Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßkostenhilfe; Nichtigkeit des Steuerbescheids mangels Bekanntgabe
Leitsatz (NV)
Keine Prozeßkostenhilfe für den Antrag auf Feststellung, daß ein Steuerbescheid mangels Bekanntgabe nichtig ist.
Normenkette
FGO § 142 Abs. 1, § 41 Abs. 1; ZPO § 114 S. 1; AO § 122 Abs. 1 S. 2, § 124 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) - Eheleute - wenden sich mit ihrer Beschwerde dagegen, daß das Finanzgericht (FG) es abgelehnt hat, ihnen Prozeßkostenhilfe zu bewilligen für ihre Klage auf Feststellung, daß der Steuerbescheid vom 3. Januar 1983 (betr. die Festsetzung der Vermögensteuer auf den 1. Januar 1977) mangels Bekanntgabe nichtig ist.
Ihrem Antrag hatten sie eine Erklärung vom 20. April 1986 über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt. Der Antragsteller sei 1934, die Antragstellerin 1945 geboren. Aus ihrer Ehe seien drei Kinder hervorgegangen (geboren 1965, 1966 und 1977). Der Antragsteller sei 25 Jahre lang Geschäftsführer ,,eines ehemaligen Familienunternehmens" (der A-GmbH & Co. KG in B, C-Straße 13) gewesen. Dieses Unternehmen sei 1984 in Konkurs gegangen und er habe dadurch seine Arbeitsstelle verloren; eine neue habe er nicht gefunden. Antragsteller und Antragstellerin seien ohne Einkünfte. Der Antragsteller erhalte Leistungen aus der Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) und für sein jüngstes Kind 241 DM monatlich Kindergeld. Zu ihrem Vermögen gehöre ein Einfamilienhaus in S, das von ihnen bewohnt werde. Bei diesem Einfamilienhaus handele es sich ,,um eine kleine, über 100 Jahre alte ehemalige Landkatenstelle". Das Streitverhältnis ist folgendes:
Das Finanzamt (FA) setzte durch Bescheid vom 3. Januar 1983 die Vermögensteuer für die Antragsteller auf den 1. Januar 1977 auf 9 079 DM fest. Der Bescheid war adressiert an ,,Herrn . . . Frau . . ., C-Straße 13 in B.
Am 30. Mai 1986 haben die Antragsteller Feststellungsklage erhoben und begehrt, festzustellen, daß der Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1977 mangels Bekanntgabe nichtig ist. Gleichzeitig haben sie beantragt, ihnen für diese Klage Prozeßkostenhilfe zu bewilligen. Das FG hat den Antrag durch Beschluß vom 11. November 1986 abgelehnt mit der Begründung, der Vermögensteuerbescheid sei wirksam bekanntgegeben worden, insbesondere sei es nicht zu beanstanden, daß er an die Antragsteller unter der Anschrift ,,C-Straße 13 in B" adressiert worden sei, denn dies sei durch folgendes Verhalten der Antragsteller veranlaßt worden:
In ihrer Vermögensteuererklärung vom 29. April 1981 (auf den 1. Januar 1980) sei als Wohnsitz ,,C-Straße 13, in B" angegeben. Aus den Einkommensteuerakten ergebe sich, daß die Antragsteller ,,noch bis 1984 ihren Wohnsitz laufend mit B, C-Straße 13, angegeben haben", z. B. in ihrer anfangs 1983 eingereichten Einkommensteuererklärung für 1981. Dementsprechend habe das FA ,,auch die übrigen Schriftsätze wegen ESt und VSt unter der Anschrift in B übermittelt". Dort seien die Briefe - wenn die Antragsteller nicht anwesend gewesen seien - von dem Buchhalter H entgegengenommen, geöffnet und für die Antragsteller bearbeitet worden. Diese Handhabung habe über einen längeren Zeitraum angedauert. Mit ihr seien die Antragsteller einverstanden gewesen, zumindest sei sie von ihnen geduldet worden. Beispielsweise hätten die Antragsteller nicht beanstandet, daß ihnen der Steuerbescheid für die Einkommensteuer 1980 vom 8. Dezember 1982 unter der Anschrift in B bekanntgegeben und durch Schriftsatz des Buchhalters H vom 11. Januar 1983 mit dem Einspruch angefochten worden sei. Unter diesen Umständen reiche es für eine rechtswirksame Bekanntgabe aus, wenn der durch die Post übermittelte Bescheid bei Abwesenheit der Antragsteller dem im Gewerbebetrieb tätigen Buchhalter H als Empfangsboten ausgehändigt werde. Denn hierdurch sei der Steuerbescheid derart in den Machtbereich der Antragsteller gelangt, daß ihnen die Kenntnisnahme normalerweise möglich gewesen und nach den Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs auch habe erwartet werden können.
Mit ihrer Beschwerde machen die Antragsteller geltend, dem FA sei bekannt gewesen, ,,daß in B, C-Straße 13, keine Wohnräume vorhanden" gewesen seien. Die Angaben in der Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1980 habe ,,die Antragstellerin nicht zu vertreten". Das gegen die A-GmbH & Co. KG eingeleitete Vergleichsverfahren habe zu einer Änderung der Stellung des Buchhalters H geführt, ,,da die ganze Buchhaltungsabteilung nur noch dem Vergleichs- und späteren Konkursverwalter" zugearbeitet habe. Dies könne die Ursache dafür sein, daß sie (die Antragsteller) ,,den Bescheid nie zu sehen" bekommen hätten. Eine ,,gemeinsame Bevollmächtigung" beider Ehegatten für eine derartige Bekanntgabe dürfe nicht unterstellt werden; es sei eine getrennte Übermittlung an beide Ehegatten erforderlich gewesen. Die Nichtigkeit des Bescheids werde auch darauf gestützt, daß allein der Buchstabe G auf dem Eingabebogen kein ausreichendes Namenszeichen sei, um die Verantwortung für einen Verwaltungsakt zu dokumentieren.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Bundesfinanzhof (BFH) vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Antragsteller ist unbegründet.
Die Antragsteller können für ihre gemeinschaftlich erhobene Feststellungsklage keine Prozeßkostenhilfe erhalten, weil ihre Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, § 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Ihre Klage ist zwar zulässig, denn mit ihr kann auch die Unwirksamkeit eines Steuerbescheids wegen fehlerhafter Zustellung geltend gemacht werden (§ 41 FGO; BFH-Urteil vom 25. Mai 1976 VIII R 66/74, BFHE 119, 36, 40, BStBl II 1976, 606). In einem Falle dieser Art richtet sich die Zulässigkeit der Klage nach der ersten Alternative des § 41 Abs. 1 FGO (Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses), denn mit ihr wird nicht die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes (zweite Alternative des § 41 Abs. 1 FGO), sondern die Feststellung begehrt, daß der Verwaltungsakt nicht wirksam (geworden) ist und demzufolge die mit ihm beabsichtigte Regelung nicht erreicht hat, es sich also um einen nicht existent gewordenen Bescheid (Nichtakt) handelt (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 21. November 1986 8 C 127.84, Bayerische Verwaltungsblätter - BayVBl - 1987, 217, 219). Zwar gleicht dieser Nichtakt in seiner rechtlichen Unwirksamkeit einem nichtigen Verwaltungsakt. Aber die Zuordnung zur ersten Alternative des § 41 Abs. 1 FGO hat Auswirkungen auf die Prüfung des Rechtsschutzinteresses: Ein nichtiger belastender Verwaltungsakt begründet in aller Regel einen Rechtsschein zu Lasten des Adressaten, so daß regelmäßig das Rechtsschutzinteresse des Adressaten für eine Nichtigkeitsfeststellungsklage ohne weiteres gegeben ist. Bei einem Nichtakt hingegen trifft das nicht mit gleicher Regelmäßigkeit zu. Im vorliegenden Fall war ein schutzwürdiges Feststellungsinteresse der Kläger zu bejahen, denn die von den Klägern beanstandete Steuerfestsetzung ist - darin dem nichtigen Verwaltungsakt vergleichbar - zumindest scheinbar rechtswirksam geworden.
Die Klage ist aber unbegründet. Denn die Art, in der das FA den Vermögensteuerbescheid vom 3. Januar 1983 den Antragstellern bekanntgegeben hatte, machte den Steuerbescheid nicht nichtig und unwirksam: Der Bescheid enthielt im Anschriftenfeld die Namen der Antragsteller, also der Beteiligten, für die er bestimmt war (§ 122 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Als Wohnort durfte das FA C-Straße 13 in B angeben, denn in der Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1980, die der Buchhalter H am 29. April 1981 mit dem Vor- und Zunamen des Antragsteller ,,i.A." unterschrieben, den Antragsteller als Empfangsbevollmächtigen bezeichnet und zu der der Antragsteller am 7. Mai 1981 seine Unterschrift (auf einem Geschäftsbriefbogen der A-GmbH & Co. KG) ,,nachgereicht" hatte, war als Adresse des Antragstellers ,,C-Straße 13 in B" angegeben. Auch in ihrer anfangs 1983 eingereichten und von ihnen unterschriebenen Einkommensteuererklärung für 1981 hatten die Antragsteller C-Straße 13 in B als ihren Wohnsitz angegeben. Unter diesen Umständen müssen sich die Antragsteller aufgrund von Treu und Glauben (aufgrund ihrer eigenen Angaben) so behandeln lassen, als hätten sie in der C-Straße 13 in B gewohnt, selbst wenn sie in Wahrheit dort keine Wohnung (d.h. Räume, die sie regelmäßig auch zum Schlafen benutzten) gehabt haben sollten.
Mit der Übergabe des Vermögensteuerbescheids vom 3. Januar 1983 an den Buchhalter H war der Bescheid den Antragstellern zugegangen, d.h. derart in ihren Machtbereich gelangt, daß ihnen die Kenntnisnahme normalerweise möglich war und unter gewöhnlichen Umständen auch erwartet werden konnte. Der Buchhalter H war als ihr Empfangsbote tätig geworden. Zur Entgegennahme des bezeichneten Steuerbescheids war er von den Antragstellern zumindest stillschweigend ermächtigt worden. Denn er hatte - wie aus den Vermögensteuer- und den Einkommensteuerakten hervorgeht - jahrelang mit Wissen und Dulden der Antragsteller die an sie gerichteten Steuerbescheide entgegengenommen und den Antragstellern übermittelt. Hatte er ausnahmsweise - wie die Antragsteller andeuten - den Vermögensteuerbescheid vom 3. Januar 1983 nicht an sie übermittelt, so geht das zu ihren Lasten. Sollte sich - wie die Antragsteller geltend machen - seine Stellung seit der Eröffnung des dem Konkursverfahren vorausgegangenen Vergleichsverfahrens gegen die A-GmbH & Co. KG geändert haben, so wäre es Sache der Antragsteller gewesen, dies dem FA mitzuteilen, ähnlich wie der Antragsteller mit Schreiben vom 15. März 1982 dem FA angezeigt hatte, er ziehe ,,die . . . Herrn H erteilte Vollmacht auf Entgegennahme von Einkommensteuer zurück".
Unzutreffend ist die Ansicht der Antragsteller, der Vermögensteuerbescheid vom 3. Januar 1983 sei nichtig deshalb, weil der Eingabebogen für die Veranlagung zur Vermögensteuer 1977 vom Bearbeiter nur mit dem Namenszeichen ,,G" versehen worden war. Denn für die Wirksamkeit des Steuerbescheids ist nicht der Eingabebogen, sondern der den Antragstellern mit Willen des Bearbeiters zugegangene Steuerbescheid maßgebend (§ 124 Abs. 1 S. 2 AO 1977).
Fundstellen