2.2.1 Voraussetzungen
Rz. 6
Nach dem GR der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 9.12.1988 zu § 52 SGB V besteht die Möglichkeit der Leistungsbeschränkung dann, wenn sich der Versicherte eine Krankheit
- durch eine vorsätzliche (schädigende) Handlung (Rz. 7 f.) oder
- während eines von ihm begangenen Verbrechens (Rz. 9) oder
- während eines von ihm begangenen vorsätzlichen Vergehens (Rz. 10)
zugezogen hat. Bei einem begangenen Verbrechen oder bei einem vorsätzlichen Vergehen ist es nicht erforderlich, dass sich der Vorsatz auf die Krankheit selbst erstreckt.
Ein Kriterium für ein Vergehen bzw. Verbrechen ist ein Strafbefehl oder die Verurteilung durch das Amtsgericht etc.
Damit die Krankenkasse § 52 Abs. 1 anwenden kann, hat sie den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Versicherten bzw. dem Verbrechen und dem vorsätzlichen Vergehen einerseits und der Krankheit andererseits nachzuweisen.
Rz. 7
Zu a)
Die Voraussetzungen einer vom Versicherten vorsätzlich zugezogenen Krankheit und damit die Möglichkeit der Krankenkasse, den Versicherten an den Kosten der Krankenbehandlung zu beteiligen, liegen vor, wenn sich der Versicherte den Gesundheitsschaden bewusst zugefügt hat – und zwar auch dann, wenn der Versicherte das Ausmaß des sich daraus entwickelnden Gesundheitsschadens nicht beabsichtigte. Es genügt jedes zurechenbare aktive Tun oder Unterlassen, das zur Gesundheitsschädigung führt.
Unter einer vorsätzlichen Handlung i. S. d. § 52 Abs. 1 versteht man den "Willen zur Verwirklichung einer Handlung in Kenntnis aller seiner Tatumstände" (vgl. BGH, Urteil v. 5.5.1964, 1 StR 26/64). Die vorsätzliche Handlung i. S. d. § 52 Abs. 1 wird teilweise auch als vorsätzliche Begehung/Unterlassung definiert und zielt auf die Herbeiführung einer Vergiftung, Verletzung oder sonstigen Schädigung der eigenen Gesundheit ab. Der Vorsatz muss sich also auf die bewusste Herbeiführung einer Krankheit beziehen. Dabei ist es unbeachtlich, was der sich selbst verletzende Versicherte durch die Körperschädigung erreichen wollte (z. B. Herbeiführung einer Arbeitsunfähigkeit, um nicht arbeiten zu müssen, Schaffung von Anerkennung, Mitleid oder Aufmerksamkeit).
Für die Rückforderung von Behandlungskosten bzw. für das ganze oder teilweise Versagen des Krankengeldes genügt jede dem Versicherten nachgewiesene vorsätzliche Herbeiführung seiner Krankheit, auch wenn diese sich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Es genügen alle 3 Vorsatzformen (vgl. Rz. 8). Als Beispiel wäre hier zu nennen
- die Verweigerung von Wasser, Nahrung oder notwendigen Medikamenten zwecks Selbstschädigung,
- bewusst riskantes Verhalten im Straßenverkehr, bei dem billigend die eigene Verletzung in Kauf genommen wird (illegale Autorennen, Mutproben),
- bewusste Infizierung mit einer Krankheit (z. B. "Corona-Party"),
- Selbstverstümmelung oder
- die Beteiligung an einer Schlägerei, bei der sich der Versicherte selbst verletzt – auch durch das Hinzutun eines Dritten (sich bewusst der Gefahr aussetzen).
Bei der Prüfung der Anwendung des § 52 Abs. 1 ist es unbedeutend, ob, ob die Selbstschädigung durch krankheitsbedingten Zwang (z. B. Psyche) erfolgte; auch bei schweren psychischen Krankheitszuständen besteht auf jeden Fall ein Rückgriffsrecht der Krankenkasse auf Beteiligung des Versicherten an den Kosten der Krankenbehandlung. Allerdings hat die Krankenkasse bei der Entscheidung, in welchem Umfang sich der Versicherte an den Kosten der Krankenbehandlung zu beteiligen hat, den krankhaften Seelenzustand schuldmindernd zu berücksichtigen.
Beim missglückten Versuch eines Selbstmordes liegen die Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 i. d. R. nicht vor, weil die Absicht des Versicherten nicht auf Herbeiführung eines Gesundheitsschadens, sondern vielmehr auf das Auslöschen des Lebens gerichtet war.
Ebenfalls ist § 52 Abs. 1 wegen mangelndem Vorsatz in Bezug auf die Hinzuziehung einer Krankheit regelmäßig nicht anzuwenden
- bei Gesundheitsschädigungen aufgrund einer ungesunden Lebensweise (starkes Übergewicht, starker Alkoholkonsum),
- beim Reisen in Erdteile mit hohen Gesundheitsgefahren – auch dann, wenn eine amtliche Reisewarnung ausgesprochen wurde,
- bei risikoreichem Sport (z.B. bei Wettkämpfen mit hoher Verletzungsgefahr),
- bei einer Krankheitsentwicklung als Folge eines Schwangerschaftsabbruchs,
- bei Unterlassung von Früherkennungsmaßnahmen, die auf die Erkennung einer Krankheit zielen,
- bei Verzicht auf eine empfohlene Impfung.
Rz. 8
§ 52 Abs. 1 ist anzuwenden, wenn die Behandlungsbedürftigkeit des Versicherten durch eine vorsätzliche Selbstschädigung herbeigeführt wurde. Bei dem Vorsatz unterscheidet man zwischen 3 Vorsatzformen, nämlich
- der Absicht (dolus directus 1. Grades),
- dem direkten Vorsatz (dolus directus 2. Grades) und
- dem bedingten Vorsatz (Eventualvorsatz, dolus eventualis).
Beim Eventualvorsatz hält der verletzende Versicherte die Verwirklichung eines Tatbestandes ernsthaft für möglich, findet sich aber mit diesem Risiko ab und nimmt somit die Verwirklichung der Gefahr in Kauf (z. B. bei der Fahrt mit dem PKW m...