.
Nutzung von Wohnraum als Ferienwohnung ist Nutzungsänderung
Das BVerfG verwies darauf, dass nach den landesrechtlichen Vorschriften zum Bauplanungsrecht die Nutzung von Wohnraum als Ferienwohnung regelmäßig eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung darstellt. Auch ohne besondere bauliche Maßnahmen sei für eine solche veränderte Nutzung als Ferienwohnung nach dem einschlägigen Bauplanungsrecht häufig eine eigenständige Genehmigung der Baubehörde erforderlich. Mit den Nutzungsbefugnissen der Grundeigentümer im Rahmen der baurechtlichen Vorgaben habe das OVG sich aber nicht auseinandergesetzt. Damit sei offen, ob die Kläger unter bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ZwVbG überhaupt eine geschützte Rechtsposition innehatten, die durch das ZwVbG rückwirkend entfallen wäre.
Allgemeines Vertrauensschutzgebot nicht verletzt
Ähnliche Überlegungen gelten nach der Entscheidung des BVerfG auch im Hinblick auf das allgemeine Vertrauensschutzgebot. Auch dieses schütze nur vor Regelungen, die im Vergleich zu bisherigen Rechtspositionen den Rechteinhaber belasten. Wenn die Nutzung von Wohnraum als Ferienwohnung aber bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bauplanungsrechtlich nicht zulässig gewesen wäre, wäre nach der Entscheidung des BVerfG auch insoweit nicht von einer unzulässigen Rückwirkung des ZwVbG und damit auch nicht von einer Verletzung des allgemeinen Vertrauensschutzgebotes auszugehen.
Bereits mit Einbringung des Gesetzentwurfs entfiel Vertrauensschutz
Schließlich hat das OVG im Rahmen der Erwägungen zum Vertrauensschutzgebot nach Auffassung des BVerfG auch in zeitlicher Hinsicht nicht schlüssig argumentiert. Für die Beurteilung einer schützenswerten Vertrauensposition der Kläger komme es nämlich nicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des ZwVbG an. Spätestens mit Einbringung des Gesetzentwurfes zum Zweckentfremdungsverbot in das Berliner Abgeordnetenhaus sei das Gesetzesvorhaben öffentlich bekannt geworden. Seit diesem Zeitpunkt habe ein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage nicht mehr bestehen können.
Vorlagen insgesamt unzulässig
Mit diesen Argumenten hat das BVerfG die Vorlagen des OVG im Ergebnis für unzulässig erklärt.
(BVerfG, Beschluss v. 29.4.2022, 1 BvL 2/17, 1 BvL 6/17,1 BvL 4/17 u.a.)
Hintergrund
Mit seiner Entscheidung hat das BVerfG sich die inhaltliche Auseinandersetzung mit der materiellen Verfassungsmäßigkeit des Berliner Wohnraumzweckentfremdungsverbots weitgehend erspart. Einige andere Bundesländer hatten hinsichtlich möglicher eigener Gesetzesvorhaben auf eine klare inhaltliche Positionierung des höchsten deutschen Gerichts gehofft. Dennoch lässt die Begründung der jetzigen Entscheidung erkennen, dass das BVerfG zumindest nicht von einer offensichtlichen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ausgeht. Insoweit kommt der Entscheidung des BVerfG für Regionen, die unter erheblicher Wohnraumknappheit leiden, bundesweite Bedeutung im Hinblick auf mögliche vergleichbare Gesetzesinitiativen zu.
Bauplanungsrechtlich ähnliche Rechtslage in anderen Bundesländern
Die Begründung der BVerfG-Entscheidung unter Bezugnahme auf das Bauplanungsrecht ist für das OVG Berlin-Brandenburg einigermaßen peinlich, da das OVG selbst bereits im Jahr 2016 entschieden hat, dass die dauerhafte Nutzung einer Wohnung als Ferienwohnung für einen ständig wechselnden Personenkreis eine planungsrechtlich eigenständige Nutzungsart darstellt, die sich von der auf Dauer angelegten Nutzung als Wohnraum signifikant unterscheidet. Deshalb sei die Zulässigkeit der Nutzung als Ferienwohnung in einem eigenständigen Baugenehmigungsverfahren zu prüfen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 30.5.2016, 10 S 34/14). Bauplanungsrechtlich ist die Rechtslage auch in anderen Bundesländern ähnlich (u.a. § 60 BauO NRW).
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