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BSG Beschluss vom 13.11.2019 - B 13 R 125/18 B

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenz. Abstrakte Rechtssätze. Ordnungsgemäße Darlegung. Fehlerhafte Anwendung. Subsumtionsrüge. Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Divergenz bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind.

2. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen.

3. Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht.

4. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz.

5. Die Bezeichnung einer Divergenz setzt die Darlegung voraus, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG im angefochtenen Urteil in Frage stellt, was nicht der Fall ist, wenn es einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 2, § 169 Sätze 2-3; SGB X § 41 Abs. 1 Nr. 3, § 45 Abs. 2 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

SG Dresden (Entscheidung vom 27.10.2016; Aktenzeichen S 2 R 1032/12)

Sächsisches LSG (Urteil vom 17.04.2018; Aktenzeichen L 4 R 871/16)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 17. April 2018 wird verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Das LSG hat mit Urteil vom 17.4.2018 die teilweise Rücknahme der Regelaltersrente des Klägers mit Wirkung für die Zukunft als rechtmäßig bestätigt.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht den Zulassungsgrund der Divergenz geltend (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 17.6.2018 genügt nicht der gesetzlichen Form, denn er hat den geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt.

Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

1. Der Kläger rügt zum einen die Abweichung des angegriffenen Berufungsurteils von dem Urteil des BSG vom 31.10.2002 (B 4 RA 15/01 R = SozR 3-1300 § 24 Nr 22, bestätigt durch Urteile vom 6.4.2006 - B 7a AL 64/05 R - und vom 9.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 2) in Bezug auf die Nachholung des Anhörungsverfahrens. Das BSG habe entschieden:

"Die Nachholung der fehlenden Anhörung während des Widerspruchsverfahrens oder Gerichtsverfahren setzt voraus, dass die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung einräumt und danach zu erkennen gibt, ob sie nach Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält."

Außerdem bezieht sich der Kläger auf Ausführungen des BSG in diesen Entscheidungen zur Nachholung des Anhörungsverfahrens "während des Gerichtsverfahrens", die ein förmliches Verwaltungsverfahren mit vorangehendem "Anhörungsschreiben" erfordere. Demgegenüber zitiert er aus dem Urteil des LSG den Satz:

"Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Anhörung durch das Widerspruchsverfahren nachgeholt und damit geheilt wurde, § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X (vgl zuletzt BSG, Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 144/19 R)."

Der Kläger sieht darin eine Abweichung, weil das LSG davon ausgehe, dass die Einlegung des Widerspruchs den Anhörungsmangel heilen würde.

Der Kläger versäumt damit aber bereits die Darlegung, dass die zitierten BSG-Urteile überhaupt einen Fall der Nachholung der Anhörung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens (und nicht während des Gerichtsverfahrens) betreffen und es sich insoweit um tragende Rechtssätze handelt. Zum Kontext der herangezogenen Entscheidungen ist der Beschwerdebegründung nichts zu entnehmen. Im Übrigen setzt die Bezeichnung einer Abweichung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG die Darlegung voraus, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG im angefochtenen Urteil in Frage stellt, was nicht der Fall ist, wenn es einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte (stRspr; zB BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). Die vom Kläger zitierte Aussage des LSG betrifft ersichtlich die Subsumtion zu § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X unter Heranziehung einer Fundstelle des BSG; es ist anhand der Darlegungen des Klägers nicht erkennbar, dass das Berufungsgericht damit der Rechtsprechung des BSG einen eigenen Rechtssatz entgegengesetzt hat (vgl stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - juris RdNr 23; vom 1.6.2015 - B 9 SB 10/15 B - juris RdNr 6; vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73; vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f), zumal es sich ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BSG, wenn auch in Gestalt eines später ergangenen Urteils, beruft. Insofern kritisiert der Kläger letztlich nur eine aus seiner Sicht falsche Rechtsanwendung des LSG. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (stRspr; zB BSG Beschluss vom 29.4.2019 - B 12 R 59/18 B - juris RdNr 14).

2. Der Kläger rügt zum zweiten die Abweichung des angegriffenen Berufungsurteils von dem Urteil des BSG vom 8.2.2001 (B 11 AL 21/00 R - SozR 3-1300 § 45 Nr 45) zum Maßstab der groben Fahrlässigkeit. Hieraus zitiert er ua die Aussage des BSG, dass die Obliegenheit bestehe, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Allerdings dürfe ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht habe, im allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten sein, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Antragsteller dürfe davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen frage und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetze.

Dem stellt er die Darlegungen des LSG zum Inhalt des fehlerhaften Rentenbescheids gegenüber. In dem zitierten Urteilsausschnitt gibt das LSG den Inhalt von Anlagen 1 und 6 des angegriffenen Bescheids mit Ausführungen zur Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte und zur Erhöhung des Zugangsfaktors bei hinausgezögerter Inanspruchnahme der Altersrente wieder. Außerdem zitiert der Kläger das LSG mit der Aussage: "Es drängen sich schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen die Erkenntnis auf, dass der Bescheid vom 05.02.2010 hinsichtlich der Rentenhöhe rechtswidrig ist, weil dem Kläger bekannt gewesen ist, dass er am 01.10.1987 und nicht erst am 01.07.1990 in Altersrente gegangen ist und ihm daher wegen des falschen Zugangsfaktors eine um 274,64 Euro deutlich zu hohe Rente gezahlt wurde."

Damit weiche das LSG von dem vom BSG aufgestellten Grundsatz ab, dass Bewilligungsbescheide nicht des Näheren auf Richtigkeit zu überprüfen seien.

Ein Widerspruch im Grundsätzlichen - wie ihn die Divergenzrüge voraussetzt - ist damit aber auch hier nicht festzustellen. Wenn der Kläger aus den einzelnen Elementen der Tatsachenwürdigung des LSG und dessen Ergebnis vermeintlich verallgemeinerungsfähige Aussagen ableitet, so kritisiert er damit nicht vom LSG aufgestellte Rechtssätze, sondern dessen Wertung. Ob das LSG im Einzelfall richtig entschieden hat, muss hier jedoch dahinstehen. Denn die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung ist nicht zulässiger Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

Im Übrigen fehlen auch Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit. Denn der Kläger führt nicht näher aus, dass und warum die Aufhebung des Rentenbescheids für die Zukunft nicht auch auf § 45 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X gestützt werden kann. Hierzu hätte er darlegen müssen, warum sein Vertrauen am Erhalt der rechtswidrigen Leistung trotz der seit der Rücknahme bestehenden Kenntnis der Rechtswidrigkeit das öffentliche Interesse überwiegt. Allein die Schilderung, dass er nach dem Erlass des fehlerhaften Rentenbescheids ein Darlehen mit monatlichen Raten von 185,98 Euro aufgenommen habe, genügt hierfür nicht; es fehlen etwa Darlegungen zu der Resthöhe der Darlehensschuld bei Rücknahme, der ansonsten zur Verfügung stehenden Mittel und der Möglichkeit zur Rückgängigmachung des Vertrags.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13586856

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