Leitsatz
Zahlt der Drittschuldner im Insolvenzeröffnungsverfahren gemäß § 24 Abs. 1 i.V.m. § 82 der Insolvenzordnung (InsO) schuldbefreiend auf ein Konto des späteren Insolvenzschuldners, vereinnahmt dieser das Entgelt für die von ihm umsatzsteuerpflichtig erbrachte Leistung abschließend, so dass keine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO vorliegt.
Normenkette
§ 55 Abs. 4, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2, § 24 Abs. 1, § 82 Satz 1 InsO, § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, § 10 Abs. 1 UStG
Sachverhalt
Das Insolvenzgericht bestellte Mitte Juni 2016 den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen des Unternehmers A (Insolvenzschuldner), der steuerpflichtige Umsätze ausführte. Verfügungen des Insolvenzschuldners waren nur mit Zustimmung des Klägers wirksam. Der Kläger wurde ermächtigt, Forderungen des Insolvenzschuldners auf ein Treuhandkonto einzuziehen. Zudem sollte der Kläger das Unternehmen des Insolvenzschuldners bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmte, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden.
Der Insolvenzschuldner verfügte über ein Girokonto bei der B‐Bank. Auf diesem Konto wurden am 22.6.2016 eine Überweisung i. H. v. 446,25 EUR sowie am 28.6.2016 weitere Überweisungen i. H. v. 357,00 EUR, 4.373,25 EUR sowie 238,00 EUR gutgeschrieben. Auftraggeberin der Überweisungsgutschriften war jeweils die C‐GmbH als Drittschuldnerin, die im Verwendungszweck Rechnungen benannte, die der Insolvenzschuldner für seine Leistungen an die C‐GmbH gestellt hatte. Ebenfalls am 28.6.2016 hob der Insolvenzschuldner von seinem Konto bei der B‐Bank einen Betrag i. H. v. 1.000 EUR in bar ab und es wurde Lohn zugunsten eines Arbeitnehmers des Insolvenzschuldners überwiesen.
Den Beschluss über die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung übermittelte der Kläger der B‐Bank per Telefax am 28.6.2016 um 8:53 Uhr. Des Weiteren setzte er am selben Tag die C‐GmbH per Telefax um 13:32 Uhr darüber in Kenntnis, dass er, der Kläger, zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden sei und mit schuldbefreiender Wirkung nur noch an ihn gezahlt werden könne.
Anfang Juli 2016 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Das zu diesem Zeitpunkt auf dem Konto der B‐Bank noch vorhandene Guthaben zog der Kläger bis auf einen Betrag i. H. v. 900 EUR, der der Unterhaltssicherung des Insolvenzschuldners dienen sollte, zur Insolvenzmasse ein.
Das FA ging in Bezug auf die zwei Gutschriften vom 22.6.2016 und 28.6.2016 von einer Masseverbindlichkeit aus. Die Klage zum FG hatte Erfolg. Nachdem der BFH das Urteil des FG aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen hatte (BFH, Urteil vom 28.5.2020, V R 2/20, BFH/NV 2020, 1180) gab das FG der Klage auch im zweiten Rechtsgang statt (Hessisches FG, Urteil vom 13.12.2022, 6 K 1062/20, Haufe-Index 16213557).
Entscheidung
Der BFH bestätigte im zweiten Rechtsgang die Klagestattgabe durch das FG. Nach den Feststellungen des FG sei davon auszugehen, dass der Drittschuldner gemäß § 24 Abs. 1, § 82 Satz 1 InsO schuldbefreiend geleistet habe. Daher liege keine Masseverbindlichkeit vor.
Hinweis
1. Nach § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Insolvenzschuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.
2. Verbindlichkeiten werden vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Insolvenzschuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nur im Rahmen der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet. Danach ist für das Entstehen von Masseverbindlichkeiten bei nach dem UStG begründeten Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis auf die Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter abzustellen.
Eine Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter liegt insbesondere dann vor, wenn das Insolvenzgericht Drittschuldnern die Zahlung an den Insolvenzschuldner verbietet, es den vorläufigen Insolvenzverwalter zum Forderungseinzug ermächtigt und der vorläufige Insolvenzverwalter die dem Insolvenzschuldner zustehenden Gegenleistungen dann – auf einem von ihm eingerichteten Sonderkonto – vereinnahmt.
3. Noch nicht entschieden war, ob eine Masseverbindlichkeit auch dann entsteht, wenn
- der (spätere) Insolvenzschuldner aufgrund der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO) im Eröffnungsverfahren nicht mehr berechtigt ist, die Zahlung des Drittschuldners ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu empfangen,
- der Drittschuldner aber gemäß § 24 Abs. 1 InsO die §§ 81, 82 InsOgleichwohl von seiner Schuld befreit wird, wenn er die Verfügungsbeschränkung nicht kannte.
Für diesen Fall verneint der BFH jetzt das Entstehen einer Masseverbindlichk...