Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsentscheid zur Frage der fristlosen Kündigung wegen verzögerter Mietzinszahlungen durch das Sozialamt
Normenkette
BGB §§ 267, 278, 554a; BSHG § 15a Abs. 1 S. 3; HGB § 89 b; RegSatzV § 3 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 67 S 354/94) |
Tenor
Ein Wohnungsmieter verletzt seine Verpflichtung zur pünktlichen Mietzahlung nicht schuldhaft im Sinne von § 554 a BGB, wenn und soweit er zur Bezahlung der Kosten der Unterkunft auf Sozialhilfe angewiesen ist und Mietzinszahlungen allein aufgrund eines Verschuldens des Sozialamts nicht fristgerecht bei dem Vermieter eingehen.
Tatbestand
A.
Die Parteien des Ausgangsrechtsstreits streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Räumung und Herausgabe der von ihr gemieteten Wohnung. Das Mietverhältnis ist von den Klägern mehrfach gekündigt worden, u. a. wegen ständig unpünktlicher Mietzahlungen, und zwar mit Kündigung vom 12. August 1994, nachdem die vom Sozialamt übernommenen Mietzahlungen in den Monaten März, Mai, September, November 1993 sowie Januar, Februar, Mai Juni und August 1994 trotz Abmahnung der Beklagten nicht rechtzeitig bei den Klägern eingegangen waren, sowie mit Kündigung vom 18. November 1994 wegen weiterer unpünktlicher Mietzahlungen für Oktober und November 1994. Das Landgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 15. Dezember 1994 unter Abänderung des klageabweisenden amtsgerichtlichen Urteils zur Räumung verurteilt, weil das Mietverhältnis aufgrund der gemäß § 554 a BGB wirksam erklärten Kündigung vom 12. August 1994 beendet worden sei. Die Zahlungsverzögerungen des Sozialamtes müsse sich die Beklagte gemäß § 278 BGB zurechnen lassen; für ihre finanzielle Leistungsfähigkeit habe die Beklagte einzustehen.
Das Urteil des Landgerichts ist vom Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin mit Beschluß vom 19. Oktober 1995 mit der Begründung aufgehoben worden, daß das Landgericht verpflichtet gewesen wäre, die in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beantwortete Frage, ob der Mieter sich im Rahmen des § 554 a BGB die Zahlungsunpünktlichkeit des Sozialamtes als eigene schuldhafte Pflichtverletzung zurechnen lassen müsse, durch Vorlage bei dem Kammergericht gemäß § 541 Abs. 1 S. 1 ZPO klären zu lassen.
Das Landgericht hat daraufhin dem Kammergericht mit Beschluß vom 8. Februar 1996 folgende Frage zum Rechtsentscheid vorgelegt:
Sind Verzögerungen der Mietzinszahlungen eines Wohnungsmieters als nicht von diesem schuldhaft verursacht anzusehen, wenn sie auf ein Verschulden des Sozialamtes bei der Erbringung der Sozialhilfeleistungen zurückzuführen sind?
Die vorgelegte Rechtsfrage ist nach Auffassung des vorlegenden Gerichts für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung, da es die Räumungsklage allein aufgrund der Kündigungen vom 12. August 1994 und 18. November 1994 für begründet ansieht. Hinsichtlich der weiteren Kündigungsgründe teile die Kammer die Auffassung des Amtsgerichts. Soweit das Mietverhältnis auch gemäß § 554 Abs. 1 Satz 1 BGB gekündigt worden sei, sei die Kündigung durch die rechtzeitige Zahlung der Mieten in der gezahlten Höhe unwirksam geworden, weil die Berechtigung der geforderten höheren Miete nicht dargelegt worden sei. Auf den Zahlungsverzug könne die ordentliche Kündigung im Hinblick auf die Regelungen des § 556 a Abs. 1 und § 556 a Abs. 4 BGB nach dem Unwirksamwerden der außerordentlichen Kündigung nicht gestützt werden.
Das Landgericht fühlt sich an den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes von Berlin gebunden, während es seinerseits die Vorlagevoraussetzungen nicht für gegeben ansieht. Daß das Mietverhältnis wegen ständiger unpünktlicher Mietzahlungen gekündigt werden könne, entspreche der obergerichtlichen Rechtsprechung. Daß für die Zurechnung eines Verschuldens des Erfüllungsgehilfen im Rahmen des § 554 a BGB die Regelung des § 278 BGB anwendbar sei, entspreche herrschender Meinung (LG Mönchengladbach ZMR 93, 571; LG Berlin, Zivilkammer 63, MM 93, 94; LG Karlsruhe, ZMR 89, 421 f.; LG Berlin, Zivilkammer 64, GE 91, 95; AG Tempelhof-Kreuzber, MM 90, 158 f.; Bub-Treier-Grapentin, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 2. Aufl., IV 191; Staudinger-Emmerich, BGB, 13. Aufl. aaO., Rdnr. 44; wohl auch LG Kiel, WuM 77, 141). Ob das Sozialamt im Rahmen des § 278 BGB als Erfüllungsgehilfe des Mieters anzusehen sei, sei keine Frage des Mietrechts, sondern des allgemeinen Schuldrechts, die sich auch im Rahmen anderer Schuldverhältnisse, z. B. Ratenzahlungsverpflichtungen, stellen könne. Soweit in der Rechtsprechung die Unwirksamkeit der Kündigung im Falle verspäteter Mietzahlungen durch das Sozialamt angenommen worden sei (LG Köln, WuM 90, 548 f., LG Mönchengladbach, aaO.; LG Berlin, Zivilkammer 63, aaO.; LG Kiel, WuM 77, 141 ff.; LG Braunschweig, WuM 87, 201; AG Neumünster, WuM 90, 549 f.; AG Tempelhof-Kreuzberg, MM 90, 158 f.), sei dies in den Umständen des Einzelfalles begründet gewesen. Die Einzelfallentscheidung sei aber einer Entscheidung im Wege des Rechtsentscheides nicht zugänglich. Im ü...