[1] Die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht in der Regel aus, um den Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu begründen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kann der Arbeitgeber die Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht mit einem bloßen Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit verweigern.
[2] Nach § 275 Abs. 1 [Satz 1] Nr. 3 SGB V sind die Krankenkassen bei Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten jedoch verpflichtet, eine Begutachtung durch den [akt.] Medizinischen Dienst einzuleiten, soweit dies gesetzlich bestimmt ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn es zur Sicherung des Behandlungserfolges oder zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist. Die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit brauchen nicht begründet zu werden (vgl. § 275 Abs. 1 [Satz 1] Nr. 3 Buchst. b SGB V). Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, den Betriebsarzt zur Kontrolle der Arbeitsunfähigkeit eines erkrankten Arbeitnehmers einzuschalten. Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit können medizinische, rechtliche oder sonstige Ursachen haben. Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitgeber z.B. deshalb haben, weil die Arbeitsunfähigkeitsmeldung nach innerbetrieblichen Differenzen oder nach Ausspruch der Kündigung bis zur fristgerechten Beendigung oder nach vorheriger Ankündigung durch den Arbeitnehmer erfolgt ist.
[3] Kraft Gesetzes sind nach § 275 Abs. 1a Satz 1 SGB V Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit von den Krankenkassen insbesondere in den Fällen anzunehmen, in denen
- Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder
- die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.
[4] Die Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit hat unverzüglich nach Vorlage der ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen. Der Arbeitgeber kann verlangen, dass die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Die Krankenkasse kann jedoch von einer Beauftragung des Medizinischen Dienstes absehen, wenn sich die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit eindeutig aus den der Krankenkasse vorliegenden Unterlagen ergeben.
[5] Darüber hinaus sind nach den Richtlinien über die Zusammenarbeit der Krankenkassen mit dem [akt.] Medizinischen Dienst Zweifel an dem Bestehen von Arbeitsunfähigkeit u.a. dann angebracht, wenn
- ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Hinblick auf das bescheinigte Krankheitsbild vorliegt,
- die Arbeitsunfähigkeitsmeldung nach innerbetrieblichen Differenzen oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt,
- der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit angekündigt hat.
[6] Die Prüfung hat in diesen Fällen unverzüglich nach Eingang der ärztlichen Bescheinigung bei der Krankenkasse zu erfolgen.
[7] . . .
[8] Ergeben die Prüfungen, dass ein Arzt Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat, obwohl die medizinischen Voraussetzungen dafür nicht vorlagen, kann der Arbeitgeber, wenn er zu Unrecht Arbeitsentgelt gezahlt hat, Schadenersatz verlangen, wenn die Arbeitsunfähigkeit grob fahrlässig oder vorsätzlich festgestellt worden ist, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen.
[9] Das gleiche Recht steht im Übrigen der Krankenkasse zu, wenn sie ungerechtfertigterweise mit Krankengeld eingetreten ist.
[10] Die Tätigkeit des Medizinischen Dienstes erstreckt sich nur auf die Erstellung des beantragten Gutachtens; er ist nicht berechtigt, in die Behandlung einzugreifen.
[11] Das Ergebnis und die erforderlichen Angaben über die Befunde werden dem behandelnden Arzt und der Krankenkasse mitgeteilt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden vom Medizinischen Dienst nicht über das Ergebnis des Gutachtens informiert. Solange noch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht und das Gutachten mit der Bescheinigung des Hausarztes im Ergebnis nicht übereinstimmt, teilt die Krankenkasse sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer das Ergebnis der Begutachtung mit. Inhalt dieser Mitteilung ist nicht eine evtl. Änderung der Diagnose, sondern lediglich die abweichende Auffassung zur Frage der Arbeitsunfähigkeit oder der Dauer.
[12] Der Arbeitgeber ist von der Krankenkasse auch dann zu benachrichtigen, wenn der Arbeitnehmer der Vorladung zur Begutachtung nicht nachgekommen ist.
[13] Der behandelnde Arzt kann darüber hinaus ein Zweitgutachten bei der Krankenkasse beantragen, wenn er mit dem Gutachten des Medizinischen Dienstes nicht einverstanden ist.