Leitsatz (amtlich)
1. Die Entschädigungsansprüche eines versicherten Verletzten gehen nach § 1542 RVO auf den Versicherungsträger dem Grunde nach über, wenn auch nur die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Versicherungsträger dem Verletzten Leistungen zu gewähren haben wird.
2. Der Übergang der Ansprüche auf den Versicherungsträger tritt im Augenblick des schadenstiftenden Ereignisses ein; Entstehung und Übergang vollenden sich im selben Augenblick. Für den Beginn einer Verjährungsfrist kommt es deshalb nur auf die Kenntnis des Versicherungsträgers an.
3 Auch bei der Rentenversicherung der Arbeiter tritt der Forderungsübergang dem Grunde nach im Augenblick des schadenstiftenden Ereignisses ein, wenn der Eintritt einer Berufs- und Erwerbungsfähigkeit nach den Umständen nur irgendwie in Betracht zu ziehen ist.
Normenkette
BGB § 852; RVO § 1542
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm (Westf.) vom 18. Januar 1966 aufgehoben und das Urteil des Landesgerichts in Münster/Westf. vom 2. Juni 1965 abgeändert.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die klagende Landesversicherungsanstalt macht auf sie übergangene Schadensersatzansprüche wegen eines Unfalls eines Postoberschaffners Bernhard E… aus B… geltend.
Der damals 55 jährige E… wollte am 10. Mai 1958 gegen 21 Uhr eine Veranstaltung auf dem Aschenplatz in der beklagten Gemeinde besuchen. Der Platz steht im Eigentum der Gemeinde und wird vorwiegend für Jahrmärkte und ähnliche Veranstaltungen benutzt. Am Rande des Platzes nahe einer Ecke und dicht neben einem Weg stürzte E… beim Austreten in ein altes, nicht abgedecktes, durch Gras verdecktes und etwa zwei Meter tiefes Kanalloch. Bei dem Sturz brach, er sich den Oberschenkel. Es gelang ihm noch, sich aus dem Loch zu befreien, doch er blieb er auf dem dunklen Gelände einige Zeit liegen, bis er gefunden wurde. E… wurde bis Anfang November 1958 stationär behandelt. Er konnte anschließend seinen Dienst als Geldbriefträger wegen der schlechten Heilung des Bruches nicht mehr ausüben. Der ihm zunächst zugewiesene Dienst bei der Abfertigung war zu schwer. Den Vorschlag seiner Behörde, Schalterdienst zu verrichten, lehnte er ab, weil er dazu eine Assistentenprüfung hätte ablegen müssen. darauf wurde er mit Ablauf des 30. September in den Ruhestand versetzt.
E… hatte bereits aus dem Krankenhaus mit einem Schreiben vom 14. Mai 1958 von der Beklagten Schadensersatz unter Hinweis darauf verlangt, daß das für den Unfall ursächliche Kanalloch sich auf dem Gelände der Stadtbefunden habe. In der Folgezeit wiederholte er die Aufforderungen mehrfach durch seine Anwälte. Am 25. März 1959 stellte E…, der sich bis 1942 vor der Übernahme in das Beamtenverhältnis als Arbeiter tätig gewesen war, bei dem Versicherungsamt der beklagtem Stadt Antrag auf Gewährung einer Invalidenrente durch die Klägerin. Der Rentenantrag ging bei der Klägerin am 14. Juni 1959 ein.
Die Klägerin verlangt mit ihrer am 8. Juni 1962 bei dem Landgericht eingegangenen demnächst zugestellten Klage von der Beklagten Erstattung der an den Verletzten erbrachten Rentenleistungen. Sie hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 10.140,96 DM nebst Zinsen, zu verurteilen und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin als Gesamtgläubigerin mit der Deutschen Bundespost die zu erbringenden Leistungen zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; es hält die Ansprüche für verjährt, weil der Verletzte nach seinem Schreiben vom 14. Mai 1958 schon am Tage des Unfalls alle maßgeblichen Tatsachen gekannt habe; damit habe die Klägerin nur Ansprüche erhoben, für die die dreijährige Verjährungsfrist bereits gelaufen sei. Die Ansprüche seien am 10. Mai 1961 verjährt gewesen, also vor Klageerhebung. Die Klägerin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und vorgetragen, für den Beginn der Verjährungsfrist komme es lediglich auf ihre eigene Kenntnis an, weil die Ansprüche unmittelbar im Anschluß an den Unfall auf sie übergegangen seien, sie habe Kenntnisse von einem Unfall erst mit Eingang des Rentenantrages am 14. Juni 1959 erlangt.
Die Berufung ist erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie ihre Klageanträge weiterverfolgt. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Der Verletzte E… ist inzwischen – nach Einlegung der Revision – verstorben.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat – ebenso wie das Landgericht – angenommen, daß die mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, um die es sich hier allein handelt, nach § 852 BGB verjährt seien.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Nach § 852 BGB verjährten derartige Ansprüche in drei Jahren von dem Zeitpunkt ab, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Gemäß § 1542 RVO gingen die Ansprüche eines versicherten Verletzten regelmäßig im Augenblick des Unfalls auf den Sozialversicherungsträger über, doch müsse eine Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers entstanden sein. Deshalb sei bei der Arbeiterrentenversicherung der Eintritt einer Invalidität Voraussetzung für den Rechtsübergang nach § 1542 RVO. Eine solche Invalidität des Verletzten sei erst eingetreten, als der Beamte den ihm angebotenen Schalterdienst wegen der Notwendigkeit einer weiteren Prüfung abgelehnt habe. Das sei im Jahre 1959 gewesen. Bis dahin komme es für den Beginn der Verjährungsfrist allein auf die Kenntnis des Verletzten E… an. Diese Kenntnis habe mindestens bei Absendung des Briefes vom 14. Mai 1958 bestanden. Damals habe die Verjährungsfrist begonnen. Die Klägerin müsse den Lauf dieser Frist gegen sich gelten lassen, so daß der auf sie im Jahre 1959 übergangene Anspruch spätestens am 15. Mai 1961, also vor Klageerhebung, verjährt sei.
Selbst wenn man den nicht folgen wolle, müsse die Vollendung der Verjährungsfrist aus folgenden Gründen angenommen werden: Der Verletzte E… habe bereits im Zeitpunkt des Unfalls alle für den Verjährungsbeginn notwendigen Kenntnisse gehabt. Das folgte zwar nicht aus dem Brief vom 14. Juni 1958, der auf anwaltliche Beratung zurückgehen könne, wohl aber daraus, daß es für den Beginn der Verjährungsfrist genüge, wenn der Verletzte allgemein die maßgeblichen Umstände kenne. E… habe im Augenblick des Unfalls seinen Schaden erkannt. Er habe erkannt, daß er in einen Vertiefung gefallen sei, die dem Platz die Verkehrssicherheit genommen habe. Er habe auch den Schädiger gekannt, daß er gewußt habe, daß er auf einem dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Platz gestürzt sei, für dessen Verkehrssicherheit nur die Beklagte hätte verantwortlich sein können. Die Unfallfolgen seien nicht so gewesen, daß der Verletzte wegen fehlenden Bewußtseins oder wegen erheblicher Schmerzen nicht in der Lage gewesen wäre, Feststellungen zu treffen. Demgemäß seien die Ersatzansprüche des Verletzten E… mit dem Verjährungsbeginn auch dann behaftet gewesen, wenn man annehmen wolle, sie seien bereits unmittelbar im Anschluß an den Unfall auf die Klägerin übergegangen.
II.
Das Urteil kann nicht bestehen bleiben.
1. Der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts ist richtig:
Die Verjährungsfrist beginnt nach § 852 mit Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen zu laufen. Dafür genügt, daß der Verletzte den Hergang des Unfallgeschehens in seinen Grundzügen kennt und weiß, daß der Sachverhalt gewichtige Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Verhalten der Verantwortlichen bietet. Dabei braucht er nicht Namen und Anschrift der Verantwortlichen zu kennen, wenn er sie sich ohne Mühe beschaffen kann. Es reicht also aus, wenn der Verletzte auf Grund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Schadensersatzklage, wenn auch nur in der Form einer Feststellungsklage könnte.
Bei einem Versicherten beginnt die Frist also mit dessen eigener Kenntnis. Bei einem Übergang der Entschädigungsforderung muß der Rechtsnachfolger den etwaigen teilweisen Ablauf der Verjährungsfrist gegen sich gelten lassen (§§ 404, 412, BGB), er erwirbt dann also eine Forderung, deren Verjährungsfrist schon läuft. War die Verjährungsfrist bei Rechtsübergang bereits vollständig abgelaufen, dann erwirbt der neue Gläubiger eine schon verjährte Forderung. Hatte die Frist dagegen vor dem Übergang des Anspruches noch nicht zu laufen, kommt es von diesem Augenblick des Rechtsübergangs nur auf die Kenntnis des neuen Gläubigers an (vgl. z.B. BGH VersR 1959, 34; 1964, 302; BGH Warn 1963 Nr. 22 = NJW 1963, 1058).
Entscheidend ist also, wann hier im Falle einer Sozialversicherung – und zwar gerade der Arbeiterrentenversicherung – der Entschädigungsanspruch des Verletzten auf den Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
2. Der Übergang solcher Ansprüche auf den Versicherungsträger ist in § 1542 RVO geregelt; danach geht der Anspruch auf die Träger der Versicherung insoweit über, als sie dem Entschädigungsberechtigten „nach diesem Gesetz Leistungen zu gewähren haben”. Damit ist einmal die Höhe des Übergangs dahin geregelt, daß der Versicherungsträger nur bis zur Höhe seiner Versicherungsleistungen Rechte aus dem übergegangenen Anspruch geltend machen kann; zum anderen ergibt sich daraus auch etwas über den Zeitpunkt des Übergangs. Das zeigt ein Vergleich mit der Regelung des § 67 VVG für die Privatversicherung deutlich: Nach der dort getroffenen Regelung geht der Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger auf den Versicherer nur über, „soweit dieser dem Versicherungsnehmer (Geschädigten) den Schaden ersetzt”, der Versicherer muß also zunächst seine Leistungen aus dem Versicherungsvertrag erbracht haben, ehe ein Übergang von Ansprüchen auf ihn eintritt. Ganz anders läßt § 1542 RVO den Übergang bereits eintreten, „soweit die Träger der Versicherung den Entschädigungsberechtigten nach diesem Gesetz Leistungen zu gewähren haben”. Keinesfalls ist nach der Reichsversicherungsordnung notwendig, daß der Versicherungsträger die Leistungen bereits erbracht hat; der Übergang tritt also wesentlich früher als nach dem Versicherungsvertragsgesetz ein. Dieser gesetzliche Forderungsübergang nach der Reichsversicherungsordnung soll den Versicherungsträgern wegen ihrer Leistungen Rückgriffsmöglichkeiten gegenüber dem Schädiger geben; insoweit deckt er sich im letzten Ziel mit dem Versicherungsvertragsgesetz geregelten Anspruchsübergang bei der Privatversicherung. Er geht aber darüber hinaus: Er tritt nicht erst dann ein, wenn die Höhe des Forderungsübergangs durch die Höhe der bereits erbrachten Leistungen feststeht; er umfaßt auch den Schutz der Versicherungsträger wegen der erst künftig zu erbringenden Leistungen, nämlich aller Leistungen, die sie dem Entschädigungsberechtigten gesetzlich „zu gewähren haben”. Die Bestimmung läßt für den Forderungsübergang also eine erst künftige Leistung des Versicherungsträgers genügen. Solche künftigen Leistungen sind aber von Umständen verschiedenster Art abhängig: sie können je nach dem Gesundheitszustand des Entschädigungsberechtigten größer und kleiner werden; sie können ganz entfallen oder erst bei Eintritt weiterer Voraussetzungen eintreten. Der Forderungsübergang nach der Reichsversicherungsordnung dient dem Schutze der Sozialversicherungsträger auch im Hinblick auf deren künftiger Leistungen, er hat zum Ziele, dem Verletzten Verfügungen über die künftigen Schadensersatzansprüche schon dann zu verwehren, wenn zunächst noch ungewiß ist, ob und in welcher Höhe der Sozialversicherungsträger Leistungen erbringen wird, die ihn in Zukunft berechtigen werden Rechte aus; den übergegangenen Ansprächen geltend zu machen.
Dieser von der Reichsversicherungsordnung bezweckte Schutz der Versicherungsträger rechtfertigt jedoch einen Anspruchsübergang nur, wenn künftige Leistungen der Versicherungsträger in Betracht kommen können, nur insoweit besteht ein Interesse der Versicherungsträger, gegen vorzeitige Verfügungen des Geschädigten geschützt zu werden, weil die Versicherungsträger nur in Höhe ihrer Leistungen letztlich Anspruch aus einem solchen Obergang von Ansprüchen geltend machen können. Wenn mit solchen künftigen Ansprüchen der Versicherungsträger nicht zu rechnen ist, entfällt mithin ein den Übergang rechtfertigendes Schutzinteresse der Versicherungsträger. Die Bestimmung der Voraussetzungen, unter welchen Umständen mit dem „Inbetrachtkommen” künftiger Leistungen der Versicherungsträger zu rechnen ist, hat der Praxis und der Rechtsprechung Schwierigkeiten bereitet. Jedoch ist der auf das Interesse der Versicherungsträger abgestellte Schutzgedanke immer klarer erkannt worden; aus ihm ist ein immer früherer Anspruchsübergang abgeleitet worden. Das Reichsgericht hatte zunächst angenommen, daß der Rechtsübergang von einem Festsetzungsbescheid oder Antrag abhängig sei (RGZ 55, 387): es war davon aber bereits in Jahre 1905 abgegangen (RGZ 60, 20, 76, 215, 148, 19: 156, 347). Nach der neueren Rechtsprechung (BGH VersR 1957, 802: 1958, 533; 1959, 34) ist unerheblich, ob der Verletzte noch einen Antrag auf Gewährung der Leitungen zu stellen oder der Sozialversicherungsträger vor Beginn der Leistungen einen Bescheid zu erlassen hat. Die Wirkungen eines solchen Rechtsüberganges bleiben nach der Rechtsprechung VersR 1960, 833) auch dann bestehen, wenn sich hinterher der Grad der Erwerbsminderung ändert, wenn seine Höhe unklar wird oder wenn der Sozialversicherungsträger wegen Änderung der gesetzlichen Grenzen etwa keine Leistungen mehr zu erbringen hat. Sogar dann wenn Sozialversicherungsleistungen wesentlich zugunsten des Versicherten umgestaltet werden, umfaßt der zum Schutze der Versicherungsträger wegen künftig zu erbringender Versicherungsleistungen erfolgende Forderungsübergang auch den Schutz wegen der auf Grund gesetzlichen Umgestaltung erhöhten Versicherungsleistungen (Urt. v. 25. März 1953 – VI ZR 13/53 in LM Nr. 5 zu § 1542 RVO; Ausnahme bei durch spätere Gesetzgebung dem Grunde nach ganz neu geschaffenen Leistungspflichten: (Urt. v. 24. März 1954 – VI ZR 24/53 in LM Nr. 9 zu § 1542 RVO).
Die Entwicklung der Rechtsprechung hat also zu der Auffassung geführt, daß der Rechtsübergang auf den Versicherungsträger schon dann erfolgt, wenn im Rahmen eines Sozialversicherungsverhältnisses eine als Grundlage für Forderungsübergang geeignete Leistungspflicht des Trägers der Sozialversicherung gegenüber dem Geschädigten überhaupt in Betracht kommen kann. Es genügt, daß eine Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers nach den Umständen irgendwie in Betracht zu ziehen ist. Soweit dabei die tatsächlichen Umstände (Art der Verletzung; Zukunftsfolgen der Verletzung) von Bedeutung sind, muß es im Interesse eines möglichst, weitgehenden Schutzes der Versicherungsträger genügen, daß selbst eine weit entfernte Möglichkeit des Eintrittes solcher Tatsachen gegeben ist, auf Grund deren Versicherungsleistungen zu erbringen sein werden; es darf die Entstehung solcher Leistungspflichten nur nicht völlig unwahr scheinlich, also geradezu ausgeschlossen erscheinen. Ein Merkmal dafür wird es abgeben, ob diese etwaige Zukunftsschäden den Geschädigten selbst (etwa nach sofortiger Regulierung der bereits erkennbar gewordenen Schäden) berechtigen würden, bereits eine Feststellungsklage zu erheben, insbesondere ob die Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Geschädigten völlig unvorhersehbar ist, ein Umstand, der auch bei der Prüfung, wieweit Vergleiche über Unfallschäden auch Zukunftsschäden mit umfassen, in der Rechtsprechung bereits im einzelnen erörtert und umrissen worden ist. Überall, wo das der Fall ist und solche etwa künftig eintretenden Schäden Leistungspflichten der Versicherungsträger entstehen lassen könnten, muß der Übergang des Ersatzanspruches des Geschädigten auf den Versicherungsträger nicht vor benachteiligen Verfügungen des Geschädigten geschützt ist, wie es gerade dem Sinn und Zweck des § 1542 RVO entspricht. Ein so weitgehender Forderungsübergang erfordert von dem Schädiger eine gewisse Aufmerksamkeit, wenn er an den Geschädigten zahlen, vor allem, wenn er sich mit ihm vergleichen will. Gegen eine doppelte Zahlung – an den Geschädigten und an den Versicherungsträger – ist der Geschädigte, wenn er genügende Aufmerksamkeit walten läßt, geschützt, wie die bereits erwähnten Entscheidungen in LM Nr. 5 und 9 zu § 1542 RVO zeigen.
Diese Erwägungen gelten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch für die Arbeiterrentenversicherung. Allerdings wird gelegentlich die Auffassung vertreten, bei der Arbeiterrentenversicherung trete der Rechtsübergang immer erst dann ein, wenn der Verletzte berufsunfähig geworden sei, weil hier Invalidität die Voraussetzung der Leistungspflicht sei (Dersch-Knoll u.a. RVO § 1542; Anm. 8, RVA vom 11. August 1933 RABl 1933, 455; BGB RGRKom § 852 Anm. 6, Geigel, Haftpflichtprozeß 12. Aufl. S. 761; OLG Braunschweig, VRS 13, 345; OLG Schleswig VersR 1957, 466). Der Senat tritt dieser Auffassung nicht bei. Bei der Arbeiterrentenversicherung sind nach §§ 1236ff. RVO gewisse Leistungen eindeutig schon vor Eintritt der Invalidität zu erbringen, um ihren Eintritt zu verhindern, nämlich Leistungen, die sich etwa aus dem Anspruch auf Heilbehandlung, Berufsförderung und sozialer Betreuung zur Stärkung einer nur gefährdeten Erwerbsfähigkeit ergeben. Auch bei der Rentenversicherung der Arbeiter tritt daher der Anspruchsübergang ein, soweit nur mit einer Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers gerechnet werden kann, also mindestens dann wenn der Eintritt einer Beruf und Erwerbsfähigkeit im Sinne der Reichsversicherungsordnung nach den Umständen irgendwie in Betracht zu ziehen ist. Das entspricht auch der jetzigen Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, der zwar früher gelegentlich eine andere Meinung ausgesprochen hat (BGH Urt. v. 11. November 1958 – VI ZR 231/57 = VersR 1959, 34) aber jetzt diese Auffassung ebenfalls vertritt (BGH Urt. v. 22. Oktober 1963 – VI ZR 187/62 = VersR 1964, 49 = BGH Warn 1963 Nr. 225). Auch das Reichsgericht hatte schon früh nur darauf abgestellt, ob der Unfall die Invalidität des Verletzten „zur Folge haben kann” (RGZ 76, 215/219).
Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob es beim Eintritt der Arbeiterrentenversicherung dann überhaupt Fälle gibt, in denen nach § 1542 RVO nicht sofort mit dem Unfall eintritt. Denn im vorliegenden Fall besteht kein Zweifel daran, daß schon im Augenblick des Unfalls mit der Möglichkeit einer späteren Erwerbsunfähigkeit des Verletzten E… zu rechnen war. Der Verletzte hatte im Alter von 55 Jahren einen Oberschenkelbruch erlitten; das ist regelmäßig eine gefährliche Verletzung, bei der mit der Möglichkeit von Komplikationen und ernsten Folgen gerechnet werden muß, zumal bei einem Verletzten, der – wie der Verletzte E… als Geldbriefträger – seinen Beruf im Gehen ausgeübt hatte.
Bei dieser von der Rechtsprechung entwickelten Auslegung des § 1542 RVO stellt dieser gesetzliche Forderungsübergang einen solchen dem Grunde nach dar, der von der künftigen Entwicklung abhängig ist.
3. Tritt somit dieser von der künftigen Entwicklung abhängige und damit bedingte Forderungsübergang ein, wenn im Rahmen eines Sozialversicherungsverhältnisses eine als Grundlage für den Forderungsübergang geeignete Leistungspflicht des Trägers der Sozialversicherung gegenüber dem Geschädigten überhaupt in Betracht kommen kann, so geht der Entschädigungsanspruch auf den Versicherungsträger in der Regel bereits zur Zeit des Eintritts des die Entschädigungspflicht begründenden Ereignisses über, weil in der Regel bei einem verletzten Sozialversicherten bereits in diesem Zeitpunkt jene Voraussetzungen für den Leistungsübergang gegeben sind. Fast in allen Fällen ist bereits in diesem Zeitpunkt die – wenn auch entfernte – Möglichkeit anzunehmen, er könne in der Zukunft Leistungsansprüche aus der Sozialversicherung, gegen den Versicherungsträger wegen der dieser Verletzung haben. Der Übergang vollzieht sich damit dem Grunde nach in dem die Ersatzpflicht des Schädigers auslösenden Zeitpunkt. Das ist ständige Rechtsprechung (vgl. BGH LM BGB § 852 Nr. 8, BGHZ 19, 177; BGH VersR 1958, 533; 1960, 1142; 1964, 640).
Die Frage welcher Zeitpunkt das genau ist, insbesondere ob und wielange etwa der Anspruch vor dem Übergang auf den Versicherungsträger noch dem Geschädigten zusteht, ist dagegen in Rechtsprechung und Schrifttum verschieden oder zumindest unklar behandelt worden. Rechtslehre und Rechtsprechung verwandten früher in diesem Zusammenhang gelegentlich den Begriff der „juristischen Sekunde” (vgl. BGH VersR 1959, 34; 1960, 1142; Meyer VersR 1957, 761). Dabei war im Grund genommen nicht an einen zeitlichen Begriff gedacht, damit sollte nur zum Ausdruck gebracht werden, daß der Anspruch zwar in der Person des Verletzten entsteht, aber sogleich auf den Sozialversicherungsträger übergeht, wobei Entstehung und Übergang sich zeitlich berühren. Allerdings wurde dabei gelegentlich (so wohl OLG Karlsruhe VersR 1963, 371) bei der „juristischen Sekunde” sogar an einen Zeitraum von Stunden gedacht. Gelegentlich (z.B. BGH Urt. v. 11. November 1959 – VI ZR 231/57 in LM Nr. 23 zu 1542 RVO) heißt es, der Anspruch gehe unmittelbar nach der Entstehung derart, daß Entstehung und Übergang sich zeitlich berühren, durch die Person des Verletzten hindurch auf den Träger der Sozialversicherung über; in Verfolg des Gedanken des „zeitlichen Berührens von Entstehung und Übergang der Forderung” werden dann gelegentlich auch Erwägungen über die Zeitdauer zwischen Entstehung und Übergang angestellt (BGH VersR 1959, 34; 1964, 302). In anderen Entscheidungen wird jedoch angenommen, „daß der Rechtsübergang auf den öffentlichen Versicherungsträger sich meist bereits im Augenblick des Unfalls vollzieht, der die Ersatzpflicht des Schädigers auslöst” (BGH 19 177/178). Nach den meisten neueren Entscheidungen jedoch „vollzieht sich der Forderungsübergang in dem die Ersatzpflicht des Schädigers auslösenden Zeitpunkt”, nämlich „regelmäßig im Zeitpunkt des Unfalls, der die Ersatzpflicht des Entschädigungsverpflichteten auslöst” (BGH in LM Nr. 5, 9, 20 zu § 1542 RVO und Nr. 8 zu § 852 BGB).
Der früher verwandte Gedanke, der Übergang erfolge erst nach einer „juristischen Sekunde”, ist mißverständlich und führt, wie die Rechtsprechung gezeigt hat, dazu, einen meßbaren Zeitraum zwischen Entstehung und Übergang der Schadensersatzforderung anzunehmen. Indes handelt es sich bei der „juristischen Sekunde” allein um ein juristisches Konstruktionselement; der Ausdruck soll lediglich bildhaft erkennbar machen, daß der Versicherungsträger eine in der Person des Geschädigten entstandene Forderung erhält (vgl. Wieacker in Festschrift für Erik Wolf, 1962, S. 412, 437). So verstanden entspricht er der Gesetzeslage: Der Versicherungsträger erwirbt nicht etwa kraft eigenen Rechts Ansprüche gegen den Geschädigten; sein Rechtserwerb ist nicht ursprünglich, er ist vielmehr abgeleitet aus dem Recht des Geschädigten; dessen Ansprüche gehen auf den Versicherungsträger über. Dieser Übergang soll aber im Interesse des Versicherungsträgers so früh wie möglich erfolgen. Auch nur ein geringfügiger meßbarer Zeitraum zwischen Entstehung und Übergang könnte dem Versicherungsträger bereits zum Nachteil gereichen, so wenn der Geschädigte z.B. nach dem die Schadensersatzansprüche begründenden Ereignisse auf diese verzichtet, etwa weil der Schädiger sein Freund oder Verwandter ist. Gerade der in der Rechtsprechung immer stärker für alle Fragen des Forderungsübergangs auf die Versicherungsträger als entscheidend erkannte und betonte Schutzgedanke rechtfertigt es, so wie es die neuere Rechtsprechung häufig hat, anzunehmen, „daß der Forderungsübergang sich in dem die Ersatzpflicht des Schädigers auslösenden Zeitpunkt vollzieht, also im Zeitpunkt des Unfalls, der die Ersatzpflicht des Schädigers auslöst”. Entstehung und Übergang „berühren sich zwar zeitlich”, aber nicht in Form eines zeitraummäßigen Ablaufes. Beide gehen in dem gleichen Akt vor sich: Die Schadensersatzforderung entsteht zwar in der Person des geschädigten Sozialversicherten, geht aber unmittelbar mit ihrer Entstehung durch die Person des Ersatzberechtigten hindurch auf den Sozialversicherungsträger derart über, daß sich Entstehung und Übergang zeitlich überschneiden. Nur bei dieser Beurteilung kommt der Schutzgedanke voll zur Wirkung: Alle Schadensersatzansprüche gehen – selbst bei nur entfernter Möglichkeit der Leistungspflicht des Versicherungsträgers – auflösend bedingt so auf den Versicherungsträger über, daß es dem Geschädigten unmöglich gemacht wird, über diese Ansprüche zu verfügen; die auflösende Bedingung tritt ein, wenn feststeht, daß der Versicherungsträger nichts mehr zu leisten hat.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Gesetzgeber hätte, wenn er einen Übergang der Schadensersatzansprüche im Augenblick ihrer Entstehung gewollt hätte, dem Versicherungsträger Ansprüche aus eigenem Recht wie den unterhaltsberechtigten Angehörigen in § 844 geben können. Soweit es nur darum geht, zu erreichen, daß auch dem Versicherungsträger ein Mitverschulden diesen entgegengehalten werden kann, könnten dem Versicherungsträger eigene Ansprüche gegen den Schädiger gegeben und wie in § 846 BGB bestimmt werden, daß er sich ein Mitverschulden des Geschädigten anrechnen zu lassen hat. Jedoch steht der Begründung eigener Ansprüche des Versicherungsträgers entgegen, daß er auch bei Ungewißheit, ob und wieweit er in Zukunft Versicherungsleistungen wird zu erbringen haben, geschützt werden soll, wie oben ausgeführt wurde. Gerade weil der Forderungsübergang auflösend bedingt ist, läßt sich die Sicherung des Versicherungsträgers durch die endgültige Gewährung eigener Ansprüche nicht sachlich erreichen.
Der Übergang der Ansprüche auf den Versicherungsträger, der davon abhängig ist, daß eine – wenn auch entfernte – Möglichkeit der Entstehung von Ansprüchen auf Versicherungsleistungen im näher umschriebenen Sinne besteht, erfolgt also im Augenblick des die Entschädigungsansprüche begründenden Vorganges, wenn jene Möglichkeit in diesem Augenblick bereits zu bejahen ist, zwar durch die Person des Geschädigten hindurch, aber ohne daß ein irgendwie bemeßbarer Zeitraum zwischen Entstehung und Übergang der Forderung vorhanden ist: Entstehung und Übergang vollenden sich im gleichen Augenblick.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat erklärt, daß er eine in früheren Entscheidungen vertretene abweichende Auffassung nicht aufrecht erhalte.
4. Ist die Möglichkeit des Entstehens von Ansprüchen auf Versicherungsleistungen bereits zur Zeit des schädigenden Ereignisses zu bejahen und erfolgt damit im Augenblick der Entstehung der Übergang der Schadensersatzansprüche auf den Versicherungsträger, dann kann für den Beginn der Verjährung nicht auf die Kenntnis des Geschädigten, sondern nur auf die des Versicherungsträgers von Schaden und Schädiger abgestellt werden.
Ein späterer Zeitpunkt des Übergangs kann etwa in den Fällen in Frage kommen, in denen Versicherungsleistungen auf Grund neuer gesetzlicher Regelungen dem Grunde nach erst später zur Entstehung gelangen (vgl. BGH in LM Nr. 9 zu § 1542 RVO) – in einem solchen Falle kann der Anspruch erst übergehen, wenn auf Grund der gesetzlich neu gewährten Ansprüche die Möglichkeit der Entstehung von Versicherungsleistungen sich ergibt. Dann kann allerdings die Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger für die Zeit vom schädigenden Ereignis bis zum Forderungsübergang auf den Versicherungsträger bedeutsam werden. Auch dann, wenn die selbst entfernte Möglichkeit, daß Versicherungsleistungen in Zukunft zu erbringen sein werden, zunächst nicht besteht, sondern mit dieser Möglichkeit erst auf Grund später eintretender Umstände zu rechnen ist, erfolgt der Übergang nicht schon im Zeitpunkt des ursprünglichen Schadensereignisses, sondern kann erst in dem Zeitpunkt eintreten, von dem an erstmalig mit der Möglichkeit der Entstehung von Versicherungsansprüchen gerechnet werden kann, weil der Übergang, wie ausgeführt wurde, vom Gesetz zum Schutze der Versicherungsträger gerade nur im Blick auf solche als möglich vorgestellte Versicherungsleistungen gewährt ist. Auch in einem solchen Falle liegt zwischen Entstehung und Übergang der gegen den Schädiger bestehenden Schadensersatzansprüche ein Zeitraum, so daß hier die Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger von Bedeutung werden könnte. Ob und wann eine solche Kenntnis des Geschädigten, die nach der gesetzlichen Regelung bei Forderungsübergang auf den Versicherungsträger im Rahmen der Verjährung zu berücksichtigen wäre, überhaupt eintreten kann, bedarf im, vorliegenden Falle keiner weiteren Erörterung; einer infolge des Unfalls eintretenden Erwerbsunfähigkeit des Geschädigten mußte hier, wie oben ausgeführt, wegen dessen schwerer Verletzung (komplizierter Beinbruch bei einem bisher gerade im Gehen ausgeübten Beruf als Geldbriefträger) von Anfang an gerechnet werden, so daß hier der – durch späteren Eintritt der Invalidität und die dadurch entstehende Verpflichtung des Versicherungsträgers zur Zahlung einer Invalidenrente – bedingte Forderungsübergang auf den Versicherungsträger bereits im Augenblick des Unfalls und damit in einer Weise eingetreten ist daß ein irgendwie meßbarer Zeitraum zwischen Entstehung und Übergang der Schadensersatzansprüche nicht, in Frage kommt.
5. Damit war die Forderung auf die Klägerin vor Beginn der Verjährungsfrist übergegangen, so daß es für den Beginn der Frist lediglich auf die Kenntnis der Klägerin ankam. Es ist nicht festgestellt, daß sie diese Kenntnis vor Eingang des Rentenantrags am 14. Juni 1959 erlangt hatte. Damit hat sie die Klage vor Ablauf der Verjährungsfrist eingereicht. Die Einreichung der demnächst zugestellten Klage wahrte die Frist (§ 261b ZPO).
Die Einrede der Verjährung ist daher unbegründet und das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache ist sogleich an das Landgericht und nicht an das Berufungsgericht zurückzuweisen, da auch das Landgericht bisher nicht zur Sache entschieden, sondern die Einrede der Verjährung ebenfalls für begründet erachtet hat; das Landgericht muß nunmehr zunächst in der Sache selbst entscheiden (vgl. BGHZ 16, 71/82).
Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittel ist dem Landgericht überlassen, weil sie vom endgültigen Ausgang des Verfahrens abhängt.
Fundstellen
Haufe-Index 609538 |
BGHZ, 181 |
NJW 1967, 2199 |
MDR 1967, 993 |